Sozialrecht
von
Dr. jur. Raimund Waltermann
o. Professor an der Universität Bonn
14., neu bearbeitete Auflage
www.cfmueller.de
www.cfmueller-campus.de
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-8114-9267-7
E-Mail: kundenservice@cfmueller.de
Telefon: +49 89 2183 7923
Telefax: +49 89 2183 7620
www.cfmueller.de
www.cfmueller-campus.de
© 2020 C.F. Müller GmbH, Waldhofer Straße 100, 69123 Heidelberg
Hinweis des Verlages zum Urheberrecht und Digitalen Rechtemanagement (DRM)
Der Verlag räumt Ihnen mit dem Kauf des ebooks das Recht ein, die Inhalte im Rahmen des geltenden Urheberrechts zu nutzen. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Der Verlag schützt seine ebooks vor Missbrauch des Urheberrechts durch ein digitales Rechtemanagement. Bei Kauf im Webshop des Verlages werden die ebooks mit einem nicht sichtbaren digitalen Wasserzeichen individuell pro Nutzer signiert.
Bei Kauf in anderen ebook-Webshops erfolgt die Signatur durch die Shopbetreiber. Angaben zu diesem DRM finden Sie auf den Seiten der jeweiligen Anbieter.
Widmung
Pauline
gewidmet
Vorwort
Das Buch findet weiterhin eine erfreuliche Aufnahme. Vollständig durchgesehen, befindet es sich auf dem Gesetzesstand vom 10.8.2020 (BGBl. I, S. 1726).
Neben den Entwicklungen in Rechtsprechung und Schrifttum waren mehrere Änderungsgesetze einzuarbeiten, namentlich die 2019 und 2020 in Kraft getretenen Bestimmungen des Bundesteilhabegesetzes (BGBl. I 2016, S. 3234), das RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz (BGBl. I 2018, S. 2016) und das Angehörigen-Entlastungsgesetz (BGBl. I 2019, S. 2135). Die sozialrechtliche Gesetzgebung des Jahres 2020 stand auch im Zeichen der Entwicklungen infolge der Corona-Pandemie. Die darauf bezogene Gesetzgebung, insbesondere das Sozialschutz-Paket vom 27.3.2020 (BGBl. I, S. 575), das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz vom 27.3.2020 (BGBl. I, S. 580) und die Kurzarbeitergeldverordnung vom 25.3.2020 (BGBl. I, S. 595), ist berücksichtigt. Das Buch wurde in einigen Hinsichten neu gefasst, darunter die Darlegungen zur Beschäftigung. Seit 2017 erscheinen in der Neuen Zeitschrift für Sozialrecht (NZS) Gerichtsentscheidungen als „One-Page-Bearbeitungen“, die den Sachverhalt, die wesentlichen Entscheidungsgründe und kommentierende Praxishinweise enthalten. Mit der Neuauflage wird durchgehend auf zur Anschauung geeignete One-Page-Bearbeitungen hingewiesen.
Das mehr als andere Rechtsgebiete auch in Details und „versteckten Ecken“ stets in Bewegung bleibende Sozialrecht kann man neben anderen Aufgaben nicht allein im Auge behalten. Das Bestreben um Genauigkeit und Aktualität wird seit der ersten Auflage von einem „Team“ gewährleistet, das auch noch nach Beendigung der Mitarbeit an der Universität seinen beträchtlichen Sachverstand in das Buch einbringt. Für die erneute Mitarbeit danke ich wiederum herzlich: Herrn Richter am Landessozialgericht Dr. Benjamin Schmidt, Frau Richterin am Landessozialgericht Sylvia Schmidt, Herrn Justiziar Assessor Björn Grahn, aus dem Kreis der Wiss. Mitarb. am Bonner Lehrstuhl danke ich Frau Akad. Rätin a.Z. Dr. Katja Chandna-Hoppe, Herrn Wiss. Mitarb. Thomas Redmann und Herrn Wiss. Mitarb. Philipp Voigt. Hervorzuheben ist, dass Benjamin Schmidt wie in den Vorauflagen das Arbeitsförderungsrecht federführend auf den neuen Stand gebracht hat. Auch bei allen anderen, die mitgewirkt haben, bedanke ich mich herzlich.
Hinweise und Anregungen bitte an: Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Sozialrecht, Adenauerallee 8a, 53113 Bonn, E-Mail: waltermann@jura.uni-bonn.de.
Bonn, im August 2020
Raimund Waltermann
Aus dem Vorwort zur 1. Auflage (2000)
Das Sozialrecht ist von größter gesellschaftlicher und praktischer Bedeutung. Sein Platz in der juristischen Ausbildung steht dazu in krassem Gegensatz. Welche Bedeutung das Sozialrecht für die praktische (nicht nur juristische) Tätigkeit hat, zeigt sich, sobald man berufstätig ist. Das gilt auch für die große Zahl derjenigen Juristen, die (zB als Rechtsanwälte oder Richter) an sich vorwiegend privatrechtlich arbeiten: Man merkt schnell, dass dort praxisrelevante Bereiche wie das Haftungsrecht, das Unterhaltsrecht oder das Arbeitsrecht ohne Sozialrecht nicht ordnungsgemäß bearbeitet werden können. Will man sich nicht damit begnügen, aus dem nicht leicht überschaubaren, gleichermaßen umfang- wie detailreichen Sozialrecht ein paar nützliche Einzelheiten zu kennen, muss man sich einen zusammenhängenden Überblick verschaffen. Dieses Buch hat zum Ziel, ein Grundwissen und das Grundverständnis der Materie für Studium und Praxis zu vermitteln. Es ist auf dem Stand vom 1.10.1999, berücksichtigt also die aktuellen Gesetzesänderungen namentlich im Sozialversicherungsrecht.
Das Buch bezieht sich auf die dogmatischen Schwerpunkte und die wichtigsten rechtlichen Gesichtspunkte. Es verfolgt vor allem ein didaktisches Anliegen. Wo nötig, weist die Darstellung den Weg zum anspruchsvolleren Lehrbuch, zu weiterführenden rechtswissenschaftlichen Abhandlungen und zu Problemkreisen, die Rechtsprechung und Schrifttum beschäftigt haben. Fälle, Beispiele, drucktechnische Hervorhebungen und zusammenfassende Übersichten wollen die Einarbeitung erleichtern und die Wiederholung unterstützen. Die Darstellung aktueller Entwicklungen und der geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge soll die Bedeutung des Sozialrechts in unserer Rechtsordnung verständlich machen.
Das Buch wendet sich zum einen an Studierende, die nach den jeweils einschlägigen juristischen oder sozialwissenschaftlichen Prüfungsordnungen der Universitäten, aber auch der Fachhochschulen und Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien über Kenntnisse im Sozialrecht verfügen müssen. Es will zum anderen auch Referendaren und Praktikern die Möglichkeit geben, sich rasch einen Überblick über die Strukturen und die wichtigsten Fragen des Sozialrechts zu verschaffen und die einzelnen Sachgebiete des Sozialrechts zu wiederholen. Dem dienen auch die zahlreichen Verweisungen innerhalb des Buchs.
Das Sozialrecht ist wortreich und muss dies sein, weil es eine Vielzahl von Einzelheiten zu regeln hat. Daraus folgt aber auch, dass sich diese Einzelheiten (unbeschadet der Auslegungsfragen) durch die Lektüre des Gesetzes erschließen. Ein der Schwerpunktsetzung verpflichtetes Lehrbuch der Grundzüge des Sozialrechts kann sich diesen Umstand zu Nutze machen, indem es wegen der Einzelheiten möglichst oft auf das Gesetz verweist – das dann aber auch stets gelesen werden muss. Bei den Lösungen der Fälle ist zu beachten, dass es – wie meist bei der Lösung von Lehrbuchfällen – vor allem um die beispielhafte Verdeutlichung des Rechts geht.
Gießen, im Oktober 1999
Raimund Waltermann
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Aus dem Vorwort zur 1. Auflage (2000)
Arbeitsmittel
I.Gesetzessammlungen
II.Schrifttum
1.Darstellungen in Grundwerken
2.Lehrbücher (ohne Lernbücher)
3.Anleitungen zu Prüfung und Fallbearbeitung
4.Kommentare und Handbücher zum gesamten Sozialrecht
III.Zeitschriften (ohne Teilgebietszeitschriften)
IV.Bibliographien und Dokumentationen
V.Entscheidungssammlungen
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Abkürzungen
1. TeilEinführung in das Sozialrecht
§ 1Sozialrecht in der Rechtsordnung
I.Die Rechtsquellen des Sozialrechts im Überblick
1.Sozialgesetzbuch
2.Verfassung
3.Europäisches Sozialrecht
II.Sozialrecht und Verfassung
1.Sozialstaatsprinzip
2.Freiheitsrechte
3.Gleichheitssatz
4.Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz
5.Soziale Grundrechte
III.Sozialrecht und Verwaltungsrecht
IV.Sozialrecht und Privatrecht
§ 2Begriff und Aufgaben des Sozialrechts
I.Begriff
1.Formeller Begriff
2.Materieller Begriff
II.Aufgaben
1.Soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit
2.Sozialrecht und Sozialarbeit
2. TeilBedeutung, System und internationale Dimension des Sozialrechts
§ 3Geschichte der sozialen Sicherung in der industriellen Gesellschaft
I.Vorgeschichte
II.Industrialisierung und Kaiserreich
1.Hintergrund
2.Die Bismarcksche Sozialgesetzgebung
3.Die Entwicklung bis 1918
III.Erweiterungen des Sozialrechts von 1918 bis 1945
IV.Die Entwicklung seit 1945
§ 4Sozialrecht und Sozialpolitik
I.Vom liberalen Staat zum sozialen Rechtsstaat
II.Ökonomische Grundlagen des Sozialrechts
III.Sozialpolitik
§ 5Systemstrukturen des Sozialrechts
I.Binnenstruktur des Sozialrechts
1.Sozialversicherung, Versorgung, Fürsorge
2.Vorsorge, Entschädigung, Hilfe und Förderung
II.Weitere strukturgebende Gesichtspunkte
1.Finale und kausale Leistungen
2.Beitrags- und steuerfinanzierte Leistungen
§ 6Zwischenstaatliches, Europäisches und Internationales Sozialrecht
I.Begriffe
II.Zwischenstaatliches Sozialrecht
III.Das überstaatliche Europäische Sozialrecht
1.Rechtsquellen
2.Die Verordnung (EG) Nr 883/2004
3.Unionsrecht und nationales Recht
4.Entwicklungslinien der Europäischen Sozialpolitik
5.Der Europäische Sozialfonds
IV.Internationales Sozialrecht
3. TeilSozialversicherung und Arbeitsförderung
§ 7Grundlagen
I.Soziale Vorsorge durch Versicherung
II.Die Säulen der Sozialversicherung
III.Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich
IV.Das SGB IV
1.Anwendungsbereich
2.Begriffsbestimmungen
3.Mitgliedschaft, Selbstverwaltung, Versicherungsverhältnis
4.Beschäftigung und geringfügige Beschäftigung
a)Beschäftigtenversicherung
b)Geringfügige Beschäftigung
5.Die Finanzierung der Sozialversicherung
6.Meldepflichten des Arbeitgebers
7.Sozialversicherungsausweis
§ 8Krankenversicherung
I.Grundlagen
1.Rechtsgrundlagen
2.Hintergrund
3.Entwicklung
4.Organisation
a)Träger der gesetzlichen Krankenversicherung
b)Kassenwahl und Risikostrukturausgleich
c)Mitgliedschaft
5.Finanzierung
6.Versicherung
II.Der versicherte Personenkreis
1.Versicherungspflicht
2.Versicherungsfreiheit
3.Befreiung von der Versicherungspflicht
4.Freiwillige Versicherung
5.Familienversicherung
6.Zusammenfassende Übersicht
III.Die Leistungen
1.Übersicht und Grundsätzliches
2.Leistungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten
3.Leistungen bei Krankheit
a)Der Versicherungsfall der Krankheit
b)Die Krankenbehandlung
c)Krankengeld
d)Sonstige Leistungen und Härtefallregelungen
4.Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft
IV.Das Recht der Leistungserbringung
1.Grundsätzliches
2.Leistungserbringung durch Ärzte und Zahnärzte
a)Rechtsbeziehungen
b)Zulassung als Vertrags(zahn)arzt
c)Hausärztliche und fachärztliche Versorgung
3.Leistungserbringung durch Krankenhäuser
a)Rechtsbeziehungen
b)Finanzierung
c)Schiedsstelle
4.Leistungserbringung durch andere
§ 9Pflegeversicherung
I.Grundlagen
1.Rechtsgrundlagen
2.Hintergrund und Entwicklung
3.Organisation
4.Finanzierung
II.Der versicherte Personenkreis
1.Versicherungspflicht
2.Pflichtige Versicherung
III.Die Leistungen
1.Übersicht und Grundsätzliches
2.Vorrang von Prävention und medizinischer Rehabilitation
3.Beratung
4.Leistungen bei Pflegebedürftigkeit
a)Der Versicherungsfall der Pflegebedürftigkeit
b)Grade der Pflegebedürftigkeit und deren Feststellung
c)Vorversicherungszeit
d)Leistungen bei häuslicher Pflege
e)Teilstationäre Pflege und Kurzzeitpflege
f)Vollstationäre Pflege
g)Leistungen für Pflegepersonen
IV.Geförderte private Vorsorge
V.Das Recht der Leistungserbringung
1.Pflegekassen
2.Leistungserbringer
3.Rechtsbeziehung zwischen Versicherten und Leistungserbringern
§ 10Unfallversicherung
I.Grundlagen
1.Echte und unechte Unfallversicherung
2.Rechtsgrundlagen
3.Hintergrund und Entwicklung
4.Organisation
5.Finanzierung
II.Der versicherte Personenkreis
1.Pflichtversicherung kraft Gesetzes und kraft Satzung
a)Versicherung kraft Gesetzes
b)Versicherung kraft Satzung
2.Versicherungsfreiheit
3.Freiwillige Versicherung
III.Die Leistungen der Prävention
1.Inhalt
2.Unfallversicherungsrechtliche Prävention und staatlicher Arbeitsschutz
IV.Die Leistungen im Versicherungsfall
1.Die Versicherungsfälle
a)Der Arbeitsunfall
b)Der Wegeunfall als Arbeitsunfall
c)Der Arbeitsgeräteunfall als Arbeitsunfall
d)Die Berufskrankheit
2.Die Leistungen
a)Heilbehandlung, Rehabilitation, Pflege, Geldleistungen
b)Renten, Beihilfen, Abfindungen
V.Haftung von Unternehmern, Unternehmensangehörigen und anderen Personen
1.Haftungsfreistellung der Unternehmer
2.Haftungsfreistellung betrieblich Tätiger
3.Zusammenwirken von Unternehmen, gemeinsame Betriebsstätte
4.Weitere Haftungsfreistellungen
5.Regress der Sozialversicherungsträger
§ 11Rentenversicherung
I.Grundlagen
1.Rechtsgrundlagen
2.Hintergrund
3.Entwicklung und Rentenreformen
4.Organisation
5.Finanzierung
6.Versicherung
II.Der versicherte Personenkreis
1.Versicherungspflicht
2.Versicherungsfreiheit
3.Befreiung von der Versicherungspflicht
4.Nachversicherung
5.Versicherung auf Grund Versorgungsausgleichs und Rentensplitting
6.Freiwillige Versicherung
III.Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsleistungen)
IV.Rentenleistungen
1.Rentenarten und Rentenanspruch
2.Wartezeiterfüllung, rentenrechtliche Zeiten
3.Altersrenten
4.Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
5.Renten wegen Todes
6.Rentenhöhe und Rentenanpassung
V.Geförderte private Altersvorsorge
1.Grundsatz
2.Förderungsfähige Produkte
3.Betriebliche Altersversorgung
VI.Alterseinkünftegesetz
§ 12Arbeitsförderung
I.Grundlagen
1.Rechtsgrundlagen
2.Hintergrund
3.Entwicklung
4.Organisation
5.Finanzierung
6.Arbeitslosenversicherung
a)Versicherungspflicht
b)Versicherungsfreie Beschäftigte
II.Leistungen der aktiven Arbeitsförderung
1.Vorbemerkung
2.Kriterien der Leistungsvergabe
3.Beratung und Vermittlung
4.Aktivierung und berufliche Eingliederung
5.Berufswahl und Berufsausbildung
6.Berufliche Weiterbildung
7.Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
a)Eingliederungszuschuss
b)Gründungszuschuss
8.Verbleib in Beschäftigung
a)Kurzarbeitergeld
b)Transferleistungen
9.Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben
III.Reine Entgeltersatzleistungen
1.Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit
a)Übersicht
b)Der Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit
c)Arbeitslosmeldung
d)Anwartschaftszeit
e)Dauer und Umfang des Anspruchs
f)Ruhen des Anspruchs
2.Teilarbeitslosengeld bei Teilarbeitslosigkeit
3.Insolvenzgeld bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers
IV.Weitere Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit
4. TeilSoziale Entschädigung, Soziale Hilfe und Soziale Förderung
§ 13Soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden
I.Grundsätzliches
II.Entschädigungstatbestände
1.Kriegsopferversorgung als Grundfall
2.Weitere Entschädigungstatbestände
3.Unechte Unfallversicherung
III.Leistungen nach dem BVG
§ 14Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilfe
I.Einführung
II.Grundsicherung für Arbeitsuchende
1.Grundlagen
a)Rechtsgrundlagen
b)Hintergrund und allgemeine Grundsätze
c)Organisation
d)Finanzierung
2.Die Leistungen
a)Grundsätzliches
b)Leistungsberechtigte
aa)Erwerbsfähigkeit
bb)Hilfebedürftigkeit
cc)Personen der Bedarfsgemeinschaft
c)Leistungen zur Eingliederung in Arbeit
d)Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
e)Minderung und Wegfall der Leistung
f)Einkommen und Vermögen
3.Inanspruchnahme Dritter und Ersatzansprüche
III.Sozialhilfe
1.Grundlagen
a)Rechtsgrundlagen
b)Hintergrund und allgemeine Grundsätze
c)Organisation
aa)Träger
bb)Freie Wohlfahrtspflege
d)Finanzierung
2.Die Leistungen
a)Grundsätzliches
b)Hilfe zum Lebensunterhalt
c)Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
d)Sonstige Leistungen der Sozialhilfe
e)Sozialhilfe für Ausländer
3.Inanspruchnahme Dritter und Kostenersatz
§ 15Kinder- und Jugendhilfe
I.Grundlagen
1.Rechtsgrundlagen
2.Hintergrund
3.Entwicklung
4.Grundprinzipien des SGB VIII
5.Organisation
6.Finanzierung
II.Leistungen und andere Aufgaben
1.Leistungen der Jugendhilfe
2.Andere Aufgaben der Jugendhilfe
III.Schutz der Sozialdaten
§ 16Soziale Förderung
I.Ausbildungsförderung
1.Grundlagen und Entwicklung
2.Die Leistungen
3.Organisation, Finanzierung und Verfahren
II.Familienleistungen
1.Grundlagen und Hintergrund
2.Kindergeld
3.Elterngeld
4.Unterhaltsvorschuss
III.Teilhabe behinderter Menschen
1.Grundlagen
2.Rehabilitation und Teilhabe
3.Schwerbehinderte Menschen
IV.Wohngeld
1.Grundlagen
2.Die Leistungen
3.Organisation und Finanzierung
5. TeilAllgemeine Vorschriften, Verwaltungsverfahren, Rechtsschutz
§ 17Der Allgemeine Teil des Sozialgesetzbuchs
I.Soziale Rechte
II.Gemeinsame Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche
1.Allgemeine Grundsätze
2.Grundsätze des Leistungsrechts
a)Rechtsanspruch auf die Sozialleistung
b)Entstehung und Entwicklung des Sozialleistungsanspruchs
c)Verfügung, Pfändung, Rechtsnachfolge
d)Mitwirkung des Leistungsberechtigten
§ 18Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren
I.Grundlagen
II.Einzelne Regelungen
1.Zuständigkeit
2.Handlungsformen
3.Aufhebung von Verwaltungsakten
a)Die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte
b)Der Widerruf rechtmäßiger Verwaltungsakte
c)Die Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung
§ 19Schutz der Sozialdaten
I.Hintergrund und Rechtsgrundlagen
II.Grundzüge
§ 20Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten
I.Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander und mit Dritten
II.Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander
III.Erstattungs- und Ersatzansprüche der Leistungsträger gegenüber Dritten
1.Ausgangslage
2.Einzelheiten zum Übergang von Schadensersatzansprüchen
3.Übergang von Lohn- und Gehaltsansprüchen
4.Übergang von Unterhaltsansprüchen
§ 21Rechtsschutz im Sozialrecht
I.Einführung
II.Aufbau der Sozialgerichtsbarkeit
III.Der Rechtsschutz vor den Sozialgerichten
1.Rechtsweg zu den Sozialgerichten
2.Klagearten
3.Beendigung des Verfahrens
4.Rechtsmittel
5.Verfahrensgrundsätze
6.Vorläufiger Rechtsschutz
7.Prozessvertretung und Kosten
6. TeilAnhang
§ 22Wichtige sozialrechtliche Daten im Überblick
Beitragsbemessungsgrenzen in Euro
Versicherungspflichtgrenze (KV/PV, zu Rn 179, 244)
Beitragssätze (zu Rn 147)
Bezugsgröße in Euro (zu Rn 120)
Geringverdienergrenze in Euro (zu Rn 146)
Beitrag für krankenversicherungspflichtige Studierende in Euro (zu Rn 169)
Höhe des monatlichen Kinder- und Elterngeldes in Euro (zu Rn 605, 615)
Anspruch auf häusliche Pflege oder Anspruch auf Pflegegeld in Euro (zu Rn 253, 258 f)
Geringfügige Beschäftigung, § 8 SGB IV (zu Rn 136 ff)
Beitragspflicht des Arbeitgebers geringfügig Beschäftigter (zu Rn 142 ff)
§ 23Zusammenfassende Übersicht zum Sozialversicherungsrecht
Sachverzeichnis
Arbeitsmittel
| Aichberger, Friedrich: Sozialgesetzbuch mit Nebengesetzen, Ausführungs- und Verwaltungsvorschriften, Loseblatt-Textausgabe. |
| Kittner (fortgeführt von Deinert, Olaf): Arbeits- und Sozialordnung, Gesetze/Verordnungen, Einleitungen, Übersichten/Checklisten, Rechtsprechung, 45. Aufl., 2020. |
| Kittner, Michael/Krasney, Otto Ernst: Sozialgesetzbuch, Textausgabe mit Einleitungen und ausgewählter Rechtsprechung mit Leitsätzen, Loseblattwerk. |
| Oetker, Hartmut/Preis, Ulrich (Hrsg.): Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (EAS), Teil A: Rechtsvorschriften, Loseblatt-Textausgabe. |
| Sozialgesetzbuch, Textausgabe (Beck-Texte im dtv), 49. Aufl., 2020. |
| Schnapp, Friedrich E.; Schulin, Bertram; Rüfner, Wolfgang; Püttner, Günter: jeweils Einzelbeiträge zum Kapitel 9, Sozialrecht, in: Achterberg, Norbert/Püttner, Günter/Würtenberger, Thomas (Hrsg.): Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, 2. Aufl., 2000, S. 798–1011. |
| Zacher, Hans F.: Das soziale Staatsziel, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Aufl., 2004, § 28. |
| Bley, Helmar/Kreikebohm, Ralf/Marschner, Andreas: Sozialrecht, 9. Aufl., 2007. |
| Eichenhofer, Eberhard: Sozialrecht, 11. Aufl., 2019. |
| Erlenkämper, Arnold/Fichte, Wolfgang: Sozialrecht, 6. Aufl., 2007. |
| Fuchs, Maximilian/Preis, Ulrich/Greiner, Stefan: Sozialversicherungsrecht, 3. Aufl., 2020. |
| Gitter, Wolfgang/Schmitt, Jochem: Sozialrecht, 5. Aufl., 2001. |
| Igl, Gerhard/Welti, Felix: Sozialrecht, 8. Aufl., 2007. |
| Jäger, Horst/Braun, Hans-Dieter: Sozialversicherungsrecht und sonstige Bereiche des Sozialrechts, 13. Aufl., 2009. |
| von Koppenfels-Spies, Katharina: Sozialrecht, 2018. |
| Muckel, Stefan/Ogorek, Markus/Rixen, Stephan: Sozialrecht, 5. Aufl., 2019. |
| Waltermann, Raimund: Sozialrecht, 14. Aufl., 2020. |
| Wannagat, Georg: Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, I. Bd., 1965. |
| Felix, Dagmar: Das Sozialrechtsfallbuch I, 2012; II, 2014; III, 2018. |
| Hartmann, Jürgen: Die sozialrechtliche Fallbearbeitung, 4. Aufl., 2009. |
| Hebeler, Timo/Buhr, Laura: Examinatorium Sozialrecht, 2. Aufl., 2020. |
| Janda, Constanze: Klausurenkurs im Sozialrecht, 9. Aufl., 2017. |
| Bley, Helmar: Lexikon der Grundbegriffe des Sozialrechts, 1988. |
| Brackmann, Kurt (fortgeführt von Bress, Dieter/Finkenbusch, Norbert ua): Handbuch der Sozialversicherung, mehrbändiges Loseblattwerk. |
| Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Übersicht über das Sozialrecht, 16. Aufl., 2019. |
| Hauck, Karl ua: Sozialgesetzbuch, Kommentar, mehrbändiges Loseblattwerk. |
| Hennig, Werner (Hrsg.): Handbuch zum Sozialrecht (HzS), mehrbändiges Loseblattwerk. |
| Jahn (Begr.), Sozialgesetzbuch für die Praxis, Kommentar, mehrbändiges Loseblattwerk. |
| Knickrehm, Sabine/Kreikebohm, Ralf/Waltermann, Raimund (Hrsg.): Kommentar zum Sozialrecht (KKW), 6. Aufl., 2019. |
| Körner, Anne/Leitherer, Stephan/Mutschler, Bernd/Rolfs, Christian (Hrsg.): Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, vierbändiges Loseblattwerk. |
| von Maydell, Bernd (Hrsg.): Lexikon des Rechts – Sozialrecht, 2. Aufl., 1994. |
| Ruland, Franz/Becker, Ulrich/Axer, Peter (Hrsg.): Sozialrechtshandbuch (SRH), 6. Aufl., 2018. |
| Schlegel, Rainer/Voelzke, Thomas (Gesamtherausgeber), juris PraxisKommentar SGB und SGG in 13 Bänden. |
| Arbeit und Sozialpolitik (ArbuSozPol). |
| Bundesarbeitsblatt (BArbBl). |
| Die Sozialgerichtsbarkeit (SGb). |
| Informationsdienst Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (EuroAS). |
| Neue Zeitschrift für Sozialrecht (NZS). |
| Sozialer Fortschritt, Unabhängige Zeitschrift für Sozialpolitik (SF). |
| Soziale Sicherheit (SozSich). |
| Soziales Recht (SR). |
| Sozialrecht in Deutschland und Europa (früher: Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch) (ZFSH/SGB). |
| Vierteljahresschrift für Sozial- und Arbeitsrecht (VSSAR). |
| Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht (ZIAS). |
| Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht (ZESAR). |
| Zeitschrift für Sozialreform (ZSR). |
| Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung, Zeitschrift für das Recht der sozialen Sicherheit (ZfS). |
| AuS-Portal: Internetportal für Arbeits- und Sozialrecht, Internet-Adresse: www.aus-portal.de. |
| Beck-online: Datenbank, Fachmodul Arbeitsrecht plus, Internet-Adresse: www.beck-online.de. |
| Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Gesetze im Internet, Internet-Adresse: www.gesetze-im-internet.de. |
| JURIS Online-Datenbanken: Elektronisches Informationssystem über Rechtsprechung, Aufsätze, Bücher, Gesetzgebung einschließlich Materialien und Verwaltungsvorschriften ua zum Sozialrecht, Internet-Adresse: www.juris.de. |
| Schelter, Kurt: Fundstellen- und Inhaltsnachweis: Arbeits- und Sozialrecht der Europäischen Union (EU) (erscheint halbjährlich). |
| Udsching, Peter/Rolfs, Christian (Hrsg.): Jahrbuch des Sozialrechts, Nachschlagewerk für Wissenschaft und Praxis (erscheint jährlich). |
| Breithaupt, Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht, begründet 1912 von Hermann Breithaupt. |
| Entscheidungen des Bundessozialgerichts, herausgegeben von den Richtern des Bundessozialgerichts (BSGE). |
| Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, herausgegeben von den Richtern des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE). |
| Sozialrecht (SozR), bearbeitet von den Richtern des Bundessozialgerichts, Loseblattwerk, erschienen in vier Folgen (1. Folge bis 1973; 2. Folge bis 1989; 3. Folge bis 07/2003; 4. Folge ab 08/2003). |
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
| Bley, Helmar/Kreikebohm, Ralf/Marschner, Andreas: Sozialrecht, 9. Aufl., 2007 (zit.: Bley/Kreikebohm/Marschner, Sozialrecht). |
| Eichenhofer, Eberhard: Sozialrecht, 11. Aufl., 2019 (zit.: Eichenhofer, Sozialrecht). |
| Erlenkämper, Arnold/Fichte, Wolfgang: Sozialrecht, 6. Aufl., 2007 (zit.: Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht). |
| Fuchs, Maximilian/Preis, Ulrich/Greiner, Stefan: Sozialversicherungsrecht, 3. Aufl., 2020 (zit.: Fuchs/Preis/Greiner, Sozialversicherungsrecht). |
| Gitter, Wolfgang/Schmitt, Jochem: Sozialrecht, 5. Aufl., 2001 (zit.: Gitter/Schmitt, Sozialrecht). |
| Igl, Gerhard/Welti, Felix: Sozialrecht, 8. Aufl., 2007 (zit.: Igl/Welti, Sozialrecht). |
| Janda, Constanze: Klausurenkurs im Sozialrecht, 9. Aufl., 2017 (zit.: Janda, Klausurenkurs im Sozialrecht). |
| Kingreen, Thorsten/Poscher, Ralf: Grundrechte. Staatsrecht II, 36. Aufl., 2020 (zit.: Kingreen/Poscher, Grundrechte). |
| Knickrehm, Sabine/Kreikebohm, Ralf/Waltermann, Raimund (Hrsg.): Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl., 2019 (zit.: KKW/Bearbeiter). |
| Körner, Anna/Leitherer, Stephan/Mutschler, Bernd/Rolfs, Christian (Hrsg.): Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Loseblattwerk (zit.: KassKomm/Bearbeiter). |
| von Koppenfels-Spies, Katharina: Sozialrecht, 2018 (zit.: von Koppenfels-Spies, Sozialrecht). |
| Kreßel, Eckhard/Wollenschläger, Michael: Leitfaden zum Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl., 1996 (zit.: Kreßel/Wollenschläger, Sozialversicherungsrecht). |
| Muckel, Stefan/Ogorek, Markus/Rixen, Stephan: Sozialrecht, 5. Aufl., 2019 (zit.: Muckel/Ogorek/Rixen, Sozialrecht). |
| Ost, Wolfgang/Mohr, Gerhard/Estelmann, Martin: Grundzüge des Sozialrechts, 2. Aufl., 1998 (zit.: Ost/Mohr/Estelmann, Sozialrecht). |
| Ruland, Franz/Becker, Ulrich/Axer, Peter (Hrsg.): Sozialrechtshandbuch (SRH), 6. Aufl., 2018 (zit.: Bearbeiter, in: SRH). |
| Schulin, Bertram (Hrsg.): Handbuch des Sozialversicherungsrechts: Bd. 1, Krankenversicherungsrecht, 1994; Bd. 2, Unfallversicherungsrecht, 1996; Bd. 3, Rentenversicherungsrecht, 1999; Bd. 4, Pflegeversicherungsrecht, 1997 (zit.: Schulin/Bearbeiter, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd.). |
| Waltermann, Raimund: Arbeitsrecht, 19. Aufl., 2018 (zit.: Waltermann, Arbeitsrecht). |
| Wannagat, Georg: Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, I. Bd., 1965 (zit.: Wannagat, Sozialversicherungsrecht). |
Abkürzungen
Die verwendeten Abkürzungen sind entweder aus sich heraus verständlich oder sie können bei Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9. Aufl., 2018, nachgesehen werden.
1. Teil Einführung in das Sozialrecht
§ 1Sozialrecht in der Rechtsordnung
§ 2Begriff und Aufgaben des Sozialrechts
1. Teil Einführung in das Sozialrecht › § 1 Sozialrecht in der Rechtsordnung
I.Die Rechtsquellen des Sozialrechts im Überblick
II.Sozialrecht und Verfassung
III.Sozialrecht und Verwaltungsrecht
IV.Sozialrecht und Privatrecht
1
Arbeitnehmer A wird, als er wie jeden Sonntag mit seiner Familie die Schwiegermutter besuchen will, in einen Verkehrsunfall verwickelt und am Arm verletzt. Den Unfall hat B verschuldet. Erst nach einer längeren Krankenbehandlung ist A wieder gesund, er hat drei Monate lang nicht arbeiten können. A will B wegen aller Personen- und Sachschäden gerichtlich auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, er denkt dabei auch an Verdienstausfallschäden. Rn 5
2
Das Sozialrecht ist sehr umfangreich. Die üblicherweise verwendete Textausgabe „Aichberger, Sozialgesetzbuch“[1] ist etwa so dick wie der „Schönfelder“. Der „Schönfelder“ enthält indessen mehr Unausgesprochenes als der „Aichberger“. Das Sozialrecht ist mehr als andere Rechtsgebiete durch die Vielzahl der zu regelnden Einzelheiten geprägt. Wer sich mit dem Sozialrecht erstmals beschäftigt, findet sich auch deshalb in einem Zustand gewisser Orientierungslosigkeit wieder. Auch das Sozialrecht kennt aber eine Systematik und, mehr als Vorurteile glauben machen, eine Dogmatik. Je besser man Systematik und bestehende dogmatische Strukturen des Sozialrechts kennt, desto mehr verlieren die vielen Einzelheiten des Sozialrechts ihre abschreckende Wirkung, sie können bei Bedarf nachgesehen werden. Die erste Annäherung an das Sozialrecht erfolgt durch einen Überblick über die Rechtsquellen des Sozialrechts und durch die Einordnung des Sozialrechts in die Gesamtrechtsordnung.
1. Teil Einführung in das Sozialrecht › § 1 Sozialrecht in der Rechtsordnung › I. Die Rechtsquellen des Sozialrechts im Überblick
3
Seit Mitte der Siebzigerjahre wird das Sozialrecht Buch für Buch in einem Sozialgesetzbuch (SGB) zusammengefasst. Dieses Kodifikationsvorhaben ist inzwischen weitestgehend verwirklicht. Der nachfolgende erste Blick in das SGB gibt – zusammen mit der Durchsicht der Inhaltsübersichten der jeweiligen Gesetze und der Lektüre der zitierten Paragraphen – eine erste Orientierung.
4
a) Den Anfang machte das SGB I, der Allgemeine Teil des Sozialgesetzbuchs, in Kraft getreten am 1. Januar 1976. Das SGB I regelt ua die Aufgaben des Sozialgesetzbuchs, in denen sich die Grundvorstellungen des Gesetzgebers über das Sozialrecht widerspiegeln (§ 1 SGB I), und nennt die sozialen Rechte, die der Erfüllung der in § 1 SGB I genannten Aufgaben dienen (§§ 3–10 SGB I). In den Einweisungsvorschriften der §§ 11–29 SGB I wird das Sozialrecht vorstrukturiert, es werden die Sozialleistungen beschrieben und die dafür zuständigen Leistungsträger benannt. Das SGB I enthält sodann, wie der Allgemeine Teil des BGB sozusagen vor die Klammer gezogen, gemeinsame Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs (§§ 30–67 SGB I); es handelt sich um Bestimmungen zB über die Handlungsfähigkeit (§ 36 SGB I), über das Entstehen (§ 40 SGB I), die Fälligkeit (§ 41 SGB I) oder die Verjährung (§ 45 SGB I) von Sozialleistungsansprüchen oder etwa um Bestimmungen über die Rechtsnachfolge in Ansprüche auf Sozialleistungen (§§ 56–59 SGB I).
5
b) Das SGB X, welches ursprünglich die Kodifikation des Sozialrechts hatte beschließen sollen, hat drei Regelungsgegenstände. Es enthält seit Anfang der Achtzigerjahre das Verwaltungsverfahrensgesetz für die Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach dem Sozialgesetzbuch ausgeübt wird (§§ 1–66 SGB X), im zweiten Kapitel die allgemeinen Vorschriften über den Sozialdatenschutz (§§ 67–85a SGB X) und im dritten Kapitel die Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander und über ihre Beziehungen zu Dritten (§§ 86–119 SGB X). Letztere, die Vorschriften über die Beziehungen der Leistungsträger zu Dritten, regeln zB den praktisch sehr bedeutsamen gesetzlichen Forderungsübergang (cessio legis) von (privatrechtlichen) Ansprüchen auf die Sozialleistungsträger. Dieser Forderungsübergang bringt übrigens eindrucksvoll zum Ausdruck, wie eng Sozialrecht und Privatrecht miteinander verbunden sind.
Im Ausgangsfall 1 kann A den B wegen seines Körperschadens nicht ohne weiteres auf Schadensersatz in Anspruch nehmen: Als Arbeitnehmer ist A in der gesetzlichen Krankenversicherung sozialversichert (vgl § 5 Abs. 1 Nr 1 SGB V, zur Versicherungsfreiheit als Ausnahme siehe §§ 6–8 SGB V, Rn 178 ff). Die privatrechtlichen Ansprüche des A auf Schadensersatz wegen des Körperschadens (aus § 823 BGB, §§ 7, 18 StVG) gehen gemäß § 116 SGB X kraft Gesetzes im Moment des Schadensereignisses auf den Krankenversicherungsträger über, soweit dieser Leistungen (wie die Krankenbehandlung oder Krankengeld) zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen. Nicht A, sondern der leistungspflichtige Krankenversicherungsträger kann also (aus kraft Gesetzes übergegangenem Recht) von B wegen des Körperschadens in diesem Umfang Schadensersatz verlangen. A selbst kann nur insofern Ersatz beanspruchen, als die Sozialleistung den Schaden (zB das Krankengeld iHv 70% [§ 47 Abs. 1 SGB V] den Erwerbsschaden) nicht deckt. Abgesehen hiervon kann A Schmerzensgeld (dafür gibt es keine kongruente Sozialleistung) und Ersatz des Sachschadens von B beanspruchen.
6
c) Inzwischen ist über den Allgemeinen Teil und das SGB X hinaus der größte Teil des Sozialrechts in das SGB eingeordnet. Das gilt vor allem für das gesamte Sozialversicherungsrecht, nämlich das Recht der Krankenversicherung (SGB V) seit 1989, das Recht der Rentenversicherung (SGB VI) seit 1992, das Recht der 1995 in Kraft getretenen Pflegeversicherung (SGB XI) und das Recht der Unfallversicherung (SGB VII) seit 1997. Mit der Einführung der Pflegeversicherung als Elftes Buch ist zugleich der vorgesehene Rahmen des Sozialgesetzbuchs gesprengt worden. Das Sozialgesetzbuch hatte ursprünglich die Bücher I bis X umfassen sollen, das Sozialversicherungsrecht hatte insgesamt im SGB IV geregelt sein sollen. Das SGB IV von 1976 enthält statt des gesamten Sozialversicherungsrechts, vor die Klammer gezogen, die gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung. Eingeordnet ist ferner seit 1990 das Kinder- und Jugendhilferecht als SGB VIII. Das bis dahin im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geregelte Arbeitsförderungsrecht ist seit 1998 als SGB III in das Sozialgesetzbuch integriert. Die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ist 2001 im SGB IX zusammengefasst worden. Seit 2005 finden sich die Grundsicherung für Arbeitsuchende („Arbeitslosengeld II“) im SGB II und das Sozialhilferecht im SGB XII. Am 12. Dezember 2019 wurde das SGB XIV erlassen[2]. Es wird bis zum 1. Januar 2024 in Schritten das Entschädigungsrecht neu gestalten und das Bundesversorgungsgesetz (BVG) und das Opferentschädigungsgesetz (OEG) ablösen.
7
d) Wenige Teilgebiete des Sozialrechts stehen noch außerhalb des SGB, zB das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und das Wohngeldgesetz (WoGG). Gemäß § 68 SGB I gelten diese (und die weiteren dort aufgelisteten) Gesetze als besondere Teile des Sozialgesetzbuchs.
8
e) Ursprünglich sollte bei der Schaffung des Sozialgesetzbuchs die Kodifikation des unübersichtlich gewordenen Sozialrechts im Vordergrund stehen. Man spricht in diesem Zusammenhang üblicherweise von einer „Kodifikation mit begrenzter Sachreform“. Die zunächst erlassenen Bücher (SGB I, SGB IV, SGB X) entsprachen im Wesentlichen diesem Vorhaben. Die Einordnung des Sozialversicherungsrechts in das SGB ab Ende der Achtzigerjahre ist jedoch mit zum Teil beträchtlichen Sachreformen verbunden gewesen. Das gilt insbesondere für die Einordnung des Krankenversicherungsrechts als SGB V mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) 1989 und für die Einordnung des Rentenversicherungsrechts als SGB VI mit dem Rentenreformgesetz 1992. Während man bei der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (als SGB VII 1997 in Kraft getreten) ohne nennenswerte inhaltliche Änderungen ausgekommen ist, haben bei der Einordnung des Arbeitsförderungsrechts (als SGB III 1998 in Kraft getreten) und auch bei der 2005 wirksam gewordenen Neugestaltung des Arbeitslosenhilferechts wiederum Sachfragen eine große Rolle gespielt.
9
Zusammenfassende Übersicht:
(1) Sozialgesetzbuch
[Bild vergrößern]
(2) „Ergänzungsband“ (§ 68 SGB I)
[Bild vergrößern]
10
f) Das Sozialrecht ist nahezu durchweg Bundesrecht. Dem Landesrecht bleibt nur geringer Raum, insbesondere für ergänzende und untergesetzliche Normen (zB Krankenhausgesetze der Länder).
11
g) Im Bereich der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger und der Bundesagentur für Arbeit spielt neben dem Gesetzesrecht des Sozialgesetzbuchs von der Exekutive auf Grund gesetzlicher Ermächtigung gesetztes Recht eine wichtige Rolle[3]. Es hat vielfach die Gestalt von autonomem Satzungsrecht, das Sozialrecht kennt aber eine Vielfalt von Formen des Exekutivrechts. Darauf wird in dem jeweiligen sozialrechtlichen Sachzusammenhang eingegangen.
Bestimmung des Kassenindividuellen Zusatzbeitrages in der Krankenversicherung durch Satzung der Krankenkasse (§ 242 Abs. 1 SGB V); Unfallversicherung von Unternehmern kraft Satzung der Berufsgenossenschaften (§ 3 Abs. 1 Nr 1 SGB VII).
12
Die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich im Grundgesetz zur Sozialstaatlichkeit. Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG) gibt dem Sozialrecht den Impuls. Auch die Grundrechte haben auf verschiedene Weisen Bedeutung im Sozialrecht. Das Grundgesetz enthält schließlich die Regeln über die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz auch im Sozialrecht.
13
Sachverhalte mit Auslandsberührung nehmen kontinuierlich zu. Auch im Sozialrecht spielen zwischenstaatliches Recht und das überstaatliche („supranationale“) Recht der Europäischen Union eine wichtige Rolle. Das Europäische Unionsrecht hatte im Sozialrecht von Anfang an besondere Bedeutung; die 1957 mit dem EWG-Vertrag eingeführte Freizügigkeit hätte ohne die Regelung des sozialrechtlichen Hintergrundes nicht Wirklichkeit werden können.