MANZ RATGEBER
Recht für Imker
Recht für Imker
von
RA Dr. Ernst Brandl, LL.M., M.B.A.
Priv.-Doz. Dr. Philipp Klausberger
Zitiervorschlag: Brandl/Klausberger, Recht für Imker (2019)
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Sämtliche Angaben in diesem Ratgeber erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr; eine Haftung der Autoren sowie des Verlages ist ausgeschlossen.
ISBN 978-3-214-14527-9
ISBN E-Book: 978-3-214-14529-3
© 2019 MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH, Wien
Telefon: (01) 531 61-0
E-Mail: verlag@manz.at
www.manz.at
Illustrationen Cover & Kern: © Nicolas Aznarez
Druck: FINIDR, s.r.o., Český Těšín
Unseren Mentoren Nikolaus Benke und Alois Ohrfandl gewidmet
Geleitwort
Es scheint, als wäre früher alles leichter gewesen für die Imker im Land: Es gab keine Varroa-Milbe, die man auch aus Rücksicht auf alle anderen Imker im Flugradius seiner Bienen mühsam bekämpfen musste. Es gab keine Pestizide, die zur Steigerung der Produktivität ohne Rücksicht auf Schäden in der Tierwelt eingesetzt wurden. Und die meisten Imker lebten als Bauern am Land, ohne Nachbarn mit Schwimmteichen und Swimmingpools, die sich über Wasser holende Bienen beschwerten. Imker und Imkerinnen stellten ihre Völker etwas außerhalb ihres Hofes an den Waldrand und jeder war zufrieden.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich einiges verändert. Imker und ihre Bienen kommen immer öfter in Konflikt mit anderen Menschen und deren Aktivitäten. Bauern, die ihre Pflanzen schützen und damit ihre Existenz sichern wollen, dabei aber auch die Bienen totspritzen und die Existenz der Imker gefährden; Erholungssuchende in ihren Wochenendhäuschen, die allergisch auf Bienengift reagieren oder sich durch die Aktivität der Bienen eingeschränkt fühlen; andere Imker, die sich unzureichend um Varroa-Behandlung kümmern oder unerwünschte „Rassen“ züchten. Hinzu kommt die grundsätzlich erfreuliche Entwicklung, dass die breite Bevölkerung die enorme Bedeutung der Honigbiene und aller wildlebenden Insekten erkannt hat und viele Städter das Imkern als eine sinnstiftende Tätigkeit im urbanen Raum für sich entdeckt haben.
Diese – nicht abschließend aufgezählten – Veränderungen führen dazu, dass Menschen mit gegenläufigen Interessen aneinandergeraten. Kein Wunder, dass der Ruf nach der Richterin und der Polizei immer häufiger laut wird. Die Behörden müssen sich daher vermehrt mit Fragen der Bienenhaltung und Imker sich mit Fragen des ihre Tätigkeit regelnden Rechts auseinandersetzen.
Ernst Brandl und Philipp Klausberger haben es im vorliegenden Buch geschafft, den Rechtsrahmen so aufzubereiten, dass sich interessierte Imkerinnen und Imker rasch einen Überblick verschaffen können. Dabei helfen Ernst Brandls langjährige Erfahrung als Imker und Rechtsanwalt (unter anderem des Österreichischen Erwerbsimkerbundes) sowie Philipp Klausbergers Tätigkeit als Universitätslehrer und Autor wissenschaftlicher Publikationen.
Ich freue mich für die Imkerschaft Österreichs, dass es mit dem vorliegenden Buch nun einen leicht verständlichen und umfassenden Behelf gibt, um sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen vertraut zu machen. Dem aufmerksamen Leser wird er helfen, Streit zu vermeiden. Letztlich sollte das Imkern nämlich das bleiben, was es Jahrhunderte war: Arbeit mit und Freude an den wunderbaren Bienen im Einklang mit der Natur – und den Nachbarn.
Dipl.-Ing. Dr. Stefan Mandl
Präsident des Österreichischen Erwerbsimkerbundes
Vorwort
„Staat und Recht sind fad und schlecht“ – so können wir die Reaktion vieler Imkerinnen und Imker Österreichs zusammenfassen, wenn man sich als Jurist zu erkennen gibt. Rechtsvorschriften werden im Zusammenhang mit den – auf den ersten Blick – unscheinbaren Tieren, die keine Zäune und Grundgrenzen anerkennen, als Widerspruch in sich angesehen. Dazu kommt noch, dass das Selbstverständnis vieler Landwirte und Imker eng mit der Idee verbunden ist, man könne mit seinem Grund und Boden machen, was man wolle.
Für das friedliche Zusammenleben wenig hilfreich ist außerdem, dass landwirtschaftliche Arbeit und bürgerlich geprägte Lebensformen einander immer näher rücken, ja sogar verschmelzen. Gerade jene Menschen, die aus der Stadt aufs Land ziehen, sind oft besonders intolerant gegenüber den negativen Auswirkungen landwirtschaftlicher Tätigkeit, wie Lärm, Gerüchen oder tierischen Aktivitäten. Dies führt naturgemäß zu Konflikten. Um diese zu lösen, nehmen die Streitparteien immer öfter juristische Hilfe in Anspruch.
In unserem Buch haben wir nach einer einfachen Einführung in die wichtigsten Prinzipien der Juristerei für den Imker typische Themenbereiche skizziert, juristisch bewertet und Lösungen präsentiert. Ziel war es, unsere Leser und Leserinnen durch die Erklärung der rechtlichen Rahmenbedingungen in die Lage zu versetzen, Streit möglichst zu vermeiden.
Allen Interessierten wird klar sein, dass wir in einem Ratgeber nicht alle möglichen rechtlichen Probleme, die beim Imkern entstehen können, im Detail beschreiben und abarbeiten konnten und uns manches Problem vielleicht gar nicht bewusst war. Wir freuen uns daher über jede Person, die uns mit einschlägigen Fragen und Anregungen anspornt, das Werk durch weitere Auflagen zu verbessern.
Die Kontaktadresse lautet rechtfuerimker@btp.at.
Wir wünschen uns und Ihnen, dass Sie durch die Lektüre des vorliegenden Werks den Streit mit Ihrem Nachbarn oder Konkurrenten vermeiden können und sich stattdessen auf das Imkern bzw. die Pflege und Erhaltung der natürlichen Ressourcen konzentrieren können.
Wien/Krumau am Kamp, im September 2019
Ernst Brandl
Philipp Klausberger
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort
Vorwort
Einleitung
I. Die Biene und das Recht im Wandel der Zeit
II. Öffentliches Recht und Privatrecht
III. Bundesrecht, Landesrecht, Unionsrecht
IV. Einige juristische Grundbegriffe
A. Gesetze und Verordnungen
B. Behörde, Gericht, Organ
C. Bescheid
D. Klage, Urteil, Beschluss, Erkenntnis
E. Berufung, Rekurs, Beschwerde, Revision
F. Exekution
G. Verträge und Rechtsgeschäfte
H. Gewährleistung und Garantie
I. Verbraucher und Unternehmer
J. Schadenersatz
K. Dingliche Rechte
L. Bewegliche Sachen und unbewegliche Sachen
M. Besitz und Eigentum
N. Dienstbarkeiten (Servituten)
O. Grundbuch
P. Strafrecht
V. Begriffsbestimmungen
Rechtliche Rahmenbedingungen für das Halten von Bienen
I. Wer darf Bienen halten?
II. Grundbenützung
III. Raumordnung
IV. Bauordnung
A. Begriff
B. Baubewilligung
C. Regelungen in den einzelnen Bundesländern
V. Naturschutz
VI. Forstrecht
VII. Aufstellen und Kennzeichnen von Heimbienenständen
A. Mindestabstände
B. Größe der Bienenstände
C. Schutzgebiete
VIII. Meldepflichten
A. Veterinärrecht
B. Steuer- und Sozialversicherungsrecht
C. Sonstige Meldepflichten
D. Kennzeichnung
IX. Nachbarrecht
X. Erwerb von Bienen und Königinnen
A. Zugelassene Rassen
B. Erwerb von Bienen im Ausland
C. Kaufvertrag und Erfüllung
XI. Transport
XII. Wandern mit Bienen
A. Begriff
B. Voraussetzungen
C. Wanderkarten
D. Anzeige der Zuwanderung
E. Aufstellen von Wanderbienenständen
F. Kennzeichnungs- und Meldepflichten
XIII. Aufsichtspflichten
XIV. Raubbienen
XV. Tierschutz
XVI. Bienengesundheit
Rechtspositionen an Bienen
I. Besitz und Eigentum an Bienenschwärmen
II. Abwehr von Beeinträchtigungen
III. Schadenersatz
A. Deliktshaftung
B. Exkurs: Beweissicherung
C. Vertragshaftung
IV. Besitzstörung
Haftung des Imkers
I. Verwaltungsstrafrecht
II. Nachbarrecht
III. Schadenersatzrecht
A. Tierhalterhaftung
B. Sonstige Schutzgesetze
IV. Versicherung
Absatz von Bienenprodukten
I. Gewerberecht
II. Lebensmittelrecht
A. Bezeichnung
B. Nahrungsergänzungsmittel
C. Verpackung
D. Hygiene
III. Touristische Nutzung
IV. Werbung
V. Bio-Imkerei
Verbände und Vereine
I. Gründung von Vereinen
II. Rechte und Pflichten der Vereinsmitglieder
III. Leitungsorgan (Vorstand)
IV. Auflösung
Steuer- und Sozialversicherungsrecht
I. Einkommensteuer
II. Umsatzsteuer
III. Registrierkasse
IV. Sozialversicherung
Nützliche Links
Literaturtipps
Abkürzungsverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Die Autoren
Einleitung
I. Die Biene und das Recht im Wandel der Zeit
Schon seit alters her hält der Mensch Bienen, um ihre Produkte zu gewinnen und zu verwerten. Man kann also sagen, dass die Biene und die Menschheit schon lange kulturell verbunden sind. Wie die Bienenhaltung ist auch das Recht ein altes Kulturphänomen, und so wundert es nicht, wenn bereits im Altertum Juristen Rechtsprobleme der Bienenhaltung diskutiert haben. So erfährt man vom römischen Juristen Gaius, Bienen seien von ihrer Natur her Wildtiere: Lässt sich ein wilder Bienenschwarm in einem Baum nieder, so gehören diese Bienen nicht automatisch auch dem Eigentümer des Baumes. Eigentümer wird vielmehr, wer die Bienen einfängt. Entkommt ein eingefangener Bienenschwarm wieder in die natürliche Freiheit, geht das Eigentum verloren.
Einen ähnlichen Zugang hat das alte Deutsche Recht. Nach dem mittelalterlichen Rechtssprichwort „Die Biene ist ein wilder Wurm“, das etwa im sächsischen (Magdeburger) Weichbildrecht überliefert ist, zählen Bienen nicht zur Gruppe der Haustiere, sondern zur Gruppe der Wildtiere. Dementsprechend konnte man herrenlose Bienenschwärme in Besitz nehmen und sich dadurch aneignen. Entkommen die Bienen, so gewähren einzelne Rechtsquellen dem Eigentümer das Recht, die Bienen eine gewisse Zeit zu verfolgen.
Während sich die historischen Rechte primär mit Fragen der Eigentumszuordnung und der Haftung auseinandergesetzt haben, ist die Bienenhaltung heute wesentlich stärker rechtlichen Regelungen unterworfen. So nehmen öffentlich-rechtliche Regelungen verstärkt das „Wie“ der Bienenhaltung in den Blick. Dazu kommt, dass die Bienenhaltung eine Reihe von Rechtsmaterien berührt und sich so zu einer echten „Querschnittsmaterie“ entwickelt, also eine Tätigkeit, die in vielen unterschiedlichen Gesetzen geregelt ist. Um Imkerinnen und Imkern den Weg durch das immer unübersichtlicher werdende Dickicht von Regelungen zu bahnen, ist dieses Büchlein entstanden. Wir haben uns bemüht, die juristische Fachsprache allgemein verständlich zu machen, ohne freilich die notwendige Präzision außer Acht zu lassen. Sollte uns das im Großen und Ganzen gelungen sein, freut es uns. Für konstruktive Kritik sind wir jederzeit dankbar.
II. Öffentliches Recht und Privatrecht
Im vorigen Kapitel haben wir bemerkt, dass in letzter Zeit öffentlich-rechtliche Regelungen verstärkt das „Wie“ der Bienenhaltung in den Blick nehmen. Aber was versteht man überhaupt unter „öffentlichem Recht“?
Schon seit der Antike teilt man den Rechtsstoff grob in öffentliches Recht und Privatrecht ein. Das Privatrecht regelt im Wesentlichen die Rechtsbeziehungen Privater untereinander. Diese stehen einander grundsätzlich gleichgeordnet, auf Augenhöhe gegenüber. Anders ist die Lage im öffentlichen Recht: Hier tritt der Staat gegenüber dem Einzelnen als Träger von Hoheitsgewalt auf. Mit seiner Hoheitsgewalt kann der Staat öffentliche Interessen gegenüber einzelnen Privaten durchsetzen. Auch gehören zum öffentlichen Recht die Vorschriften des staatlichen Organisationsrechts. Diese legen die Staatsorgane fest, bestimmen deren Zuständigkeiten und regeln das Verfahren der Rechtssetzung. Öffentliches Recht wird von Verwaltungsbehörden vollzogen, während privatrechtliche Streitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten ausgetragen werden.
Im Zusammenhang mit der Bienenhaltung sind sowohl öffentlichrechtliche als aus privatrechtliche Vorgaben zu beachten.
Beispiele
• Schreibt etwa ein Bienenzuchtgesetz vor, dass bei der Aufstellung von Bienenständen, gerechnet von der Flugöffnung der Bienenstöcke bis zu den der Flugfront gegenüberliegenden Grundgrenzen, ein Mindestabstand von zehn Meter einzuhalten ist, so zählt dies zum öffentlichen Recht.
• Hält sich ein Imker nicht an diese Vorschrift, muss er mit staatlichem Zwang (etwa mit einer Verwaltungsstrafe) rechnen.
• Fühlt sich hingegen ein Nachbar des Imkers durch den Bienenflug gestört, so stehen einander dabei zwei Private gleichgeordnet gegenüber. Der Nachbar könnte etwa den Imker auf Unterlassung klagen, wenn er meint, der Bienenflug übersteige das ortsübliche Maß. Dieser (privatrechtliche) Streit ist vor den ordentlichen Gerichten auszutragen.
III. Bundesrecht, Landesrecht, Unionsrecht
Österreich ist ein Bundesstaat. Daraus folgt, dass die Kompetenz zur Gesetzgebung zwischen dem Bund und den Ländern geteilt ist. Wer für das Erlassen von Gesetzen zu bestimmten Themen zuständig ist, regelt das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG). Als Grundregel gilt, dass die Bundesländer für das Erlassen von Gesetzen zuständig sind, sofern nicht eine bestimmte Materie im B-VG ausdrücklich dem Bund zur Gesetzgebung zugewiesen ist. Dementsprechend hat jedes österreichische Bundesland sein eigenes Bienenzuchtgesetz. Dies sind:
• Für das Burgenland: Gesetz vom 26. November über die Bienenzucht (Bienenzuchtgesetz);
• für Kärnten: Gesetz vom 5. Juli 2007 über das Halten und die Zucht von Bienen (Kärntner Bienenwirtschaftsgesetz, B-BiWG);
• für Niederösterreich: NÖ Bienenzuchtgesetz;
• für Oberösterreich: Gesetz vom 15. April 1983 über das Halten und die Zucht von Bienen (Oö. Bienenzuchtgesetz);
• für Salzburg: Gesetz vom 3. November 1967 über die Regelung des Haltens und der Zucht von Bienen im Lande Salzburg (Salzburger Bienenwirtschaftsgesetz);
• für die Steiermark: Steiermärkisches Bienenzuchtgesetz – BZG;
• für Tirol: Gesetz vom 13. März 1980 über das Halten und die Zucht von Bienen (Tiroler Bienenwirtschaftsgesetz);
• für Vorarlberg: Gesetz über das Halten und die Zucht von Bienen;
• für Wien: Gesetz über die Haltung und Zucht von Bienen.
Für die Bienenhaltung spielt freilich auch eine Reihe von Materien eine Rolle, die im B-VG dem Bund zur Gesetzgebung zugewiesen sind. Dazu zählen etwa das Zivilrechtswesen, Gesundheitswesen, Veterinärwesen, Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle oder die Agenden des Tierschutzes. Die Bienenzuchtgesetze der Bundesländer können daher nicht alle Aspekte der Bienenhaltung regeln. Im Zusammenhang mit der Bienenhaltung sind insbesondere folgende Bundesgesetze beachtlich:
• Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
• Bundesgesetz vom 25. Mai 1988 über die Bekämpfung ansteckender Krankheiten der Bienen (Bienenseuchengesetz);
• Tierarzneimittelkontrollgesetz (TAKG);
• Verordnung des Bundesministers für Gesundheit über die Kennzeichnung von Schweinen, Schafen, Ziegen und Equiden sowie die Registrierung von Tierhaltungen (Tierkennzeichnungs- und Registrierungsverordnung 2009; TKZVO 2009);
• Bundesgesetz über den Schutz der Tiere (Tierschutzgesetz; TSchG);
• Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (LMSVG);
• Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über Honig (Honigverordnung).
Das gesamte Bundes- und Landesrecht ist unter www.ris.bka.gv.at frei im Internet zugänglich.
Als Mitglied der Europäischen Union muss Österreich zudem auch das Unionsrecht beachten. Im Wesentlichen unterscheidet man hier zwei Arten von Rechtsquellen: Die Richtlinie und die Verordnung. Eine Richtlinie gibt, wie der Name schon andeutet, eine Leitlinie für die nationale Gesetzgebung. Sie muss daher ins österreichische Recht umgesetzt werden. Tritt eine EU-Richtlinie in Kraft, haben die Mitgliedstaaten eine gewisse Zeitspanne, um die Richtlinie in ihr nationales Recht umzusetzen. In der Regel erlässt der Mitgliedstaat ein Gesetz, das die Richtlinie umsetzt, oder passt seine bestehenden Gesetze an die Vorgaben der Richtlinie an. EU-Verordnungen gelten dagegen unmittelbar in den Mitgliedstaaten, ohne dass sie in nationales Recht umgesetzt werden müssten.
IV. Einige juristische Grundbegriffe
„Rekurrieren, appellieren, reklamieren, revidieren, rezipieren, subvertieren, devolvieren, insolvieren, protestieren, liquidieren, exzerpieren, extorquieren, arbitrieren, resummieren, exkulpieren, inkulpieren, kalkulieren, konzipieren . . .“ Mit dieser Litanei an Fremdwörtern will der Anwalt (Advokat) Dr. Blind im ersten Akt der „Fledermaus“ Zeugnis seiner vielfältigen juristischen Kunstfertigkeiten abgeben. Auch wenn die Operette hier zu einer gewissen komischen Übertreibung neigt, indem sie mit stereotypen Vorurteilen gegenüber dem Juristenstand spielt, lässt sich doch ein wahrer Kern ausmachen: Die juristische Sprache ist technisch und wird daher oft als kompliziert empfunden. Zu allem Überfluss verwenden Juristen gerne Fremdwörter. Auch diese Eigenschaft nimmt die „Fledermaus“ auf die Schaufel. Aber für den Hang der Juristen zu Fremdwörtern gibt es eine einfache Erklärung: Unser Rechtssystem basiert teilweise auf dem Römischen Recht, und so kommt es, dass sich einige lateinische Begriffe in der Rechtssprache gehalten haben.
Als grobe Orientierung werden wir in der Folge einige juristische Grundbegriffe vorstellen. Diese kurze Einführung in die juristische Welt erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – sonst wäre dieses Buch erheblich dicker ausgefallen. Wer mehr wissen will, findet im Anhang Buchtipps.
A. Gesetze und Verordnungen
Im inhaltlichen (materiellen) Sinn versteht man unter einem Gesetz eine Rechtsvorschrift, die menschliches Verhalten regeln soll. Dabei handelt es sich um eine generell-abstrakt formulierte Regelung, die nach außen, also an die Bürgerinnen und Bürger gerichtet ist, deren Verhalten sie bestimmen will. Generell-abstrakt bedeutet, dass nicht einer bestimmten Person ein bestimmtes Verhalten aufgetragen wird. „Herr Mayer soll nicht zu schnell mit dem Auto fahren“ wäre dementsprechend keine generell-abstrakte Anordnung, weil sie sich nicht an die Allgemeinheit, sondern an eine bestimmte Person richtet. Dagegen ist eine Vorschrift, die es jedermann verbietet, außerhalb des Ortsgebiets auf Freilandstraßen schneller als 100 km/h zu fahren, ein Gesetz im materiellen Sinn.
In einer formellen Betrachtung stellt man darauf ab, ob ein bestimmter Rechtstext das von der Verfassung vorgesehene Verfahren der Gesetzgebung durchlaufen hat. Bundesgesetze müssen mit bestimmten Mehrheiten von Nationalrat beschlossen werden, den Bundesrat passieren, vom Bundespräsidenten unterschrieben und vom Bundeskanzler gegengezeichnet werden, damit sie im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden können. Erst wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, liegt ein Gesetz im formellen Sinn vor. Für den Erlass von Landesgesetzen sieht die Verfassung eigene Gesetzgebungsverfahren vor. Die Städte und Gemeinden haben in unserer Verfassung keine Kompetenz zur Gesetzgebung. Im formellen Sinn gibt es daher Bundes- und Landesgesetze, aber keine Gemeindegesetze.
Verordnungen werden dagegen nicht vom Gesetzgeber, sondern von einer Verwaltungsbehörde erlassen. Sie sind daher im formellen Sinn keine Gesetze. Verordnungen können Gesetze präzisieren oder ergänzen. Eine Durchführungsverordnung, die ein Gesetz präzisiert, darf jede Verwaltungsbehörde in ihrem Wirkungskreis erlassen. Verordnungen, die über das bloße Präzisieren von gesetzlichen Regelungen hinausgehen, bedürfen einer besonderen Ermächtigung durch die Rechtsordnung. So sieht etwa die Bundesverfassung vor, dass Gemeinden in ihrem eigenen Wirkungsbereich sogenannte „ortspolizeiliche Verordnungen“ zur Abwehr oder Bekämpfung gemeindespezifischer Gefahren oder Missstände erlassen. Durch solch eine Verordnung kann beispielsweise der Konsum alkoholischer Getränke an bestimmten Orten untersagt oder können geräuschintensive Tätigkeiten wie das Rasenmähen auf bestimmte Zeiten eingeschränkt werden.
B. Behörde, Gericht, Organ
Als Behörde bezeichnet man eine von der Rechtsordnung ermächtigte Stelle, die einseitig verbindliche Rechtsakte setzen, Anordnungen erlassen und diese allenfalls mit Zwangsmitteln durchsetzen kann. Behörde ist der Oberbegriff für zwei verschiedene Behördentypen: Öffentliches Recht wird zunächst von Verwaltungsbehörden vollzogen. Diese sind in der Regel weisungsgebunden. Privatrecht wird durch Gerichte (Justizbehörden) vollzogen. Gerichte sind typischerweise weisungsfrei, Richter nach ihrer Ernennung unabsetzbar und unversetzbar.
Die Organisation der Verwaltungsbehörden ist etwas komplex. Wir haben bereits erwähnt, dass in Österreich aus dem bundesstaatlichen Prinzip die Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern geteilt ist. Dies gilt auch für die Verwaltung: So gibt es in Österreich sowohl eine Bundes- wie eine Landesverwaltung. Als Zwischenstufe existiert die sogenannte mittelbare Bundesverwaltung: Hier übt zwar der Bund die Verwaltung aus, bedient sich dabei aber der Behörden eines Landes. Daneben existiert noch die Selbstverwaltung der Gemeinden: Aufgaben wie die örtliche Baupolizei, die örtliche Raumplanung, die örtliche Sicherheitspolizei oder die örtliche Abfallwirtschaft darf die Gemeinde autonom vollziehen, ohne dass sie dabei Weisungen von außen unterliegt. Je nach Materie muss man sich also etwa an die Bezirkshauptmannschaft, an den Bürgermeister, an die Landesregierung oder gar an die Bundesregierung wenden.
Die ordentlichen Gerichte sind in vier Stufen organisiert. Auf der untersten Stufe stehen die (derzeit) 115 Bezirksgerichte, darüber 20 Landesgerichte. Über den Landesgerichten stehen die vier Oberlandesgerichte in Wien, Linz, Graz und Innsbruck. An der Spitze der Gerichtsorganisation befindet sich der Oberste Gerichtshof in Wien. Im Wesentlichen werden nur die Bezirks- und Landesgerichte auch in erster Instanz tätig. Die Oberlandesgerichte sowie der Oberste Gerichtshof sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – als Rechtsmittelgerichte tätig. Das heißt, sie überprüfen auf Antrag einer Verfahrenspartei die Entscheidung eines untergeordneten Gerichts.
Will man einen Rechtsstreit vor Gericht bringen, so muss man ermitteln, welches Gericht dafür zuständig ist. Dabei unterscheidet man die örtliche und die sachliche Zuständigkeit. Sachliche Zuständigkeit meint, welcher Gerichtstyp für das Verfahren zuständig ist. Grob vereinfacht gesagt sind Streitigkeiten, bei denen es um mehr als € 15.000,– geht, bei den Landesgerichten angesiedelt. Kleinere Streitigkeiten werden vor den Bezirksgerichten verhandelt. Daneben gibt es aber eine Reihe von Verfahren, für die unabhängig vom Streitwert jedenfalls das Bezirksgericht zuständig ist.
Um die örtliche Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts zu ermitteln, ist das Bundesgebiet in Gerichtssprengel eingeteilt. Im Allgemeinen richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Beklagten: Der Wohnsitz des Beklagten bildet den allgemeinen Gerichtsstand. Daneben gibt es aber auch eine Reihe von Sonderzuständigkeiten: So gehören etwa Streitigkeiten um Rechte an Grundstücken vor das Gericht, in dessen Sprengel das Grundstück liegt.
Behörden sind Rechtsgebilde. Sie können nicht selbst handeln, sondern brauchen Menschen, die für sie handeln. Personen, die von der Rechtsordnung ermächtigt sind, Rechtsakte zu setzen, nennt man Organe.
Beispiel
So ist etwa der Bezirksrichter ein Organ, das Urteile fällen darf. Der Bezirkshauptmann ist ein Organ, das im Zuständigkeitsbereich der Bezirkshauptmannschaft Bescheide erlassen darf.
Meint man eine bestimmte Person, die eine Organfunktion innehat, so spricht man von einem Organwalter:
Beispiel
Herr Mayer, der das Amt des Bezirkshauptmanns in X bekleidet, ist dementsprechend Organwalter.
C. Bescheid
Bescheide sind Entscheidungen oder Anordnungen von Verwaltungsbehörden, die sich an eine bestimmte Person richten. Bescheide sind normativ, sie begründen, ändern oder gestalten verbindlich bestimmte Rechtsverhältnisse. In Bescheidform können etwa Bewilligungen erteilt oder Verwaltungsstrafen verhängt werden. Auch schreibt das Finanzamt etwa die Einkommensteuer mit Bescheid vor.
Bescheide müssen von einer Behörde erlassen sein und sich an einen bestimmten Adressaten richten. Der Bescheid muss von einer bestimmten Person unterschrieben sein, die von der Behörde dazu ermächtigt ist. Da für einen Bescheid wie gesagt eine normative Anordnung charakteristisch ist, muss jeder Bescheid auch solch eine Anordnung enthalten. Diesen Teil des Bescheides nennt man Spruch. Im Spruch ordnet die Behörde etwa an, dass dem Adressaten eine Baubewilligung erteilt wird oder dass der Adressat einen bestimmten Betrag an Steuern zahlen muss. Knüpft die Behörde ihre Anordnung an Bedingungen, Befristungen, Auflagen oder Widerrufsvorbehalte, so muss auch dies im Spruch festgehalten werden.
Bescheide müssen nach dem Gesetz als Bescheide bezeichnet sein. Allerdings ist ein Bescheid nicht schon deshalb unwirksam, wenn das Wort „Bescheid“ fehlt, solange er unmissverständlich eine normative Anordnung enthält. Bescheide müssen im Allgemeinen begründet sein. Nur für den Fall, dass einem Antrag vollinhaltlich stattgegeben wird (und keine Gegenanträge vorliegen), darf die Begründung entfallen.
Im Allgemeinen werden Bescheide schriftlich erlassen.