Glücklichsein
ist mehr als
zufrieden sein
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Teil 1 – Dem Sein auf der Spur
Eine Erfahrung
Innere Männlichkeit – innere Weiblichkeit
Was sind männliche und weibliche Energien?
Übung: Das Verhältnis der eigenen inneren Männlichkeit und Weiblichkeit feststellen
Lisas Geschichte
Stark innere weibliche Anteile
Stark innere männliche Anteile
Im Kampf miteinander stehen
Übung: Feinde werden zu Lehrern
Dem eigenen Ich näher kommen
Grenzverletzungen
Übung: Gesunde Grenzen ziehen
Würdigung
Teil 2 – Von was wir beeinflusst werden
Das Leben mit und ohne getönte Brille
Glaubensmuster
Leisten Sie keinen Widerstand
Übung: Glaubensmustern auf die Spur kommen
Übung: Glaubensmuster und die eigene Meinung
Universelle Ursprünge
Handliniendeutung
Familiäre Verwurzelungen
Unsere Innenwelt
Gedanken sind Energie
Übung: Gedanken kontrollieren
Innerer Beobachter
Innere Beobachtung: Wut
Das Gesetz der Polarität
Unsere indirekten Helfer
Polarer Ausgleich
Das idealisierte gegengeschlechtliche Bild
Den idealisierten inneren Mann mit dem äußeren Mann in Einklang bringen
Die idealisierte innere Frau mit der äußeren Frau in Einklang bringen
Veränderung beim anderen beginnt über die eigene Bewegung
Gefühle zum Ausdruck bringen
Teil 3 – Beziehungen zu Partnern und Mitmenschen
Grundsätzliche Beziehungsformen
Symbiotische Beziehungen
Die ablehnende Haltung
Die integrierende Beziehung
Wandlungsprozesse und ihre Randerscheinungen
Angst, eigene Bedürfnisse zu leben
Bedürfnisse
Übung: Auf wen bin ich derzeit wütend?
Single sein und die Angst vor dem Alleinsein
Übung: Bedürfnislücken erkennen
Finde deinen Raum
Nähe über Sexualität
Selbstvergebung
Teil 4 – Potenziale
Aus einem Talent ein Potenzial machen
Den Drachen als Hüter des eigenen Potenzials besiegen
Innere Leere
Der Weg ist das Ziel
Nach der Krise
Nachwort
Danksagung
Über die Autorin
Literaturhinweise
Anmerkungen
Eine Erfahrung
Mir geht es vor allem anderen um das Glück als inneren Wahrnehmungszustand. Dennoch muss man sich darüber im Klaren sein, dass in unserer dualistischen Welt zum Glück auch das Unglück gehört. Um uns überhaupt glücklich fühlen zu können, müssen wir auch das zeitweise Unglücklichsein kennen lernen und annehmen, denn beide Bewusstseinszustände gehören zu ein und derselben Energieform. Erst das Akzeptieren, dass wir zwischen diesen zwei Zuständen hin- und herpendeln, bringt Sie in die Balance.
Ich könnte es nicht besser beschreiben, als in der Erfahrung und Spiegelung dessen, was mich der Jakobsweg gelehrt hat. Diese Geschichte beginnt mit Mühsal, wie im richtigen Leben, und endet mit der Erfahrung allumfassender Liebe, nach der wir alle letztendlich suchen. Ich habe alle Stadien durchlaufen: die Unbewusstheit, die Bewusstwerdung, die Entscheidung für Veränderung, das notwendige Handeln, ich musste mich zwingen, nicht aufzugeben – und letztlich konnte ich den Lohn für meine Mühen einfahren: Liebe und Glück.
Es ist wirklich noch ein kleines Abenteuer, sich auf den Jakobsweg in Spanien zu begeben. Ich startete schon mit anhaltenden Rückenschmerzen, die ich mir beim Probewandern zu Hause mit zu schwerem Rucksack geholt hatte. Ich hatte aber fünf Jahre zuvor eine schwere Bandscheibenoperation über mich ergehen lassen müssen und war daher entsprechend vorsichtig. Um weitere Rückenprobleme zu vermeiden, kaufte ich mir also noch kurz vor der Abreise einen Trekking-Kinderwagen. Damit brauchte ich meinen Rucksack nicht selbst zu tragen, sondern konnte ihn vor mir herschieben. – Doch der Jakobsweg scheint keine Hilfsmittel zu mögen, denn zuerst musste ich einen Tag im Hotel in Pamplona auf mein Gepäck warten, weil es nicht im Flugzeug gewesen war. Dann geriet ich gleich am ersten Wandertag in eine Schlechtwetterfront, quälte mich mit dem Wagen durch tiefe Schlammfelder, bergauf und bergab, und alle paar Meter klebten dicke Lehmkugeln an den Rädern, die ein Vorwärtskommen fast unmöglich machten. Dadurch kam ich nicht in einen Rhythmus, und Kontakte zu anderen Pilgern verlor ich immer wieder, weil ich wegen der Schlammpisten Umwege laufen musste. Schließlich verlor ich deswegen auch noch die Orientierung und lief teilweise auf Landstraßen, wo ich von riesigen und viel zu schnellen LKWs fast umgepustet wurde. Doch ich blieb verbissen dran, wollte keinesfalls aufgeben. Andere hatten den Weg schließlich auch geschafft… Doch es hörte nicht auf: Ein Herbergsvater, der es gut meinte, schloss meinen Wagen abends in seine Garage ein – und zog es morgens allerdings vor auszuschlafen. Somit kam und kam ich einfach nicht in einen geruhsamen spirituellen Wanderrhythmus, so sehr ich mich auch bemühte und durchhielt.
Doch nach drei Tagen war ich vollkommen entnervt, unzufrieden, erschöpft, wütend und aus der inneren Balance geraten. Eine Entscheidung war fällig. Die traf ich genau vor besagtem grünem Müllcontainer mitten in einem Industriegebiet. Mein schöner neuer Wagen flog hinein, ich leerte meinen Rucksack komplett aus, begutachtete Stück für Stück, ob ich es wirklich für meinen weiteren Weg brauchte – und so warf ich so manches neue Teil dem Wagen in den Container hinterher.
WAS FÜR EINE ERLEICHTERUNG: Eine völlig neue Energie erfasste mich. Nach einiger Zeit setzte ich mich einen Moment, um nachzuspüren. Plötzlich fand ich direkt neben mir im Gras einen großen Rückenwirbelknochen von einem Hund oder einer Kuh. Ich war erst überrascht – und dann überglücklich über diesen Fund, der bis heute mein Talisman ist. Ich wanderte nun wie die anderen Pilger auch mit Rucksack auf dem Rücken und fühlte mich erstmals dazugehörig und in der Energie dieses Weges. Doch nach fünf Kilometern kam dennoch das endgültige Aus. Der Rucksack war einfach immer noch zu schwer für meinen Rücken, ich bekam wieder Schmerzen und war verzweifelt. So verzweifelt, dass ich in Logrono durch die Stadt irrte und auf dem zentralen Busbahnhof landete, an einem Telefon hängen blieb, meinen Mann heulend anrief – ich wollte nach Hause, er sollte meinen Flug umbuchen, ich wollte nicht mehr. Nachdem ich mich bei ihm ausgeheult und er mich beruhigt hatte, meinte er: “Jetzt schläfst du eine Nacht drüber und dann sehen wir weiter. Geh zum Container zurück und hole den Wagen wieder raus, probiere es noch mal.” Also habe ich mich im nächsten Refugio, einer der Pilgerherbergen, eingemietet und bin brav die fünf Kilometer zurückgelaufen – aber das Müllauto hatte schon alles mitgenommen. Es sollte wohl so sein! Auf dem erneuten Rückweg überlegte ich, was von meinem Gepäck noch weg könnte, und so musste auch noch mein teurer aber schwerer Daunenschlafsack daran glauben. Danach suchte ich das nächste große Einkaufszentrum auf, das natürlich am anderen Ende der Stadt, bestimmt vier Kilometer Fußweg entfernt lag… Doch auch diesen Weg nahm ich nach den bereits zurückgelegten zwanzig Kilometern noch auf mich, denn auf die Idee, ein Taxi zu nehmen, kam ich nicht. Ich machte es mir lieber so schwer wie möglich… Doch ich hatte Glück und steuerte bereits nach einem Kilometer “zufällig” im Straßengewirr direkt auf ein Sportgeschäft zu und war schnell Besitzerin eines neuen Leichtschlafsackes.
Ab diesem Moment hatte ich die Talsohle durchschritten. Ich spürte, dass das nun der richtige Weg für mich war, und mir wurde leichter ums Herz. Ich fragte mich nochmals eingehend: Was will ich wirklich? Die Antwort war eindeutig: Diesen Weg laufen und erfahren. Daraufhin packte ich noch einmal meinen Rucksack aus und warf bestimmt weitere ein- bis zwei Kilo weg. Alles war ersetzbar, nur meine Reiseerfahrung und die Erfüllung meiner jahrelangen Vision nicht. Das war meine Motivation, wirklich alles loszulassen, auch neue Sachen.
Am nächsten Morgen war ich schon um 6.30 Uhr und bei vier Grad Kälte als Erste auf dem Weg. Ich marschierte vor sternklarem Himmel, bald würde die Sonne glutrot hinter Logrono aufgehen, ich durchwanderte eine wunderschöne Landschaft und war in dem Moment der glücklichste Mensch. ICH HATTE EINEN WEG GEFUNDEN. Plötzlich ging alles leicht. Bald fand ich noch einen Wanderstock im Wald, der eine Zeit mein Begleiter wurde, und wanderte Kilometer um Kilometer. Mein Rücken blieb ruhig. Ich kam durch einen Markt, frühstückte in herrlicher Sonne auf einer Bank, sah weitere Pilger an mir vorbeiziehen und ab da kam ich mehr und mehr in die Energie, die man sich auf dem Jakobsweg vorstellt. An diesem Tag wanderte ich fast dreißig Kilometer mit dem Rucksack auf dem Rücken!
Ab diesem Zeitpunkt erfuhr ich eine besondere Liebe, Wertschätzung, Freundlichkeit, Offenheit und eine nicht zu überbietende Herzlichkeit unter den Pilgern. Es waren alle Altersgruppen vertreten. Jeder hatte eine bestimmte Absicht auf diesem Weg, und das machte die Begegnungen so tiefgründig. Hatte man Lust auf Gesellschaft, brauchte man sich nur in die Küche oder an die großen Tische in den Refugios zu setzen, und bald war man in tiefsinnige Gespräche verwickelt – im Kontakt mit der ganzen Welt. Wollte man allein sein, legte man sich einfach ins Bett. Alle waren rücksichtsvoll und liebenswert. Wanderte man im zeitlichen Rhythmus der anderen, hatte man immer eine nette Wegbegleitung. Wollte man dies aber an einem Tag weniger, lief man einfach später los, wenn der Hauptstrom schon weg war oder übernachtete in kleinen Refugios – und man war sofort wieder allein. Wir, ich lief abwechselnd mit mir sehr lieb gewordenen Wegbegleiterinnen, wanderten in der Regel fünf Stunden und zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Kilometer am Stück mit kleinen Pausen. Danach waren unsere Füße oft derart platt, dass wir sofort das nächste Refugio ansteuerten, duschten, uns genüsslich in die Sonne legten oder es uns, wenn es regnete, einfach im warmen Bett gemütlich machten, zusammen aßen, erzählten… Es war nie langweilig, sondern die Zeit war von einer wohltuenden Ruhe und Harmonie geprägt. Den Wechsel zwischen körperlicher Verausgabung und wohltuender Entspannung am Nachmittag empfanden wir als ausgesprochen erholsamen Rhythmus für Körper und Geist.
Für mich persönlich kann ich nur sagen, dass im Nachhinein gesehen alles richtig war. Mein ganzer Lese- und Schreibvorrat war im Container gelandet. Einschließlich meines Reiseführers, davon hatte ich nur noch ein paar einzelne Blätter rausgerissen und aufgehoben. Ich hatte mir “Arbeit” mitgenommen, wollte auch unterwegs “immer etwas tun” – aber auch das war alles im Container gelandet. Dank meines empfindlichen Rückens wurde ich gezwungen, nichts zu denken, ich konnte es ja ohnehin nicht mehr aufschreiben, wodurch ich zu einer unglaublichen inneren Ruhe und zu Frieden fand. Ich bemerkte, wie ich ausschließlich nur noch im Hier und Jetzt lebte: jetzt wanderte, jetzt eine der vielen wunderschönen Wiesenblumen betrachtete, jetzt die einzigartige Landschaft in mich aufnahm, jetzt ganz einer Person zugewendet war, jetzt den Geruch des Landes wahrnahm, jetzt die schmerzenden Füße von den Wanderstiefeln befreite, jetzt einfach nur das wohltuende Nachmittagsschläfchen genoss, jetzt mit den anderen zusammen etwas aß usw. Es war eine besondere Erfahrung, nur mit dem zu leben, was man tragen konnte. Etwas Tagesproviant und Wasser, meist wunderbares Quellwasser aus einem Brunnen auf dem Weg. Mehr hatte ich nicht – und mehr brauchte ich nicht. Mit jedem Tag wurde dieser Zustand von “Hier und Jetzt” mehr zu einem ausschließlichen Zustand. Ich dachte nicht oder wenig an meine Familie und Kinder, überhaupt nicht an meine Arbeit, erzählte kaum den anderen davon, um nicht meinen inneren Motor anzuwerfen. Ich dachte wirklich nichts – einfach nichts, und mein “mind” erholte sich dadurch völlig. Ich kann mich an keinen Urlaub erinnern, an dem mir diese tiefe Erholung und Ruhe in so kurzer Zeit möglich gewesen wäre.
Wer sich auf den Jakobsweg begibt, wird in seinen Bann gezogen. Ich habe keine mystischen Dinge wie die Autoren Shirley MacLaine oder Coelo erlebt, ich habe auch keine seltsamen Träume gehabt, aber ich habe den Frieden und die Liebe dieses Weges erfahren. Zu Hause bemerkte ich, dass dies ein bewusster Teil meiner Selbst wurde. Dieser Friede und diese Liebe drangen täglich mehr und mehr in mein eigenes Energiefeld ein und gaben mir den Frieden, das Hier und Jetzt in einer Dimension zu erfahren, die ich mir zuvor so nicht für mich (als aktives Arbeitstier) hatte vorstellen können.
Ich spürte eine neue Form von innerer Öffnung, die sich als Sensibilität zeigte, es liefen öfter Tränen, einfach so. Das ging nicht nur mir so, dass erlebten auch andere Pilger auf ähnliche Weise. Diese neue Form von Verletzlichkeit hält auch zu Hause an, sie macht mir aber mittlerweile Freude, und es sind keine Tränen der Traurigkeit, sondern Tränen tiefer Berührung für das Leben.
Lange Zeit war mein Leitsatz “Der Weg ist das Ziel” – ohne aber die tiefe Dimension wirklich begriffen zu haben. Der Weg ist tatsächlich das Ziel, und der Weg ist das Erfahren von Hier und Jetzt. Es ist eine andere Formulierung von SEIN – es kommt dem Gefühl von Glück und Gottesbewusstsein sehr nahe.
Gleich nach der Rückreise begegnete mir einen Tag später zu Hause in einem Artikel der Satz: “Einen Workaholic legt man trocken, indem man ihm die Arbeit entzieht.” Und das war nun MEIN Satz überhaupt im richtigen Moment. Als ich ihn las, schnellte ein innerer Rollladen nach oben, und ich sah plötzlich vollkommen klar: Ich wusste schon immer um meine engagierte Arbeit als Autorin und Beraterin, und meine Arbeit war bisher mein Leben, manchmal sogar über meine Familie hinaus. Ich lachte früher immer über den Ausdruck Workaholic, denn dieser Begriff ist salonfähig, und ich schämte mich dafür nicht. Aber so wirklich glaubte ich es nie… Nach dieser Reise und nach der Entdeckung dieses Satzes WUSSTE ich es plötzlich. Nun wusste ich es – ich WAR bis vor dieser Reise eine manchmal bis zur Erschöpfung arbeitende Frau mit all dem, was dazugehört. Auch auf dieser Reise musste ich mir das im ersten Teil “erst mal wieder beweisen”. Obwohl ich aus Leidenschaft arbeitete und deshalb eine Legitimation für die viele Arbeit sah, war ich dem Burn-out unbemerkt ab und zu bedrohlich nahe gekommen. Auch meine Bandscheibenoperation war schon damals ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen, aber ich hatte zu jener Zeit erst die Hälfte der ganzen Geschichte begriffen.
Der Jakobsweg legte mich regelrecht “trocken” und damit katapultierte mich dieser Umstand ins Leben. Jetzt kenne ich es, wie sich das “Hier und Jetzt” anfühlt, jetzt WEISS ich, was SEIN und Glück wirklich bedeuten.
Ich bin schon eine längere Zeit zurück vom Jakobsweg, und mein berufliches wie privates Leben hat sich völlig verändert – geprägt vom Leben im SEIN. In diesem Sein fließt mein Arbeiten, ohne hektisch zu werden, meine Familie profitiert von einer präsenten Ehefrau und Mutter, und ich profitiere von der Gegenwart in meiner Familie. Ich rieche, spüre und genieße das Leben, wie es ist: lebendig, voller Gerüche, voller Ereignisse, inspirierender und fördernder Begegnungen – beruflich wie privat – und es setzt sich fort, was ich auf dem Weg begonnen habe: das LEBEN!
Und damit beginne ich mit der Betrachtung eines enorm wichtigen inneren Wesenszüges: unserer inneren Männlichkeit, die bereit ist, bis zur Erschöpfung zu arbeiten – und unserer inneren Weiblichkeit, die alles über das Fühlen und Wahrnehmen aufnimmt. Ich beschreibe, was geschieht, wenn die eine oder die andere Seite zu stark im Leben präsent ist.
In der Vorbereitung und zu Beginn meiner Jakobswegwanderung war vor allem meine männliche Seite hoch aktiv. Sie ließ nur in wenigen Augenblicken meine weibliche, weiche und fühlende Seite zu – solange, bis ich kapitulieren musste. Kurz bevor der Müllcontainer aufgetaucht war, hatte ich mich auf eine Bank gesetzt und erstmalig von ganzem Herzen meine weibliche innere Seite befragt. Wie fühle ich mich denn eigentlich in diesem ganzen Dilemma? Was ist es, was ich wirklich möchte? Mein Mann erlebte dann am Telefon in Logrono nur noch die Extremvariante meiner weiblichen Seite. Also half mir weder meine rein männliche Seite noch meine rein weibliche Seite, den Weg ins Glück zu gehen. Übertragen gilt das auch für jeden anderen “Lebensweg”. Sowohl der rein männliche als auch der rein weibliche Bereich meines Wesens – später werde ich sie Pole nennen – brachten mich auf dem Jakobsweg nur an den Rand der Verzweiflung. Erst als es mir gelang, diese beiden inneren Aspekte – weiblich und männlich – miteinander zu verbinden, fand ich Wohlbefinden, Glück und zeitweise so etwas wie Gottesbewusstsein.
Innere Männlichkeit – innere Weiblichkeit
Was sind männliche und weibliche Energien?
Natürlich handelt und fühlt ein Mensch in der Regel nicht durchgängig einseitig als weiblicher oder männlicher Mensch – egal, welchem Geschlecht er angehört. Ich möchte betonen, dass es hier nicht um äußerlich feminin oder maskulin wirkende Frauen oder Männer geht, denn auch eine äußerlich sehr feminin wirkende Frau kann dennoch von ihren inneren männlichen Anteilen und Eigenschaften dominiert sein. Wie bereits in meiner Jakobsweggeschichte beschrieben, wird es Lebensbereiche geben, in denen das Bauchgefühl und somit eher die weibliche Energie sehr im Vordergrund steht; daneben gibt es dann wieder Bereiche, in denen der Verstand und damit die männliche Energie die Oberhand hat. Das Ziel bei der persönlichen Authentizität sollte die Integration und Abstimmung beider Energien in möglichst vielen Situationen sein.
Viele Menschen handeln, fühlen und sprechen ein Leben lang einseitig eher männlich oder eher weiblich. Doch damit bleiben sie verstrickt in Erwartungshaltungen, Leistungsdruck und emotionalen Abhängigkeiten, bewegen sich von ihrer Authentizität weg und geraten darüber in Konflikt mit ihrer Außenwelt. Man nimmt von solchen Menschen etwas anderes wahr, als sie ausdrücken oder tun. Dies ist die Basis für immer wiederkehrende Missverständnisse.
Energetisch weiblich geprägte Frauen und Männer haben oft erstaunliche Erkenntnisse über den Sinn und die Hintergründe einer Situation oder des Lebens generell. Doch sie tun sich schwer, sich zu überwinden, ihre Erkenntnisse handlungs- und zielorientiert umzusetzen. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass solche Menschen über die Lösungen reden, aber sich sehr schwer tun, das Gesprochene auch in aktives Handeln umzusetzen. Für sie gilt mehr denn je der Satz: “Lebe von Taten und Handlungen – nicht von Worten.” Denn damit drehen sie sich mit ihren Geschichten über Jahre im Kreis.
Energetisch männlich geprägte Menschen dagegen kämpfen bis zum Umfallen. Es fällt ihnen schwer, Gefühle zu zeigen, und sie lassen von vornherein die Welt der Gefühle, der höheren Ebenen und mögliche Anderswelten sowie deren Energien nicht zu. Sie folgen zu sehr dem, was ihnen ihr Verstand eingibt. Sie ignorieren ihr Bauchgefühl oder hören und integrieren zu spät solcher Botschaften, um ausgewogene Handlungen zu ermöglichen.
Egal, ob Mann oder Frau, jeder hat stets alle Anteile in sich. Im Idealfall sind diese Attribute in einem ausgewogenen Verhältnis bewusst und aktiv.
In den Handlinien kann man diese Ausgewogenheit oder das Gegenteil davon sehr gut sehen. Bei idealen Linienverläufen der Handlinien ist die jeweilige Veranlagung in einem ausgewogenen Verhältnis vorhanden. Man kann das daran erkennen, ob Linien sanft geschwungen und in der richtigen Länge in den Händen liegen – oder aber zu gerade, zu kurz, zu lang, zu brüchig, zu dick oder zu dünn sind. All das sind Abweichungen von der Ideallinie und drücken einen persönlichen Wesenszug aus. Der Grad der Abweichung einer Linie zeigt mir den Grad der Abweichung der Veranlagung an.
Erschrecken Sie aber nicht, wenn Sie viele Abweichungen in den Handlinien finden, denn das macht Sie interessant, und das macht Ihren Charakter aus. Mich kontaktierte bei einer Veranstaltung, bei der alle zehn Minuten die Interessenten wechselten und mir ihre Hände zeigten, eine Frau mit idealen Linienverläufen. Ich betrachtete die Hände, spürte in mich hinein und bekam keine Impulse. In mir blieb es ruhig. Ich schaute die Frau an und sagte zu ihr: “Es tut mir Leid, aber ich kann Ihnen gar nicht viel über Ihr Leben aufzeigen. Sie haben ideale Linienverläufe, und in Ihrem Leben scheint alles so zu verlaufen, wie Sie sich das wünschen.” Da sprang sie mit einem Satz auf und meinte ganz trocken: “Ich hatte auch gar nichts anderes erwartet!” – und weg war sie. Ich glaube, mir war die Verblüffung noch eine ganze Zeit lang anzusehen. So wirklich beneidete ich sie aber nicht um ihre Linien. Die lebendigen, tiefen und inspirierenden Begegnungen geschehen in der Regel mit Menschen, die deutliche Abweichungen in ihren Handlinien aufzeigen und von entsprechend spannenden Berg- und Talfahrten ihres bisherigen Lebens berichten können. Hier findet auch immer gleichzeitig Leben statt.
An dieser Stelle ist es wichtig zu verstehen, und ich werde es später nochmals im Detail erklären, dass es zu jeder Ausdrucksform unseres Universums ein Gegenteil gibt, das wieder eine Gesamtenergie ergibt. Denn wir Menschen können uns und Dinge nur durch die Unterscheidung zweier Zustände wahrnehmen. Man nennt dies auch das Polaritätsgesetz. Auch unter diesem Aspekt betrachte ich jeweils die Handlinien.
Ein Beispiel: Wenn sich ein Ehepaar sehr geliebt hat und nun im Hass auseinander gegangen ist, sind sie immer noch im gleichen energetischen Feld. Denn das Gegenteil von Liebe ist der Hass, und damit gehört Hass unmittelbar zur Liebe. Hass und Liebe sind eine Ausdrucksform derselben Energie. (Perfektion und Chaos wären ebenfalls eine Energie, jedoch die einer anderen Ausdrucksform.) Erst wenn sich solch ein Paar nach einer Trennung weder hasst noch liebt, sondern eine gesunde Form von Akzeptanz dem anderen gegenüber wahrnimmt, haben sie das Energiefeld “Liebe-Hass” verlassen und haben Zugang zum Energiefeld “Respekt und Akzeptanz” gefunden. Was ich genau unter Energiefeldern verstehe, erfahren Sie im zweiten Teil des Buches.
So wissen wir bisher bereits, dass zu jeder männlichen Ausdrucksform immer eine weibliche gehört. Sie werden bald entdecken, wenn Sie sich zu stark auf einer Seite einer Energieform aufhalten, dass Sie dann automatisch “Sehnsucht” nach der gegenteiligen Ausdrucksform bekommen. Auf dem Jakobsweg drückte sich mein anfängliches verbissenes Durchhaltenwollen als meine männliche Energie in Reinkultur aus, und in der jammernden und heulenden Person kurze Zeit später sah man die rein weibliche Energie. Beide Pole brachten mir nicht die Erfüllung, sondern erst die Verbindung von beiden.
An der ausführlichen Geschichte meiner Klientin Lisa möchte ich zeigen, wie der Weg aus Unbewusstheit zu mehr Bewusstheit gelingt – auch im Hinblick auf innere weibliche und männliche Energie.
Lisas Geschichte
Lisas Leben hatte viel an innerer Lebendigkeit verloren. Doch auch Lisa bekam so etwas wie einen grünen Müllcontainer geliefert, und ab diesem Zeitpunkt war es ihr möglich, eine Wende in ihrem Leben einzuleiten. So kannte Lisa eine Zeit, in der sie entsprechend ihren Prägungen lebte und eher Rollen spielte, als sich selbst zu fühlen und ihren eigenen Bedürfnissen Raum zu geben. Daneben kannte sie eine neue Zeit, in der sie es mehr und mehr schaffte, ihre alten Muster zu verabschieden, um Platz für ihre eigentliche Persönlichkeit zu schaffen.
Ihre Eingangsfragen für die Erst-Beratung bei mir waren: “Soll ich mich von meinem Mann, der seit vier Jahren getrennt von mir lebt, scheiden lassen, oder wird er noch mal zu mir zurückkommen?”
Sie fragte mich außerdem: “Welche Blockaden könnten mein Leben immer noch behindern?” Ich freute mich sehr auf ein Gespräch mit ihr, da ich hier eine Frau vor mir hatte, die bereit war, mutig durch ihre Ängste zu gehen.
Zuerst zu Lisas Handanalyse:
Ich beschreibe die Linien hier so, wie sie sich mir persönlich in einem Erstkontakt zeigen, wenn ein Klient mir seine Hände öffnet. Ohne Erklärung der größeren Zusammenhänge teile ich aber in einem Gespräch niemals meinen Ersteindruck auf direkte Weise mit, denn dies würde meine Klienten nur verunsichern. Wie Lisa ihre auffälligen Anlagen auslebte, musste ich erst nach und nach herausspüren, bevor ich ihr auf direkte Weise etwas dazu sagen durfte. Trotzdem wusste ich aufgrund von Erstinformationen aus Lisas Händen und dem Wissen um energetische Gesetze, was ich Lisa gezielt fragen musste, um mir ein besseres Bild über ihre tatsächlichen Erfahrungen machen zu können.
Lisas Hände zeigten sehr unterschiedliche Aspekte. Sie hatte ausgesprochen harmonische Herzlinien. Bei Lisa reichte die Linie in ihrem Auslauf bis zum Zeigefinger hoch. Somit hat sie viel mit ihren Gefühlen zu tun, die sich auf irgendeine Weise zum Ausdruck bringen wollen. Die Kopflinie war sehr gerade und lang. Diese Linie steht für den Intellekt. Hier bedeutete dies, dass Lisa sehr pflichtbewusst zu sein schien und festgelegte innere Muster hatte, zum Beispiel, wie eine Ehe geführt werden sollte, wie man ein Kind erzieht, wie man sich als Ehefrau zu verhalten hat usw. In der Regel so, wie sie es selbst in ihrer Kindheit erfahren hatte oder manchmal auch das pure Gegenteil davon, weil sich ein Mensch unbewusst für den Gegenpol entschieden hat.
Die Kopflinie von Lisa in Verbindung mit anderen Linien deutete darauf hin, dass sie im Wesentlichen eindeutig danach handelt, wie sie denkt – und nicht, wie sie fühlt. Ihre ausgesprochen harmonische Herzlinie und damit ihre große innere Gefühlswelt standen demnach im Kontrast zu diesem pflichtbewussten Verhalten. Ihre Kopflinie war mit der Lebenslinie auf einer auffallend langen Strecke verbunden: ein Hinweis, dass sie in ihrem bisherigen Leben mit Fremdbestimmung zu tun hatte. Diese Linie konnte aber auch bedeuten, sich auf besondere Weise voll und ganz in andere Menschen hineindenken und -fühlen zu können und/oder nach dem Gebot anderer zu leben.
Die Schicksalslinie steht dafür, wie jemand durchs Leben geht. Diese Linie hat nicht jeder in der Hand, und sie zeigt sich auf sehr vielfältige Weise. Es ist eine senkrechte oder schräge Linie, die in etwa durch die Mitte der Hand von unten nach oben zum Mittelfinger hin verläuft.
Die Lebenslinie führt um den Daumenballen herum und steht für Lebensvitalität, Lebendigkeit und Sinnesfreude. Da sich bei Lisa die Lebenslinie mit der Schicksalslinie verbunden hatte, deutete dies auf eine Unterordnung hin. Ihr Daumenballen war zudem fest und kräftig, ein Zeichen für ausgesprochene Ausdauer und Zähigkeit.
Ich sagte Lisa im ersten Schritt, sie habe sicherlich einen Lebenspartner, dem sie viele Jahre lang versucht habe, alles recht zu machen. (Lisas Kopflinie verrät festgelegte Lebensstrukturen, und in Kombination mit der Schicksalslinie wird deutlich, dass sie sich unterordnet.)
Durch ihre ausgeprägte Herzenswärme konnte ich aufgrund der übrigen Kombinationen in ihrer Hand davon ausgehen, dass sie Wünsche und Bedürfnisse hatte, die sie ihrem Mann gegenüber nicht direkt äußerte, sondern erwartete, dass er ihre Bedürfnisse von alleine wahrnehmen müsste. Nach dieser kurzen Einleitung bestätigte mir Lisa alle diese Punkte und erzählte ihrerseits, dass sie seit vierundzwanzig Jahren verheiratet sei und seit vier Jahren aber von ihrem Mann getrennt lebe. Sie sagte, sie sei wirklich gut, um nicht zu sagen perfekt darin, es ihr nahe stehenden Menschen gut gehen zu lassen. Sie habe zwei Kinder, und auch für diese habe sie alles getan, regelrecht das letzte Hemd gegeben (dies bestätigt sich durch die Überlagerung der Lebens- und Schicksalslinie). So lange sie ihrem Mann treu ergeben war, ihm pünktlich das Essen auf den Tisch gestellt hatte, alles so machte, wie er es erwartete, wäre ihr Mann friedlich und ordentlich gewesen. Er sei ein Arbeitstier, habe rund um die Uhr gearbeitet und für nichts Zeit gehabt. Ihr eigener Vater sei ferner ebenfalls extrem dominierend gewesen, und sie durfte als Kind nie das tun, was ihr am Herzen lag. Sie hätte so gerne Gitarre gespielt, aber das wurde ihr verwehrt, denn das hätte die Familie zu sehr gestört. Sie hatte zudem eine ältere Schwester, um die sich alles gedreht habe. Sie selbst sei nie wichtig gewesen, und sie habe das Gefühl, man habe nie Zeit für sie gehabt. Auf meine Frage, wie in ihrer Ursprungsfamilie mit Gefühlen umgegangen worden sei, sagte sie, dass darüber überhaupt nie gesprochen worden sei. Diese Antwort war typisch für eine alleinliegende Herzlinie.
An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass Lisa in mehrere Sitzungen und auch Workshops kam und der inhaltliche Ablauf der Beratungszeit etwas anders war. Für die Leser möchte ich hier vorgreifen und darauf hinweisen, dass Lisa unbemerkt eine festgefahrene Rolle als Ehefrau, Mutter und Geliebte spielte bzw. lebte. Ebenso spielte ihr Mann seine Rolle als Ernährer und Beschützer der Familie. So lange beide Partner in dieser Zweckehe nichts veränderten, konnten sie viele Jahre ungestört zusammenleben. Ein wirklicher Austausch und innere inspirierende Begegnungen zwischen zwei Individuen finden hier aber kaum mehr statt. Vergleicht man die Erfahrungen von Lisa mit ihrer Kindheit, finden sich dort sichtbare Parallelen. Damit wird auch deutlich: Lisa und ihr Mann begegneten sich unbemerkt nicht als Mann und Frau, nicht als Persönlichkeiten, sondern “nur” als Rollenspieler. Das hat wenig mit innerer Begegnung zu tun. Als Rollenspieler gerät man schnell in Erwartungshaltungen, die oft nicht ausreichend besprochen, geschweige denn erfüllt werden. Missverständnisse und daraus folgende unverständliche Konflikte entwickeln sich. Die Gefühle von Verständnis, Einfühlung, Achtung und Respekt, die für wirkliches Glück unabdingbar sind, gab es hier nicht. Es herrschte eher das Gefühl vor, funktionieren zu müssen, irgendwie überleben zu müssen.