Ich widme dieses Buch all den Mutigen da draußen, die nicht für sich, sondern für andere kämpfen. Es ist schon schwer genug für die eigene Sache einzustehen. Viel schwerer ist es, an das Wohl anderer zu denken.
Wir alle wünschen uns eine bessere Welt. Wir hoffen auf Frieden, Einigkeit und Glück, das für jedermann erreichbar ist. Doch ist das die Welt, die wir uns geschaffen haben? Wir wünschen sie uns, doch wir leben in einer Gesellschaft, die andere ausnutzt, die Krieg und Ungerechtigkeiten duldet und mehr Wert auf materiellen Wohlstand legt, als auf die Unantastbarkeit einer unschuldigen Kinderseele.
Was wir den kommenden Generationen hinterlassen, ist ein Trümmerfeld. Wir schmücken es mit viel Glitter und Tamtam, bunten Farben, jeder Menge Plastik und untermalen alles mit fröhlicher Musik, doch das ändert nichts daran, dass kaputt ist, was wir lieben und wertschätzen sollten. Irgendwann werden die vielen bunten Farben so sehr abgebröckelt sein, dass unsere Kinder und Kindeskinder erkennen, was wir ihnen vererbt haben.
Doch es gibt Menschen, die ihre Augen nicht verschließen wollen. Während wir auf unseren Sofas vor unseren teuren Fernsehern sitzen und Filme schauen, die Millionen gekostet haben, stehen diese Menschen auf der Straße und protestieren für eine bessere Welt. Es sind Menschen, die nicht viel haben und doch so viel geben. Menschen, die nicht an sich denken und auch nicht an dich oder mich. Sie denken an unsere Kinder und deren Kinder.
Irgendwann werden wir alle alt sein. Wir werden uns zurückerinnern und dann? Bereuen, dass wir ein paar Partys verpasst haben und nicht immer überall mit dabei sein konnten? Nein, wenn wir alt sind, werden wir bereuen, nichts zurückzulassen. Und wir werden nichts zurücklassen, wenn wir nicht bereit sind, an die Zukunft anderer zu denken. Nur wer aufsteht und dafür kämpft, den kommenden Generationen eine bessere Welt zu hinterlassen, wird tatsächlich nie ganz von uns gehen – denn diese Menschen sind es, die etwas bewirken, etwas ändern und Zeichen setzen. An sie wird man sich erinnern, wenn wir längst zu Staub geworden sind. Alles, was sie heute für ihren Kampf bekommen, ist das Wissen, einst in Frieden und im Reinen mit sich selbst, abtreten zu können – das und ein kleines Dankeschön von dir und mir.
Sie hatten ihm einen Namen gegeben. Er brauchte lange, um zu begreifen, dass es sein Name war, den sie mal schrien, mal flüsterten.
Luc nannten sie ihn. Er kannte diesen Namen nicht. Er kannte nichts, wusste nichts und vor allem verstand er nicht, was mit ihm geschah.
Da war kein Körper, den er hätte bewegen können. Er hatte keine Stimme um zu sprechen und keine Erinnerungen an das, was ihn in diese Dunkelheit getrieben hatte oder was davor gewesen war.
Da war nur die Dunkelheit, die ihn umgab und verschlang. Da war nichts als die Leere: tiefes, konturloses Schwarz, das ihn lähmte und ihn gefangen hielt.
Ab und an hörte er Stimmen und ebendiese Stimmen nannten ihn bei dem Namen, von dem er glaubte, dass es seiner war. Auch wenn er sich an den Mann, der ihn trug, nicht erinnern konnte.
Zu Anfang hatte er noch gekämpft, hatte geschrien, doch seine Stimme war nur Schweigen. Er hatte um sich geschlagen, getreten, doch ohne Glieder, ohne Substanz, waren das alles nur Zuckungen durch einen gelähmten Geist.
Irgendwann, wenn man begreift, dass die Zeit vergeht, sich aber doch nichts ändert – wenn man nichts hat, an dem man sich festhalten kann, nichts, an dem man sich orientieren könnte – stirbt etwas in einem. Dann gibt es keine Verzweiflung mehr, weil es keine Hoffnung gibt, für die es zu kämpfen lohnt. Dann existiert man nur noch, auf irgendeine Weise.
Die Stimmen ließen ihn nicht los. Sie kamen selten und seltener, aber sie verschwanden nicht vollends. Sie hielten ihn davon ab, davon zu driften und in dem Nichts, das ihn umgab, zu verschwinden.
Da war dieser Mann, den Luc kennen musste. Auch wenn er sonst nichts wusste, dann das. Sein Leben lang hatte der Mann Luc begleitet, ihm zur Seite gestanden und war auch mit ihm in der Dunkelheit, wie ein dumpfes Spiegelbild seiner selbst.
Er war eine dieser Stimmen. Er war Kjell. Und Kjell machte ihn mit der jungen Frau bekannt.
Als Luc ihre Stimme das erste Mal hörte, war die Hoffnung wieder zurück. Mit ihr kam auch die Verzweiflung, doch damit konnte er leben – wenn man die vegetative Existenz, die er führte, Leben nennen konnte.
Ihm war, als hätte Kjell sein Schicksal gelenkt. Er hatte ihn hierhergeführt und in die Dunkelheit begleitet, wo es kein Gestern und kein Morgen mehr gab. Er hatte es getan, um Luc zu ihr zu führen.
Ihre Stimme war wie ein Leuchtfeuer in der Dunkelheit. Luc folgte ihrem Klang, auch wenn er die Worte, die sie sprach, nicht verstehen konnte. Er hätte sie verstehen müssen, aber bei dem Versuch, sie zu greifen, zerbröselten sie und wurden zu einem Teil der Leere.
Aber ihr Licht blieb. Es verschwand auch dann nicht, wenn sie ging, und leuchtete heller, wenn sie zurückkam. Es flackerte auf, mit jedem ihrer Worte, das gegen sein Gefängnis prallte – auf die Fesseln seines Geistes prasselte wie stetig tropfender Regen.
Elis. Sie ließ die Zeit wieder voranschreiten. Sie war Fluch und Segen zugleich, denn sie brachte ihn dazu zu kämpfen und das wiederum brachte die Erkenntnis mit sich, dass sein Kampf aussichtslos war.
Jedes Mal, wenn ihre Stimme verstummte, zerbrach die Welt, die er sich so mühevoll errichtet hatte. Hätte er einen Körper gehabt, er hätte sich in seiner Verzweiflung das Fleisch von den Knochen gekratzt. Doch so war es seine Seele, die darunter litt, die zerriss – und das nur, um ihn daran zu erinnern, dass er noch am Leben, gefesselt und gelähmt, aber am Leben war.
Wenn sie ging, ging Kjell mit ihr. Das schenkte Luc Mut, denn er wusste, dass Kjell ihn zu ihr und sie zu ihm geführt hatte.
Was es war, das Luc irgendwann aus der Dunkelheit zerrte und die Trümmer seines Ichs zurück in seinen Körper schüttete, wie man das Fundament eines Hauses mit dem Schutt einer Ruine füllte, wusste er nicht.
Er schlug die Augen auf und sah. Was genau, konnte er nicht definieren. Alles um ihn herum war verschwommen und dumpf. Aber ihre Stimme, sie war da. Sie war deutlicher und lauter als zuvor, sie hatte Dimensionen, eine Richtung, aus der sie kam und Luc gelang es seinen Kopf zu bewegen, um sie anzusehen.
Als er das tat, wusste er, dass er ein Gefängnis gegen das andere getauscht hatte. Vielleicht war es auch so, dass er seine Zelle gar nicht verlassen hatte, sondern nur ein trübes Fenster ihm einen Blick nach draußen erlaubte. Sein Körper tat sich schwer damit, ihm zu gehorchen. Seine Glieder waren taub und schwer, sein Geist dumpf und das Bild vor seinen Augen nur ein Chaos aus dunklen und hellen Flecken.
Ihm kam es so vor, als wäre in seinem Kopf ein Sieb und alles, was zu ihm vorzudringen versuchte, prallte dagegen und zerfiel in undefinierbare Einzelteile, mit denen er nichts anzufangen wusste.
Ebenso verhielt es sich mit den Dingen, die er sagen wollte. Sie zerbröselten, ehe sie die Windungen seines Geistes verlassen konnten.
Die Worte, die für ihn, wenn er sie dachte, Sinn ergaben, kamen ihm nicht über die Lippen. Die Befehle, die er seinem Körper gab, endeten in schwerfälligen Regungen.
Auch wenn er sich noch immer an nichts erinnern konnte, wusste er, dass er Elis warnen musste. Wovor, bekam er nicht zu fassen. Aber Kjell wusste es.
Er war auch jetzt bei ihm, wie ein Schatten, der an ihm haftete, doch längst nicht so stumm. Vielleicht hätte Luc mehr von dem, was um ihn herum geschah, begreifen können, wenn Kjell ihn nicht fortwährend angeschrien hätte. Vielleicht wäre er aber auch nicht so weit gekommen.
Ohne Kjell wäre er dem Klang von Elis' Stimme nicht gefolgt, er hätte die Augen nicht aufgeschlagen und nicht nach ihr greifen können, um sie zu warnen.
Als sie vor ihm zusammengebrochen war, kam es ihm vor, als würde sie seinen Schmerz herausschreien. Er fühlte sich schuldig.
Es gelang ihm, Elis in den Arm zu nehmen und zu halten. Das schenkte nicht nur ihr Trost, auch er fühlte sich nicht mehr ganz so losgelöst. Sie zu halten war zugleich ein Fixpunkt in die Wirklichkeit und damit eine Erinnerung daran, dass er tatsächlich dort angekommen war, wo er hingehörte: In der Gegenwart, in seinem Körper, in der wahren Welt, die außerhalb des Gefängnisses existierte, das sein Geist für ihn gewesen war und in dem er noch mit einem Bein stand.
Anna führte mich in den Salon, der an die Eingangshalle grenzte. Meine Augen brannten noch von den vielen Tränen, die ich vergossen hatte, mein Hals fühlte sich rau und kratzig an und meine Beine weich wie Pudding.
Ich sah noch, wie man dem Arzt die Tür öffnete, den sie für Luc gerufen hatten. Als gebürtige und geschulte Hexen vermochten die Andersons ja viel, aber die Untersuchung eines Komapatienten, der soeben erwacht war, überließen sie dann doch einem kundigen Mediziner.
Meine Schrammen und Kratzer hingegen hatte Amalie mit einer heilenden Salbe und magischen Worten verschwinden lassen, so dass man fast den Eindruck gewinnen konnte, meine Erlebnisse der vergangenen Tage wären nur ein schlimmer Albtraum gewesen.
Es fühlte sich falsch an, dass die äußeren Narben und Verletzungen so schnell und rückstandslos verschwunden waren. Mir kam es vor, als wollten alle vertuschen, was geschehen war. Dabei war ich innerlich längst nicht geheilt. Mein Herz war zusammen mit Kjell am Grund dieser Schlucht zerschellt.
»Trödel nicht«, ermahnte Anna mich in einem Ton, in dem nicht die kleinste Spur Mitleid lag.
Sie wusste, was mir widerfahren war, was ich erlebt und mit angesehen hatte, weil sie die Erste gewesen war, die mein Schreien gehört und in Lucs Zimmer gekommen war. Ich hatte ihr alles erzählt, die Worte waren wie ein Wasserfall aus mir herausgesprudelt und ich war ihr in die Arme gefallen. Dass sie jetzt so hart mit mir umsprang, ließ mich nicht vergessen, dass sie auf die Umarmung nicht nur eingegangen war, sondern auch tröstende Worte für mich übriggehabt hatte.
»Ist noch niemand da?«, fragte ich, als wir den menschenleeren Salon betraten.
Bisher hatte ich den großzügigen Raum nur vom Foyer aus gesehen und vermutet, dass er, wie die meisten Zimmer des Anwesens, vollgestellt wäre mit allerlei edlen Möbelstücken. Jedenfalls hatte ich mehr Sitzgelegenheiten erwartet, denn ich wusste, dass hier die Zirkeltreffen abgehalten wurden. Immerhin bestand der Hexenzirkel aus fast vierzig Frauen und Männern, die es mehrere Stunden miteinander aushalten mussten, ohne sich um die wenigen Sitzgelegenheiten zu prügeln, die es hier gab.
Tatsächlich war der Raum aber leer, bis auf die drei Sessel in der Mitte des Raumes, die sich um einen kleinen Tisch mit Marmorplatte drängten. Der Tisch war dabei ziemlich hübsch anzusehen und wohl eigens für das Zimmer angefertigt worden. Er war ebenfalls oval und der Marmor setzte sich aus den gleichen Mosaiksteinen zusammen wie der Boden. Sie bildeten eine Spirale, in deren Mitte die Sitzgruppe stand.
Anna verdrehte die Augen und deutete neben sich.
»Komm schon her«, forderte sie mich auf.
Ich war in die Mitte des Raumes und zu den Sesseln gelaufen, sie aber gleich am Eingang links abgebogen.
Widerstandslos wandte ich mich ihr zu und wollte ihrer Aufforderung Folge leisten.
Ich war zu müde, um Fragen zu stellen oder mich zu weigern, etwas zu tun, dessen Sinn ich nicht verstand. Anna hielt mich aber mit einer abwehrenden Geste auf.
»Nein, du Trottel, geh zurück und folge mir.«
Ich ging also wieder ins Foyer, wandte mich erneut dem Raum zu und bog diesmal gleich nach links ab. Zuerst merkte ich nichts, als ich der Marmorspirale folgte und mich zugegebenermaßen etwas lächerlich fühlte, war aber noch nicht bei Anna angelangt, als mir flau im Magen wurde.
Ob es eine Sinnestäuschung oder ein Zauber war, wusste ich nicht – wahrscheinlich war es beides – aber die Spirale auf dem Boden begann sich zu bewegen.
Sie floss wie ein Wasserstrudel und senkte sich dabei ab. Während der Boden von der Mitte des Raumes und vom Foyer aus betrachtet ebenerdig schien, sah man nun, dass es sich um eine Wendeltreppe handelte, die einmal um den gesamten Raum und um die Sitzecke herumführte.
Es war schwer die Stufen zu treffen, die sich durch das Mosaik kaum voneinander abhoben. Wir folgten dem Bogen und die Decke schloss sich über uns, kurz bevor wir den Raum einmal umrundet hatten und wieder in Höhe des Eingangs angekommen waren.
In den Raum darunter fiel das Licht durch den Boden, auf dem das Sitzarrangement stand. Von oben betrachtet hielt man ihn für massiven Marmor, doch wenn ich nun meinen Blick hob, wirkte er wie von Adern durchzogenes Milchglas, durch das ich die Füße der Sessel und den Sockel des Tisches sehen konnte. Dessen Gestänge bildeten von dieser Perspektive aus betrachtet einen Fünfstern, der seinen Schatten in das Gewölbe darunter warf.
So und nicht anders hatte ich mir den geheimen Versammlungsort eines Hexenzirkels vorgestellt. Ein vom Dämmerlicht in Grautönen gehaltenes Kellergewölbe, an dessen Wänden verstaubte Regale und mehrere bestuhlte Tische standen. Alles war über und über vollgestopft mit alten Büchern, Schriftrollen, Pergamenten und Flaschen mit seltsamen Flüssigkeiten, von denen manche fluoreszierten, andere sich wiederum wie von Geisterhand drehten, brodelten und blubberten. Dinge schwammen darin, von denen eines merkwürdiger aussah als das nächste. Kleine Kästchen und Vitrinen, gefüllt mit Artefakten aller Art, quetschten sich in Lücken zwischen den Büchern, Spinnweben spannten sich hier und dort über die Decke und ließen keinen Zweifel daran, dass nie eines der Dienstmädchen je den Weg hier herunter gefunden hatte.
Renoviert worden war hier sicher seit der Erbauung des Anwesens nicht mehr. Auch die Tische wirkten nicht so, als wären sie je durch neue Modelle ausgetauscht worden. Sie waren massiv, dunkel und teilweise wurmstichig; dass sie unter dem Gewicht der vielen Bücher nicht zusammenbrachen, grenzte an ein Wunder.
An drei Stellen unterbrachen schwarze, mannshohe Löcher die steinernen Wände. Ob dahinter Räume lagen oder Tunnel, konnte ich nicht erkennen. Sie waren so düster, dass man glauben musste, sie führten direkt an den Abgrund zur Hölle.
Ich fragte nicht, wohin man gelangen würde, wenn man in diese Dunkelheit eintrat. Es gab sicher noch einige Geheimnisse, die dieses Anwesen in sich barg und ich bezweifelte nicht, dass die Dinge, die sich abseits von diesem Raum befanden, dazugehörten.
Außer Anna und mir waren bereits ein halbes Dutzend anderer Hexen zu diesem außerordentlich einberufenen Zirkeltreffen eingetroffen.
Vier von ihnen trugen dunkelbraune Kutten, die anderen beiden jungen Frauen Alltagskleidung. Ich war erleichtert zu sehen, dass die Tracht des Zirkels nicht der entsprach, die von den Attentätern getragen wurde, aber auch enttäuscht, weil ich dadurch keine Anhaltspunkte mehr hatte.
»Euch ist schon klar, dass manche von uns arbeiten müssen?«, fragte eine der beiden Frauen vorwurfsvoll.
Sie sah an sich herunter und in dem Moment legte sich eine Kutte wie aus dem Nichts um ihren Körper.
Die zweite Frau wählte einen anderen Zauber. Sie strich mit den Fingern über ein Regal und pustete den Staub, der sich darauf gesammelt hatte, in den Raum. Mit einem Schritt trat sie durch den Schleier, der dadurch entstanden war, und der legte sich als graue Kutte über sie. Die Frau drehte sich im Kreis, so dass die Farbe von dem Stoff gewirbelt wurde, als wäre sie der Staub, der zuvor auf den Regalen geruht hatte, und zum Vorschein kam das satte Braun der Zirkeltracht.
»Deine Hobbys interessieren mich reichlich wenig, Britta«, entgegnete Anna gelassen.
»Hobby?«, zischte die Frau gereizt. »Ich führe einen gut laufenden Laden!«
Anna hob die Brauen, kam aber nicht dazu etwas zu erwidern, denn es traf bereits das nächste Zirkelmitglied ein.
Es war Berit, deren Ankunft sich dadurch ankündigte, dass die Mosaiksteine der Treppe laut ratternd ihre Position änderten und so eine flache Bahn bildeten, über die ihr Rollstuhl bequem nach unten gelangen konnte.
»In all meinen Jahren als Zirkelmitglied wurde ich erst ein einziges Mal zu einem außerordentlichen Treffen der Hexen gerufen und damals entschloss sich der gute alte Johnson, Vietnam zu bombardieren«, erzählte Berit nüchtern.
Es fiel mir schwer einzuschätzen, ob sie verärgert oder neugierig war. Anna schloss wohl auf ersteres, denn sie wies direkt jede Schuld von sich.
»Es war nicht meine Idee alle zusammenzutrommeln«, erklärte sie und warf mir einen kurzen, aber schneidenden Blick zu. »Amalie hielt es für nötig.«
»Nein, ich war es«, verbesserte ich Anna und trat einen Schritt vor.
Wenn Berit die Leiterin des Zirkels war und es ihr missfiel hergerufen worden zu sein, wollte ich nicht, dass jemand anderes ihre Wut abbekam.
Berit musterte mich kritisch. Ihr fiel womöglich die veraltete Dienstmädchenuniform auf, vielleicht war es aber auch etwas, das sie in meinen Augen lesen konnte, jedenfalls entspannte sich ihre Mimik sichtlich.
»Du wirst sicher deine Gründe gehabt haben und ich bin sehr gespannt darauf sie zu erfahren«, sagte die alte Frau milde gestimmt.
Anna knirschte mit den Zähnen, sagte aber nichts.
Ein Rattern wie tausend rollende Murmeln ertönte, als die Stufen der Treppe sich wieder erhoben. Schritte waren zu hören und Stian tauchte auf.
Mein Herz machte einen Sprung. Ich hatte mich so sehr danach gesehnt, ihn endlich wiedersehen zu können und nun, wo es so weit war, stand ich so neben mir, dass ich unsere Verbindung zueinander erst gar nicht wahrgenommen hatte.
»Es stört dich sicher nicht, dass ich deinen Zauber aufgehoben habe«, mutmaßte er an Berit gerichtet. Ein flüchtiges Lächeln huschte ihm über die Lippen.
»Es gebietet einem der Anstand, nicht in den Zaubern anderer herumzupfuschen«, knurrte die alte Dame wie ein bissiger Terrier. »Aber von Anstand hast du ja noch nie etwas gehört.«
»Es ist jedenfalls nicht meine Art, über Rampen zu rutschen wie ein Skifahrer«, entgegnete er zwinkernd.
Er wandte sich mir zu, sagte aber nichts, sondern sah mich nur besorgt an. Genauso wie ich seine Gelassenheit spüren konnte, als wäre sie ein Teil von mir, musste er auch merken, wie aufgewühlt ich war.
Ich presste die Lippen fest zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen. Nicht einmal direkt anschauen konnte ich ihn. Stian zu sehen wühlte alles noch einmal auf. Bis eben noch war ich mir nicht einmal sicher gewesen, ob er noch lebte oder für immer aus der Geschichte gestrichen worden war. Ich hatte es einfach nicht gewagt, nach ihm zu fragen, aus Angst zu erfahren, dass niemand je etwas von ihm gehört hätte.
Doch er lebte, er war da und das konnte nur bedeuten, dass Liv trotz allem Per geheiratet hatte.
Zu gerne wäre ich Stian in die Arme gefallen – wenn auch nur, um mich zu vergewissern, dass er wirklich da war. Doch etwas sagte mir, dass es meiner Sache nicht dienlich sein konnte, jetzt in seinen Armen weinend zusammenzubrechen.
»Was ist passiert?« Stian hatte sich an Anna gewandt und jede Gelassenheit war aus seiner Stimme und Körperhaltung verschwunden. Er wirbelte herum, als Amalie und Sander hinter ihm die Treppe herunterkamen.
»Wie wäre es, wenn wir abwarten, bis alle anwesend sind, bevor wir das besprechen?«, schlug Amalie mit der diplomatischen Stimme einer Mutter vor.
Stian ließ sich davon nicht beruhigen. Das Lächeln, das seine Miene üblicherweise beherrschte, war gänzlich verschwunden.
»Wie lange ist es her, dass die anderen zum Treffen gerufen wurden?«, fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten. »Das hier ist kein Hausfrauenhobbykurs, wir versammeln uns, um Entscheidungen zu fällen, um etwas zu bewirken und Einfluss auf die Dinge zu nehmen, die sonst niemand ändern kann. Ist es nicht so? Oder bin ich der Einzige, der das so sieht? Scheinbar nehmen einige Mitglieder des Zirkels ihr Wirken nicht sehr wichtig, sonst wären sie längst eingetroffen.« Er ließ keinen Zweifel daran, wie ernst es ihm war. Sein Blick war hart, jedes Wort hatte er mit Bedacht gewählt und die entscheidenden davon mit wohldosiertem Nachdruck betont.
»Du hast hier nichts zu sagen«, zischte Berit ihn an. Sie richtete sich mühevoll in ihrem Rollstuhl auf. »Noch bin ich die mächtigste Hexe in diesem Zirkel und ich verbitte mir diesen Ton.«
Stian hob die Hand und richtete sie mit gespreizten Fingern auf die alte Frau. Berit erstarrte mit aufgerissenen Augen in ihrer Bewegung, während Stian keine Miene verzog.
»Bist du das?«, fragte er mit schmalen, stechenden Augen. »Bist du die Mächtigste unter uns?«
Der Körper der alten Frau bebte, ihr Atem kämpfte stoßartig gegen eine unsichtbare Kraft an, die sie zu bezwingen drohte. Ich konnte sehen, wie ihre Hände sich verkrampften und ihre Finger sich tief in die Polsterung ihrer Armlehnen bohrten.
Sie sank zurück in den Sitz und atmete erleichtert auf, als Stian, von seiner eigenen Tat erschrocken, die Hand wegzog.
Er rieb sich die Finger, als könne er den verräterischen Zauber, den er gerade gewirkt hatte, einfach abwischen.
Erst jetzt bemerkte ich, dass die anderen Hexen von ihm zurückgewichen waren. Ich konnte die Angst von ihren Gesichtern ablesen. Zu meinem Erstaunen blieb auch Stian davon nicht unberührt.
Ich war mir schon eine ganze Weile sicher, dass sie ihm nur deswegen so sehr misstrauten, weil sie ihn insgeheim fürchteten. Erst jetzt begriff ich, dass es ihm nicht viel anders ging. Er versteckte seine wahre Macht aus Furcht – aus Angst, die anderen würden ihn als Bedrohung ansehen und beseitigen.
»Aber natürlich, es ist dein Zirkel«, sagte er einsichtig und rieb sich den Nasenrücken. Er schloss dabei für einen Moment die Augen, wohl im Versuch seine Gelassenheit zurückzugewinnen. »Du triffst die Entscheidungen.«
»So ist es und du …«, fuhr Berit ihn an, angestachelt von seinem Rückzug. Ich stellte mich zwischen die beiden, bevor sie weitersprechen konnte.
Ich wusste, dass die alte Dame etwas für mich übrighatte und hoffte, das würde genügen, um diesen überflüssigen Streit zu beenden.
»Ich kann nicht warten«, sagte ich.
Berit nahm meine Hand und drückte sie fest. Ihre kalten, knochigen Finger schenkten mir keinen Trost. Aber es erinnerte mich an die letzte Hand, die mich gehalten hatte und das war Kjells gewesen, die ebenso kalt, doch lange nicht so stark gewesen war, in dem Moment, als seine Augen die meinen nicht mehr hatten halten können und er das Bewusstsein verloren hatte.
Berit tätschelte meine Hand mit der ihren, riss mich damit aus meiner Benommenheit und nickte mir auffordernd zu.
»Was hat dich so verstört, Kindchen?«, fragte sie einfühlsam.
Ich ging vor ihr auf die Knie, um auf ihrer Augenhöhe zu sein, und sprach direkt zu ihr, obwohl ich ja wusste, dass meine Worte an den ganzen Zirkel gerichtet waren und sie mir alle gebannt zuhörten.
Ich bekam nur beiläufig mit, wie die anderen Zirkelmitglieder nach und nach eintrafen, während ich von Luc berichtete, wie seine Berührung mich zu Kjell gebracht hatte, wie ich von dem Mordanschlag gehört und Kjell gewarnt hatte. Mit belegter Stimme und gesenktem Blick endete ich mit Kjells Tod und meiner Rückkehr zu Luc.
»Der Sturz in die Tiefe … es war wie in diesem Albtraum, als sein Geist, das Omen, oder was es auch immer war, mich heimgesucht hat«, erklärte ich mit Tränen verklebten Wimpern. Ich blinzelte sie weg und strich die letzten Spuren davon aus meinen Augenwinkeln.
Berit strich mir die Haare aus der Stirn und schüttelte sanft den Kopf. »Du konntest nichts tun, meine Liebe. Gräme dich nicht deswegen.«
Tränen füllten wieder meine Augen und diesmal konnte ich nicht verhindern, dass sie mir über die Wangen liefen.
»Schon gut, lass es raus«, flüsterte Berit mit tröstend warmer Stimme.
Ich wollte nicht vor all den Leuten weinen. Sie standen um mich herum, flüsterten untereinander und begannen unruhig von einem Bein aufs andere zu treten. Vielleicht hatten sie Besseres zu tun, vielleicht konnten sie es aber auch nicht erwarten, ihre Meinung zu dem Thema zu äußern. Auf keinen Fall wollte ich im Mittelpunkt stehen und mich aufrichten, und ihnen in die kapuzenverhangenen Gesichter blicken, wollte ich schon gar nicht.
Ich vergrub stattdessen das meine in Berits Schoß und schloss die Augen. Sie strich mir sanft übers Haar und murmelte etwas, das ich nicht verstehen konnte, weil ich nun doch schluchzte und weinte.
»Sind mittlerweile alle eingetroffen?«, fragte Berit immer noch leise sprechend, aber deutlich genug, dass ich es verstehen konnte.
»Es sind alle da«, bestätigte Amalie.
»Für jene unter euch, die nicht alles mitbekommen haben«, begann Berit mit erhobener Stimme. »Das arme Mädchen hat eine erschreckend realistische Vision erhalten. Es ging um den Tod eines gewissen Kjell Anderson, dessen Geist ihr in diesen Fluren begegnet ist.«
Ich saß sofort wieder aufrecht.
»Vision? Nein, ich war dort!«, beharrte ich.
Berit nahm mein Gesicht in beide Hände und wischte mir die Tränen mit ihren Daumen weg. Ich bereute, mich so gehen gelassen zu haben. Ich hatte es schon bereut, als die ersten Tränen über mich gekommen waren, und nun wurde mir diese Schwäche zum Verhängnis. Sie nahmen mich nicht ernst.
»Natürlich musst du das glauben, aber vertrau mir und meiner Erfahrung. Ich habe schon ganz andere Hexen an ihrer Begabung zerbrechen sehen. Es fühlt sich real an, aber das ist es nicht. Zeitreisen sind reine Theorie, unmöglich zu bewerkstelligen und ganz sicher nicht ohne großen Aufwand durchzuführen. Eine einzige Berührung kann unmöglich ein Auslöser sein, wohl aber der für eine Vision.«
»Ich habe aber keine Visionen. Ich hatte noch nie welche und ich kenne den Unterschied zwischen Realität und Traum.«
»Was ist mit diesem Luc?«, fragte Stian und kam Anna damit zuvor, die einen Schritt vorgetreten war und schon den Mund geöffnet hatte. Ich konnte nur ahnen, dass sie keine beipflichtenden Worte für mich parat gehabt hätte, lag damit aber sicher nicht sehr verkehrt.
»Was soll mit ihm sein?«, stellte Anna als Gegenfrage mit einem herausfordernden Kopfnicken in seine Richtung. Ihre Augen funkelten dabei vor unterdrückter Wut.
Stian ließ sich davon nicht aus der Reserve locken.
»Es zweifelt hier doch niemand daran, dass er etwas mit der Sache zu tun hat, oder? Womöglich ist er sogar selbst derjenige, der den Zeitsprung …« Er brach ab, lächelte mich flüchtig an und räusperte sich dann, als hätte er sich in seiner Rede verzettelt und müsse die richtigen Worte finden um fortzufahren. »Verzeihung, diese Vision ausgelöst hat.«
»Luc ist kein Hexer«, mischte Amalie sich ein. »Bei seiner Ankunft habe ich es bereits gespürt und gründlich geprüft.«
»Er kann unmöglich der Verantwortliche sein«, sagte Anna. »Wohl aber ein Mittler, der durch seine Ähnlichkeit zu Kjell zum Auslöser wurde.«
»Wir sollten keine Möglichkeit ausschließen. Wenn auch nur die geringste Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass es eine Zeitreise gewesen sein könnte, sollten wir dem nachgehen. Luc zu befragen ist dabei der erste Schritt. Wenn ihr nicht bereit seid, dieser Sache nachzugehen, werde ich gerne selbst mit ihm reden«, erklärte Stian.
Anna lachte laut und gehässig auf, als sie die letzten Worte hörte.
»Du wirst ganz sicher keinen Fuß in die privaten Räume des Anwesens setzen, da sei dir mal sicher«, höhnte sie.
»Ihr habt den Zauber also noch nicht aufgehoben?«, fragte Stian, ohne den geringsten Zweifel daran verlauten zu lassen.
»Da kannst du Gift drauf nehmen«, mischte Sander sich ein.
Annas hysterische Lache war zu einem schiefen Grinsen geworden. »Gift haben wir jedenfalls genug, wenn du es darauf ankommen lassen willst.« Sie stemmte die Arme in die Hüften und sah Stian herablassend an.
»Es reicht jetzt!«, unterbrach ich das unnötige Säbelrasseln. »Ist es das, was ihr auf euren Treffen macht? Euch streiten und drohen, während um euch herum die Welt zerbröckelt? Stian hat vollkommen Recht, wenn er sagt, dass ihr etwas bewirken könntet. Stattdessen werft ihr euch gegenseitig Beleidigungen an den Kopf und zählt die Minuten, bis ihr wieder heim könnt, um was zu tun? Die Nachrichten zu sehen und euch darüber zu ärgern, dass nichts so läuft, wie ihr es euch wünscht?«
Ich sah in die Gesichter der Männer und Frauen, die sich in dem Gewölbe versammelt hatten. Sie waren nicht besser als ein Haufen Politiker, von denen jeder fest davon überzeugt war zu wissen, wie die Welt zu regieren war. Sie redeten und debattierten und hatten am Ende des Tages das Gefühl, weitergekommen zu sein, dabei bedeutete jeder Schritt nach vorne nur zwei zurück und jeder Erfolg war bloß ein Drehen im Kreis.
Hier waren die mächtigsten und einflussreichsten Menschen Norwegens versammelt. Gut möglich, dass einige von ihnen tatsächlich in der Politik waren, Wirtschaftsbosse oder Fernsehhelden. Es spielte keine Rolle ob Hausfrau und Mutter oder Präsident eines Megakonzerns. Hier standen sie nur untätig da und ließen die Streithähne ihre Kämpfe ausfechten.
»Es gibt ein Ritual, das Zeitreisen erlaubt. Kjell hat es mir selbst gesagt.« Nun wurden doch ein paar von ihnen hellhörig. »Also tut nicht so, als wäre es unmöglich. Ich weiß, dass es geht.«
»Ein Ritual und eine Berührung sind doch zwei völlig verschiedene Dinge«, erklärte Amalie mir, als wäre ich ein dummes Kind.
»Aber ich könnte zurück zu ihm und es verhindern, wenn ihr mir helft«, sagte ich.
Anna stieß ein hohles Lachen aus, wurde aber stumm, als Berit sie mit einem strafenden Blick bedachte. Sander war es dann, der aussprach, was seine Mutter wohl so lächerlich fand.
»Du würdest dir selbst begegnen. Falls es uns tatsächlich mit vereinten Kräften gelingen sollte, einen Zauber zu bewerkstelligen, der jemanden durch die Zeit schickt, dann nicht dich an diesen Ort«, erklärte er. »Du hältst uns bestimmt für einen Haufen Lobbyisten, die ihre Magie nur für eigene Zwecke einsetzen, aber so schlimm ist es um uns auch wieder nicht bestellt. Auch wenn Stian das gerne so darstellt. Wir wissen schon, was wir tun und wir helfen dir.«
Ich sah zu Stian, der dem widerwillig mit einem Kopfnicken zustimmte.
»Natürlich werden wir alle Möglichkeiten abwägen«, sagte Berit. »Doch zuerst konzentrieren wir uns auf die wahrscheinlichste und zudem gefährlichste. Visionen können durchaus tödlich enden. Außerdem gibt es immer einen Grund für eine Vision. Es können schlimme Dinge auf uns zukommen und wir sind nicht in der Lage, ihnen entgegenzuwirken, wenn wir die Botschaft, die du erhalten hast, nicht entschlüsseln können.«
Alles, was ich wollte, war Kjell zu retten. Ich sah nicht, was dagegen gesprochen hätte, in die Zeit vor meiner ersten Ankunft zu reisen, um ihn zu warnen. Ich musste aber einsehen, dass ich auf die Hilfe des Zirkels angewiesen war und mich wohl oder übel nach deren Tempo richten musste.
Wenn erst einmal alle anderen Optionen ausgeschlossen waren, würden sie nicht anders können, als eine Zeitreise in Betracht zu ziehen.
Es fühlte sich falsch an, mich zu fügen und den langsamen Weg zu wählen. Ich hatte Kjells Sturz noch immer vor Augen und die Panik, ihn auf dem steinigen Grund der Schlucht zerschellen zu sehen, pochte mir hinter den Schläfen. Dabei hatte ich eigentlich alle Zeit der Welt, denn wenn ich durch sie reiste, wäre sie für mich ja nicht mehr linear.
Mir das vor Augen zu führen schenkte mir nur wenig Trost, war aber der einzige Strohhalm, an den ich mich klammern konnte.
Zumindest hatte ich die erste Hürde gemeistert und den Zirkel dazu gebracht, mich anzuhören.
»Was muss ich tun?«, fragte ich Berit entschlossen.
»Du musst lernen«, antwortete sie mir mit einem Lächeln auf den Lippen. »Lerne deine Fähigkeiten zu nutzen und zu kontrollieren, dann erhalten wir die Antworten, die wir suchen.«
Das war nicht die Antwort, die ich mir erhofft hatte. Wie hätte ich denn beweisen können, dass es keine Vision gewesen war, wenn sie keine Nachforschungen anstellten?
Stian musste meine Enttäuschung bemerkt haben, denn er stellte sich neben mich und legte mir die Hand auf den Arm.
»Zuerst einmal musst du dich ausruhen«, sagte er. »Und dann erzählst du alles noch einmal. Wir werden es notieren und alle Bücher wälzen, die sich mit Traumdeutung befassen. Dann werden wir ja sehen, ob sich hinter dem Ganzen eine Vision verbirgt, nicht wahr?« Die letzten Worte hatte er zu Berit gesprochen, die zähneknirschend eine bejahende Antwort murmelte.
»Gut, ich bin einverstanden«, stimmte ich zu. »Ich erzähle es euch so oft ihr wollt und ich werde alles lernen, was ihr mir aufgebt. Aber wenn das alles zu keinem Ziel führt, will ich zurück und ihn retten.«
»Natürlich«, stimmte Amalie zu.
»Ich bringe dich auf dein Zimmer«, schlug Stian vor und deutete auf die Treppe.
Wir waren noch nicht halb nach oben gestiegen, da hörte ich schon eine hitzige Debatte ausbrechen. Die einen sprachen von dramatischen Entwicklungen und dem Ernst der Lage, die anderen murmelten was von Zeitverschwendung.
»Es kommt nicht häufig vor, dass jemand so eine Vision hat, oder?«, fragte ich Stian, als wir im Empfangszimmer angekommen waren.
»Ich kenne keinen einzigen Fall«, sagte er und zwinkerte mir zu.
Zumindest er schenkte mir Glauben, während sie sich da unten die Köpfe darüber einschlugen, ob so eine umfassende und intensive Vision einen Hinweis auf den Untergang der Welt beinhalten könnte, den das ungeschulte Hexenmädchen nur nicht in der Lage gewesen war zu begreifen oder aber, ob ich nur einen äußerst lebendigen Traum gehabt hatte, über den sich niemand Sorgen machen musste.
Im Foyer angekommen sah Stian sich um.
»Nun, was meinst du?«, fragte er mich. »Kann ich das Risiko eingehen, dich bis zu deinem Zimmer zu begleiten oder wird der Zauber, den sie gewirkt haben, um mich fernzuhalten, mich vorher schon in Glibber verwandeln?«
Ich schmunzelte. Dabei war ich mir gar nicht so sicher, ob nicht doch ein Risiko bestand. Die Räume der Angestellten lagen zwar nicht im privaten Bereich der Familie, aber ich wusste ja nicht, wie genau der Zauber wirkte – falls es überhaupt einen gab.
»Sie haben Angst vor dir, weil du so mächtig bist, oder?«, fragte ich.
Er hob die Schultern und sah tatsächlich so aus, als hätte er sich noch nie den Kopf darüber zerbrochen. So war es natürlich nicht. Ganz sicher machte er sich Gedanken darüber. Es ging ja um sein Leben.
»Ich kann oft meine Meinung nicht für mich behalten«, sagte er, ein schelmisches Lächeln auf den Lippen. »Die Andersons sind es nun mal gewöhnt, dass sich alles um sie dreht.«
»Aber das geht dir doch nicht anders, oder?«, spekulierte ich. »Du hättest doch auch gerne, dass sie sich nach dir richten.«
Er schürzte die Lippen und wirkte in dem Moment auf mich wie ein Kind, das trotz Schelte der Mutter nicht bereuen konnte, im Matsch gespielt zu haben.
»Ich bin ja auch im Recht«, sagte er und grinste schief.
»Das haben die Andersons so an sich«, meinte ich. »Sie glauben immer, alles besser zu wissen. Anderson-Blut fließt auch durch deine Adern, das ist dir doch klar, oder?«
Ich musste an das denken, was ich vorhin gesagt hatte. Ich wollte zurück und Kjell retten, doch was würde dann aus Stian werden? In meiner Zeit, im Hier und Jetzt, war er am Leben und Kjell vor über hundert Jahren gestorben. Ich hatte mit meiner Reise ins Jahr 1905 nichts daran geändert und vielleicht – rein sachlich betrachtet – sollte es auch genau so kommen, wie es gekommen war. Wer war ich denn, die Entwicklung der Geschichte bestimmen zu wollen? Aber Kjell hatte es nicht verdient zu sterben. Ich konnte nicht einfach weitermachen wie bisher und akzeptieren, was geschehen war.
»Was ist jetzt schon wieder?«, fragte Stian mit einem sanften Nicken in meine Richtung. Meine Geistesabwesenheit war ihm nicht entgangen.
Ich lächelte verlegen.
»Du musst aufhören, meine Gedanken zu lesen. Wie soll ich denn so ein Geheimnis bewahren können?«, fragte ich im Scherz.
»Du kannst niemandem ein Buch vor die Nase halten und erwarten, dass er nicht darin liest, also sag schon, was dich wieder so nachdenklich gemacht hat«, bat er mich.
»Es geht um Per«, begann ich. »Er ist dein Vorfahre und der Verlobte von Liv.«
»Also eigentlich waren sie verheiratet und hatten drei Kinder, bevor sie in hohem Alter starben«, verbesserte er mich.
»1905 waren sie nur verlobt. Wenn er nun wirklich den Mordanschlag auf Kjell geplant hat und ich zurückreise, um Kjells Tod zu verhindern? Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, wird es diese drei Kinder nie geben und folglich auch dich nicht.«
Das sanfte Lächeln, das von seinen Lippen kaum wegzudenken war, wurde breiter.
»Nach allem was du mir erzählt hast, kann er nicht der Verantwortliche gewesen sein, also zerbrich dir darüber mal nicht den Kopf.«
»Wer sollte es denn sonst gewesen sein?«, fragte ich.
Stian zuckte mit den Schultern. Er konnte es ja auch nicht wissen.
»Kjell Anderson ist gestorben, richtig? Liv Lansted hat deine Theorie diesbezüglich gehört, offensichtlich aber dennoch Per geheiratet. Hätte sie das getan, wenn ihr Verlobter für den Anschlag verantwortlich gewesen wäre?«
Ich konnte nicht abstreiten, dass darin etwas Wahres lag. Vielleicht machte ich mir wirklich zu viele Gedanken um Dinge, die ich nicht ändern und vielleicht nie beeinflussen konnte.
»Vielleicht hast du Recht«, räumte ich ein.
»Habe ich das nicht gesagt?«, fragte er zwinkernd.
Ich wunderte mich jedes Mal darüber, wie er so gelassen bleiben konnte in Anbetracht der Gefahren, die ihn umgaben. Dass er überhaupt noch Mitglied des Zirkels war und dieses Haus betrat, war für mich schon unverständlich. Andererseits war ich ja auch nicht gegangen, obwohl Anna mir anfänglich und auch jetzt noch das Leben nicht leicht machte. Manchmal gab es einfach Dinge, die einem wichtig waren und über anderes hinwegsehen ließen.
»Eine Frage habe ich noch«, sagte Stian. Er sah dabei flüchtig zur Treppe hinauf, wandte sich aber gleich wieder an mich. »Du hast gesagt, Kjell Anderson hätte dir gesagt, dass es ein Ritual gibt?«
»Ja, als er mich bei Liv gelassen hat, sprach er von einem Zauber, den der Zirkel wirken könnte, um mich in meine Zeit zurückzubringen.«
»Und wo soll dieser Zauber zu finden sein? Er könnte uns auch jetzt nützlich sein, wenn du tatsächlich noch einmal in diese Zeit reisen möchtest.«
Auf den Gedanken war ich auch schon gekommen. Liv hatte gesagt, dass außer Kjell wohl kaum jemand auf dieses Ritual gekommen wäre. Daran hatte sich ja vielleicht nichts geändert.
»Im Grimoire der Schattenbringer«, überlegte ich.
Stian lächelte wissend.
»Davon habe ich eine Abschrift«, sagte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Er sagte, der Zauber wäre nur im Original zu finden und das ist oder war damals im …« Ich stockte. Konnte ich Stian wirklich so weit trauen, dass ich ihm alles sagen konnte? Sicher war der Zeitreisezauber nicht grundlos in keiner der Abschriften zu finden.
»In der kleinen Bibliothek?«, fragte Stian.
Ich legte die Stirn in Falten.
»Ja. Woher weißt du das?«
»Ich bin hier aufgewachsen«, lachte er. »Es gab Zeiten, da bin ich hier durch die Flure gerannt und habe Pirat gespielt, während meine Eltern am Zirkeltreffen teilgenommen haben. Ich kenne jeden Winkel von diesem Haus.«
Ich sah mich um, als könne uns jemand belauschen.
»Und was hat sich geändert?«, fragte ich.
Stian hob die Schultern.
»Ich schätze, ich bin einfach erwachsen geworden und nicht mehr der, den sie von früher kannten. Keine Ahnung, aber das ist auch egal. Du bist erschöpft und ich sollte gehen.«
Ich war neugierig darauf, die ganze Geschichte zu erfahren, aber er hatte Recht. Das hier war weder der Ort noch die Zeit dafür.
»Danke«, sagte ich.
Er schüttelte verständnislos den Kopf.
»Wofür?«, fragte er.
Ich lächelte.
»Dafür, dass du mir glaubst.«
»Das ist doch selbstverständlich«, meinte er, ebenfalls lächelnd. Er sah wieder zur Treppe. »Ich kann das Foyer nicht verlassen, ohne mich in eine Kröte zu verwandeln«, scherzte er. »Aber du kannst nach dem Grimoire suchen. Ich würde nicht jedem hier so einfach vertrauen. Wenn jemand anderes auf den gleichen Gedanken kommt, ist das Buch vielleicht verschwunden, bevor du es in die Finger kriegst.«
Ich nickte.
»Ja, das könnte durchaus passieren.« Ich dachte dabei an Anna, aber auch Berit schien mir nicht so vertrauenswürdig, wie man im ersten Moment hätte meinen können. Und ich kannte noch nicht mal einen Bruchteil des Zirkels. Jeder von ihnen könnte etwas im Schilde führen.
»Ich werde in meiner eigenen Bibliothek alle Bücher wälzen. Vielleicht findet sich noch ein anderer Zauber, der dir helfen kann. Aber jetzt ruh dich erst einmal aus«, riet er mir. »Du bist noch immer ganz blass um die Nase.«
Er tippte mir dabei auf die Nase und lächelte mich auf seine gewohnt sanfte und alles besser machende Art an. Ich konnte nicht anders, ich fiel ihm in die Arme.
»Schon gut«, flüsterte er und strich mir übers Haar.
Ich war so froh, ihn wiederzusehen und zu wissen, dass es ihm gut ging. Er war der Einzige hier, der mir tatsächlich glaubte und mir helfen wollte, und ich zerbrach beinahe an dem Gedanken, wie kurz davor er doch gestanden hatte, aus der Zeitlinie gestrichen zu werden. Aber nun war alles gut. Ich war wieder hier, er war am Leben und gemeinsam würden wir einen Weg finden, die Dinge zu richten, die schiefgelaufen waren.
Ich konnte mich einfach nicht hinlegen und erst recht nicht ans Schlafen denken. Wie hätte ich auch, bei allem, was mir durch den Kopf ging? Mein erster Gedanke war, nach Theo und Morton zu schauen. Ich hatte sie schon so lange nicht mehr gesehen und in den letzten Tagen sehr vermisst.
Es war aber schon spät und sicher lagen sie im Bett und schliefen längst. Dass ich verschwunden war, hatten sie ganz bestimmt nicht einmal mitbekommen. Was für mich mehrere Tage gewesen waren, war für sie der Bruchteil einer Sekunde und so lag zwischen dieser Stunde und der, in der wir uns zuletzt gesehen hatten, gerade mal ein halber Tag – wenn nicht weniger.
Ich machte mich stattdessen auf den Weg in den dritten Stock, um nach diesem Grimoire zu suchen. Fast täglich war ich in den Korridoren dieses Stockwerkes unterwegs, aber eine Bibliothek war mir dabei in keiner Zeit aufgefallen. Natürlich hatte ich nicht hinter jede Tür geblickt. Das holte ich jetzt nach.
Schon nach dem dritten Zimmer, in das ich lugte, war mir klar, dass die Suche gut und gerne die ganze Nacht dauern konnte. Es reichte nicht aus, nur kurz meinen Kopf hineinzustecken. Hinter den Türen lagen zumeist Räume, von denen weitere Türen abgingen. Dahinter wiederum lagen Arbeitszimmer, manchmal auch nur Kammern oder begehbare Schränke oder Bäder. Hinter einer stieß ich auf ein Atelier, in dem sich Dutzende unfertige Bilder stapelten.
Die dicke Staubschicht auf den Gemälden wies darauf hin, dass schon lange niemand mehr hier gewesen war und die unvollständigen Werke wohl nie beendet werden würden. Es war eine Schande, denn der Künstler hatte zweifelsohne Talent. Er war allerdings nicht sehr ordentlich gewesen.
Das Parkett war mit bunten Flecken übersät, selbst die Holzvertäfelung der Wände war nicht verschont geblieben. Auf einem Tisch türmten sich ausgedrückte Zinntuben und Gläser, deren Inhalt längst verdunstet war. Farbige Ränder wiesen darauf hin, dass es verdrecktes Wasser gewesen sein musste. In manchen standen noch Pinsel, andere hatten wohl als Trinkgefäße gedient. Eine leere Flasche Weißwein, hinter ein paar der Gläsern versteckt, ließ das zumindest vermuten.
Des Weiteren fanden sich Paletten, auf denen die Pinsel in dicken Schichten getrockneter Farbe klebten, Spachtel, Lappen und Schwämme, die für nichts mehr zu gebrauchen waren, und dazwischen … dazwischen lag mein Handy. Verstaubt, verschmutzt und mit Kratzern übersät.
Ich schlug mit meiner Hand gegen meine Rocktaschen. Sie waren leer und mein Handy weg. Seitdem ich es hinter dem Pferdestall das letzte Mal benutzt hatte, war es in meiner Tasche gewesen und ich hatte keinen Blick mehr darauf geworfen. Wie kam es nun hierher und was war mit ihm geschehen?
Ein Geruch nach Spiritus und Leinöl stieg mir in Nase und Kopf. Mir wurde schwindelig. Die Erschöpfung tat ihr Übriges, ich schwankte, legte mir die Hand auf die Stirn und fing mich an der Tischkante ab.
Auf wackeligen Beinen zog ich mich daran entlang, stolperte zum Fenster und riss es auf. Die frische Abendluft strömte in den Raum und füllte mir die Lungen.
Eine Weile stand ich so da, atmete mehrmals tief durch und ließ meinen trüben Geist von der kühlen Nacht beleben.
Gab es denn die geringste Chance, dass Kjell noch am Leben war? Wie wahrscheinlich war es, wo ich doch das Leben aus seinen Augen hatte schwinden sehen und das wenige Zentimeter vor dem Aufprall? Und dann sollte er mein Handy gefunden und hierhergebracht haben, wo ich es über hundert Jahre später wiederfand? Wie gerne hätte ich mich an diese Hoffnung geklammert, doch Tatsache war, dass die Wahrscheinlichkeit, es auf dem Hof verloren zu haben, wo es jemand anderes gefunden hatte, viel größer war.
In meinem Rücken hörte ich gedämpft die Schritte von jemandem, der sich dem Zimmer näherte. Ich drehte mich um und erstarrte vor Schreck.
»Kjell«, brachte ich heiser hervor.
Er stand an einer Staffelei, in der einen Hand den Pinsel, in der anderen die Farbpalette. Seine Hände waren bis über die Arme mit Farbe verschmiert, auf dem Gesicht hatte er einen gelben Striemen, der so aussah, als hätte er sich mit dem Ärmel über die Stirn gewischt, und auch sein Hemd war von Farbflecken übersät.
Mit gezielten Bewegungen zog er den Pinsel über die Leinwand. Er war so in seiner Arbeit vertieft, dass er mich gar nicht erst bemerkte.
Wie konnte es sein, dass ich wieder in der Vergangenheit war? Diesmal hatte mich niemand berührt und auch der Schmerz war ausgeblieben.
Ich ließ meinen Blick über den Tisch huschen und begriff schnell, dass ich noch in meiner Gegenwart war. Die Farben waren vertrocknet, Staub lag darauf.
Hatten meine Gedanken an Kjell seinen Geist herbeigerufen? Er spukte noch immer durch dieses Haus und das war Beweis genug. Er war tot.
»Kjell?«, sprach ich ihn noch einmal an.
Er reagierte nicht. Es war, als hätten sich Gegenwart und Vergangenheit vermischt. Ich griff an die Stelle, an der mein Handy gelegen hatte, und konnte es unter meinen Finger spüren, aber nicht sehen. Das Bild, das ich vor meinen Augen sah, entsprach zum Teil der Wirklichkeit, zum Teil wohl den Erinnerungen von Kjell.
Genauer betrachtet erkannte ich, dass der Mann, den ich vor mir sah, etwas jünger war als der Kjell, den ich kennengelernt hatte. Nicht wesentlich. Vielleicht war er neunzehn oder zwanzig Jahre alt. Er war auch damals schon athletisch gewesen, mit etwas kürzerem Haar allerdings und weicheren Zügen. Ich blieb neben ihm stehen.
»Was willst du mir zeigen?«, fragte ich ihn. »Du bist doch sein Geist, oder?«
Natürlich antwortete Kjell nicht. Er hatte den Mund leicht geöffnet und sein Blick lag gebannt auf etwas, das die weiße Leinwand nur ihm preisgab. Es war ein friedlicher Ausdruck, der seine Mimik beherrschte. Das erste Mal, dass ich kein Anzeichen von Wut in seinen Augen lesen konnte. Das änderte sich aber gleich darauf.
Ich begriff, dass die Schritte, die ich gehört hatte, nicht die seinen gewesen waren. Kjells Blick verhärtete sich, als sie zum Stehen kamen. Er musste schon an der Gangart gehört haben, wer sich da näherte. Ich selbst erschrak und stolperte rückwärts, als Magnus die Tür aufstieß.
Kjell schenkte ihm augenscheinlich keine Beachtung, doch seine Anspannung war unverkennbar.
»Was willst du?«, fragte er, nachdem Magnus ihn eine Weile nur schweigend beobachtet hatte.
Mir gefiel der berechnende Blick des Mannes nicht. Irgendetwas führte er im Schilde.
Magnus grinste breit, verschränkte die Arme und lehnte sich gelassen an den Türpfosten.
»Darf man denn seinen Neffen nicht besuchen?«, fragte er unschuldig.
Kjell antwortete nicht. Seine Strichführung war längst nicht mehr so zielgenau wie zuvor. Er würde das Bild versauen, wenn er so weitermachte. Er dachte aber scheinbar nicht daran, sich Magnus zuzuwenden. Als dieser dann auf ihn zuschlenderte, verkrampfte sich Kjells Hand regelrecht um den Pinsel.
»Hast du nichts Besseres zu tun? Pächter über den Tisch ziehen oder Land verhökern?«, fragte Kjell durch zusammengebissene Zähne.
»Du hast nicht die geringste Ahnung, was ich tue, nicht wahr?«, belächelte Magnus seine Frage.
Er trat direkt hinter Kjell und sah ihm über die Schulter. Kjell kniff die Augen fest zusammen und hielt den Atem an, als Magnus ihm so nahe kam, dass dessen Lippen beinahe sein Ohr berührten.
»Du zitterst ja«, flüsterte Magnus.
Er hatte Recht. Kjell zog eine zittrige Linie über die Leinwand, die sein Werk endgültig zunichtemachte.
Ich sah, wie Magnus die Hand hob und seine Finger an Kjells Hemd entlangwandern ließ. Seine Lippen hatten diesen Schwung angenommen, den ich schon einmal bei ihm gesehen hatte. Es war das Lächeln eines Mannes, der im Begriff war sich zu nehmen was er wollte, in dem Wissen, dass ihn niemand aufhalten konnte.