MANZ RATGEBER
Aufsichtspflicht
Aufsichtspflicht
Was Kinder- und JugendbetreuerInnen
wissen müssen
Plus: Haftung und Versicherungsschutz
von
Dr. Marco Nademleinsky
4. Auflage
Zitiervorschlag: Nademleinsky, Aufsichtspflicht4 (2019)
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Sämtliche Angaben in diesem Ratgeber erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr; eine Haftung des Autors sowie des Verlages ist ausgeschlossen.
Sämtliche Begriffe und Definitionen sind in ihrer geschlechtsneutralen Bedeutung zu verstehen.
ISBN 978-3-214-02004-0
ISBN E-Book: 978-3-214-02054-5
© 2019 MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH, Wien
Telefon: (01) 531 61-0
E-Mail: verlag@manz.at
www.manz.at
Covernachweis: Illustration © Nicolas Aznarez
Druck: FINIDR, s.r.o., Český Těšín
Vorwort
Der vorliegende Ratgeber wendet sich an LeiterInnen von Kindergärten und Horten, Kindergarten- und HortpädagogInnen, JugendbetreuerInnen, Eltern und alle anderen pädagogisch tätigen Personen, die sich mit praktischen rechtlichen Fragen auf dem Gebiet der Aufsichtspflicht über Minderjährige konfrontiert sehen.
Er soll dazu beitragen, allen verantwortungsvoll tätigen PädagogInnen eine unbegründete Angst vor einer „Aufsichtspflichtverletzung“ zu nehmen und aufzeigen, welcher pädagogische Handlungsspielraum besteht. Gleichzeitig versteht sich das Werk als ein Beitrag zur Qualitätssicherung im pädagogischen Beruf, indem es für den österreichischen Rechtsbereich erstmals zusammenfassend ersichtlich macht, welche Anforderungen an eine pflichtgemäße Aufsichtsführung gestellt werden.
Zu diesem Zweck wird sowohl auf die österreichische wie auch auf die umfangreiche deutsche Rechtsprechung zurückgegriffen. Zwar stellt sich in Deutschland die Rechtslage geringfügig anders dar, doch vermag auch die dortige Rechtsprechung zu veranschaulichen, welche pädagogische Verantwortlichkeit der Aufsichtspflicht zugrunde liegt. Letztlich bleibt es stets eine Frage des konkreten Einzelfalls, wie die Rechtmäßigkeit pädagogischen Handelns zu beurteilen ist.
Grundsätzlich gilt: Die Aufsichtspflicht erfüllt, wer die Gefahren für das ihm anvertraute Kind sowie die vom Kind möglicherweise ausgehenden Gefahren richtig einschätzt und in dieser Kenntnis eine pädagogisch verantwortbare Entscheidung trifft. Welche Überlegungen dafür relevant sein können, soll dieser Ratgeber aufzeigen. Hingegen wird auf pauschale „Checklisten zum Abhaken“ bewusst verzichtet, denn sie verleiten zu einer sturen Befolgung, die letztlich nur eine trügerische Sicherheit darstellt. Vielmehr liegt es in der Absicht dieses Werks, aufsichtspflichtige PädagogInnen selbst in die Lage zu versetzen, geeignete Vorgehensweisen für die sich ihnen stellenden besonderen Herausforderungen erarbeiten zu können.
Danken möchte ich an dieser Stelle meiner Frau, die mir während ihrer mehrjährigen Beschäftigung in Kindergärten und Horten einen Einblick in diese für Juristen zumeist fremde Welt gewährte und schließlich auch ihre pädagogischen Kenntnisse bei der Verfassung dieses Ratgebers miteinbrachte.
Lange überfällig ist auch ein Dank an die Wiener Kindergärten, MA 10 (namentlich Frau Mag. Sylvia Minich und Frau Dr. Eva Wiedermann), die Wiener Kinderfreunde (namentlich Herrn Christian Morawek) und das Landesjugendreferat für Niederösterreich (namentlich der damaligen Frau Landesrätin Mag. Johanna Mikl-Leitner), die vor Erscheinen der ersten Auflage eine Abnahme des Ratgebers im dreistelligen Bereich zugesichert und damit das Erscheinen überhaupt ermöglicht haben.
Die vierte Auflage berücksichtigt vor allem die Fragen aus der Praxis, die in vielen Vorträgen an mich gestellt wurden. Im Übrigen wurde der Inhalt auf seine Aktualität hin überprüft und jüngere Rechtsprechung eingearbeitet.
Marco Nademleinsky
Der Autor nimmt gerne Fragen und Anregungen entgegen. Wir bitten daher um Ihre Anregungen, Kritik und Zuschriften an den Verlag (MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Johannesgasse 23, 1010 Wien, an die Lektorin: barbara.kashofer@manz.at oder an den Autor persönlich: office@nademleinsky.at).
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Was heißt Aufsichtspflicht?
I. Der Begriff
A. Aufsichtspflicht nur für „Kinder“
B. Zweck der Aufsichtspflicht
C. Grenzen der Aufsichtspflicht
II. Übertragung der Aufsichtspflicht
A. Wer hat prinzipiell die Aufsichtspflicht?
B. Wie kann die Aufsichtspflicht übertragen werden?
C. Wer muss die Aufsichtspflicht erfüllen?
D. Welche Kinder müssen beaufsichtigt werden?
III. Dauer der Aufsichtspflicht
A. Wann und wo beginnt die Aufsichtspflicht?
B. Wann und wo endet die Aufsichtspflicht?
C. Wer darf ein Kind abholen?
D. Wann darf ein Kind alleine nach Hause gehen?
1. Was ist zu tun, wenn ein Kind nicht rechtzeitig abgeholt wird?
IV. Anforderungen an die Sorgfalt
V. Inhalt der Aufsichtspflicht
A. Erkundigungspflicht
B. Anleitungs- und Warnpflicht
C. Kontrollpflicht
D. Eingreifpflicht
VI. Verkehrssicherungspflicht
Besondere Herausforderungen in Kindergarten und Hort
I. Aufsicht im Gebäude
II. Spielen im Garten und auf Spielplätzen
III. Unternehmungen und Tagesausflüge
IV. Straßenverkehr
V. Feste und Veranstaltungen
VI. Unfälle und Erkrankungen
VII. Pflichten der LeiterInnen von Kindertagesheimen
Besondere Herausforderung in der Jugendbetreuung
I. Allgemeines
II. Ferienlager
III. Sexuelle Betätigung Jugendlicher
IV. Alkohol
V. Unfälle und Erkrankungen
VI. Jugendliche mit besonderen Erziehungsbedürfnissen
VII. Sonstige Fragen
Folgen der Aufsichtspflichtverletzung
I. Zivilrechtliche Folgen
A. Wann haftet man?
B. Wer haftet?
II. Arbeitsrechtliche Folgen
III. Strafrechtliche Folgen
A. Verletzungen des Kindes bzw. Jugendlichen
B. Verletzungen anderer durch das Kind bzw. den Jugendlichen
C. Verbandsverantwortlichkeit
Versicherungsschutz
I. Unfall- und Krankenversicherung
II. Haftpflichtversicherung
Wichtige Gesetze
I. Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch
II. Dienstnehmerhaftpflichtgesetz
III. Allgemeines Sozialversicherungsgesetz
IV. Versicherungsvertragsgesetz
V. Strafgesetzbuch
VI. Verbandsverantwortlichkeitsgesetz
VII. Kraftfahrgesetz
VIII. Straßenverkehrsordnung
IX. Schulunterrichtsgesetz 1986
X. Ärztegesetz
XI. Epidemiegesetz
XII. Tuberkulosegesetz
XIII. Auszüge aus den Jugendschutzgesetzen der Bundesländer
Abkürzungsverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Der Autor
Was heißt Aufsichtspflicht?
I. Der Begriff
Die Pflicht zur Beaufsichtigung eines Kindes – kurz „Aufsichtspflicht“ genannt – bildet nach dem Gesetz einen Teil der Pflicht zur „Pflege“ des Kindes. „Die Pflege des Kindes umfasst besonders die Wahrnehmung des körperlichen Wohles und der Gesundheit sowie die unmittelbare Aufsicht.“
§ 160 Abs. 1 ABGB.
Was genau das Gesetz unter „unmittelbarer Aufsicht“ versteht, bleibt jedoch offen. Es ist daher den Gerichten überlassen, die „Aufsichtspflicht“ näher zu konkretisieren. Dass dies erst anlässlich eines Schadensfalls – also im Nachhinein – erfolgt, trägt viel zur Verunsicherung über die Aufsichtspflicht bei.
Dennoch lassen sich folgende Grundsätze aufstellen, die sich in der Rechtsprechung der Gerichte wiederfinden:
•Aufsichtspflichtige Personen haben dafür zu sorgen, dass die ihnen zur Aufsicht anvertrauten Kinder selbst nicht zu Schaden kommen und
•auch keinen anderen Personen Schaden zufügen.
•Dabei bestimmt sich das Maß der Aufsichtspflicht danach, welche Schädigung angesichts des Alters, der Eigenschaft und der Entwicklung des Kindes vorhersehbar ist und vom Aufsichtsführenden vernünftigerweise verhindert werden kann.
Was folgt daraus?
A. Aufsichtspflicht nur für „Kinder“
Zunächst folgt aus dem Gesagten, dass sich die Aufsichtspflicht nur auf „Kinder“ erstrecken kann. Unter dem Begriff „Kind“ versteht das Gesetz in diesem Zusammenhang den „Minderjährigen“, das heißt eine Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Unrichtig wäre daher die Annahme, dass Kinder über 14 Jahren nicht der Aufsichtspflicht unterlägen. Hingegen erlischt mit der Volljährigkeit (18 Jahre) die elterliche Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes, und damit auch die Aufsichtspflicht.
§ 21 Abs. 2 ABGB; OGH 7 Ob 251/06x.
Hinweis
Besteht die konkrete Befürchtung, dass jemand aufgrund einer geistigen Behinderung oder psychischen Beeinträchtigung sein Leben bzw. seine Gesundheit, oder das Leben bzw. die Gesundheit einer anderen Person gefährdet, kann eine (zwangsweise) Unterbringung in einer psychiatrischen Krankenanstalt in Betracht kommen, wenn keine Alternativen bestehen.
Befindet sich ein Kind objektiv in Not, kann die öffentliche Jugendwohlfahrt (der Kinder- und Jugendhilfeträger) in familiäre Beziehungen eingreifen. Dabei können Maßnahmen der Unterstützung der Erziehung (wobei das Kind im familiären Umfeld verbleibt) oder der vollen Erziehung (= Fremdunterbringung des Kindes in einem Heim, einer Wohngemeinschaft, bei Pflegeeltern etc.) gesetzt werden.
Vgl. §§ 3ff. UbG.
B. Zweck der Aufsichtspflicht
•Schutz des Aufsichtsbedürftigen vor eigenen Schäden
Der Aufsichtsführende hat die Pflicht, das ihm anvertraute Kind vor Schäden zu bewahren, die ihm durch sein eigenes oder fremdes Verhalten entstehen könnten. Der Schutz erstreckt sich auf ersatzfähige Schäden jeglicher Art, gleich ob am Vermögen (z.B. Sachschaden) oder an der Person (z.B. Körperverletzung).
•Schutz anderer Personen vor einer Schädigung durch den Aufsichtsbedürftigen
Kinder und Jugendliche besitzen nicht immer das nötige Einsichtsvermögen, um die Konsequenzen ihrer Handlungen zu überschauen. Der Aufsichtsführende hat daher grundsätzlich die Pflicht, andere Personen vor Schäden zu bewahren, die ihnen durch das Verhalten des Aufsichtsbedürftigen entstehen könnten.
Aus der Rechtsprechung siehe z.B. OGH 29. 11. 2006, 7 Ob 251/ 06x.
C. Grenzen der Aufsichtspflicht
Die Grenzen der Aufsichtspflicht liegen zum einen darin, was angesichts des Alters, der Eigenschaft und der Entwicklung des Kindes vorhersehbar ist, und zum anderen darin, was vom Aufsichtsführenden „vernünftigerweise“ verlangt werden kann.
Aus der Rechtsprechung zuletzt OGH 4 Ob99/17p.
Dabei müssen die Gefährlichkeit der Situation und ein allfälliges wiederholtes früheres Fehlverhalten des Kindes berücksichtigt werden.
Kinder und Jugendliche können aber nicht immer vor allen Gefahren geschützt werden. Vielmehr werden sie nur lernen, die Herausforderungen des Alltags zu bewältigen, wenn ihnen Gelegenheit gegeben wird, Gefahren und Risiken selbst einschätzen zu lernen und meistern zu können. Das Gesetz spricht in diesem Zusammenhang von der „Erziehungsbedürftigkeit“ des Kindes. Die Erziehung bezweckt „besonders die Entfaltung der körperlichen, geistigen, seelischen und sittlichen Kräfte, die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes sowie dessen Ausbildung in Schule und Beruf“.
§ 160 Abs. 1 ABGB.
Erziehung und Pflege (einschließlich Aufsicht) des Kindes stehen nach dem Gesetz gleichberechtigt zueinander. Aus erzieherischer Perspektive ergibt sich daraus das Erfordernis, für Kinder und Jugendliche einen Handlungsraum zu schaffen, in dem pädagogische Ziele und Sicherheitsanforderungen einander vertretbar gegenüberstehen.
Dabei ist es verständlich, dass unterschiedliche pädagogische Konzepte auch verschiedene Reaktionsweisen von ErzieherInnen mit sich bringen. Sogar innerhalb eines einheitlich verfolgten pädagogischen Konzepts kann das Verhalten verschiedener Aufsichtspflichtiger voneinander abweichen. Grundsätzlich können selbst risikovolle Entscheidungen und eine tolerante Aufsichtsführung vertretbar sein, wenn sie vom Aufsichtsführenden im konkreten Fall pädagogisch nachvollziehbar begründet werden können.
Nicht unbedingt das Fernhalten von jedem Gegenstand, der bei unsachgemäßem Umgang gefährlich werden kann, sondern gerade die Erziehung des Kindes zu verantwortungsbewusstem Hantieren mit einem solchen Gegenstand wird oft der bessere Weg sein, das Kind und Dritte vor Schäden zu bewahren. Hinzu kommt die Notwendigkeit frühzeitiger praktischer Schulung des Kindes, das seinen Erfahrungsbereich möglichst ausschöpfen soll.
BGH, Urteil vom 6. 4. 1976, VI ZR 93/75, NJW 1976, 1684.
Ist jedoch konkret absehbar, dass ein Kind einen Schaden erleidet oder anderen Schaden zufügt, müssen abstrakte Erziehungsaufgaben in den Hintergrund treten und ist der Schadenseintritt nach aller Möglichkeit zu verhindern. „Aus Schaden wird man klug“ wird kaum als vertretbares pädagogisches Konzept akzeptiert werden können.
Hinweis
Sie erfüllen Ihre Aufsichtspflicht, wenn Sie die Gefahren für das Ihnen anvertraute Kind sowie die vom Kind möglicherweise ausgehenden Gefahren richtig einschätzen und in dieser Kenntnis eine pädagogisch verantwortbare Entscheidung treffen.
Nicht mit der Aufsichtspflicht zu verwechseln sind all die anderen Betreuungsleistungen, die bei der Fürsorge eines Kindes über eine längere Zeit des Tages regelmäßig anfallen. Dazu kann es gehören, für eine ausgewogene Ernährung des Kindes zu sorgen, das Kind bei seiner sprachlichen und motorischen Entwicklung zu fördern, es bei der Sauberkeitserziehung zu unterstützen, seine Hausaufgaben zu betreuen und so weiter. Als Teil des Betreuungsauftrags kann es auch geboten sein, die Eltern eines Kindes über Fehlentwicklungen oder besondere Probleme des Kindes zu informieren. Zweck dieser Betreuungspflichten ist es jedoch nicht, das Kind vor sich selbst oder anderen zu schützen, weshalb ihre Verletzung keine „Aufsichtspflichtverletzung“ darstellt. Dessen ungeachtet kann freilich auch die Verletzung von Betreuungspflichten (z. B. die Hausaufgabenbetreuung findet nicht statt; der versprochene Sprachunterricht bleibt aus etc.) rechtlich relevant sein.
II. Übertragung der Aufsichtspflicht
A. Wer hat prinzipiell die Aufsichtspflicht?
Prinzipiell ist kraft Gesetz zur Aufsicht über ein Kind verpflichtet, wer die Obsorge für das Kind hat. „Obsorge“ an sich bedeutet das vom Gesetz eingeräumte Recht und die Pflicht, ein Kind zu erziehen, es zu pflegen, sein Vermögen zu verwalten und es rechtlich zu vertreten.
•Ist die Mutter unverheiratet, so hat sie die Obsorge alleine. Sie kann jedoch mit dem Vater vor dem Standesbeamten oder dem Gericht vereinbaren, dass sie beide die Obsorge ausüben sollen. Leben die Eltern nicht in häuslicher Gemeinschaft, müssen sie festlegen, bei welchem Elternteil sich das Kind hauptsächlich aufhält. Dieser Elternteil kann den Wohnort des Kindes (innerhalb Österreich) bestimmen.
•Ist oder war die Mutter mit dem Vater des Kindes zum Zeitpunkt von dessen Geburt verheiratet, so kommt die Obsorge für das Kind dem Vater und der Mutter gleichermaßen zu. Es sei denn, einer von ihnen wurde von der Obsorge – zum Beispiel anlässlich einer Ehescheidung – ausgeschlossen. Haben beide Elternteile die Obsorge, kann dennoch jeder von ihnen ohne Zustimmung des anderen die Aufsicht über das Kind an jemanden übertragen. Ebenso kann jeder von ihnen verlangen, dass ihm (bzw. ihr) das Kind mitgegeben wird, auch wenn der andere Elternteil dagegen sein sollte. In einem solchen Streit der Eltern hilft letztlich nur eine gerichtliche Klärung, welcher Elternteil in Zukunft die Obsorge alleine haben soll.
•Auch eine minderjährige, selbst noch nicht voll geschäftsfähige Mutter hat die Pflicht zur Obsorge für ihr Kind und damit auch die Aufsichtspflicht über ihr Kind. Sie kann die Aufsichtspflicht für ihr Kind grundsätzlich auch an andere Personen übertragen. Eine minderjährige Mutter kann ihr Kind jedoch nicht gesetzlich vertreten, das heißt sie kann z.B. nicht in eine medizinische Behandlung des Kindes einwilligen. Dafür wäre die Zustimmung des Kinder- und Jugendhilfeträgers einzuholen, wenn es keinen volljährigen Vater gibt, der mit der Obsorge betraut ist und auch kein Großelternteil die Obsorge hat. Will die Mutter ein entgeltliches Geschäft über die Betreuung ihres Kindes abschließen (z.B. mit einer Tagesmutter, einem Babysitter oder einem Kindergarten) so handelt sie nicht in Vertretung ihres Kindes, sondern im eigenen Namen, was sie kann, sofern die finanzielle Belastung für sie „vertretbar“ ist.
•Andere Personen – oder Einrichtungen – sind nur dann aufsichtspflichtig, wenn sie sich zur Übernahme der Aufsichtspflicht bereiterklärt haben. Rechtlich geschieht dies durch einen Vertrag, in dem auf der einen Seite die für das Kind obsorgeberechtigte Person ihre Aufsichtspflicht überträgt und die andere beteiligte Seite – die Tagesmutter, der Babysitter, der Träger eines Kindergartens, der Veranstalter eines Ferienlagers usw. – in die Übernahme der Aufsichtspflicht einwilligt. Aber auch, wer ohne rechtlichen Bindungswillen, also bloß „faktisch“, z. B. aus Gefälligkeit oder während Ausübung des Besuchsrechts, die Aufsicht übernimmt, ist damit kraft Gesetz (Ingerenz) zur Erfüllung der Aufsichtspflicht verpflichtet.
•Eine Aufsichtspflicht kraft Gesetz besteht ferner für Lehrer während des Schulunterrichts sowie für den Kinder- und Jugendhilfeträger, der bei Gefahr in Verzug eine Maßnahme der Pflege des Kindes trifft.
§§ 158, 160 Abs. 1, § 162 Abs. 2, 177 Abs. 2, 177 Abs. 3, 181ff., 211 ABGB; § 51 Abs. 3 SchUG.
B. Wie kann die Aufsichtspflicht übertragen werden?
Die Übertragung oder Übernahme der Aufsichtspflicht braucht nicht ausdrücklich (das heißt schriftlich oder mündlich) zu geschehen, sondern kann auch „stillschweigend“ erfolgen. Das ist dann der Fall, wenn sich aus den Umständen ohne Zweifel ergibt, dass der Obsorgeberechtigte die Aufsichtspflicht übertragen und die andere Person die Aufsichtspflicht übernehmen will. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, wie lange die Aufsicht dauern soll, oder ob die Aufsicht entgeltlich (d.h. gegen Bezahlung) oder unentgeltlich geführt wird.
Wer die Aufsicht ohne rechtlichen Bindungswillen, bloß vorübergehend und nur „aus Gefälligkeit“ übernimmt, z.B. ein fremder Elternteil am Spielplatz, der kurze Zeit um die Aufsicht über ein Kind ersucht wird, ist als tatsächlich Aufsichtsführender von Gesetzes wegen dazu verhalten, die Aufsichtspflicht zu erfüllen. Eine Nachlässigkeit bei der Aufsichtsführung müsste ihm jedoch vom Elternteil bewiesen werden.
Welche Umstände daran zweifeln lassen können, dass jemand eine Aufsichtspflicht übernehmen wollte, kann natürlich im Einzelfall sehr problematisch sein. Sicher kann eine Übernahme der Aufsichtspflicht jedenfalls dann angenommen werden, wenn es sich um eine „weitreichende Obhut von längerer Dauer und weitgehender Einwirkungsmöglichkeit“ handelt.
BGH, Urteil vom 2. 7. 1968 – VI ZR 135/67, NJW 1968, 1874.
Werden Kinder zu einer Geburtstagsfeier des eigenen Kindes eingeladen, liegt darin ein Angebot zur Übernahme der Aufsicht über die eingeladenen Kinder vor. Erlauben Eltern jedoch bloß den gegenseitigen Besuch ihrer Kinder in der Wohnung, so besteht noch kein Vertrag zur Übernahme der vollen Aufsichtspflicht beim Spielen. Die Eltern treffen jedoch die „Verkehrssicherungspflichten“.
BGH, Urteil vom 2. 7. 1968 – VI ZR 135/67, NJW 1968, 1874; OLG Celle, Urteil vom 1. 7. 1987–9 U 36/86, NJW-RR 1987, 1384.
Vgl. dazu auch Kapitel 5.
Beispiel
Die Kindergartenpädagogin Hannelore, die sich noch in Ausbildung befindet, nimmt eine Einladung zur Gestaltung eines privaten Kindergeburtstages an. Damit übernimmt sie stillschweigend auch die Aufsicht über die eingeladenen Kinder.
OLG Celle, Urteil vom 1. 7. 1987–9 U 36/86, NJW-RR 1987, 1384.
Regelmäßig wird freilich nicht bloß die Aufsichtspflicht, sondern umfassender die Betreuung des Kindes – während des Besuchs im Kindergarten, während des Ferienlagers, beim Babysitten usw. – übernommen. Die Aufsichtspflicht ist dann stillschweigend in der Übernahme der Betreuung mit enthalten.
Unter Umständen verweisen Einrichtungen in einem Aufnahmevertrag auch auf eine Kindergarten- oder Hortordnung. Dies trifft insbesondere auf Einrichtungen von Gemeinden zu, die z.T. auch dazu verpflichtet sind, auf die von der Gemeinde oder dem Land erlassenen Kindergarten- bzw. Hortordnungen Bezug zu nehmen. Die näheren Bestimmungen dieser Ordnung werden dann regelmäßig als Vertragsinhalt akzeptiert. Unzulässig wäre es hierbei jedoch, die Aufsichtspflicht abzulehnen oder in irgendeiner Form (z.B. für leichte Fahrlässigkeit) die Verantwortlichkeit für die körperliche Sicherheit der Kinder einzuschränken.
C. Wer muss die Aufsichtspflicht erfüllen?
Die Aufsichtspflicht muss erfüllen, wer sich vertraglich (oder faktisch) dazu verpflichtet hat (vgl. Kapitel II. A., S. 15). Bei Kindergärten, Horten, Ferienlagern usw. verpflichtet sich der Träger der entsprechenden Einrichtung zur Aufsichtsführung (vertreten durch seine Organe). Es ist dann Aufgabe des Trägers dafür zu sorgen, dass qualifiziertes Personal vorhanden ist, um die Verpflichtung zur Aufsichtsführung zu erfüllen. Die Verantwortung für die Auswahl geeigneter MitarbeiterInnen überträgt der Träger (zulässigerweise) regelmäßig an eine Leiterin.
Welches Personal ausreichend qualifiziert ist, um die Aufsichtspflicht wahrzunehmen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Anforderungen werden sich danach unterscheiden
•wieviele Kinder (Jugendliche) zu beaufsichtigen sind,
•wie alt die Kinder (Jugendlichen) sind und
•wie sehr sie mit dem „Alltag“ vertraut sind, aber auch,
•wieviel Erfahrung und Durchsetzungskraft die aufsichtsführende Person miteinbringt, ob sie ein „alter Hase“ ist oder eine „Frischgefangte“, deren Autorität die Kinder (Jugendlichen) noch austesten.
Ob MitarbeiterInnen den Anforderungen an die Aufsichtsführung gerecht werden, hängt zudem nicht nur von den persönlichen Fähigkeiten der einzelnen MitarbeiterInnen ab, sondern auch von ihrer Zusammenarbeit als Team. Teamwork und Kollegialität sollten in einem pädagogischen Beruf eigentlich selbstverständlich sein. Davon abgesehen, erfordert es die Professionalität, dass sich einander abwechselnde oder ergänzende Aufsichtspflichtige über ihre eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten ins Bild setzen und dies bei ihrer Arbeitsaufteilung entsprechend berücksichtigen.
Es muss sichergestellt sein, dass nicht am Ende diejenige die Schwimmaufsicht führt, die selber gar nicht schwimmen kann, oder die Hilfskraft mit einer Gruppe von zwanzig Kindern alleine bleibt, während ihre erfahrene ältere Kollegin die Babygruppe beim Schlafen betreut usw.
Gewisse Anhaltspunkte für die Anforderungen an das Personal in Kindergärten und Horten – sowohl hinsichtlich Qualifikation als auch Anzahl – bieten die Kindergarten- und Hortgesetze (und Verordnungen) der Länder. Dabei handelt es sich allerdings um verwaltungsrechtliche Anforderungen an die „Personalausstattung“, die als „Mindestschutzbestimmungen“ für die zivilrechtliche Beurteilung der Aufsichtspflicht lediglich Indizfunktion haben können.
Hinweis
Nach dem Wiener Kindertagesheimgesetz (WKTHG) und der dazu ergangenen Verordnung (WKTHVO) darf – beispielsweise – eine Kindergartengruppe (Kinder vom 3. Lebensjahr bis zum Beginn der Schulpflicht) maximal 25 Kinder umfassen und muss von einer voll angestellten Kindergartenpädagogin und einer mindestens halbtags angestellten Helferin betreut werden. Verlässt die halbtagsbeschäftigte Helferin die Gruppe zu Mittag, ist die Aufsicht über 25 Kinder durch eine Pädagogin allein sicher nicht ausreichend.
Ebenfalls nach dem WKTHG ist die gemeinsame Betreuung von Kindern verschiedener Gruppen (Sammelgruppe) jeweils zu Beginn des Betriebes und vor der Schließung durch lediglich eine Betreuungsperson (auch Helferin) zulässig, wenn die Sammelgruppe bloß „eine geringe Anzahl“ zu betreuender Kinder umfasst. Eine „geringe Anzahl“ sind während einer im Tagesablauf schwierigen Zeit (Ankommen und Gehen) etwa acht bis maximal zehn Kinder.
Die meisten landesgesetzlichen Bestimmungen über den Betrieb von Heimen verlangen eine „für Pflege und Erziehung entsprechende Anzahl von Fachkräften“. Wieviele das sind, bleibt dem pflichtgemäßen Ermessen des jeweiligen Leiters überlassen. Die Gruppengröße ist zumeist mit zehn Minderjährigen begrenzt, weshalb das Verhältnis von 1 : 10 keinesfalls unterschritten werden darf.
Ob einer Pädagogin in Ausbildung, einer Helferin, Praktikantin oder sonstigen pädagogischen (Hilfs-)Kraft die Aufsichtsführung (für gewisse Zeit auch allein) anvertraut werden kann, richtet sich nach den Anforderungen in der Gruppe und der Eignung der betreffenden Person. Ob diese Eignung vorhanden ist, muss die Leiterin (oder Gruppenleiterin) entscheiden. Manche Einrichtungen haben hierzu eigene „Beobachtungsbögen“ entwickelt. Maßgebliche Beurteilungskriterien können etwa sein:
•Besitzt sie bereits Berufserfahrung oder Vorkenntnisse?
•Ist sie nach den bisherigen Beobachtungen als zuverlässig und gewissenhaft bekannt?
•Gibt sie ehrliches Feedback, wenn sie mit einer Aufgabe überfordert ist?
•Kennt sie die Gruppe und wird sie von ihr angenommen?
•Können ihr auch bestimmte gefahrenträchtige Tätigkeiten zugetraut werden?
Die erfahrene Pädagogin wird hier noch viele andere Kriterien kennen, anhand deren sie die Eignung einer pädagogischen Hilfskraft/ Praktikantin überprüfen kann.
Tipp
Wichtig ist auch, diese Beobachtungen zu dokumentieren, etwa in einem laufend geführten Protokollbuch, um im Fall der Fälle nachweisen zu können, warum man von der Eignung der Hilfskraft/ Praktikantin ausgehen konnte.
Auch wenn einer Pädagogin in Ausbildung, Helferin oder Praktikantin nach diesen Gesichtspunkten die Aufsichtsführung anvertraut werden kann, wird sie dennoch öfters anzuleiten sein, um bestimmte (insbesondere neue) Situationen im Arbeitsalltag bewältigen zu können. Wer die Aufsichtspflicht an eine Helferin oder Praktikantin delegiert, kommt daher nicht darum herum, diese gelegentlich (wohlwollend) zu beobachten und sich von ihrer Eignung zu überzeugen.
Hinweis
Wenn Sie einer Helferin, Praktikantin oder anderen nicht fachlich voll qualifizierten Hilfskraft die Aufsichtsführung überlassen, müssen Sie im Schadensfall nachweisen können, warum Sie davon ausgehen konnten und wie Sie sich davon überzeugt haben, dass die Helferin, Praktikantin oder Hilfskraft mit der Tätigkeit zurechtkommt. Zudem sind die landesgesetzlichen Bestimmungen einzuhalten. So ergibt sich zum Beispiel aus § 3 der Wiener Kindertagesheimverordnung, dass die Kinder während der gesamten Öffnungszeit des Kindertagesheimes von einer Betreuungsperson betreut werden müssen, die nicht bloß Helferin sein kann.
Umgekehrt bedeutet die „Betreuung“ nach dem WKTHG nicht, dass die verantwortliche Pädagogin die unmittelbare Aufsicht über alle Kinder der Gruppe zu jeder Zeit selbst auszuüben hat. „Betreuung“ beinhaltet auch, im Einzelfall geeignete andere Personen für die unmittelbare Aufsicht einzusetzen (z. B. einen Zivildiener, Praktikanten usw., die mit einem Kind auf das WC gehen oder andere Wege verrichten). Die Verantwortung für die Auswahl und Eignung dieser Hilfsperson bleibt aber bei der betreuenden Pädagogin.
Soll die Aufsichtspflicht an eine minderjährige Person (also eine Person unter 18 Jahren) delegiert werden, so ist deren Fähigkeit, sich rechtlich zu verpflichten (Geschäftsfähigkeit) zu beachten. Dabei gilt, dass sich Minderjährige ab 14 Jahren selbständig – ohne Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters – zu Dienstleistungen (z.B. Babysitten) verpflichten können und daher auch die damit typischerweise verbundene Aufsichtspflicht übernehmen können. Der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen kann dieses Dienstverhältnis jedoch aus einem wichtigen Grund lösen (z.B. Vernachlässigung der schulischen Pflichten, oder auch Überforderung mit der übernommenen Aufsichtsführung).
Möchte eine Minderjährige ein Ausbildungs- oder Lehrverhältnis (z. B. Ausbildung zur Kindergartenpädagogin) eingehen, so bedarf sie hierzu der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters (z.B. in Form der Anmeldung in der Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik). Stimmt der gesetzliche Vertreter zu, so deckt diese Zustimmung auch die Übernahme der Aufsichtspflicht durch die minderjährige Schülerin im Rahmen ihrer Ausbildung (vgl. die im Lehrplan vorgesehenen Praktika) ab.
Die Frage, welche Personen für die Aufsichtsführung geeignet sind, stellt sich insbesondere auch im Ferienlager. Die meist in nicht gewinnbringender Absicht veranstalteten Ferienaktivitäten der bekannten Vereine und Organisationen sind für berufstätige Eltern gerade während der Ferienzeit eine wertvolle Hilfe bei der Beaufsichtigung ihrer Kinder. Dürften sich die Betreiber der Ferienlager nur pädagogisch geschulten Personals bedienen, so würde dies einen nicht unwesentlichen Kostenfaktor darstellen, der letztlich auf die Eltern übergewälzt werden müsste. Wohl nicht zuletzt auf diesem Hintergrund wurde (in Deutschland, aber dies sollte auch für Österreich gelten) Folgendes anerkannt:
Hinweis
Gemeinnützige Organisationen, die Ferienaufenthalte veranstalten, genügen den Anforderungen an die Aufsichtsführung, wenn sie sich der ehrenamtlichen Hilfe von pädagogisch ungeschulten, aber verantwortungsbewussten und im Umgang mit Kindern erfahrenen Erwachsenen bedienen.
OLG Hamburg, Urteil vom 2. 9. 1971–4 U 71/71, VerR 1973, 828.
Auch in diesem Zusammenhang muss jedoch die Maßgeblichkeit des Einzelfalls im Auge behalten werden. Der Veranstalter eines Ferienlagers mit besonders „schwierigen“ Jugendlichen wird sicherlich nicht mit ehrenamtlicher Hilfe allein auskommen.
Reichen die vom Träger zur Verfügung gestellten Personalressourcen nicht aus, um die ordnungsgemäße Aufsichtsführung sicherstellen zu können, muss die Leiterin den Träger darüber (am besten nachweislich) informieren, um den Vorwurf einer eigenen Aufsichtspflichtverletzung erst gar nicht aufkommen zu lassen. Stellt der Träger nicht ausreichend Personal zur Verfügung und kommt es dadurch zu einem Unfall, so kann eine Haftung des Trägers für sogenanntes „Organisationsverschulden“ in Betracht kommen.
Vgl. S. 107 sowie eine Verantwortlichkeit nach dem VbVG, vgl. S. 128.
Werden organisatorische Mängel – insbesondere auch was die fachlichen Anstellungserfordernisse betrifft – der Aufsichtsbehörde bekannt, so hat diese dem Träger mit Bescheid die zur Behebung der Mängel notwendigen Aufträge zu erteilen. Eine Verletzung der behördlichen Aufsichtspflicht kann Amtshaftungsansprüche auslösen.
Beispiel
Die Leiterin eines Kärntner Gemeinde-Kindergartens geht in Mutterschaftskarenz. Der Träger des Kindergartens bestellt die Kindergartenhelferin Zofia, die seit drei Jahren im Kindergarten angestellt ist, vorübergehend zur Leiterin. Die Bestellung Zofias erfolgt nach Beratung durch eine Kindergarteninspektorin des Landes.
Als ein Kind eine Stunde vor Schluss des Kindergartens beim Spielen niedergestoßen wird und kurz bewusstlos ist, erkennt die allein Aufsicht führende Zofia – die keine Kenntnisse in Erster Hilfe hat – nicht, dass das Kind sofortige ärztliche Hilfe benötigt. Erst am Abend wird das Kind von den Eltern ins Krankenhaus gebracht und dort versorgt. Bei rechtzeitiger Behandlung hätte das Kind keine Folgeschäden erlitten. Die Eltern klagen im Namen des Kindes den Träger des Kindergartens sowie das Land als Aufsichtsbehörde auf Schadenersatz.
Das Gericht verneinte eine (auf Amtshaftung gestützte) Schadenersatzpflicht des Landes mit der Begründung, dass nach dem maßgeblichen Landesgesetz eine Leiterin nicht durchgehend während der Betriebsstunden des Kindergartens anwesend sein müsse, woraus zu schließen sei, dass die Aufsichtsbehörde kein Schutzgesetz verletzt, wenn sie eine Leiterin genehmigt, die über keine Ausbildung als Kindergartenpädagogin verfügt, weil Leitung und Aufsichtsführung in der Gruppe „zwei unterschiedliche Paar Schuhe“ sind und der Vorwurf der Aufsichtspflichtverletzung im konkreten Fall nicht die Leitung, sondern die Aufsicht in der Gruppe betraf.
Auf einem anderen Blatt steht, ob es Zofia als Leiterin zum Vorwurf gemacht werden könnte, das Personal so eingeteilt zu haben, dass nicht zu jeder Zeit eine in Erste-Hilfe ausgebildete Mitarbeiterin anwesend war.
Sachverhalt angelehnt an OGH, Urteil vom 30. 1. 1980, 1 Ob 42/ 79, EvBl. 1980/200.
Hinweis
Nach der geltenden Rechtslage z.B. in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich darf als Leiterin nur bestellt werden, wer (neben anderen Voraussetzungen) als Kindergarten(Hort)pädagogin befähigt (und damit in Erste-Hilfe ausgebildet) ist.
D. Welche Kinder müssen beaufsichtigt werden?
Ein Kindergarten, Hort oder eine sonstige Betreuungseinrichtung muss jene Kinder bzw. Jugendlichen beaufsichtigen, deren Beaufsichtigung vertraglich zugesichert oder faktisch übernommen wurde. Die vertragliche Zusicherung kann entweder ausdrücklich (z. B. schriftlich) erfolgen, oder stillschweigend, wenn aus den Umständen objektiv geschlossen werden kann, dass sich die Einrichtung zur Übernahme der Aufsicht rechtlich verpflichten wollte.
Beispiele
•Eine stillschweigende Übernahme der Aufsichtspflicht wird dann anzunehmen sein, wenn ein Kind (Jugendlicher) auf Einladung der Einrichtung einen Tag auf „Besuch“ kommt. Oder wenn im Ferienlager einem „fremden“ Jugendlichen erlaubt wird, an einem gemeinsamen Ausflug (z.B. Bootsfahrt) teilzunehmen.
•Hingegen kann man einer Einrichtung keinen rechtlichen Bindungswillen unterstellen, wenn ein Hortkind ohne Rücksprache mit einer Erzieherin einen Freund zu sich in den Hort einlädt, oder wenn sich im Ferienlager Jugendliche anderer Gruppen mit ans Lagerfeuer setzen.
Solchen „fremden“ Kindern oder Jugendlichen gegenüber müssen jedoch die Verkehrssicherungspflichten (vgl. dazu Kapitel VI, S. 45ff.) beachtet werden!
Ein kniffliges Problem wirft die Frage auf, welche in einer Einrichtung tätigen Personen befugt sind, die Übernahme der Aufsichtspflicht mit Wirkung für die Einrichtung (ausdrücklich oder stillschweigend) zu versprechen. Dies lässt sich in Kurzform nur dahingehend beantworten, dass der objektiv erweckte Eindruck maßgeblich ist. Übernimmt eine Helferin ein Besuchskind an der Tür, dürfen die Eltern von der Übernahme der Aufsicht durch die Einrichtung ausgehen. Übernimmt freilich eine Mitarbeiterin die Aufsichtspflicht entgegen dem Willen ihres Arbeitgebers, kann dies arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Hinweis
Als Leiterin sollten Sie klarstellen, welche MitarbeiterInnen befugt sind, Kinder zur Beaufsichtigung zu übernehmen.
III. Dauer der Aufsichtspflicht
A. Wann und wo beginnt die Aufsichtspflicht?
Wann – und wo – die Aufsichtspflicht beginnt, richtet sich nach der vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Aufsichtsführenden und dem Sorgeberechtigten des Kindes. In vielen Fällen wird die Kindergarten- oder Hortordnung – sofern auf sie im Aufnahmevertrag verwiesen wurde – nähere Bestimmungen enthalten, z.B. über die Öffnungszeiten der Einrichtung.
An welchem Ort genau die Verantwortung für das Kind auf die Betreuungseinrichtung übergeht, ist selten geregelt. Maßgeblich ist dann, was nach den Umständen üblicherweise als vereinbart angesehen werden kann.
•Sofern das Kind von einem Elternteil in den Kindergarten gebracht wird, geht die Aufsichtspflicht daher üblicherweise mit der Übergabe des Kindes an eine Erzieherin über. Bei älteren, z. B. Hortkindern, übernimmt der Hort die Aufsichtspflicht mit dem Zeitpunkt, in dem das Kind in den Verfügungsbereich – also das Grundstück – des Hortes eintritt.
•Kommt ein Hortkind vor der Öffnungszeit des Hortes an, braucht es grundsätzlich nicht eingelassen zu werden. Nur ausnahmsweise kann vom Hort erwartet werden, das Kind auch schon früher einzulassen, wenn nämlich die äußeren Umstände für das Kind außergewöhnlich ungünstig sind (Gewitter, Baustellen) und es dem Hort zumutbar und möglich ist, das Kind einzulassen. Auch in diesem Fall beginnt die Aufsichtspflicht mit dem Zeitpunkt, in dem das Kind in den Hort eingelassen wird.
•Stellt ein Kindertagesheim ein Busservice zur Verfügung, so erstreckt sich die Aufsichtspflicht freilich auch auf die Zeit, in der das Kind mit dem Bus fährt. Das heißt, die Betreuungseinrichtung ist aufsichtspflichtig, sobald das Kind in den Bus einsteigt bzw. solange bis es wieder vor seinem Haus aus dem Bus aussteigt (und dort in Empfang genommen wird, sofern es sich um ein Kindergartenkind handelt).
In welcher Weise die Aufsichtspflicht im Bus wahrgenommen werden muss, hängt vom Alter und der Anzahl der Kinder ab. Speziell bei größeren Bussen – die nicht mehr mit dem „normalen“ B-Führerschein gefahren werden dürfen – wird man davon ausgehen müssen, dass der Fahrer allein nicht mehr in der Lage ist, die Kinder ausreichend zu beaufsichtigen. Es sollte dann eine Erzieherin oder ein Elternteil mitfahren, die oder der die Kinder beim Aus- und Einsteigen sowie während der Fahrt beaufsichtigt.
Dem Fahrer