Ein Professor bezwingt Deutschlands mächtigsten Strom. So schnell wie niemand zuvor schwimmt Andreas Fath in 25 Etappen die 1231 Kilometer von der Quelle des Rheins in den Alpen bis zur Mündung in die Nordsee. Das Anliegen des Chemikers, der mit seinem Team unterwegs Wasserproben nimmt: für einen effektiven Schutz unserer Flüsse und Gewässer zu werben. Seine wissenschaftlichen Analysen belegen eine bedenkliche Zunahme von Mikroplastikpartikeln und geben Hinweise auf Medikamente, Süßstoffe und Korrosionsschutzmittel mit ungeklärten Auswirkungen auf unser Ökosystem.
Rheines Wasser ist die packende Erzählung eines großen Abenteuers – und ein Plädoyer für den sorgsameren Umgang mit dem kostbarsten Rohstoff der Welt. Damit wir die Gewässer effektiver schützen, Wasser sparen, klügere Abwassersysteme installieren und verhindern, dass Antibiotika und Mikroplastik in unserer Nahrung und in unserem Trinkwasser landen.
Hanser E-Book
Andreas Fath
Rheines Wasser
1231 Kilometer mit dem Strom
Carl Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-44993-0
Alle Rechte der deutschen Ausgabe
© Carl Hanser Verlag München 2016
Umschlag: Hauptmann & Kompanie, Zürich
© Mario Siebold
Satz: Greiner&Reichel, Köln
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Datenkonvertierung E-Book:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
I. PROLOG –
ICH UND
DAS WASSER
II. MIT DEM STROM
1. Die Geburt einer Idee
2. Im Grand Canyon Europas – der Vorder- und Alpenrhein
Sonntag 27. 07. 2014 Haslach: Der Tag davor
Montag 28. 07. 2014 Tomasee – Ilanz (52km):
Anthropogene Spuren in den Alpen
Dienstag 29. 07. 2014
Ilanz – Chur (26km):
»Gegen die Natur machst du immer den Zweiten«
Mittwoch 30. 07. 2014 Chur–Ruggell (56km):
Unter Schweizer
Brücken
Donnerstag
31. 07. 2014 Ruggell – St. Margrethen (30km):
Die verpasste Abzweigung
3. Im Bodensee
Freitag 01. 08. 2014
St. Margrethen – Uttwil (38 km):
Magenprobleme bei Traumwetter
Samstag 02. 08. 2014 Uttwil – Konstanz (15 km):
Gut gefettet und
geölt
Sonntag 03. 08. 2014 Konstanz – Stein am Rhein (24 km):
Abschied
vom Bodensee
4. Hochgefühle im Hochrhein
Montag 04. 08. 2014 Stein am Rhein – Eglisau (50 km):
Der Rhein ist eine
riesige Plastikmühle, Teil 1
Dienstag 05. 08. 2014
Eglisau – Bad Säckingen (56 km):
Wie ein Korken in der Waschmaschine
Mittwoch 06. 08. 2014 Bad Säckingen – Basel (37 km):
Der Abbruch
droht
5. Unter Frachtschiffen – im Oberrhein
Donnerstag 07. 08. 2014 Basel – Breisach (59 km):
Tanzende Tropfen am
Dreiländereck
Freitag 08. 08. 2014 Breisach – Kehl (69 km):
Heimspiel in der Ortenau
Samstag 09. 08. 2014
Haslach (Ruhetag):
Home, sweet home
Sonntag 10. 08. 2014
Kehl – Iffezheim (43 km):
Gestoppt vom Hochwasser
Montag 11. 08. 2014 Iffezheim – Mannheim (88 km):
Besuch in der
Geburtsstadt
Dienstag 12. 08. 2014 Mannheim – Nierstein (58 km):
Entzündeter Nacken und kühlendes Eis
6. Sagenhaft schön – im Mittelrhein
Mittwoch 13. 08. 2014
Nierstein – St. Goar / Loreley (72 km):
Der Rhein–ein Chemiecocktail
Donnerstag 14. 08. 2014 St. Goar / Loreley – Neuwied (49 km):
Durchs enge Tal
Freitag 15. 08. 2014 Neuwied – Bonn (49 km):
Im Wasserschatten
7. Im Sog der Nordsee – der Niederrhein
Samstag 16. 08. 2014 Bonn – Köln (35 km):
Dat Wasser vun Kölle
Sonntag 17. 08. 2014 Köln (Ruhetag):
Familien-Sightseeing
Montag 18. 08. 2014 Köln – Düsseldorf (55 km):
Der Rhein ist eine
riesige Plastikmühle, Teil 2
Dienstag 19. 08. 2014
Düsseldorf – Götterswickerham (59 km):
Regen im Pott
Mittwoch 20. 08. 2014 Götterswickerham – Emmerich (49 km):
Vorbei
am Kernkraftwunderland
Donnerstag 21. 08. 2014 Emmerich – Wageningen
(51 km):
Welkom in Nederland
Freitag 22. 08. 2014
Wageningen – Vresswijk (47 km):
Im Einflussbereich der Tide
Samstag 23. 08. 2014 Vresswijk – Lekkerkerk (32 km):
Zwischen
großen Wellenbergen
Sonntag 24. 08. 2014 Lekkerkerk – Hoek van Holland
(30 km):
Im Meer
III. EPILOG –
TAKE ME TO THE RIVER
IV. UND JETZT?
WEGE ZU RHEINEREM WASSER
Danksagung
Anmerkungen
Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser,
denn Wasser ist alles und ins Wasser kehrt alles zurück.
Thales von Milet (um 625–um 547 v. Chr.),
griechischer Philosoph
Meine erste Begegnung mit dem Wasser hatte ich, als ich mit meinem Vater auf dem Hausboot eines Freundes zu Besuch war. Was ich nicht wusste: Dort, in einem der malerischen Altrheinarme, wollte er mir das Schwimmen beibringen. Und zwar, indem er mich von der Reling ins kalte Wasser warf, verbunden mit der simplen Aufforderung: »Schwimm!« Das Erstaunliche: Ich ging nicht unter, und ich erinnere mich auch nicht an Panik oder wildes Gezappel. Nur an meinen Vater, dann irgendwann neben mir im Wasser, mit heftig rudernden Armen und der stetigen Anweisung: »Schwimm!« Offensichtlich tat ich das. Mit vier Jahren. Was zurückblieb, war die Erkenntnis, dass der Sprung ins kalte Wasser eine erfolgreiche Strategie sein kann. Auch in der Wissenschaft.
Mit acht Jahren trat ich dann in den Schwimmverein in meiner Geburtsstadt Speyer ein. Seitdem bin ich an das nasse Element verloren. Das Freibad lag direkt am Rhein. Damals traute ich mich noch nicht, in dem breiten Strom zu schwimmen. Viel mehr beeindruckten mich die riesigen Frachtschiffe, die sich nahe am Ufer stromaufwärts quälten, manchmal als Tandem im Schleppverband. Auch heute noch stehe ich gerne am »Alten Hammer« auf der Rheinpromenade und beobachte mit Enzo, meinem jüngsten Sohn, wie diese nicht enden wollenden Schiffsverbände sich durch die Mäander hindurchmanövrieren.
Auch in der Schule war es das Wasser, das mich am meisten faszinierte. Und zwar im Chemie-Unterricht, in dem sich für mich ganz neue Eigenschaften des Wassers auftaten. Dass Wasser etwa auch ein reaktives Medium sein kann, welches Metalle zum Glühen bringt, und dass eine Lampe auch unter Wasser brennen kann. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, mit Strom Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegen zu können und bei der Umkehrung wieder jene Energie zu gewinnen, die vorher hineingesteckt wurde. Wasser verdunstet freiwillig, obwohl es Energie kostet, es an anderer Stelle wieder zu kondensieren. Dort, wo es kondensiert, wird diese Energie wieder freigesetzt, und der Kreislauf beginnt erneut. Dieser lebenswichtige Kreislauf fasziniert mich heute noch.
Auf die Fragen, wieso und unter welchen Bedingungen das alles passiert und welche Einflüsse diesen Wasserkreislauf stören, wollte ich Antworten haben. Seither ließ mich diese Neugier nicht mehr los: Es war klar, dass ich Chemie studieren musste. Selbst der dem Studium vorgeschaltete Wehrdienst als Fluss-Pionier hielt für mich ein besonderes Wasser-Erlebnis parat, das mir im Verlauf meines Rhein-Marathons zugutekommen sollte. Bei einem nächtlichen Wintermanöver ging ich in voller Montur über Bord und stürzte in die reißende Strömung der eiskalten Donau. Nur mit viel Glück entging ich den rotierenden Schrauben des Amphibienfahrzeugs. Gerettet habe ich mich damals gewissermaßen selbst, indem ich stromabwärts zu einem absichernden Motorboot schwamm. Obwohl ich erstmals und völlig unfreiwillig in einem stark strömenden Fluss unter ungünstigsten äußeren Bedingungen als Schwimmer unterwegs war, fühlte ich mich im Wasser sicher und stets in der Lage, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Angst vor starken Strömungen im Freiwasser habe ich seither nicht mehr, wohl aber viel Respekt.
Das Schwimmen hat für mich mehrfach seine Funktion geändert. Als junger Mensch war das Wasser ein Medium, in dem ich mich möglichst schnell in allen vier Disziplinen fortbewegen wollte, um schneller als die gleichaltrige Konkurrenz zu sein. Das Schwimmen half mir auch dabei, Aggressionen abzubauen. Das Wasser nahm einen wütenden Pubertierenden in sich auf und spuckte einen entspannten Heranwachsenden wieder aus: ein toller Trick. Mit dem Freiwasserschwimmen wurde Wasser dann ein Element, das die Familie zusammenbrachte. Alle Faths lieben das kühle Nass, bei vielen Schwimmmeisterschaften rückten wir als Team an, meine Frau, unsere drei Söhne und ich.
Sobald ich mit einem Kopfsprung die Wasseroberfläche durchbrochen habe und die ersten Tauchzüge unter Wasser beginne, vergesse ich das »Draußen«. Nach der Abdruckphase sehe ich beim Dreier-Zug, wie das Wasser sich links und rechts von mir kräuselt, wie bei einem Boot, welches das Wasser in zwei Hälften schneidet. Noch ist das automatisierte Gleichgewicht zwischen Armzug, Gleitphase und Atmung nicht ganz hergestellt, erst etwa nach 1000 Metern habe ich das Gefühl, mit dem Wasser in Harmonie verbunden zu sein. Jetzt bin ich angekommen und kann die nächsten Kilometer abseits der Alltagshektik abspulen. Wenn ich danach aus dem Wasser steige, fühle ich mich wie neugeboren. Es gibt keine Schmerzen, der Kreislauf ist angeregt, und die Lungen füllen sich beim Atmen, als hätten sie plötzlich das dreifache Volumen.
Dieses Wohlgefühl während des Schwimmens und danach, verbunden mit der Erkenntnis, dass ich die Welt nach diesen intensiven Erlebnissen im Wasser wieder neu sehe, birgt natürlich Suchtpotential. Gestresst, geistig und körperlich erschöpft springe ich ins Wasser, zufrieden und euphorisiert steige ich heraus. Diese Gefühle will man immer wieder haben: Mit dem Sprung ins Wasser tritt gleichermaßen ein Phasenwechsel ein. In der Flüssigphase reduziert sich die Schwerkraft, man befindet sich in einem Raum, in dem die Bewegungen in alle Richtungen müheloser ablaufen als an Land. Und diese Mühelosigkeit überträgt sich auf das Leben an Land: Wenn ich weiß, dass ich im Laufe eines Tages noch die Möglichkeit haben werde, ins Wasser zu kommen, kann ich jegliche Zusatzaufgaben, aber auch berufliche Tiefschläge, Ärger und Stress besser bewältigen. Das Schwimmen ist ein ritualisierter Ausstieg aus dem Alltag, um danach mit neuer Kraft wieder ins Tagesgeschäft einzusteigen. Das Wasser als Trennmittel der beiden »Welten« ist zum Abschalten deshalb so gut geeignet, weil es eine kommunikationsfreie Zone ist. Niemand redet auf einen ein, solange man schwimmt und nicht an einer Wende stehen bleibt. Im Becken oder im See gibt es (noch) keine Handys, keine Computer, kein Internet, nur plätscherndes und gurgelndes Wasser, welches mit den eintauchenden Armen kommuniziert.
Das Schwimmen ist für mich also zu einem heilsamen Ritual geworden, das mich vor dem inneren wie äußeren Austrocknen, dem »Burn-out«, schützt. Und das Schwimmen wurde zusammen mit der Liebe zum Wasser zum Ausgangspunkt und Hauptdarsteller des großen Abenteuers, das ich im Sommer 2014 erleben sollte. Doch begeben wir uns zunächst ein Jahr weiter zurück, in den Juni des Jahres 2013.
Es war ein warmer sommerlicher Abend im Juni 2013, meine Söhne hatten die Biertische in den Garten getragen, ich grillte Steaks und Würstchen, meine Frau kümmerte sich um die gesunden Zutaten, und wir aßen draußen zu Abend. Als später unser Untermieter und kurz danach auch der Nachbarssohn, beide um die 23 Jahre alt, auftauchten und wir sie zu einem Bier einluden, saßen wir alle gemeinsam um das Grillfeuer, das wir durch Holzauflegen in ein Lagerfeuer verwandelten.
Erst der vorwurfsvolle Blick meiner Frau teilte mir unmissverständlich mit, dass ich mich einige Zeit nicht an der Konversation beteiligt hatte und das als Desinteresse an den jungen Studenten interpretiert werden konnte.
Und tatsächlich: Ich war mit den Gedanken woanders. Der Wortlaut eines am Vormittag erhaltenen Briefes spukte mir noch im Kopf herum: »Sie haben einen Antrag im Programm des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur ›Verbesserung der Geräteausstattung‹ gestellt, doch ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Antrag nicht zur Förderung kommen wird. … Dass Ihr Antrag bei denen, die zur Förderung empfohlen wurden, nicht dabei war, hat nichts mit einer Abwertung Ihrer Forschungsleistungen zu tun, sondern beruht einerseits auf den beschränkten Mitteln, andererseits darauf, dass anderen Anträgen größere Priorität eingeräumt wurde.« Mein Antrag hatte einem Analysegerät gegolten, mit dem man bei der Abwasserreinigung einen Vorher-Nachher-Vergleich durchführen und herausfinden kann, ob der Abbau einer Substanz, beispielsweise eines Antibiotikums, zu 95 oder zu 100 Prozent funktioniert hat. Das hört sich nach einem kleinen Unterschied an, bedeutet für den Schutz unserer Gewässer aber die Welt.
Dies war nun schon die zweite Absage, seit ich die Professur an der Hochschule Furtwangen im Oktober 2011 angenommen hatte. Im Leistungssport habe ich gelernt, mit Niederlagen umzugehen, und im Nachhinein hat sich das spanische Sprichwort »No hay mal que por bien no venga« (Alles Schlechte hat immer auch etwas Gutes) immer bewahrheitet. Es gibt kein Negativerlebnis, aus dem man nicht etwas Positives schöpfen könnte. Bevor sich diese Erkenntnis bei mir durchsetzt, werden aber meist drei Phasen durchlaufen: Am Anfang steht die Frustrationsphase. Es dauert etwa ein bis zwei Tage, bis sich meine Enttäuschung mit allem »wenn und aber« und »hätt ich doch« wieder legt.
Es folgt die Grübelphase, die – alle Umstände ignorierend – von mir Besitz ergreift, sogar während eines Grillabends. Es musste eine andere Möglichkeit geben, um meine Forschungsthemen mit dem notwendigen Equipment und Personal voranzutreiben, außer nochmals bis zur nächsten Ausschreibung einer Forschungsförderung zu warten, die wieder nur eine Erfolgsquote von 20 bis 30 Prozent verspricht. Ohne wieder zig Abende mit dem Schreiben von Anträgen zu verbringen. Schließlich war es nicht nur die Lehre, sondern auch die Möglichkeit, zu forschen, gewesen, die mich zu einem Wechsel an die Hochschule motiviert hatten.
Der Blick meiner Frau riss mich nicht nur aus meinen Gedanken, er ließ mich auch in die dritte Phase eintreten – die Phase, in der man einen Ausweg aus dem Dilemma findet, und sei er noch so verrückt. Denn urplötzlich hatte ich das Abenteuer vor Augen, das ich bestehen musste, um für meine Forschung zu werben und für den Gewässerschutz zu sensibilisieren. Die Idee, den Rhein in seiner vollen Länge von 1231 Kilometern, von seiner Quelle im Tomasee bis zu seiner Mündung in die Nordsee bei Hoek van Holland, zu durchschwimmen und ihn dabei zu beproben, war geboren.
Die Lösung liegt im Nachhinein betrachtet auf der Hand: Ich musste einfach nur meine drei Lieblingsthemen, Wasser, Chemie und Schwimmen, in einen sinnvollen Zusammenhang bringen.
In der gleichen Nacht war aufgrund der explodierenden Gedanken und des hohen Pulses an Schlaf nicht zu denken. Mir war klar, dass Organisation, Sponsorensuche, Training, Familie, Lehre und Beratertätigkeit unter einen Hut zu bringen waren und dass die eigentliche Schwimmphase nur in der vorlesungsfreien Zeit machbar war. Obwohl ich damals liebend gern noch im Sommer 2013 gestartet wäre, dauerte es ein Jahr, bis alle Vorbereitungen und Planungen abgeschlossen waren. Immer wieder stand das Vorhaben in dieser Zeit auf der Kippe. Weil die Sicherung der Finanzierung durch Sponsoren viel mehr Zeit in Anspruch nahm, als wir erwartet hatten. Weil gleich in vier Ländern behördliche Genehmigungen einzuholen und Auflagen zu erfüllen waren. Weil wir Wissenschafts- und Industriepartner, deren Unterstützung für die umfassenden Wasseranalysen vonnöten war, von der Sinnhaftigkeit und Machbarkeit unseres Abenteuers überzeugen mussten. Weil wir lange Zeit kein Motorboot mit der vorgeschriebenen Ausstattung zur Verfügung hatten. Und weil uns jemand fehlte, der willens und in der Lage war, das Boot fast vier Wochen lang vom Bodensee bis zur Nordsee zu schippern. Bis uns mein Hochschulkollege Bernhard Vondenbusch, der über die notwendigen Bootsführerscheine verfügte, mit seiner Zusage erlöste.
Die nötige Geduld und Energie aufzubringen war nur möglich, weil ich von Anbeginn die Rückendeckung meiner Familie und meines Arbeitgebers, der Hochschule Furtwangen, hatte. Und weil ich nicht nur dadurch motiviert war, meine Forschung und die wissenschaftliche Arbeit der Hochschule voranzubringen. Sondern auch durch meine über lange Jahre gewachsene Leidenschaft für das Wasser, die sich aus verschiedenen Quellen speist: Im Wasser lernte ich meine Ängste überwinden – und meine Frau kennen. Wenn es also etwas gab, für das ich im Wortsinn mein letztes Hemd geben würde, dann den Stoff, ohne den kein Leben existieren würde. Wie schon Thales von Milet vor circa 2600 Jahren erkannte. Der Mensch besteht zu drei Vierteln aus Wasser. Dass Wasser alles ist und alles ins Wasser zurückkehrt, wissen wir zwar, aber richtig verstanden haben wir es nicht, denn wir handeln vielfach ganz und gar nicht danach.
Unsere Trinkwassermenge wird immer kleiner, obwohl es eigentlich genug Wasser auf unserem blauen Planeten gibt. Mehr als zwei Drittel unseres Planeten, nämlich 71 Prozent der Erdoberfläche, sind mit Wasser bedeckt. Der mit 92,2 Prozent weitaus größte Anteil entfällt jedoch auf die Ozeane, ist damit Salzwasser und für den Menschen ungenießbar. 4 Prozent befinden sich als Wasserdampf in der Atmosphäre. Von den 3,5 Prozent des Wassers, das als Süßwasser vorliegt und damit theoretisch von den Menschen als Trinkwasser genutzt werden könnte, ist mehr als die Hälfte in Form von Eis gefangen – vor allem an den Polen, aber auch in Gletschern und Permafrostböden. Lediglich 0,6 Prozent der auf der Erde vorhandenen Wassermenge ist Süßwasser, das sich in Flüssen, Seen und dem Grundwasser befindet. Auf das Grundwasser als häufigste und sauberste Trinkwasserquelle entfallen dabei nur 0,02 Prozent der Gesamtwassermenge. Dieses wertvolle Wasser ist auf der Welt nicht gleich verteilt und erneuert sich infolge unseres hohen, immer noch wachsenden Wasserkonsums nicht schnell genug.
Dem Wasser kommt eine hohe kulturelle, ökologische und ökonomische Bedeutung zu. Mehr noch: Ohne Wasser wäre Leben, so wie wir es kennen, auf der Erde nicht möglich. Trotzdem gehen wir in den westlichen Industrieländern, aber auch in den aufstrebenden Nationen in Asien und Südamerika viel zu sorglos mit Wasser um. Zum einen wird zu viel sauberes Wasser verbraucht und mit unterschiedlichsten Schadstoffen belastet, zum anderen mangelt es in vielen Ländern an sauberem Wasser. Kriege werden in der Zukunft nicht um Öl, sondern um das lebensnotwendige H2O geführt werden.
Heute fließen 70 Prozent des gesamten Süßwassers in die Landwirtschaft, 20 Prozent in die Industrie und 10 Prozent in private Haushalte. Im Zuge des globalen Bevölkerungswachstums wird sich der Wasserverbrauch weiter erhöhen. Während zu Beginn unserer Zeitrechnung nur 300 Millionen Menschen lebten und sauberes Trinkwasser benötigten, sind es heute sieben Milliarden, die sich den kostbaren Rohstoff Süßwasser teilen müssen. Der Bedarf nimmt kontinuierlich zu, während unsere Süßwasserdepots durch abschmelzende Pole und Gletscher schrumpfen.
Da liegt es natürlich nahe, das größte Wasserreservoir der Erde anzuzapfen. Dazu müssten die Meere »nur« entsalzt werden. Die erste Meerwasserentsalzungsanlage der Menschheitsgeschichte ist aus der Antike überliefert. Der griechische Philosoph und Wissenschaftler Aristoteles, der von 384 bis 322 vor Christus lebte, ließ ein mit einer Harzmembran präpariertes, dicht verschlossenes Tongefäß rund 500 Meter tief ins Meer hinab. In dieser Tiefe ist der Wasserdruck etwa 50 Mal so stark wie an der Oberfläche. Zieht man das Gefäß nach etwa 24 Stunden wieder an die Oberfläche, befindet sich darin Süßwasser. Durch solch hohe Drücke lässt sich die Osmose umkehren. Osmose ist ein Verfahren, bei dem Wasser mit wenigen gelösten Teilchen durch eine halbdurchlässige Membran in eine höher konzentrierte Lösung wandert, um den Konzentrationsunterschied auszugleichen. Das passiert so lange, bis die Konzentrationen auf beiden Seiten der Membran ausgeglichen sind. Aus diesem Grund trocknet jede Zelle aus und der Körper dehydriert, wenn man Salzwasser trinkt. Oder die Zellen platzen, wenn man destilliertes Wasser zu sich nimmt. Mit Umkehrosmoseverfahren wird Salzwasser durch eine semipermeable Membran gepresst, wobei das Kochsalz im Konzentrat zurückbleibt und auf der anderen Seite entsalztes Wasser gewonnen wird. Auch mit thermischen Verfahren lässt sich Salzwasser entsalzen. Entweder durch Verdampfen und Kondensieren der Flüssigkeit; oder indem man das Wasser ausfriert, abtrennt und wieder schmilzt. Mit einer Elektrodialyse, bei der Wasser und Salz durch den Einsatz von elektrischem Strom voneinander getrennt werden, ist ebenfalls Trinkwasser herstellbar. Alle aufgezählten Verfahren haben jedoch ein Problem gemeinsam. Sie kosten sehr viel Energie.
So faszinierend und wichtig der Forschungsdrang aber auch ist, neue Trinkwasserquellen zu entwickeln, so bedeutsam bleibt es aus meiner Sicht, die bestehenden Quellen zu schützen. Wasser ist nicht ersetzbar wie etwa Erdöl. Zu Wasser haben wir keine Alternative. Dass wir Energie sparen müssen, ist in unseren Breiten angekommen. Beim Wasser machen wir uns weniger Sorgen. Wir sind zwar global vernetzt, machen uns aber keine globalen Gedanken. Im Schwarzwald, wo ich lebe, wo es überall in Seen, Flüssen und Bächen, die sauberes Wasser führen, gurgelt und sprudelt, fehlt die Vorstellung, wie knapp das Wasser in Kalifornien oder Bolivien ist. Dabei sind wir durch unser Konsumverhalten mitverantwortlich für die Wassernot anderer Länder. Zum Beispiel weil wir inzwischen zu jeder Jahreszeit das komplette Nahrungsangebot in unseren Supermärkten vorfinden möchten, unabhängig davon, wie wasserverbrauchsintensiv die Kultivierung im Exportland ist. Produkte, in deren Entstehung viel Wasser fließt, entziehen dem Wasserkreislauf dort, wo sie wachsen oder hergestellt werden, das Wasser. Solch »virtuelles Wasser« steckt in zahllosen Produkten, ohne dass wir uns den mit deren Fertigung verbundenen Wasserverbrauch bewusst machen: 11.000 Liter etwa in einem Kilo Baumwollkleidung, 2200 Liter in einer Rindfleischbulette und 5000 Liter in einem Kilo Käse. Durch den Import wasserintensiver Produkte wird das Wasserverteilungsungleichgewicht immer größer. Bei einem solch lebenswichtigen Rohstoff wie Wasser stellt ein sich weiter verschlechterndes Ungleichgewicht eine Gefahr für den Weltfrieden dar.
Vor diesem Hintergrund fällt es mir schwer, auch in einer wasserreichen Region, ohne ein schlechtes Gewissen Trinkwasser zu verprassen. Schon gar nicht für so »niedere Zwecke« wie die Toilettenspülung, die Gartenbewässerung, die Autowäsche oder das Wäschewaschen, denn es gibt keinen vernünftigen Grund, warum man dafür Trinkwasser verwenden muss.
Auch darum ging es also schon im Juni 2013, als die Idee geboren wurde, den Rhein zu beschwimmen. Nicht nur um das neue Analysegerät, sondern darum, Aufmerksamkeit zu wecken für die vielen Wege, die wir normalen Konsumenten beschreiten können, um unsere Gewässer zu schützen, Wasser zu sparen und – auch wenn es vielleicht etwas groß und vermessen klingen mag – damit sogar Kriege um Wasser wie in Bolivien zu verhindern. Nach einem Jahr intensivster Vorbereitung sollte sie dann beginnen, meine Reise mit dem Strom.