© 2016 Heidi und Jürgen Wendt
Fotos: Familienbesitz
Titelbild und Gestaltung: Nils Rackwitz
Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7412-1325-0
in Ihren Händen halten sie das zweite „Bitte wend(t)en!“ –Buch meiner Eltern Heidi und Jürgen. Als mein Bruder und ich das erste Mal das Manuskript „Vorrat schaffen“ lesen durften, war das der Zeitpunkt, an dem wir endgültig realisieren mussten, dass unsere Eltern in ihrer Freizeit lieber der brotlosen Kunst frönen, als unser Erbe monetär abzusichern. Statt ihre Ideen und Fähigkeiten sinnvoll zu nutzen um dem Kapitalismus gerecht zu werden, lottern sie lieber lyrisch beim Schreiben herum. Aber na gut, wenn’s schon nichts zu erben gibt, gibt’s wenigstens schöne Geschichten aus ihrem Leben, die sie selbst verfasst haben und die so für uns immer erhalten bleiben werden. (Irgendwie muss ich mir das ja schön reden).
Meine Eltern...Wo soll ich da anfangen? Wie soll ich Ihnen die erklären?
Also – da wäre mein Vater (oder im Geheimen auch mal „der Alte“ genannt). Wenn Sie denken, dass mein Vater beim Schreiben mit einem gepflegten Glas Rotwein vor einem antiken Schreibtisch in seinem edlen Jagdzimmer sitzt und dort musisch gestützte tiefsinnige Texte verfasst, dann muss ich Sie, liebe Leser, jetzt schwer enttäuschen. Die Realität ist, wie so oft, eine ganz andere. Mein Alter schreibt und denkt in der Küche. Dafür fegt er sich grundsätzlich den Küchentisch gekonnt mit seinem Ellenbogen frei..., zack, einmal nach links... zack, einmal nach rechts! Das hat sich mein Vater so angewöhnt, da abends auf dem Küchentisch oft Briefe, Zeitungen oder anderes vom Tagesgeschäft noch unsortiert herum liegt. Vati ist in seinem Anspruch, Platzbedarf auf dem Küchentisch, ohnehin sehr bescheiden. Getreu seinem Motto „Nimm nur so viel, wie du brauchst“, verschafft er sich auf seinem Küchentisch gerade mal so viel Freiraum, dass zwei nebeneinander gelegte A4 Seiten, ein kleines Wasserglas und der Aschenbecher in seiner ‚Schreibzone‘ Platz haben.
Ist jetzt der erste Akt „die Vorbereitung“ beendet, folgt der zweite, der die eigentliche Schreibprozedur einleitet. Mein Vater setzt sich mit einem leichten Seufzer etwas behäbig an den Tisch. Ach nein, eigentlich ist es kein Seufzen, was da in seiner Stimme liegt. Es ist eher so ein feines Grunzen. Dann zündet er sich eine Kippe an, füllt sein kleines Wasserglas mit süßem Rotwein... Und wartet mal so ab, was passiert... Er hält andächtig inne... Stille!
Irgendwann fängt er dann einfach an zu schreiben. Er schreibt natürlich noch „zu Fuß“ auf einem weißen Papier, was er irgendwo irgendwann im Wendtschen Haushalt aufgetrieben hat. Wenn mein Vater seine Geschichten verfasst, muss er sich wohlfühlen. Das bedeutet, raus aus den Arbeitsklamotten und rein in die „Ich-habe-Feierabend-Jogginghose“. Dazu trägt er immer dicke selbstgestrickte Wollsocken, die er in unregelmäßigen Abständen von seiner Schwägerin Christa oder Freundinnen geschenkt bekommt. Der eine Strumpf ist meist sportlich bis über die Wade gezogen, der andere verliert sich in lockeren Falten am Knöchel. Dazu dann noch die alten, von Welpenzähnen zerkauten Hausschlappen an... Jab! so kann er seinen Gedanken freien Lauf lassen! Alles in allem ist der Anblick wenig erotisch. Aber vielleicht sehe ich das ja auch nur mit den Augen einer Tochter so?
Die beiden großen Jagdhunde lungern während der Mußestunden meines Vaters immer irgendwo unter ihm oder auch neben ihm herum. Von Zeit zu Zeit bequemt sich Franz Josef mal hoch, um einfühlsam seinen sehr großen Kopf auf den Schoß meines Vaters zu legen und den selbigen zärtlich voll zu sabbern. Bedingungslose Liebe eben. Der andere Jagdhund meines Vaters, Asko, ist der Veteran im Hause Wendt. Er sieht und hört eben nur noch so gut, wie es bei betagten Jagdhunden so üblich ist. Asko ist seit jeher etwas langsamer im Kopf als andere „Waldis“, nobody is perfect. Leider ist das auch der Grund, warum er stets den Aufenthalt meines Vaters am Küchentisch zur Abendbrotzeit missinterpretiert. Die Enttäuschung in Askos glasigen braunen Augen ist jedes Mal herzzerreißend mit anzusehen, wenn der Veteran zur Kenntnis genommen hat, dass es jetzt keine Leberwurststulle gibt, sondern sein Herr nur zum Schreiben in der Küche sitzt.
So und dann ist da ja noch unsere geliebte Mutter, Mutti genannt. Wo und wie schreibt sie? Auch Mutti schreibt immer in der Küche. Sie würde das im Sommer natürlich viel lieber auf ihrer Terrasse machen, das geht mit ihrem doofen ‚Dings‘ (sie meint damit den Laptop) aber nicht, weil man draußen immer nix auf dem Bildschirm erkennen kann. Ihr ‚Dings‘ blendet eben. Meine Mutter hat immer richtig schön verwuschelte Haare, wenn sie ihre Texte verfasst. Das liegt daran, dass sie sich beim Denken oft mit beiden Händen durch ihre Frisur fährt. Und beim Schreiben muss man ja ganz schön viel denken. Wenn sie dann einen irrwitzigen Geistesblitz hat, wird dieser geschwind aufgeschrieben, damit er ja nicht zwischen den vielen sich überlagernden anderen Gedanken verloren geht. Das klappt nicht immer, aber immer öfter. Und dann... ja dann hebt sie fast schon bedächtig ihren Wuschelkopf und durchsucht wieselflink den Raum nach einer geeigneten Person, an der sie ihre neue schmissige und witzige Anekdote auf Tauglichkeit testen könnte. Hat sie tatsächlich einen „Tester“ (in unserem alltäglichen Sprachgebrauch auch gerne mal als Opfer bezeichnet) gefunden und auserkoren, will sie den eben verfassten Text betonungsvoll vortragen. Sie lacht dabei aber meistens immer schon vorher so sehr in sich hinein, dass ihr trockener Humor beim ersten Mal in der Regel nie landet. Überhaupt kann meine Mutter schön laut und herzlich lachen. Wenn sie lacht, lacht nicht nur ihre Stimme. Bei ihr lacht immer der ganze Körper. Dabei bebt ihr Bauch rhythmisch und ihr Busen schwingt im Takt mit. Ihre Wangen sind dann feuerrot und ihre Nase zuckt dabei fast unmerklich aber fröhlich. Aber vielleicht sehe ich auch das nur durch die Augen einer Tochter so?
Zugegeben, meistens sind ihre Niederschriften sehr unterhaltsam.... Und das weiß sie (leider!). Deswegen erwartet sie nicht weniger als, „Applaus Applaus“ und eine Laola- Welle, nachdem sie wieder mal eine neue Geschichte an uns ausprobiert hat. Allerdings ist die Aufmerksamkeit, die sich meine Mutter da stets einfordern möchte, nicht immer für jeden, zu jeder Tageszeit, machbar. Bei mir zum Beispiel kann sich das meine Mutter früh morgens, kurz nach dem Aufstehen, schon mal knicken! Eigentlich weiß sie das, aber sie versucht es doch immer wieder.
Daher sind nicht nur meine Mutter und mein Vater der Autorin Beate M. Kunze sehr dankbar, die auch für dieses Buch die Lektorinnenrolle übernahm. Sondern auch ich, mein Bruder, sowie seine Liebste, bedanken uns herzlich bei Frau Kunze, die meine Mutter in ihrem frischen Autorinnendasein fördert, unterstützt, und ihr auch die kleine Laola-Welle für zwischendurch schwingt. Das schafft uns Kindern und auch meinem Vater mehr Freizeit. Besonders freuen wir uns über das Bild von dem Künstler Nils Rackwitz, das er meinen Eltern für das Cover dieses Buches malte. Das Bild stellt ein wahrheitsgemäßes Stillleben vom „Vorrat schaffen“ dar, wie es in unserer Küche in den 80ern üblich war. Nils malte es so, wie es meine Eltern in ihren Erinnerungen schilderten. Und obwohl er sich als unabhängiger Künstler die Absolution zum Freidenker eigens geschaffen hat, hielt er sich doch sehr genau an die Erzählungen meiner Eltern. Wir bedanken uns bei Nils, der das Kopf kino ‚der Alten‘ so liebevoll auf Papier festgehalten hat.
Ich wünsche Ihnen viel Freude an diesem Buch meiner Eltern.
Ihre Marika Wendt
„Heidi, wir können uns in Lübberstorf ein altes Haus kaufen. Gleich neben Männe, meinem Brigadier“, sagte mein Mann als ich aus dem Zug stieg. Ich kam gerade auf dem Bahnhof in Bad Kleinen an. Jürgen holte mich wie immer mit seinem klapprigen S 50 ab. Mein Forststudium neigte sich dem Ende zu. Die letzten Monate füllten ein Praktikum in einem Forstbetrieb im Thüringer Wald. Gerade hatte ich Gewissheit, wir sollten Nachwuchs bekommen. Der Direktor der Ingenieurschule für Forstwirtschaft versuchte seine Studenten in staatlichen Forstwirtschaftsbetrieben in der Nähe unserer Heimatorte zu vermitteln. „In diesem Dorf gibt es keinen StFB“, war meine erste Reaktion. „Ach, irgendetwas wird sich für dich schon finden“, meinte der Gatte.
Als ich meinem Direktor von der Fachschule für Forstwirtschaft, den ich sehr schätzte und respektierte, von unserem Hauskauf erzählte, war er nicht gerade begeistert. Er war immer bemüht, für seine Studenten einen guten Ingenieur-Arbeitsplatz zu organisieren. Wo sollte er mich unterbringen? Ja, er prangerte diesen Sachverhalt in seiner Abschlussrede vor allen Studenten an: „Mir geht das Messer in der Hosentasche auf, wenn unsere teuer ausgebildeten Forstingenieure nicht flexibel sind, sich an einen Wohnort binden und von materiellen Werten, wie zum Beispiel einem Haus leiten lassen.“ Meine Gefühle waren so sehr zweigeteilt. Mir schlug seine Bemerkung auf den Magen. Einerseits war mein Tatendrang groß, endlich eine Verantwortung in einem Forstbetrieb zu übernehmen und damit auch gutes Geld zu verdienen, andererseits wusste ich, dass mein Mann niemals mit mir in eine Neubauwohnung nach Rövershagen ziehen würde, wo der nächste Forstwirtschaftsbetrieb seinen Sitz hatte. Dieser Kerl ist und bleibt ein heimatbesessener Naturbursche. Er liebt seine Jagd, die Hunde, das Landleben, seine Mutter, die er nie weit weg im Stich lassen würde und ja auch mich, hoffentlich. Das Leben würde schon eine Lösung für mich parat haben. Und tatsächlich wurde gerade in Wismar in der Kanalstraße ein Gebäude für einen neuen Sitz des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes gebaut. Meine berufliche Perspektive schien wohl doch gesichert.