Lachend läuft Wendy durch einen dichten Wald, im Hintergrund verklingt das Rauschen des Meeres. Freudig schaukelt sie den Vogelkäfig in ihrer Hand hin und her. Das Tier flattert ängstlich und aufgeregt mit den Flügeln.
»Sie sind tot, endlich tot, ich werde ihn befreien, befreien, ja, genau«, gackert sie in die Nacht hinaus. Immer tiefer und weiter läuft sie durch das Dickicht. Vorbei an gekrümmten Bäumen, die genau in diesem Moment ihre einst so bunten Blätter abwerfen, so als würde Wendy Gift ausstrahlen.
Hinter ihr entwickelt sich Nebel und verschleiert die Sicht zurück. Ihre zarten Gesichtszüge werden härter und ihre ehemals so blauen Augen entwickeln ein tiefes Schwarz. Auch ihre blonden Haare verändern sich und werden weiß.
Sie hält ein Glas in ihren Händen, in dem eine rote Flüssigkeit schwimmt: Blut, das sie gewaltsam von ihren Eltern genommen hat. Sie, Wendy, die einst die Tochter des Guten war, hat sich dem Bösen verschrieben. Jetzt ist sie auch etwas Besonderes. Aurora hat den Nordstern entfacht, Wendy hat ihn untergehen lassen.
An einer Lichtung angekommen, stellt sie vorsichtig das Glas auf den Boden und beginnt, die Mitte der Lichtung von Blättern zu befreien. Sie sammelt umliegende Steine und bildet mit ihnen einen Kreis. Nun zückt sie das Messer, an dem noch das Blut ihrer Eltern klebt. Sie beißt sich auf die Lippen, holt tief Luft und schneidet sich mit dem Messer eine Fingerkuppe ab. Um das Böse zu befreien, muss sie sich schwächen und einen Teil ihres Selbst opfern. Danach öffnet sie den mitgebrachten Käfig und holt den Vogel heraus. Das kleine Wesen mit den blauen Federn und dem goldenen Schnabel ist starr vor Schreck. Wendy hebt es mit ihren Händen nach oben, während das Blut aus ihrem Finger tropft, zögert den Bruchteil einer Sekunde und reißt ihm in einem gewaltigen Ruck den Kopf ab. Es knackt und Blut strömt aus dem offenen Hals des Vogels, dessen Körper noch letzte Zuckungen vollbringt. Seinen Kopf braucht sie, um die Energie der Lüfte freizusetzen, und legt ihn in den Steinkreis. Den Rest lässt sie achtlos fallen. Wendy geht summend zu der Stelle, an der sie das Glas mit dem Blut ihrer Eltern abgestellt hat, nimmt es an sich und tröpfelt es nach und nach über ihr schreckliches Werk. In einem grässlichen Singsang beschwört sie das Böse.
»Königliches Blut, genommen von den Mächtigsten, vergiftet durch Verrat. Ein Wesen der Lüfte, dem Wind befohlen, und Fleisch vom Apfel des Stamms. Öffne die Tore der Dämonenwelt!«
Die Erde bebt und ein Grollen ertönt, aus der Ferne hört sie Kinder schreien. Vor ihren Augen beginnt es zu wabern und es wirkt so, als würde sich die Luft erhitzen. Langsam setzen sich einzelne Partikel zu einer Gestalt zusammen.
Das Bild klärt sich und Wendy kann einen Freudenschrei nicht unterdrücken.
Pans Augen haben etwas Hypnotisches, so als ob sie einem die Seele heraussaugen könnten. Seine Haare sind haselnussbraun und sein Körper hat die Statur eines Kindes. Doch Wendy weiß, dass der Schein trügt.
»Endlich«, stößt sie hervor und verneigt sich. »Sei willkommen in Nimmerland.«
»Du …« Er geht mit ausgestreckten Armen auf sie zu, packt sie und stößt ihren Rücken gegen einen Baum, dabei drückt er ihr seinen Daumen in die Kehle. »Wieso?«, zischt er. »Wieso sollte ich dich am Leben lassen?«
»Ich … habe dich gerettet«, bringt sie röchelnd hervor. »Die Königin und der König sind tot. Ich habe sie getötet, um dich zu befreien.«
Sein Griff wird lockerer. »Du hast sie getötet?« Er lässt sie los, sieht sie nachdenklich an. Seine Lippen formen sich zu einem seelenlosen Lächeln. »Dann sollst du diejenige sein, die von nun an an meiner Seite sein wird.«
Er hebt die Hände an Wendys Kopf, öffnet seinen Mund und entblößt zwei Zungen, die immer länger werden. Ihre Augen weiten sich.
Eine Zunge schlängelt sich nach links, eine nach rechts, bis sie sich in Wendys Ohren graben. Ihre Schmerzensschreie sind laut und schrill und dennoch spürt sie, dass sie jetzt bekommt, was sie immer wollte. Macht. Dunkle Magie breitet sich in ihrem Körper aus, erfüllt sie.
Plötzlich ist es vorbei.
Vor Erregung zitternd sinkt sie zu Boden, keucht: »Ich danke dir, Peter Pan«, und bricht zusammen.
Ohne ihr weitere Aufmerksamkeit zu schenken, hebt er ab, lässt sie zurück und fliegt in die Nacht hinaus.
Während Pan über der Insel schwebt, beobachtet er alles ganz genau. Unter ihm befindet sich ein Indianercamp. Wehgeschrei dringt bis zu ihm herauf. Peter Pan kann den Schmerz spüren, der von ihnen ausgeht, ihr Leid ist seine Freude. Jede Zelle seines Körpers kribbelt vor Verlangen.
»Ja, weint nur, schreit und leidet …« Bei diesen Worten leckt er sich über die Lippen. Er fliegt weiter und empfindet nur Abscheu für die Schönheit der Insel. Unter ihm ist eine Bucht, geschützt durch Felsen, und dort schaukelt ein Schiff. Vor den vielen Fenstern brennen Kerzen. Vorsichtig fliegt er zu einem der größeren und versucht, einen Blick hineinzuwerfen. Hier sitzen zwei Frauen, von denen eine weint, und wieder leckt er sich begierig die Lippen.
Wie er diesen Schmerz liebt.
Die andere kniet vor ihr, hat ihre Hände auf den Schoß der Weinenden mit den blonden Locken gelegt und sagt etwas zu ihr. Die Haare der schluchzenden Frau glänzen, wie aus Sternen gemacht, und ihr Gesicht ist voller Blut. Auch ihre Kleidung ist beschmutzt. Jetzt beginnt die andere, ihr das Blut von den Wangen zu waschen. Mit kreisenden Bewegungen färbt sich der Waschlappen rot. Peter Pan kostet diesen Moment aus, denn hier ist der Ursprung des Schmerzes.
Hier ist etwas Schlimmes geschehen. Und hier tankt er neue Kraft für sein Vorhaben.
Für heute Nacht hat er genug gesehen. Er will sich vorbereiten, um Kräfte zu sammeln.
Schließlich muss er noch ein Portal öffnen. Er muss zurück zu dem Ort, von dem er einst durch seinen Tod vertrieben wurde. Zurück in die Menschenwelt.
Auf der Suche nach einer geeigneten Stelle schreitet er durch den vorher so lebendigen Wald. Nur noch Nebel und Fäulnis sind geblieben, das vielfältige Leben ist erloschen. Kälte und Finsternis kriechen in jede Wurzel und jedes Blatt.
»Ja, ich werde herrschen«, spricht er in die Einsamkeit hinaus. Selbst die Bäume scheinen vor seiner Boshaftigkeit zu erzittern.
»Hier ist es gut.« Pan breitet seine Arme aus und lässt magische Wellen aus seinen Finger strömen. Vor ihm erbebt der Boden und etwas gräbt sich aus der Tiefe. Langsam taucht eine Höhle aus Stein auf, sie hat die Form eines Totenkopfes. Tiefe Furchen zieren ihn, als sei er schon viele hundert Jahre alt. Flammen sprühen aus Pans Händen und er leitet sie zielgerichtet zu den Augen des Totenkopfes.
»Seid meine Wachen, ihr Feuerdämonen«, sagt er mit dunkler Stimme und augenblicklich entzündet sich in den zuvor leeren Augenhöhlen ein Feuer, das jeden gnadenlos und unbarmherzig zu verschlingen droht, der sich nähern will. Er tritt einige Schritte zurück, um sein Werk zu betrachten.
Je tiefer er in die Höhle schreitet, desto aufgeregter wird er. Pan lässt seine Hände über die Steinwände gleiten, seine Fingernägel verursachen Rillen, graben sich tief in das Gestein. Ein Kunstwerk der Grausamkeit.
Im Schutz eines Vorsprungs bleibt er stehen und zieht mit dem Fuß einen Kreis um sich. Eine unsichtbare Barriere, um die Energie in seiner Nähe zu halten.
»Portaldämonen, ich rufe euch. Kommt her und helft mir in die Menschenwelt zu gelangen. Mein Angebot soll eine Menschenseele sein. Ich bitte euch, öffnet das Tor für mich.«
Während er diese Worte spricht, ertönt ein Grollen und an der Höhlendecke breitet sich ein grünes Leuchten aus.
Ein wispernder Chor aus Flüsterstimmen antwortet: »Peter Pan … Wir nehmen dein Angebot an. Bringe uns eine Seele. Weise und klug soll sie sein, um uns mit neuem Wissen über die Menschenwelt zu nähren.«
Pan verbeugt sich und spricht: »So soll es sein.«
»Bis zur neunten Stunde der Nacht hast du Zeit, um uns den Zoll zu bringen. Solltest du versagen, werden wir die Tür zurück in diese Welt verschließen. Dein erstrebtes Königreich hier in Nimmerland wird dann niemals deines. Bringst du ihn hingegen rechtzeitig, werden wir dir für einen Zyklus Zugang gewähren.«
Nach und nach erlischt das grüne Licht, verschwindet wie Wasser in einem Abfluss.
Pan weiß, dass er nicht lange in der Menschenwelt verweilen kann. Er gehört dort nicht hin. Bringt er den Zoll nicht, sodass die Dämonen ihm den Rückweg nach Nimmerland verwehren, wird er sterben und abermals in der Dämonenwelt gefangen sein.
Ein erneutes Grollen lässt den Boden beben, Schreie des Schmerzes erklingen aus einer fernen Welt. Dann erscheint an der hintersten Felswand eine Tür, pechschwarz wie sein Inneres. Erst da tritt Pan aus dem Sandkreis heraus, geht in Richtung Tür.
Begierig, endlich hindurchtreten zu können, legt er seine Hand auf den Knauf, dreht ihn und verlässt Nimmerland, um später gestärkt zurückzukehren.
Das Portal ist im Glockenturm des Big Ben, zumindest in dieser Welt.
»Endlich. Lebensenergie …«, murmelt er und berührt dabei den kalten Stein des hohen Gebäudes. Schon hier kann er sie riechen, beinahe auf den Zungen schmecken. Er stößt sich ab und fliegt in die Luft.
Kinder, so weit das Auge reicht. So nah und ahnungslos wie Tiere, die für die baldige Schlachtung gemästet werden. Pans Augen sind geweitet und fixieren die kleinen Menschen, die unbeschwert auf dem Spielplatz spielen.
Einen Ort, an dem es von ihnen nur so wimmelt, den hat er sich so lange gewünscht. Eine bunte Speisekarte.
Ein weiterer Spielplatz erscheint unter ihm. Zwei Kinder streiten dort, ihre Eltern sind nicht zu sehen. Seine Gier wächst ins Unermessliche. Eine kleine Pause muss ihm doch vergönnt sein. Langsam lässt er sich hinabsinken, bis er auf einer Wippe landet und die beiden Jungs, die vor der Rutsche stehen, besser sehen kann. Der offenbar Stärkere, ein breit gebauter Junge mit kurzem, fettigen Haar, holt mit einer Schaufel aus und schlägt den kleineren. Er donnert ihm das Spielzeug direkt gegen die Schläfe. Sofort fängt der Geschlagene an zu weinen und Pans Erregung wird größer, als er laut nach seiner Mama ruft.
Gut gelaunt hüpft Pan von der Wippe und schlendert durch den Sand auf die Jungen zu. »Hey!«, sagt er.
Die Jungs mustern ihn. Der ältere lässt die Schaufel sinken und der jüngere sieht ihn hoffnungsvoll an.
Erbärmlich.
Langsam, sogar sehr langsam geht Pan auf das hoffnungsvolle Kind zu. Mit jedem Schritt, den er näher kommt, kann er die Hoffnung weichen spüren. Eine beklemmende Stille breitet sich aus, doch Pan genießt sie.
Genießt, wie er den Kleinen ohne Vorwarnung am Kragen packt und hochhebt, gegen die metallene Rutsche drückt. Genießt die Panik in den Augen, die Schreie des anderen, der die Schaufel fallen lässt und davonrennt.
Er fährt seine Zungen aus und leckt dem Kind die Tränen von den Wangen. Es winselt und jammert und fleht.
Dann, ohne ein weiteres Wort, stößt Pan die Zungen in den Brustkorb des Kindes und nimmt die süße Lebensenergie auf. Am Anfang wehrt es sich noch, aber es dauert nicht lange, bis es in Pans starker Hand, die immer noch um die Kehle des Jungen liegt, erschlafft. Ein letztes Röcheln, ein letztes Zucken und der Junge ist tot. Die Hülle lässt Pan auf den Boden fallen, ehe er sich wieder abstößt, nach oben fliegt und sich seiner eigentlichen Aufgabe widmet: Er muss eine weise Seele für die Portaldämonen finden.
Von hier oben erkennt er den anderen Jungen. Er heult und rennt um sein Leben.
Widerwillig schluckt Pan seine neu aufkeimende Gier hinunter und sucht den nächsten Park. Sicher wird er hier fündig werden.
Seit seinem letzten Aufenthalt in der Menschenwelt ist viel Zeit vergangen. Es ist eine Ausnahme gewesen, nicht mehr als eine Anomalie zwischen den Welten, die ihm das Glück beschert hat, sich noch einmal zu nähren. Damals herrschte Krieg und Fliegerbomben sorgten für Angst und Schrecken. Jetzt ist alles neu, die Automobile haben sich weiterentwickelt. Wie eiserne Rüstungen haben sie die Straßen erobert. Von hier oben sehen sie aus wie Spielzeuge, zerbrechlich und klein.
Endlich entdeckt er einen Park, sie scheinen rar geworden zu sein, und fliegt hinunter.
Das leise Plätschern eines Springbrunnens, um den Rosen gepflanzt sind, begrüßt den Dämon. Angewidert von dieser Schönheit stößt er versehentlich einen Hauch seines Giftes aus, woraufhin der Brunnen Risse bekommt. Vereinzelte Steinbrocken fallen von ihm ab und gleich wird er ganz einstürzen. Schnell geht Pan daran vorbei, tiefer in den Park hinein. Er ist nicht sehr belebt, doch ab und zu läuft ein Mensch an ihm vorbei. Sie sind seltsam geworden … Oder waren sie schon immer so? Ein Mann in einem dunklen Anzug und mit Brille, der eigentlich aussieht, als wisse er viel, spricht mit sich selbst und sieht sich dabei gehetzt um. Dabei drückt er zwischendurch mit einem Daumen an sein Ohr. Mit ihm werden sich die Portaldämonen nicht zufriedengeben.
Einen Moment später entdeckt er eine Frau, die einen Kinderwagen vor sich her schiebt. Wenn er sie nimmt, hat er auch gleich noch eine kleine Kinderseele … Doch im Moment dieses Gedankens erkennt er, dass sie an den Armen über und über mit bunter Farbe bemalt ist.
»Alle verrückt«, murmelt er. Die Frau sieht fragend auf, während er an ihr vorbeigeht, aber er schnaubt nur und schaut sich weiter um.
Nach kurzer Zeit erblickt er eine alte Frau. Sie sitzt auf einer der vielen Parkbänke. Vögel haben sich um sie versammelt und streiten um die besten Brotkrumen. Das ist sie! Sein Zoll. Wer, wenn nicht ein alter Mensch, könnte weiser sein? Diese Frau hat so viel erlebt und überlebt, von ihrem Wissen können die Portaldämonen zehren.
Doch vorher möchte er noch mit ihr spielen.
»Entschuldigen Sie bitte? Ob Sie mir wohl ein Stück Brot abgeben? Ich habe so einen Hunger …« Mit zitterndem Finger zeigt er auf die Brottüte.
Die Alte schaut den bettelnden Jungen voller Mitgefühl an. »Das hier ist alt und nicht mehr zum Essen für Menschen gedacht. Wo sind denn deine Eltern?«
»Meinen Vater kenne ich nicht und Mama liegt krank zu Hause.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, beginnt Pan zu weinen. Nicht laut. Er lässt nur seine Unterlippe beben und drückt mühsam eine Träne aus den Augen.
Ihr Gesicht scheint noch mehr Falten zu bekommen. Sie überlegt einen Moment, dann fragt sie: »Wie wäre es, wenn ich dir etwas koche?«
»Das wäre großartig! Das würden Sie wirklich tun?« Er schaut sie so überrascht und freudig an, wie er es kann.
»Normalerweise mache ich so etwas nicht, junger Mann«, sagt sie, steht auf und steckt die Tüte in ihre Handtasche. »Aber heute mache ich eine Ausnahme. Na, dann komm mal mit.«
Langsamen Schrittes und auf ihren Krückstock gestützt, geht sie voran. Er folgt ihr über den Sandweg, der bei jedem Schritt Geräusche macht. Sie fragt ihn alles Mögliche und er saugt sich Antworten aus den Fingern, auch wenn ihn das Spiel zu langweilen beginnt. Endlich erreichen sie das Ende des Parks, überqueren eine Straße und biegen dann in eine andere ein. Sie steuern auf das rote Backsteingebäude zu, das nur wenige Meter von ihnen entfernt ist.
»Wie ist eigentlich dein Name?« Gutmütig schaut sie zu ihm hinunter und bleibt vor der massiven Haustür stehen.
»Peter und Ihrer?«
»Ich bin die Elli.«
Mit ihren knochigen Fingern holt sie die Schlüssel hervor und öffnet die Tür zum Hausflur, dann müht sie sich mit den Treppen ab. Zum Glück wohnt sie im ersten Stockwerk, denn lange kann er nicht mehr spielen, er muss die Seele bei Anbruch der Dunkelheit wegschaffen. Unversehrt, so wollen die Portaldämonen es.
Erschöpft öffnet Elli die Wohnungstür und lässt das Böse in ihr Reich.
Deutlich gelangweilt stöhnt Pan auf. Natürlich frisst sie ihm aus der Hand, so wie jeder, den er mit seinem Äußeren täuscht. Wütend befördert er die Wohnungstür mit einem Tritt ins Schloss.
»Wurde aber auch Zeit.«
Elli dreht sich stirnrunzelnd zu ihm um.
Lächelnd geht er auf sie zu und schnalzt mit den Zungen. »Oh, ich habe ja so einen Hunger, ich armes Kind, bla, bla! Ihr Menschen seid wirklich dumm, selbst Hoppler sind schlauer.«
Elli wird ganz blass und lässt die Schlüssel fallen. Klirrend landen sie auf dem Boden. Sie starrt ihn an, stumm vor Angst.
Pan reibt sich die Hände und grinst breit. »So. Dann wollen wir mal anfangen!« Sein Kiefer knackt, als er den Mund öffnet und die Zungen entblößt. Sie schießen nach vorn, noch ehe sie zurückzucken kann, und graben sich den Weg durch die Ohren ins Bewusstsein der Alten.
Ihre erstickten Schreie bleiben ungehört.
Er darf sie nicht töten, aber ohnmächtig soll sie werden! Und gegen ein bisschen Folter haben sich die Dämonen auch nicht ausgesprochen. So rührt er in ihren Erinnerungen herum, befördert lang Verarbeitetes an die Oberfläche und quält sie, indem er sie alles noch mal durchleben lässt, unbarmherzig und kalt.
Solange, bis sie bewusstlos zusammenbricht. Es wird ohnehin Zeit. Der Dämon öffnet eines der Fenster, legt sich Elli über die Schulter und fliegt in die Dunkelheit hinaus.
Unter ihm wird die Stadt ruhiger. Menschen kommen von einem harten Arbeitstag nach Hause, einige werden bereits erwartet, viele begrüßt jedoch die Einsamkeit. Achtmal schlägt der Big Ben zur vollen Stunde. Wie sehr Pan sich von diesem Meisterwerk angezogen fühlt … Das gab es damals schon. Unerbittlich standhaft wie er selbst trotzt diese Uhr allen.
Elli stöhnt, kämpft mit ihren inneren Dämonen. Um sich gegen ihn zu wehren, ist sie zu schwach.
Er wirft sie in den Glockenturm hinein, als sei sie Abfall, und lässt sich auf einem der Vorsprünge nieder, genießt noch für einen Augenblick das Gefühl der Macht. Schließlich steht er auf und zerrt sie an einem Fuß hinter sich her, bis sie unter der großen Glocke liegt. Gemeinsam stürzen sie durch den Boden, fallen durch das Portal und landen in der Totenkopfhöhle.
»Hier ist, was ihr begehrt!« Pan hofft, dass die Dämonen sich beeilen und ihre Seele genügt, ihm für eine Weile den Zugang zu gewähren.
»Die Zeit ist knapp geworden. Zeige uns deinen Zoll.«
Er stößt Elli in die Mitte der Höhle. Stöhnend kommt sie zu sich und blinzelt verwirrt, ehe sie Pan erkennt und ihre Augen sich vor Schreck weiten. »Junge …«, wimmert sie.
»Ich bin kein Junge, altes Weib!«, knurrt Pan. »Ich bin älter, als du dir nur erträumen kannst. Und im Gegensatz zu dir werde ich auch noch viel älter werden …« Mit einem Grinsen untermalt er seine Worte.
»Warte! Dir muss Furchtbares geschehen sein, niemand verhält sich ohne Grund wie du.« In ihrer Stimme schwingt echtes Mitgefühl und dafür hasst Pan sie noch mehr. Aber er darf nicht die Kontrolle verlieren. Sie gehört ihm nicht. »Bitte hör mir zu. Noch ist nichts verloren. Du musst mich nicht tö-«
»Schweig!«, donnert er.
Ehe sie es noch einmal versuchen kann, sammelt sich das grüne Licht der Portaldämonen über dem Körper der Frau. Dann löst es sich langsam von der Decke, schlüpft durch alle Poren in sie hinein. Sie reißt die Augen auf, doch das Licht in ihnen erlischt mit jeder Sekunde mehr. Die Dämonen zehren sie gnadenlos aus, bis nichts mehr von ihr übrig ist. Elli ist fort, lediglich ihre erschlaffte Hülle liegt noch da.
»Du hast uns reiche Kost gebracht«, ertönt die Stimme. »Das Portal steht dir von nun an für einen Zyklus offen.«