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Zweite Auflage, überarbeitet und ergänzt

Copyright © 2018

bei Volker Griese.

Satz und Einbandgestaltung Volker Griese.

Einband: Wankendorfer Windmühle,

Aquarell von Karl Schnack 1940er Jahre

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt.

Alle Rechte, auch die der Einspeicherung und Rückgewinnung

in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

ISBN 978-3-7481-8738-7

Der Historiker kann und braucht nicht alles

aufs Gewisse zu führen; wissen doch die Mathematiker
auch nicht zu erklären, warum der Komet

von 1770, der in fünf oder elf Jahren wiederkommen
sollte, sich zur bestimmten Zeit noch nicht

wieder hat sehen lassen.

(J. W. v. Goethe)

Das ist dabei das Allerwichtigste,

was aber von gar keiner Bedeutung ist.

(J. G. A. Galleti)

Neue Blicke durch die alten Löcher.

(G. Ch. Lichtenberg)

INHALT

Mien lüttes Dörp

Mien lüttes Dörp, büst Heimat mi;

ick föhl so borgen mi in Di!

Schmuck liggst Du dor – an blaue Seen, –

un ick – kenn jeden Weg und Stehen …

De groote Welt mit Streß un Larm

is gegen Di, mien Dörp, so arm!

Ick heff Di geern, wiel Du man kleen;

dat »Groote« deit dat nich alleen …

As Kind heff ick all in Di speelt,

un weer ick weg, hest Du mi fehlt,

denn du giffst Freeden, Du giffst Roh

un mookst dat Hart mi licht un froh …

De Tied verännert Dien Gesicht:

Du kreegst intwischen Neonlicht. –

Und wo mol Koppsteenploster weer,

dor hest Du Strooten hüüt ut Teer …

Müß ook so mennig Oles wieken

för niede Hüüser un Fabriken,

denn is, lütt’ Dörp, mi lang all kloar:

Du büst noch schmucker woarn, – förwoahr!

Ick tuusch Di nich mol in för Geld,

denn Du, lütt’ Dörp, büst miene Welt …

(Helmut und Waldtraud Quade) 1

WANKENDORF EIN ÜBERBLICK

Luftbildaufnahme Anfang der 1960er Jahre.

Bundesland: Schleswig-Holstein

Kreis: Plön

Amt: Bokhorst-Wankendorf

Koordinaten: 54° 7' N, 10° 13' O

Höhe: 42 m ü. NN

Fläche: 13,34 km2

Einwohner: 2954(31. Dezember 2016)

Bevölkerungsdichte: 221 Einwohner je km2

Postleitzahl: 24601

Vorwahl: 04326

Kfz-Kennzeichen: PLÖ

Luftbildaufnahme 2007, © Kieler Nachrichten.

VORBOTEN

Wankendorf, Wanikendhorpe – einer Theorie nach von einem Kolonisator Namens Waniko abgeleitet, oder einer anderen Theorie folgend auch slawischen Ursprungs, nach einem Führer mit Namen Wanek benannt – wurde erstmals am 6. Februar 1316 urkundlich erwähnt. Eher beiläufig fällt der Name: Sieben Dörfer wechselten ihren Besitzer. »… dhat leyde twishen Lubecke vnde hamborch, dhat greue iohan vnd sin sone greue alf hadden, dhat kerspel tho bramzsthede, dhat kerspel tho dher koldenkerken, dhat kerspel tho segheberghe, dhat kerspel to bornehouede ane dessen seue dhorp, Rodewinkele, prodole, wanikendhorpe, stholpe, Crummendyke, Conradistorpe vnd suwelshorst […]«2 Herausgelöst aus dem Kirchspiel Bornhöved und dem Hause Holstein-Segeberg wurden sie der Plöner Linie der Holsteiner Grafen, dem Schauenburger Johann dem Milden (*~1297 †1359) zugesprochen. Ausschlaggebend für die große Landesteilung zwischen den Schauenburger Grafen Gerhard III. und Johann III., in dessen Rahmen auch das Kirchspiel Bornhöved den Besitzer wechselte, war das Aussterben der Segeberger Linie der Schauenburger mit dem Tod von Adolf V. 1308. Das Gebiet um Wankendorf war demnach schon allgemein bekannt und von politischem sowie wirtschaftlichem Interesse.

Doch schon in der mittleren (10000–3000 v. Chr.) und in der jüngeren Steinzeit (3000–1800 v. Chr.) wurde das Wankendorfer Gebiet zeitweise besiedelt, wovon zahlreiche Bodenfunde Zeugnis geben. Der älteste nachgewiesene Siedlungsplatz lag am Perdoeler Weg auf dem Gelände der ehemaligen Gärtnerei Lehmann (Perdoeler Weg 29–35) und zahlreiche Fragmente von Steinzeitbeilen, Schabern, Messern und Bohren wurden auf der Gemarkung ›Veerblöcken‹ zum Stolper See hin gefunden. Beim Abtragen eines Walles, gelegen an der Bornhöveder Landstraße, entdeckte man einen Dolch, der als »das schönste Stück seiner Art im ganzen Kreis«3 gilt. Der damalige Leiter des Plöner Kreismuseums bezeichnete den Erschaffer als »Meister von Wankendorf«.4

Dass die Region nicht ganz abseits der Weltströmungen lag, zeigte sich bei Ausgrabungen im Verlauf von archäologischen Untersuchungen an der Baustelle der B404 zur A21 bei Depenau/Nettelau. Gefunden wurden römische Importwaren wie eine Gürtelschnalle, Fibeln, ein Bronzering und sogar ein römischer Silberdenar aus der Zeit 164–169 n. Chr. Die Römer hatten zwar den Norden Germaniens nie unter ihre Kontrolle bekommen, doch der Handel schien zu blühen.

Ein erstes größeres Ereignis im Gebiet um Wankendorf war ein militärisches: 798 kam es im 5 km entfernten Bornhöved zu einer Schlacht zwischen nordelbischen Sachsen und den mit den Truppen des deutsch-römischen Kaisers, Karl dem Großen, verbündeten Slawen auf der anderen Seite; Die Sachsen wurden geschlagen. Nach der Ermordung des Slawenfürsten Thrasucko durch Anhänger des Dänenkönigs wurden die Gebiete Holstein und Stormann dem Frankenreich einverleibt und die Bevölkerung vertrieben, verschleppt und ermordet. Das Gebiet um Wankendorf lag nun direkt an der Grenze zum slawisch beherrschten Bereich. Umgeben von den slawischen Siedlungen Perdoel (vor dem Tale), Stolpe (hochgelegen), Belau (weiß glänzend) und dem Schierensee (an der schieren Grenze) lag Wankendorf an der Ostgrenze des Limes Saxonia.5 Diese, von Karl dem Großen errichtete und umkämpfte Grenze zwischen Slawen und Sachsen wurde vor allem durch Sümpfe, Seen und Urwald gebildet und nahm ihren Verlauf von der Trave, der Tensfelder Au folgend, entlang der alten Schwentine zur Kieler Förde. Wohl zurzeit des Schauenburgers Adolf II. (*1130 †1164) wurde dann Mittel- und Ostholstein durch Holsteiner, Westfalen und Holländer kolonisiert, und das den Slawen abgerungene Land mit einem Netz von Bauernstellen überzogen.

Besondere Bedeutung erlangte die Region in den Jahren von etwa 1397 bis 1470, als die holsteinischen Ritter sowie Abgeordnete der Städte und Klöster, in der Gemarkung Ruhwinkel, am ehemaligen Heerweg zwischen Bornhöved und Perdoel gelegen, ihre jährliche Landesversammlung auf dem ›Vier‹ oder ›Vierth‹ abhielten. Hier auf der Feldmark an der Grenze zum heutigen Kreis Segeberg hielten die holsteinischen Städte sowie der Adel und die Prälaten ihre dem heutigen Landtag vergleichbaren Sitzungen ab, in denen Gericht gehalten und zu politischen Fragen Stellung bezogen wurde.

Zieht man die Schlacht 1227 zwischen Schauenburgern und Dänen vor den Toren Bornhöveds und noch das 1813 in der Nachfolge des Napoleonischen Russlandfeldzuges stattfindende Gefecht zwischen Dänen als Verbündete Napoleons und Schweden als Anhänger Russlands heran, so liegt die Region Wankendorf, im weitesten Sinne, am Rande kulturhistorischen Bodens.

Die Jahre um 1350 waren gekennzeichnet durch die in Mitteleuropa wütende Pest, die nahezu die Hälfte der gesamten Einwohner dahinraffte und zum Teil ganze Landstriche für Jahrzehnte veröden ließ. Wankendorf überlebte als Ort; an die etwas nördlicher gelegene Ortschaft Düdendorf erinnert nur die Überlieferung mit Resten von Ziegelsteinen (siehe dazu auch unter: Sagen). Auch das noch bis ins 15. Jh. nachgewiesene Ebendorf starb aus; übrig blieb nur der Name Obendorf.

Die Besiedelung Holsteins (nach U. Lange: Geschichte Schleswig-Holsteins,1996).

DIE ZEIT DER LEIBEIGENSCHAFT

Bereits im Jahre 1199 wurde Perdoel urkundlich erwähnt. Von diesem adligen Herrensitz aus entstanden in der Folgezeit das adelige Gut Depenau (1551), die Meierhöfe Löhndorf (kurz vor 1646), Bockhorn (1717), Diekhof (1800) und Schönböken (1800). Wankendorf, wie auch Stolpe, waren mit der Gründung von Gut Depenau dessen Gerichtsbarkeit unterstellt. Kennzeichnend für diese Zeit war die sich mehr und mehr bildende Erbuntertänigkeit und der Frondienst für das adelige Gut.

Als ab Mitte des 16. Jh., in den Jahren der sogenannten Preisrevolution, die Getreide- und Viehpreise über 300% anzogen, im selben Zeitraum die Löhne annähernd gleich blieben, wurde Grundbesitz ein kostbares Gut. Nur wer sich selbst mit Nahrungsmitteln versorgen konnte, war imstande, der Entwicklung zu trotzen. Verständlicherweise ging mit der sich stufenweise herausbildenden Lage ein Preisanstieg für Grund und Boden einher. Besondere Gewinner der Entwicklung waren dabei die freien Bauern und auch die Gutsbesitzer.

Auslöser des Ganzen waren neben Missernten vor allem die sich nahezu verdreifachende Bevölkerung, was zu einer enormen Nachfrage an Nahrungsmitteln führte. Mit der anziehenden Konjunktur waren die Gutsbesitzer nun bemüht, möglichst viele Ländereien unter ihre Kontrolle zu bekommen und selber zu bewirtschaften. Die bisher erfolgten Abgaben der Bauern an den Gutsherrn traten zunehmend in den Hintergrund. So kam es immer öfter zur Niederlegungen / Auflösungen von Hufenstellen, dem sogenannten Bauernlegen, ja sogar von ganzen Dörfern, deren Ländereien dann durch das Gut bearbeitet wurden.6 Auch versuchte der Gutsbesitzer seinen bisher verstreuten Besitz, um das Hauptgut zu sammeln.

Zur Bewirtschaftung der immer größer werdenden Gutsländereien bei gleichzeitig abnehmenden Hufenstellen fehlte es zunehmend an Arbeitskräften. So wurde die Einführung der Leibeigenschaft7 im 16. und 17. Jh. verstärkt vorangetrieben8 und dabei die Betriebe der übriggebliebenen Bauern zudem streng auf den Gutsbetrieb ausgerichtet: Es mussten verstärkt Hand- und Spanndienste geleistet, mehr Pferde gehalten und mehr Dienstvolk auf den Höfen beschäftigt werden, als zum eigenen Bedarf notwendig war. Im Gegenzug zur Unterhaltung des notwendigen Personals und der eigenen Familie überließ der Gutsherr ihnen Hof mit Vieh, Land und Gebäuden zur Bewirtschaftung. Damit einher ging der Schollenband. Die Untertanen konnten sich nicht ohne Genehmigung seitens des Gutsherrn aus dessen Bezirk entfernen, durften ohne seine Zustimmung nicht heiraten und keinen Beruf aus eigener Wahl ergreifen.9 Als Gegenleistung galt die Konservation: Der Herr hatte ihnen bei nicht selbstverschuldeten Problemen wie schlechte Ernte, Viehsterben o.ä. beizustehen, die Armen- und Medizinalpflege oblag ihm, für Schulunterricht hatte er zu sorgen sowie für den Unterhalt der Gebäude.

Der ehemalige Oberst Joachim v. Brockdorfff, von 1681 bis 1719 Besitzer von Gut Depenau, vergrößerte seinen unmittelbaren Besitz, indem er das Dorf Horst mit fünf Hufen auflöste – 1680 drei und nach 1700 zwei – um mit den Ländereien einen zum Gut zugehörigen Meierhof zu errichten. Die ihrer Ländereien verlustig gegangenen Hufner wurden nach Wankendorf und Stolpe umgesiedelt und zum Teil zu Insten. Dazu mussten die dortigen Bauern Ländereien abgeben (jeder Inste hat Anspruch auf ein Stück Land zur Eigenbewirtschaftung) und zudem noch die Arbeit (Hofdienste) der ehemaligen Hufner mit übernehmen.

Als Anfang einer wirtschaftlichen Verbesserung seines Besitzes gedacht, sollte es für Oberst Brockdorfff allerdings anders kommen. Es war vielmehr der Anfang einer unendlichen Geschichte von Leid und Aufruhr. Und selbst in die Literatur – in der Beschreibung der Jugend der späterin Gräfin Cosel, Brockdorfffs Tochter – ist dies unvermeidlich eingegangen.10

Die Auflösung des Dorfes Horst ist nur erst der Anfang. Bis 1706 wurden immer wieder den Stolper und Wankendorfer Bauern Ländereien abgenommen und zum Teil daraus Heuerstellen geschaffen. Diese wiederum waren von Hofdiensten ausgenommen; sie entrichteten ihre Leistungen gegenüber dem Gutsherrn ausschließlich in Form von Geld. Es kam Neid auf. Zudem deren Ländereien im Zuge der Hofdienste von ihnen kultiviert und später dann öfters an Ortsfremde verhäuert wurden. Ein späterer Untersuchungsbericht berichtet von insgesamt 10 fraglichen Ländereien um die gestritten wurde.

Zwar nahm das Land und die Zahl der gutsuntertänigen Bauern ab, doch mussten im selben Augenblick zusätzliche Pferde und Personal vorgehalten werden, um den immer stetiger zunehmenden Belastungen der Hofdienste Folge leisten zu können. Denn die zunehmenden Gutsländereien mussten bewirtschaftet werden. Von einem Gespann und drei bis vier Knechten, die für das Gut abzustellen waren, erhöhte Brockdorfff die Forderung auf zwei Gespanne – mit ausdrücklich sechs Pferden – sowie sechs bis sieben, ja manchmal gar acht Personen. Und welcher Bauer dieser Forderung nicht entsprechen konnte, der musste selbst mit auf den Gutsländereien arbeiten; oftmals waren so während der Ernte vier Tage für die eigene Arbeit verloren. Immer öfter gab es nun Probleme die eigene Versorgung sicher zu stellen.11 Versuche, sich dagegen zu wehren, wurden zunächst unter Androhung von Waffengewalt im Keim erstickt: »ick hebbe im Krieg west, und hebbe so veel doot scheten, un so veel doot scheeten sehn, wo schul ick ju denn nich scheeten.« Worauf der so angesprochene Bauernvogt nur antworten kann: »Her Obrister, en underdahn is doch keen Hundt.«12

Da Brockdorfff seine Untertanen als völlig rechtlos erachtete, versuchten viele der Willkürherrschaft zu entfliehen. Brockdorfff setzte alles daran, die sich innerhalb Schleswig-Holsteins aufhaltenden Entflohenen aufzuspüren und mit Greiftrupps zurückzuholen. Das erfuhr auch Hinrich Löhndorf der Ältere, der sich am 25. Februar 1702 mit Frau und seinen drei Söhnen und den wenigen Habseligkeiten, die sie besaßen, auf den Weg in eine erhoffte bessere Zukunft begab und Wankendorf den Rücken kehrte. Am 21. Juli des selben Jahres wurden sie aus dem Amt Trittau zurückgeholt und nur wenig später fand der gegen sie angestrengte Prozeß statt. Da es ihnen, nach Aussage des Gutsherrn, nicht an Lebensmitteln gefehlt hatte, sie auch nicht zu hart angefaßt worden waren, »blieb also nur Flucht aus Bosheit«.13 »Sie haben harte Strafe verdient, unter Umständen sogar Staupenschläge und Brandzeichen.« Das Urteil wurde am 14. September 1702 gesprochen und lautete auf vier Wochen Gefängnis für den Vater. Die Söhne wurden zwischen zwei und vier Wochen in einem Festungsbau an den Karren gespannt. Dabei war das Recht auf der Seite des Gutsherrn, denn die Verfassung schützte die Leibeigenschaft: »Entflohene Leibeigene müssen ausgeliefert werden. Die Verjährungsfrist, nach deren Ablauf das Rückforderungsrecht erlischt, beträgt für Verheiratete 10, sonst 31 Jahre.«14 Aber nur wenigen war es vergönnt, sich wirklich zu befreien.

Dergestalt sieht der Boden aus, auf dem das Folgende sich abspielte. Doch lassen wir einmal die Fakten in all ihrer altertümlichen Formulierung sprechen. Sie entstammen einem Untersuchungsbericht des damaligen staatlichen Anklägers, dem »hochfürstlichen Obersachwalter« Hatto Petrejus aus dem Jahre 1707.15

Schon recht schnell wurde Petrejus die besonders ausgeprägte absolutistische Herrschaft Joachim v. Brockdorfffs klar. Nicht nur dass er willkürlich durch Wegnahme von Ländereien seine Untertanen in deren Bewirtschaftung geschwächt hatte, dass sie »für ihre Pferde und Vieh […] des Sommers keine genügsame Weide und des Winters wenig oder kein Futter gehabt, daß Pferde und Vieh im Felde laufen, verderben und nicht unselten gar krepieren müssen. Es finden sich dieser Stunde verschiedene Hufner im Gute Depenau, welche nur 4, 3, ja nur 2 Kühe haben und sich beklagen, nicht so viel Butter machen zu können, als sie ihren Leuten, so zu Hofe gehen, mitgeben müssen.« Der Gutsherr hatte auch entschieden gegen seine Pflicht zur Konservation, zur Unterstützung seiner Untertanen, verstoßen. »Fällt eine Kuh oder ein Pferd ihnen weg, so gibt der Herr Obrister ihnen keines wieder, sondern sie müssen sehen, wo sie eines herbeischaffen. Vielmehr, wann dem Herrn Obrister selbst seine Kühe wegfallen, so nimmt er, der Untertanen Bericht nach, von der Untertanen ihren, und ersetzet seinen erlittenen Abgang damit. Es möge nun einer was verbrochen haben, und des convinciret [geschmäht] sein oder nicht, er möge sich auf seine Unschuld berufen wie er wolle, so trifft alle Untertanen die Wegnehmung der Kühe, der nur eine gute hat und sollte der Vorwand auch nur sein, die Untertanen haben ihm Kühe totgehext, darum er nehme sie wieder. […] Hans Löhndorf und seine Kinder, Hans und Detlef, zwang er, ein Stück Land auszuroden, um es ihnen nach getaner Arbeit sofort wieder wegzunehmen. Die beiden Söhne Hans und Detlef sollten je eine »verwüstete«, heruntergekommene, da nicht bewirtschaftete Hufe annehmen. Und Joachim Duggen aus Horst, erfuhr körperliche Mißhandlung, als Brockdorfff ihn zwang, eine Hufe in Wankendorf anzunehmen. | Über dieses alles hat der Herr Obrister auch particuliere Hauswirte und Untertanen, von welchen er die Gedanken gehabt, daß sie noch was hätten, sehr gedrücket, und nicht nachgelassen, bis er sie nebst den anderen niederträchtig gemacht. […] Aßmuß Lütje Johann aus Wankendorf, weil er durch Unglücksfall in die Hand der Ärzte geraten, hat er sofort mit seiner Frau von der Hufe geworfen, all das seinige ihm genommen, daß er für seine 5 Kinder Brot betteln müssen, die nun alle zu Hofe gehen. […] Einen Untertanen Jochim Dugge, […] hat der Herr Obrister auf öffentlicher Heerstraße, da er ihm ungefähr begegnet, […] in Bande und Gefängnissen legen, und nicht eher erlassen wollen, bis die Frau mit allen Kindern sich ihm zu eigen mitgeben müssen. Über solche dergleichen Bestrafungen und harte Executiones an den Untertanen ist niemals von ihm ordentlich producirt [Protokoll geführt], oder Ding und Recht gehalten, weniger ein Urteil gesprochen worden, sondern das hat alles so seinen Fortgang haben müssen.«

Als Vorspiel des Folgenden ist der 16. Oktober 1706 zu erwähnen, als der Feldaufseher Heinrich Tietgen den Pflugtreiber – der letzte Roggen wird auf dem »Wattkamp« eingebracht – zur Schnelligkeit vermahnte. Der, nicht willens, erhielt wegen Widerspenstigkeit mit der Spießrute, eine Weidengerte, eins über den Rücken und wegen Widerrede noch eine Ohrfeige dazu. Tietgen revanchierte sich, und schlägt dem Aufseher mit dem Pflugstöcker, einem Stock mit einer Querscheide aus Eisen, auf den Kopf, dass Blut floss.16 Man war nicht zimperlich in dieser Zeit.

Nachdem die Willkür durch den Gutsherrn ein unerträgliches Maß angenommen hatte und die Versorgung auf unterem Niveau angelangt war – auch sechs Knechte auf einmal der Leibeigenschaft entflohen – beschlossen insgesamt 23 Wankendorfer und Stolper ihre Lage an die Öffentlichkeit zu bringen. Sie begaben sich um den 11. November 1706 nach Kiel, wo ihnen ein »Schulmeister« eine Bittschrift an die Behörde aufsetzte. So weit, so gut. »Es ist aber ein Mann in ihr Quartier zu sie gekommen, hat sich mit ihnen in Gespräch eingelassen, ihnen vorgestelt, wie sie nicht allein nichts ausrichten, sondern auch Gefahr schwerer Ungnade zu erwarten, das Armenrecht [die sog. Konversation] aber nicht bekommen würden«.17 Dergestalt in Zweifel gekommen und da sie auch kein Geld zur Aufnahme eines Gerichtsprozesses besaßen, beschlossen sie, unverrichteter Dinge wieder nach Hause umzukehren.

Man versuchte es nunmehr auf direktem Wege, nicht ohne sich zuvor bei einer Zusammenkunft auf freiem Felde den gegenseitigen Beistand mit dem eidlichen Schwur zu versichern »so wahr ihnen Gott helfe«.

Hufner und Knechte begaben sich auf das Gut nach Depenau, um ihr Anliegen vor ihren Dienstherrn vorzubringen, dass der Gutsherr »doch die Hofdienste etwas mindern, die Arbeit denen jüngeren Leuten nicht zu schwer auflegen und von ihnen abgenommenen Ländereien ihnen etwas wiedergeben möchte; so wollten sie nach wie vor als redliche Unterthanen aushalten.«18 Doch Joachim v. Brockdorff fand es nicht notwendig, auch nur einen einzigen der Männer vor sein Angesicht treten zu lassen. Die in Kiel aufgesetzte Bittschrift wurde ihm zwar ins Haus gesandt, doch gelangte sie ohne Kommentar wieder an die Adressaten zurück. Nicht nur hat man nichts erreicht, nein, der Gutsherr fühlte sich auch bemüßigt, von Neuem seine Macht zu demonstrieren. Doch auch die Gegenseite fühlt sich stark. Am 13. Dezember erschienen Bauernvögte, Hufner und Knechte, über 60 Personen, mit Beilen, Forken und Knüppeln auf dem Gut und drohten ihrem Herrn und seinen Aufsehern die Köpfe entzweizuschlagen. Nicht länger wollten sie sich derart quälen lassen.19 Nach dieser Machtdemonstration zogen sich die Aufsässigen zurück nach Stolpe, wohin sie zuvor einige Fässer Bier hatten holen lassen. Zwei Tage wurde gefeiert und auch in den darauf folgenden Tagen wurden die Hofdienste zunächst nur nach eigenem Ermessen und unregelmäßig geleistet.20

Es war die Zeit des Kieler Umschlages, das letzte Wochenende im Februar 1707, an dessen Festlichkeiten Joachim v. Brockdorff mit seinem Gefolge, darunter 11 Knechte allesamt aus Stolpe und Wankendorf stammend, teilnimmt. Und da nach dem Vorgefallenen einmal ein Exempel statuiert werden musste, so ließ er einfach sechs der Knechte in der Kieler Hauptwache gefangen setzen und ihren Bauern daheim die Botschaft mitteilen, dass sie kommen und die Personen losbürgen sollten, andernfalls könnten diese gehen, wohin sie wollten.

Nur kurze Zeit später, wieder von Kiel auf Depenau eingetroffen, forderte Brockdorff alle Bauern auf, zum Gut zu kommen. Diese wiederum folgten dem Befehl und wählten vor Ort aus ihren Reihen fünf Personen aus, sich das Ansinnen des Herrn anzuhören und im Gegenzug ihre Bitten vorzutragen. Doch als sie ihm darlegten, dass sie seine Befehle und das ihnen in den letzten Jahren Zugemutete nicht aushielten und noch einmal um Minderung der Hofdienste baten, blieb der Gutsherr hart: Seine Befehle wären ohne Widerrede auszuführen, andernfalls sollten sie sich gleich vom Hof scheren, er würde sie schon zu zwingen wissen. »Diese ganz consternirt, haben ihres Flehens unerachtet, damit fortgehen müssen. Doch wie dieses den anderen kund gemachet, haben sie ihr Heil noch weiter versuchen wollen, und sind ihrer zwene mit den Brüdern recht vor dem Hause stehen geblieben, bis der Herr Obrister ihrer wieder ansichtig geworden. Da er sie gefraget, was sie wollten, diese hergegen geantwortet haben sollen, daß sie gerne mit dem Herrn Obrister sich wieder vertragen wollten etc., so er aber nicht anhören wollen, sondern mit drohendem Gesichte ihnen geboten: schert weg, schert weg, die denn sich vor seiner Strenge, vor Gefängnis, Bande und Plagen fürchtend vom Hofe gleichsam weggeflogen.«

Dergestalt ohne jeglichen Erfolg zurückgekehrt, wurde wenig später auf freiem Felde eine Abstimmung unter Leitung beider Bauernvögte21 – Asmus Horst aus Wankendorf und des Stolper Marx Thee (Theden) – durchgeführt. Der Entschluss stand fest, und alle Hufner waren sich darin einig, zunächst das ihnen vom Gutsherrn abgenommene Land der neuen Heuerstelle Kuhlrade und die zur Heuerstelle Vehrenrögen geschlagene Zimmermannskoppel erneut in Besitz zu nehmen, dabei sich gegenseitig beizustehen, was auch immer kommen möge. Auch die Knechte – »wie der Herr so’s Gescherr« –, beteiligten sich an diesem Bündnis oder »Complot«, wie es die andere Seite sah.22 Zur Abstimmung trugen vier Knechte einen Teller herum und jeder Hufner stimmte dem Entschlusse zu, indem er einen Strich darauf zog. Damit war das Bündnis beschlossen: Sie standen somit »alle vor einen Mann und wer einen anrühret, der rühret sie alle an.«23

Zuvor wurde noch einmal der Bornhöveder Pastor, in dessen Kirchspiel die Ungeheuerlichkeiten von statten gehen, als Vermittler eingeschaltet. Er sollte noch einmal »um Linderung der Auflagen und Restituirung einiger abgenommenen Ländereien« inständig bitten. Der Erfolg war gleich null. Vielmehr durfte der so Bemühte eine offene Drohung Brockdorffs ausrichten –: Er, der Gutsherr, würde von der Schusswaffe Gebrauch machen, wenn die Untertanen gegen ihn einen Prozess anstrengen würden.

Als an den folgenden Tagen sich nichts weiter ereignete, weder neue Nachrichten vom Pastor noch vom Gutsherrn eintrafen, wurde der einmal beschlossene Plan in die Tat umgesetzt und so begaben sich zunächst die Hufner am 11. März 1707 nach der Gemarkung Kuhlrade, rissen die Zäune einer neu geschaffenen Heuerstelle nieder, schütteten einen Graben zu und nahmen so defakto die zuletzt abgenommenen Ländereien wieder für sich in Besitz. Nachdem das gut gegangen war, verabredete man sich noch flugs, am 23. März auch auf dem Stolperfeld die sogenannte Zimmermannskoppel wieder an sich zu bringen.

Diese Widersetzlichkeit verbreiteten sich schnell auch auf dem benachbarten Meierhof Alt Bokhorst, das zum Gut Bothkamp gehörte. Dort war die Lage seit einigen Jahren ähnlich angespannt. Und die Knechte äußerten sich gegenüber dem dortigen Bauernvogt ungeniert, »es wäre nun so weit kommen, daß Jochim Brockdorff zu seinen Leuten nicht mehr auf das Feld kommen dürfte.« Die Bedenken, dass sie nichts auszurichten vermögen, wenn Brockdorff zu Pferde und mit Waffen erscheinen würde, wurden nicht gelten gelassen: »So konnten sie ihm nach dem Hofe verfolgen und ihn daselbst saputiren [an sich reißen].«24

Doch die Depenauer Untertanen waren – anders als die Bothkamper Untertanen ihrem Vogte glauben zu machen versuchten –, durchaus Realisten; vielleicht kam ihnen auch Angst vor der eigenen Courage. Aus Skrupel vor der Rache des Gutsherrn wurde das für den 23. März Vorgenommene aufgegeben. So gut gemeint dieser Entschluss auch war, die Geschichte ging schon ihren eigenen krummen Gang. Und um zu zeigen, wie die gute, alte Zeit war, lassen wir einmal mehr die Tatsachen sprechen wie sie der »hochfürstliche Obersachwalter« Hatto Petrejus nach Zeugenbefragungen in seinem Untersuchungsbericht zu Papier brachte.25

[…]

§15 Dem Herrn Obristen ist dennoch ihr gehabtes Vorhaben entdeckt, der sich dann die ganze Nacht vorher auf dem Hofe zugerüstet. Seine Schützen, Diener, Laqueien, Bereiter, Voigte armiert, nebst ihren und dem Herrn Jägermeister Kalckreuter morgens um halb vier vom Hofe ab und nach eines Häuermannes Hanß Kummerfeld geritten, woselbst sie sich verborgen gehalten; indes aber sind Boten ausgeschickt, so die Häuersleute von allenthalben mit Gewehr dahin entboten, welche sich auch zu Pferde, doch alle ohne Schießgewehr, außer dem Bauknecht auf Löhndorf, mit Forken bewaffnet eingefunden. Wie sie nun alle 18 Personen stark zu Pferde mit Pistolen, Flinten, Büchsen und Forken versehen zusammen gewesen, und die Kundschaft eingelassen, daß die Untertanen sich bedacht hätten, und nicht hier kommen würden, des Zimmermannes Zaun und Koppel einzureißen, soll der Herr Obrist willens gewesen sein, nach dem Hofe sich wieder zu kehren und sich schlafen zu legen; allein es ist die Zeitung kommen, daß die Wankendorfer auf dem Kuhlraden selben Morgens gewesen und des Häuermanns Frau das Pflügen auf weiteren Bescheid verboten, sonsten sie die Pflüge entzwei hauen wollten. Der Herr Oberst selbst hat gefragt, ob sie denn das getan – nämlich die Pflüge entzwei gehauen – und als er die Antwort bekommen, nein, sondern sie wären fort damit weggegangen, hat der Häuersmann vom selben Lande gesaget, sie wären nicht weit, sie könnten sie noch einholen, und darauf ist alles in vollen Sprüngen ihnen nachgejaget. Der Schütze Joachim Duggen, so ein Bruder von dem Häuersmann, und des Obristen Diener sind die vordersten gewesen. Die Wankendorfer Untertanen haben sich die Zeit eben auf ihrem eigenen Felde bei ihren Zäunen, so der Wind hin und wider sehr umgeweht und löcherig gemacht, aufgehalten […?] gearbeitet. Sobald der Herr Obrister mit seinen Leuten ihrer ansichtig geworden, haben sie ein groß Geschrei und Jauchzen angefangen, und sind die vordersten auf 3 Wankendorfer Hauswirte, so oben am Zaun allein gearbeitet, spornstreichs angesetzet. Diese haben zu entfliehen getrachtet, einer ist den Akker hinunter gelaufen, zwene haben sich durch den Zaun reteriert: Es ist aber der Schütze mit dem Jäger-Pferd über- und ihnen nachgesetzt, und hat in Sonderheit den einen als Bauervoigtes verfolget, und wie derselbe über einen Dornzaun weggekommen, hat der Schütze ihm vom Pferd durch den Zaun mit voller Ladung einen Schuß nachgegeben, und in der Lende getroffen, daß er gefallen. Doch ist der Schütze ihm noch weiter gefolget, und hat mit der Flinte ihn über den Kopf zu schlagen gedroht, sein Beil ihm herzugeben. Der andere aber ist indes nachgekommen, und so sind sie beide des Schützen losgeworden, daß sie zu den übrigen 9 Wankendorfern, welche sich an einen Dornenzaun hin reteriret, gekommen sind. Unter währendem diesem Präludio und erstem Angriff ist der Herr Obrister selbst mit allen übrigen Leuten auf diese Wankendorfer, deren in allem mit dem getroffenen Bauervoigt 11 gewesen, losgekommen, hat sich dicht vor sie gesetzet, und ihnen befohlen, daß sie ihre Beile niederlegen sollten. Diese hatten gesehen, wie es dem Bauervoigt ergangen, waren für überritten, wann sie sich vom Zaune abgegeben, vor übel tractament und vor dem Gefängnis bange, und haben geantwortet, wie er zum andernmal befiehlt, die Beile niederzuwerfen und heraufzukommen, daß sie das nicht tun konnten, sondern der Herr Obrister sie lieber so totschießen müßte, denn er sie doch nur würde zuschanden machen lassen. Wobei sie begehret, daß sie nur Zeit haben möchten, ein Vaterunser zu beten. Eine kleine Weile danach hat der Herr Obrister beide Pistolen auf einen Hauswirt Hanß Löhndorf gelöset, deren eine nur getroffen, so mit groben Hageln geladen und den Hans Löhndorf in die linke Seite und Arm eingegangen. Als aber derselbe daran nicht gefallen, hat der Herr Obrister gleich eine Pistole von seinem Diener genommen, so ohne Zweifel mit einer Kugel geladen, und hat mit diesen Worten: Baron, du sollst sterben, ihm den Knochen unter dem Auge durch einen Schrämschuß weggenommen, der wenige Schritte von der Stelle fortgetaumelt und liegen geblieben. Ein Hauswirt Hinrich Horst ist mit groben Rehhageln durch das Knie von dem Kutscher, Hinrich Lille Hauswirt von einem anderen Bedienten geschossen und von dem Schützen der Hauswirt […?] gewaltig abgeprügelt. Die Beile der Untertanen hat der Herr Obrister alle aufheben lassen, und darauf alle Hauswirte, auch die verwundeten, dem Hofe und Gefängnis zutreiben lassen. Außer dem Hanß Löhndorf, von welchem niemand anderes gemeint, als das er seinen Geist aufgeben würde. Aber durch Gottes gnädigste direction ist der Schuß, wie gefährlich er gleich abgezielet, dennoch so abgegangen, daß der Mensch diese Stunde lebet, und wieder curiert, außer daß er mit dem Auge nicht sehen kann.

§16 Wie diese 10 Hauswirte so auf dem Tritt sind, ist der Herr Obrister immer hinter sie hergewesen mit dem Degen und hat auf sie eingehauen. Da dem einige vielmal ihm so ausgewichen, daß er ihnen am Leibe keine Wunden anbringen können, obwohl die Kleider übel zerfetzet, doch hat er einen Hauswirt Detlef Horst eine tiefe Wunde am Kopf, so nicht ohne Gefahr gewesen, gehauen. Und einen andern namens Detlef Löhndorf seines geschicklichen Ausweichens ungeachtet über den linken Arm endlich eine schmerzliche Wunde gegeben; den Bauervoigt Aßmus Horst, der von dem Schützen schon so getroffen, hat er sich weisen lassen und auf denselben einen gefährlichen Streich gefaßt, dem aber derselbe durch ein tiefes Niederbücken entgangen und unter die Pferde sich reteriert, von dem Holzvoigt Hinrich Bichel aber mit einer Forke hinter die Ohren geschlagen, daß er wieder zurück gemußt. Es ist unter anderm auch auf dem Wege nach dem Hofe zu ein knietiefes Loch. Da hat der Herr Obrister gewollt, daß die Untertanen gleich durch sollten getrieben werden, und haben dieselben durch den Schützen Gerd Schlüter kaum erbitten mögen, daß sie obenrum nach dem Steg gehen dürfen. Sobald sie aber über gewesen, hat der Herr Obrister mit dem Degen, wie vorher erzählt, wieder angefangen.

§17 Als nun unter solchen Begegnissen die Wankendörfer Untertanen das Stolperfeld erreichet, kommen die jungen Knechte aus dem Dorf eben herauf, um nach ihren Hofdiensten zu gehen, haben Aschers [Äscher / Spaten], Beile und ihre Freßbündel bei sich, und wie ihnen das Ding wunder gibt, wo es zugehen möge, daß die Hauswirte von so vielen zu Pferde den Weg nach Hofe zu getrieben würden, gehen sie gerade auf sie zu. Dem Herrn Obristen wird von dem Voigte zwar gesaget, daß es die Knechte wären, so auf ihre Arbeit gehen wollten. Aber er hat dennoch stille gehalten und sein Gewehr fertig gemachet. Gleich darauf sind die Stolper Hauswirte an der Zahl 12 eiligst aus dem Dorfe nachgeloffen kommen, und hat jeder ein Beil oder Forke in der Hand gehabt nachdemmals das Geschrei von dem Passierten in Stolpe gekommen Des Herrn Obristen seine Leute haben darauf auch ein wenig zurücke gehalten und geschehen lassen, daß die Stolper mit den Wankendorfern zusammen getreten. Da denn einer von den Wankendorfern in dieser Meinung die Stolper angeredet haben soll, sie täten wohl, daß sie ihr Wort hielten und ihnen beistehen wollten, daß sie nicht nach dem Hofe ins Gefängnis gejagt würden: Aber es war umsonst, sie waren schon zuschanden gemachet, wie sie sehen könnten, und dürfte es den Stolpern nicht besser gehen. Sie wollten niederfallen und ein Vaterunser beten, und dem trachten, daß sie nach dem Dorf kommen möchten. Wie sie vom Gebet aufgestanden, haben sie auch sofort in solcher resolution von dem Hofweg ab und Zufeldein nach Stolpe zugezogen, so des Herrn Obristen Leute, welche dicht an sie unter den Bäumen, weilen es sehr geregnet, gehalten, nicht verwehret haben. Aber der Herr Obrister ist in vollem Laufe zugerannt, hat seinen Leuten zugerufen, was das sein sollte, ist vor den Untertanen […?] übergeritten, und hat befohlen, daß sie stehen sollten; gleich wie das geschehen, sich gewendet nach dem hintersten, und einen Knecht namens Clauß Löhndorf, der seinen Ascher über der Schulter, das Beil und das Freßbündel daran hängen gehabt, und nebst den anderen auf dem Weg nach Hofe schon wieder umgekehrt gewesen, einen solchen Schuß mit der Pistole an den Kopf gegeben, daß er in angezeigter positur rücklings niedergeschlagen und alsbald sinn- und sprachlos geworden. Wie nun alle, auch diejenigen, so bei der Action abseits des Herrn Obristen gestanden, so viel derselben bis dato ihre Disposition getan, nicht sagen können: daß dieser Knecht vor anderen was verbrochen oder Mine gemacht, daß er sich wehren oder jemanden Schaden tun wollen oder […?] was gesprochen habe: Also bezeuget das Attestatum Medici et Chirurgi, welche nach der PHGV die Inspectionen Cadavens mit großem Fleiß und Vorsichtigkeit in praesentia Notaria cum adjuncto loco duorum testium requisito, getan haben, daß das vulnus, so der Herr Obrister diesem Menschen durch einen mit Kugeln geladenen Pistolenschuß in den Kopf durch das Cyranium gegeben, für sich letal, und nichts als den Tod mit sich führen können. Es sind darnächst aufzurufen des Herrn Obristen viele Schüsse auf die Untertanen geschehen und vier Menschen dadurch teils sehr hart und gefährlich verwundet. Worauf den Untertanen befohlen, ihr Gewehr niederzuwerfen und sich alle auf die Erde zu legen. Das haben sie getan, womit dann das Schießen aufgehöret hat. Die Knechte sind alle mit Willen des Herrn Obrister weg und an ihre Hofdienste gegangen. Die Wirte aber aus beiden Dörfern sind ins Gefängnis auf den Hof zu gehen beordert, doch daß die Wankendorfer sich von den Stolpern absondern sollten. Sobald das letztere geschehen, hat der Herr Obrister mit dem Degen unter den Stolpern eben so scharmützieret, als vorhin unter den Wankendorfern, und verschiedene blessiert. Unter anderen aber den Kirchgeschworenen aus Stolpe Hanß Lütje Johann durch verschiedene schwere Streiche übel zugerichtet, insonderheit beide Hände zuschanden gehauen. Des Hanß Lütje Johanns sein Sohn, welcher ins Gesicht auch hinten im Kopf und also zweimal mit Hageln getroffen, ist nebst dem Toten auf dem Platz liegen geblieben. Auch ein Stolper Hufener, Hanß Dugge, der mit vielen Hageln oben in den Kopf geschossen, und zwar, wie man saget, von seines Vaters Bruders Sohn, dem Häuersmann auf Kuhlraden; und daher haben sie Gelegenheit gehabt, daß sie von den Ihrigen sofort weggeholt und nach der Langen Rege [Langereihe, auf Bockhorner Gebiet] zu einem Balbierer gebracht.

Insgesamt wurden alleine sechs Personen aus Wankendorf zum Teil schwer verletzt:

Hans Löhndorf: eine »grobe Hagel in linke Seite und linken Arm« sowie eine »Kugel nahm Knochen unter dem Auge durch einen Schrämschuß weg«; blieb für tot liegen, erholte sich aber und wurde zu seinem Bruder, dem Kätner Hinrich Löhndorf, nach Langereihe gebracht.

Hinrich Horst der Ältere: eine »grobe Rehhagel durch das Knie« sowie »mit dem Säbel traktiert«.

Hinrich Lill: »einen Schuß abbekommen und gewaltig abgeprügelt«.

Detlef Horst: »durch v. Brockdorff tiefe Wunde am Kopf«.

Detlef Löhndorf: »schmerzliche Wunde über den linken Arm«.

Aßmus Horst, Bauervogt: »volle Ladung in die Lende«.

Bis auf einen Stolper Hufner wurden sie – drei davon auf Pferden, da sie aus eigenen Kräften nicht mehr gehen konnten –, ins Depenauer Kellerverließ überführt und gefangen gesetzt. Im Verließ stand gerade das Wasser so hoch, dass man sich nicht auf den Boden legen konnte. Als die vom Gutsherrn aus Preetz zur Wundbehandlung der Blessierten angeforderten Barbiere eine menschenwürdigere Unterbringung der Gefangenen forderten, wurden sie unverrichteter Dinge fortgewiesen. Die Gefangenen können sich auch gut selbst versorgen, hieß es lapidar. Da einige Wunden doch schwerer waren, versuchte es Brockdorff noch einmal. Ein aus Langereihe herbeizitierter »Schuster« der sich »auch« auf Wundbehandlungen verstand, forderte aber ebenfalls eine bessere Unterbringung. Nun platzte Brockdorff der Kragen: »[…] wenn er nicht auf der Leute Bezahlung sehe und sie verbinden wolle, möchten sie darin vermolschen26und er wolle sie sodann auf die Schindgrube führen lassen«. Auch der Schuster durfte gehen.

So wenig Joachim v. Brockdorff das in seinem absolutistischen Machtanspruch wohl gedacht hatte, nicht nur dass nach fünf bis sechs Tagen die Begebenheit bei der Behörde in Schleswig bekannt wurde, nein, es kam dem Gutsherrn auch zu Ohren, dass eine Untersuchung der Vorgänge vor Ort stattfinden würde und er mit Arrest zu rechnen habe. Der Gutsherr zog es vor, mit den Seinen das Weite zu suchen und setzte sich nach der freien und damit sicheren Hansestadt Lübeck ab.

Am 31. März 1707 begab sich zunächst Obersachwalter Hatto Petrejus in Funktion eines heutigen Staatsanwalts nach Kiel, um dort etwas Genaueres über die zunächst unklaren Gerüchte von »erschlagenen und blessirten Unterthanen« zu erfahren. Doch dort konnte ihm keine Auskunft gegeben werden. So ging es in den folgenden Tagen weiter. Am 1. April folgte Preetz, wo die Barbiere Johann Timm und Johann Hinrich Bauch vernommen wurden; noch am selben Tag folgte in Bornhöved die Vernehmung von Pastor und dem Wankendorfer Halbhufner Heinrich Löhndorf. Tags darauf erschien der Stolper Hufner Otto Schnack zur Aussage und noch am Vormittag begab sich Petrejus nach Langereihe zu dem »Schuster«-Barbier. Von dort trat der Beamte über Kiel die Heimreise nach Schleswig an, wo er am 3. April wieder eintraf. Nur einen Tag später war sein Bericht fertig, der die ganzen unhaltbaren Zustände ans Licht bringt.27 Schon am 5. April zog Militär auf Gut Depenau ein. »Die erste Frage war, wo der Herr Obrist wäre. Ins Haus kam der Herr Leutnant, eine Pistole in der Hand habend. – Das Haus wurde mit drei Grenadieren mit Gewehr besetzt; beim Reitstall, Garten und der Scheune Schildwachen postiert; vor dem Tor wurde Wache gehalten und niemand vom Hof gelassen ohne Begleitung eines Grenadiers.«28 Nur wenige Personen darunter Frau Brockdorff, der Jägermeister Kalkreuter, der Koch Daniel Löhndorf wurden angetroffen und festgesetzt.

Zwar wurde Joachim v. Brockdorff von dem Vorwurf des Totschlags am Knecht Claus Löhndorf freigesprochen, hatte aber wegen verübten Exzesses 4000 Reichstaler an die Staatskasse zu entrichten und weitere 2000 Reichstaler für wohltätige Zwecke zu bezahlen, auch wurde ihm für ein Jahr die Verwaltung über das Gut entzogen. Nachdem er dem König später dann versprach, »seine Unterthanen nicht zu hart und über Gebühr zu traktiren«,29 wurde die Strafe aufgehoben und das eingesetzte Militär von Depenau abgezogen. Auch ordnete die Untersuchungskommission die Vermessung der Ländereien an, um Belastungen der Bauern im Verhältnis zu ihrem Land zu überprüfen.30 Aufseiten der Hufner wurde der Wankendorfer Bauernvogt Asmus Horst als Anführer der Rebellion erachtet und im März 1710 zu vier sowie der Stolper Bauernvogt Marx Thee (Theden) als sein Bundesgenosse zu drei Monaten Zwangsarbeit an der Karre verurteilt. Wobei im Verfahren schlussendlich als Urheber die beiden Stolper Hufner Lütjohann und Hans Dugge benannt wurden.31 1709 traten Hufner und Vögte in offener Rebellion gegen ihren Gutsherrn auf und versagten ihm wieder einmal die Dienste oder leisteten sie nach eigenem Gutdünken. Wobei Letzteres natürlich nicht so von den Untertanen empfunden wird. Sie leisteten nach Altvätersitte ihre Hofdienste nach der inneren Uhr, wobei der Gutsherr mit Einführung einer Turmuhr an seinem Torhaus auf einen strengeren Zeitablauf achtete. So kollidierte einmal mehr die alte mit der neuen Zeit, die mehr und mehr wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund zu rücken versuchte.

Joachim v. Brockdorff wendete sich jetzt direkt an den König. Dessen Erlass wiederum – die Untertanen haben ihrem Herrn treu zu sein, widrigenfalls sie mit Strafen zu rechnen haben –, wurde am 21. April des Jahres der Kirchengemeinde von der Bornhöveder Kanzel aus verlesen. Doch die Vögte und Hufner blieben bei ihrer Linie und ließen sich auch dadurch nicht einschüchtern. Und so geriet ihr Dienstherr zunehmend in finanzielle Bedrängnis. Er war nicht mehr in der Lage, die Abgaben an den Staat zu entrichten, geschweige denn das Vieh zu unterhalten. Mit Datum vom 28. Mai erging von der Königlichen Kanzlei in Kopenhagen die Ankündigung einer Militärexekution an den Obrist-Leutenant Bärner. Am 13. Juni 1709 schließlich entsandt der König einen Unteroffizier und acht Soldaten mit »vollem Gewehr«, um gegen die »wiedersetzlichen Bauern und Hausleuten«32 vorzugehen. Das Militär traf am 4. Juli auf dem Gut ein. Doch zur Einsicht wird das Volk auch dadurch nicht gebracht. Als am 14. August den Knechten befohlen wurde, die sogenannte Stauung zu mähen, wurde die Arbeit kurzerhand verweigert. Auf Vorhaltung am nächsten Tag, ob sie denn den königlichen Befehl nicht kennen würden, hieß es: »Ja, sie hätten den Befehl wohl lesen gehöret, aber daß wüßten sie viel besser.«33

Oberst v. Brockdorff versuchte sich nun bei seinen Untertanen schadlos zu halten und beorderte einen Notar nebst Zeugen in die Dörfer. Am 6. November 1709 zwischen 17 und 18 Uhr erschien daraufhin die Abordnung zunächst in Wankendorf und ließ durch Hornsignal die Hauswirte zusammenrufen, um danach in Stolpe ihr Glück zu versuchen. Doch die Antwort war hier wie dort die gleiche: Geldzahlungen und Hofdienste können nicht geleistet werden, da sie selbst kaum etwas übrig hätten.34

Vielmehr drehten die Untertanen den Spieß um. Nicht der Gutsherr hätte ihnen zu bestimmen, sondern sie selbst vereinbarten, wie viel Hofdienste sie leisten wollten, wie einer Eingabe v. Brockdorffs vom 20. Februar 1710 zu entnehmen ist.35 Die Spannungen untereinander waren in der Zwischenzeit wieder auf ein Höchstmaß angestiegen. Da er inzwischen wieder mehrere Untertanen ohne ordentlichen Prozess eingesperrt hatte, beklagten sich am 23. Februar 1710 dann die Wankendorfer und Stolper Hufner offiziell über ihren Herren. Und so befasste sich eine königliche Kommission mit der Angelegenheit, doch zunächst erging am 25. Februar von der Regierungskanzlei aus Glückstatt der Befehl an Brockdorff, unter Androhung von 2000 Reichsbanktalern Strafe, keinen seiner Untertanen mit Strafe oder Gefängnis zu belegen. Auch wären die zurzeit Inhaftierten freizulassen.36 Generell war das Verhältnis auf einem Tiefstand. Die Androhung von Gewalt verfing nicht mehr, vielmehr galt die Aussage eines Gutsdieners, dass sie sich »nicht zwingen oder strafen lassen wollen, sondern sich zur Wehr stellen und gar in meine und des Vogts Gegenwart gesagt, sie lassen sich nicht befehlen oder mit Schläge strafen, sie wollen wieder schlagen und sich wehren, so lange sie noch ein warm Blutsdrüppen im Leibe haben.« 37

Letztendlich konnte 1712 der Streit erst einmal beigelegt werden: Kulrade gelangte im Tausch gegen die Wiese Wulfsbrook und Baren-Obendorf endgültig wieder in den Besitz von Wankendorf und die sogenannte Stauung wurde gegen die Wiesen am Drömling an Stolpe getauscht. Im Gegenzug versprachen die Hufner, dass sie die Hofdienste nunmehr »ohne Widerrede mit Fleiß und Treue verrichten.«38 Die Besiegelung des Vertrages erfolgt zwischen den Bauernvögten und dem Gutsherrn in Form eines Handschlags.

Doch schon 1718 gärte es erneut. Die Wankendorfer Untertanen klagten bei der Holsteiner Regierung in Glückstadt gegen die erfolgte Reduzierung ihres seit Uhrzeiten zustehenden Heuanteils. Joachim v. Brockdorff versuchte den Verfasser der Klageschrift, den er gleichsetzte mit dem Aufwiegler, ausfindig zu machen, doch die Bauern hielten zusammen. Die Antworten des Untersuchungsberichtes vom 26. März 1718 waren ausweichend. Fünf Bauern wussten es angeblich nicht, vier davon konnten sich auch gar nicht erinnern, wer sie dazu ermuntert hatte, zwei gaben einen Studenten an, der im Dorf herumgegangen wäre, einer gab einen bettelnden Soldaten an und einer bezeichnete einen Fremden, der ins Dorf gekommen und die Schrift aufgesetzt hätte. Immerhin der Wankendorfer Bauernvogt gab zu, dass ihm die Klageschrift vorgelesen worden sei.39

Die ungeheuerlichen Zustände verdeutlichen alleine schon die nackten Zahlen. Innerhalb von 20 Jahren entweichen 143 Personen vom Gut Depenau, aus den zugehörigen Dörfern, darunter Ledige, Kinder, ganze Familien. Einer Auflistung des Bauernvogts Johann Löhndorf ist das ganze Ausmaß der Verzweiflung zu entnehmen: