Karin Ledermann
Die Hintergründigkeit des
vordergründig Banalen
edition 8
Die Hintergründigkeit
des vordergründig Banalen
Geschichten
Verlag und Autorin danken der Kommission ›Tourismus Kultur Freizeit‹ der Stadt Erlach herzlich für ihren Beitrag an dieses Buch.
Besuchen Sie uns im Internet: unter www.edition8.ch finden Sie Informa-tionen zu unseren Büchern und AutorInnen sowie Rezensionen und Veranstaltungshinweise.
Mai 2016, 1. Auflage, © bei edition 8. Alle Rechte, einschliesslich der Rechte der öffentlichen Lesung, vorbehalten. Lektorat und Umschlag: Petra Jäger; Korrektorat: Katja Schurter; Typografie: Heinz Scheidegger; Titelbildfoto: Andrea Schunert, Hannover; Autorinnenfoto: Nathalie Fux; Illustration Faltanleitung: © Tine Neubert (www.tines-bilder.de); e-Book: mbassador GmbH, Luzern
Verlagsadresse: edition 8, Quellenstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41/(0)44 271 80 22, Fax +41/(0)44 273 03 02, info@edition8.ch
ISBN 978-3-85990-270-1
Für Susanne
Beim Schreiben fiel mein Blick auf den Thunersee und ich hatte ein eindrucksvolles Gegenüber: den Niesen. Beide liessen meine Gedanken zur Ruhe kommen.
Ich weiss nicht, ob ich dieses Buch ohne diesen Ort hätte schreiben können. Danke!
Inhaltsverzeichnis
Nichts
Er
Sonntag – Familientag
Schall und Rauch?
Die Frau in Blau
Auf das Glück warten
Im Lauf der Zeit
Das Papierschiffchen
Der zehnte Hochzeitstag
Kein zurück
Die Frau in Rot
Hinter der Klippe
Sommerlinde
Die Angst vor der Angst
Die Postkarte
Du bist mein
Loïc will mee(h)r
Sie
Früher war Rauchen kein Verbrechen
Die Frau in Weiss
Abschied
Morgen, aber nicht heute
Absturz
Erinnerungen an das Leben
Der Schokoriegel
Wer bin ich?
Das letzte Fest
Die Frau in Grün
Gehen oder bleiben?
Erfüllung
Nichts
Er schüttelte die kleine Schachtel; kein Klappern, kein Rascheln war zu hören, nichts. Er betrachtete sie. Sie hatte die Grösse einer Zündholzschachtel, war vielleicht ein wenig flacher. Er konnte sie mit seiner Hand umfassen, sie sogar darin verbergen.
Etwas war in der Schachtel, er wusste es. Obwohl – eigentlich wusste er es nicht, sie hatte es ihm gesagt. Ob es stimmte, hatte er nicht überprüft.
Möglicherweise befand sich nichts in der Schachtel.
Er versuchte sich dieses Nichts vorzustellen: als dunklen Fleck, als schwarzes Loch.
Doch sowohl ein Fleck als auch ein Loch waren nicht nichts. Ein Fleck war sichtbar, ein Loch etwas, was gefüllt oder vergrössert oder verkleinert werden konnte. Ein Loch beinhaltete etwas Fehlendes – selbst wenn es lediglich das Nichts war.
Merkwürdiger Gedanke: Ein Loch beinhaltete etwas. Ein Loch symbolisierte doch geradezu, dass es nichts enthielt. Erneut der Ausdruck nichts.
Nichts, so schlussfolgerte er, gab es im Grunde genommen gar nicht. Nichts war nichts, was man sich vorstellen konnte. Wie sollte man sich etwas vorstellen, was es nicht gab! Im selben Augenblick, in dem man sich das Nichts vorzustellen versuchte, nahm es Gestalt an und war nicht länger nichts.
Er schüttelte die Schachtel erneut, stellte sich die Dunkelheit in ihrem Innern vor. Wenn nichts in ihr sein sollte, so befand sich nicht nichts darin, sondern die Leere.
Er lächelte. Somit hatte sie ihn, egal was in der Schachtel war, nicht angelogen.
Er
Anfangs hatte sie ihn einfach geliebt, uneingeschränkt.
Sie liebte den Beschützer, der nicht wollte, dass sie nachts alleine unterwegs war oder ohne ihn Lampen montierte. Sie bewunderte den Macher, der die quietschende Tür ölte und die Reifen ihres Wagens wechselte. Sie liebte das Kind in ihm, das gelobt oder getröstet werden wollte. Sie liess den Macho gewähren, der gerne ein wenig angab, und den Fährtensucher, der jeden Weg fand, auch wenn das Ziel rascher durch Nachfragen erreicht worden wäre. Sie liebte den harten Mann, der seine Gefühle verbarg, und den sanften, der sich nachts an ihren Rücken schmiegte. Sie konnte weder dem Draufgänger, dem kein Berg zu hoch und keine Skipiste zu steil war, noch dem Unschlüssigen, der sich an der Kinokasse für keinen Film entscheiden konnte, widerstehen.
Ihre Gespräche waren anregend, sie diskutierten am Küchentisch über Gott und die Welt, lachten über dieselben Dinge, um Mitternacht bestellten sie Pizza und tranken Rotwein; er nahm Anteil, war warmherzig und humorvoll.
Hat sie sich verändert? Oder er? Oder beide?
Sie kann gut auf sich selbst aufpassen, vielen Dank, sie hat keine Angst, nachts alleine nach Hause zu gehen und als Heimwerkerin hat sie sich bestens bewährt. Wenn der Macher den Rasenmäher repariert, bedankt sie sich und fragt sich, weshalb es für ihn so selbstverständlich ist, dass sie staubsaugt und seine Hemden bügelt. Das Kind in ihm quengelt; sie hat keine Lust, es zu trösten. Der Macho ist ein Grossmaul und der Fährtensucher soll bitte das GPS aktivieren, damit sie rechtzeitig ans Ziel kommen. Der Draufgänger ignoriert die realen Gefahren und für den Unschlüssigen trifft mittlerweile sie die Entscheidungen.
Die Gespräche sind banal geworden, drehen sich um Kinderarzttermine, Wochenendeinkäufe oder darum, wer den Wagen in die Garage fährt. Seine Anteilnahme wirkt aufgesetzt, das Interesse ist einseitiger geworden und sein Humor schlägt öfters in Zynismus um.
Er hat viele Gesichter – die meisten sind ihr inzwischen vertraut. Es gibt einige, die sie nicht verstehen kann, und ein paar, die sie nicht verstehen will.
Ist der Mann, der sie nachts zärtlich an sich zieht und im Arm hält, derselbe, der morgens mit ihr grollt, weil sie am Vortag vergessen hat, den Briefkasten zu leeren? Ist der kleinliche Buchhalter, der ihr den Kauf einer Handtasche vorwirft, derselbe Mann, der ihr an einem grauen Herbsttag überraschend eine Perlenkette um den Hals gelegt hat? Ist der sture, zu keinem Gespräch fähige Kerl, der seinen Blick zwei Stunden lang nicht vom Fernseher losreissen kann, weil er keine Sekunde des Fussballmatchs verpassen will, derselbe, der den ganzen Samstag mit seinem Sohn eine Legostadt baut und die kleine Tochter in den Schlaf wiegt? Ist der furzende, verkaterte Mann am Sonntagmorgen derselbe Mensch, der ihr abends den Rücken massiert und ihr im Winter, wenn sie verfroren heimkommt, ein Bad einlässt und ihr die kalten Füsse warm reibt?
Manchmal fällt es ihr schwer zu verstehen, dass all diese Eigenheiten in ihrem Mann vereint sind.
Während sie sich für den Kinoabend mit der Freundin zurechtmacht, sitzt er auf dem Sofa, auf seinem Schoss schläft die Tochter, sein Blick hängt am Fernseher, eine laute Stimme kommentiert den Eishockeymatch. Sie legt die Perlenkette um, küsst ihn auf die Stirn und verlässt lächelnd das Haus.
Sonntag – Familientag
Gebrüll aus der Küche, wütend zuerst, dann schmerz-erfüllt.
Folglich gibt es kein gemütliches – oder leidenschaftliches – Liebesspiel. Raus aus den Federn, Tränen trocknen und Blut abwischen, Tassenscherben zusammenkehren.
Frühstück. Dem Grossen schmeckt das Müsli nicht, der Vater verbrennt sich die Finger am Toaster.
Es regnet.
Spielvormittag. Die Kleine schummelt, der Grosse klebt ihr eine. Die Kleine weint, der Vater schimpft, der Grosse schmollt, die Mutter schaut auf die Uhr.
Der Vater verdrückt sich ins Arbeitszimmer und füllt die Steuererklärung aus.
Die Mutter kocht, die Katze kommt heim und erbricht sich. Während die Mutter die Kotze aufwischt, brennt der Braten an.
Das nachmittägliche Fernsehprogramm ist Schrott, die Kinder quengeln, die Lieblings-Fussballmannschaft des Vaters schiesst kein Tor und die beste Freundin der Mutter sagt den geplanten Kinobesuch am Abend ab.
Gott sei Dank ist morgen Montag!
Schall und Rauch?
Keiner soll mir sagen, dass ein Name nur ein Name und ohne Bedeutung sei. Ich weiss es besser.
Ich heisse Kim. Weder meine Mutter noch mein Vater haben mich gewollt. Mein Vater hat uns bereits vor meiner Geburt verlassen. Ich denke, hätte meine Mutter die Wahl gehabt, hätte sie ihn behalten und mich fortgegeben. Aber sie hatte keine Wahl – ich auch nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mich jemals in den Arm genommen oder mir auch nur einmal gesagt hätte, dass sie mich lieb hat.
Ich bin zwölf Jahre alt. Vor einer Woche, einen Tag vor meinem Geburtstag, bin ich mittags heimgekommen und habe auf dem Küchentisch fünfzig Franken und einen Zettel gefunden. Meine Mutter hatte ihn geschrieben. Sie sei mit ihrem Freund für zwei Wochen ans Meer gefahren. Ich sei gross genug, um diese kurze Zeit alleine zu bleiben.
Ich fühle mich nicht gross genug. Im Gegenteil, ich fühle mich immer kleiner und kleiner. Ich habe den Eindruck, ich schrumpfe und vielleicht gibt es mich eines Tages nicht mehr.
Mein Name ist Kim. Ich bin sicher, dass mir meine Mutter absichtlich einen sehr kleinen Namen gegeben hat. Nur eine Silbe, drei Buchstaben. Mehr war – und bin ich ihr nicht wert.
Wäre ihr ein Name mit lediglich zwei Buchstaben in den Sinn gekommen, dann hätte sie mir den gegeben.
***
Meine Eltern tauften mich auf den Namen Magdalena Elisabeth Christabel. Meine Mutter, das kann ich Ihnen versichern, war nicht nur dabei die treibende Kraft.
Sie ist eine leidenschaftliche Frau, die sich in erster Linie für die Rechte der Frauen, der Armen und der Unterdrückten einsetzt – mit Ausnahme meines Vaters und mir.
Meine Namensgebung begründete sie so: »Du trägst einen Namen, in den du hineinwachsen kannst – ein Leben lang.«
Wie wahr!
Magdalena, da denken Sie sicher: Ach ja, alles klar, Magdalena, die Jesus’ Füsse gewaschen hat, die Maria Magdalena an Jesus Seite beim Abendmahl – seit dem Thriller Sakrileg kennt die doch jeder. Falsch, meine Mutter hatte eine andere im Visier. Magdalena ist der angenommene Ordensname von Sophie Barat, der Gründerin des Frauenordens Sacré-Coeur. Selbstverständlich hat sie nur Gutes getan. Meine Grossmutter mütterlicherseits wurde bereits nach ihr benannt, allerdings in der bretonischen Form, also Madalenn. Wenigstens hat sich meine Mutter nicht für die polnische Variante entschieden, dann hiesse ich jetzt Madzia und jeder würde an ein Auto denken.
Mein zweiter Name geht auf Elisabeth I. zurück. Zum einen, weil sie, gemäss meiner Mutter, eine wirklich grosse Frau, eine exzellente Regentin und ihrer Zeit weit voraus war – ein grosses Kompliment aus dem Munde meiner Mutter. Hinter vorgehaltener Hand soll man getuschelt haben, Elisabeth I. nehme sich, was sie wolle, auch was Männer anbelange. Ein eher untypisches Verhalten für eine Frau dieser Zeitepoche. Zum anderen habe ich wie sie am 7. September Geburtstag; nur dass ich 430 Jahre nach ihr geboren wurde.
Mein dritter Name kommt von der Frauenrechtlerin Christabel Pankhurst, die sich in England als Suffragette für das Frauenwahlrecht stark gemacht hat. Es hätte schlimmer kommen können: George nach George Sand, Benoîte nach Benoîte Groult, beides Schriftstellerinnen, die meine Mutter verehrte. Oder sie hätte sich für eine andere Frauenrechtlerin entscheiden können, zum Beispiel Olympe, Hubertine, Minna, Shamima, Siti.
So bin ich also zu meinen Namen gekommen.
Als Kind, ich erinnere mich ungern, hing mein Name an mir, wie ein zu grosser, schwerer Mantel. Auf dem Spielplatz – wenn wir überhaupt einmal auf dem Spielplatz anzutreffen waren – riefen andere Mütter nach ihren Kindern: »Julia, Michi, Nicole, Steffi, Tobi.«
Meine rief mit strenger Stimme: »Magdalena, wir gehen!«
Reagierte ich nicht unverzüglich, so rief sie erneut, etwas lauter und strenger:
»Magdalena Elisabeth Christabel!«
Dann starrten mich verblüffte Kinder- und staunende Frauenaugen an, und ich schlich schnell davon. Oh, meine Mutter war und ist eine konsequente Frau und ich muss wohl nicht speziell darauf hinweisen, dass sie jede Verniedlichung oder Abkürzung meines Namens strikt ablehnte.
Meine Schulhefte schlug sie in schlichtes, grünes Papier ein. Die Farbe Grün hatte gemäss meiner Mutter eine positive Wirkung, sie stand für das Leben, das Vorwärtskommen, symbolisierte in China Wachstum. Die Etiketten beschrieb sie mit ihrer exakten, steilen Schrift mit meinem vollen Namen. Sie musste sehr klein schreiben.
Ich war kein glückliches Kind. Selbst heute noch mache ich dafür meinen Namen verantwortlich – was weit einfacher ist, als mich mit meiner Mutter auseinanderzusetzen.
In der Pubertät stiess ich mit jedem Zentimeter, den ich wuchs, ein paar Buchstaben meines Namens ab. Aus Magdalena wurde Maggy aus Elisabeth Lisa, aus Christabel Chris.
Mit zwanzig war ich nur noch Lis. Nur drei Buchstaben sind von meinem voluminösen Namen geblieben. Nun habe ich Platz. Ballast ist abgeworfen. Ich fühle mich wohl mit diesem Namen, er passt zu mir: schlank, agil, unkompliziert.
Entgegen der Erwartung meiner Mutter setze ich mich nicht für alle Benachteiligten dieser Welt ein. Die Welt muss von jemand anderem gerettet werden, zudem bin ich politisch inaktiv. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich mit der Illustration von Kinderbüchern; meine Daseinsberechtigung finde ich täglich in meiner kleinen Familie.
Bin ich trotz allem in den grossen Namen hineingewachsen oder habe ich ihn besiegt? Hat er sich mir angepasst und ist auf eine Grösse geschrumpft, die zu mir passt?
In den letzten Jahren hat sich der Kampfgeist meiner Mutter abgeschwächt; das Alter hat sie sanfter gemacht. Mein Vater darf zwischendurch auch recht haben und mich nennt sie öfter mal schlicht nur »Liebes«.
Die Frau in Blau
Die Frau in Blau geht zielstrebig die Strasse entlang. Nach einem kurzen Blick auf ihre Armbanduhr betritt sie auf hochhackigen Schuhen das in die Jahre gekommene Drei-Sterne-Hotel.
Er sitzt an der Bar, vor sich ein leeres Glas. Er lächelt ihr kurz zu, wortlos geht sie an ihm vorbei und steigt die ausgetretene Holztreppe hoch bis zum zweiten Stock. Zimmer 27 – wie immer seit sieben Jahren. Sie nimmt aus ihrer Tasche eine Flasche Rotwein, zwei Gläser, ein Messer, einen handbemalten Porzellanteller, auf welchem sie dunkles Brot und Käse anrichtet. Sie zieht die Vorhänge zu, entkleidet sich, legt sich aufs Bett, wartet. Es dauert lange, bis sich die Tür öffnet und er das Zimmer betritt. Er legt sich schweigend und angezogen neben sie, legt eine Hand auf ihre Hüfte. Nach einer Weile beginnt er leise zu sprechen, erzählt wie so oft von den Berggipfeln, die er bestiegen hat und seine Hand wandert gemächlich zu ihrer Brust und dann hinunter zu ihrem Bauch und weiter hinunter, bis sie sich im drahtigen Haar ihrer Scham verliert.
Später füttert sie ihn mit Brot und Käse, sie trinken den Wein. Bevor er geht, küsst er sie ein letztes Mal und sein Kuss schmeckt nach Sehnsucht.
Auf das Glück warten
Das Glück, so kommt es ihm vor, ist immer dort, wo er gerade nicht ist. Scheint die Sonne am gegenüberliegenden Ufer des Sees nicht strahlender? Klingt die Musik aus der Bar nebenan nicht unterhaltsamer? Ist das Lachen aus der Beiz um die Ecke nicht fröhlicher?
Er kommt nie zur rechten Zeit: Die besten Plätze im Theater sind immer schon reserviert, auf dem schönsten Schattenplatz unter der grossen Kastanie hat sich ein anderer niedergelassen, die interessanten Arbeitsstellen sind vergeben, ebenso die bezahlbaren Wohnungen an guter Lage und selbstredend haben die sympathischsten Frauen schon längst einen Partner.
Das Glück ist ihm nie hold, er rennt ihm immer hinterher.
Was wäre, wenn er einmal innehielte? An einem Ort verharrte, damit das Glück ihn fände?
Dann sässe er entspannt auf einer Bank, spürte die Sonne oder den Wind auf seiner Haut und zufrieden stähle sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Eine vorbeischlendernde Frau würde meinen, das Lächeln gelte ihr und sie würde es erwidern. Er sähe ihre hübschen Sommersprossen, die freundlichen Augen, das aparte Gesicht und ihren aufrechten Gang. Er bäte sie, sich neben ihn zu setzen oder lüde sie zu einem Kaffee ein, und die Tür wäre weit offen für das Glück. Vielleicht träte es in sein Leben ein.
Leider ist ihm dieser Gedanke noch nie gekommen.
Im Lauf der Zeit
Herbst 2005
Nicole rekelt sich im Bett, Nico streicht über ihren nackten Bauch, sie schnurrt wie eine zufriedene Katze und dreht sich lächelnd zu ihm um:
»Guten Morgen, mein Liebling. Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag! Was wollen wir heute unternehmen?«
Er küsst sie auf die Schulter. »Worauf hast du denn Lust?« Nicole braucht nicht lange nachzudenken.
»Wollen wir wandern gehen?«, fragt sie und schaut ihm zärtlich in die Augen.
»Mmhh …«, brummt er zögernd.
»Oder«, überlegt sie, »möchtest du lieber im Garten faulenzen … oder an den See fahren?«
Er streckt sich und gähnt: »Nein, nein. Wandern ist eine gute Idee. Wo möchtest du hin?«
»Was hältst du von der Lombachalp? Ich war seit einer Ewigkeit nicht mehr dort.«
Nico schwingt die Beine aus dem Bett: »Also gut, dann aber los, du Schlafmütze!« Mit einem Griff zieht er ihr die Bettdecke weg: »Schluss mit Faulenzen!«
»Das musst du gerade sagen!«, protestiert Nicole und wirft ein Kopfkissen nach ihm.
Nico lässt sich wieder aufs Bett fallen, wie zwei junge Hunde rangeln sie um das Kissen, bis sie völlig ausser Atem sind.
Nach einem langen Kuss stehen sie auf, packen Brot, Käse, eine Flasche Wasser und Sonnenmilch in den Rucksack und verlassen, nach einem weiteren Kuss, Hand in Hand das Haus.
Sommer 2007
Draussen ist es noch dunkel, aber Nicole ist schon wach. Der Schlaf ist in letzter Zeit ein launischer Geselle, er kommt spät und geht früh. Sie dreht sich um und hofft, dass sie wieder einschlafen kann. Vergeblich. Im spärlichen Licht der Leselampe fängt sie an, ein Kreuzworträtsel zu lösen und hypnotisiert dabei immer wieder die unsäglich trägen Zeiger der Uhr. Als sich das frühe Tageslicht endlich seinen Weg durch das Zimmer bahnt, macht sie die Lampe aus und schmiegt sich an Nicos Rücken. Er dreht sich im flüchtenden Schlaf zu ihr um und zieht sie an sich.
»Gut geschlafen, Liebes?«, fragt er mit verschlafener Stimme.
»Nein, wieder nicht.«
Ihre Antwort quittiert er mit einem Schnarchen. Nicole rüttelt ihn sachte, sie liegen Bauch an Bauch, liebevoll streicht sie ihm durchs Haar.
»Was wollen wir heute unternehmen, Liebling?«, fragt sie.
»Mmhh, weiss nicht«, brummt er und streichelt ihre Brust.
»Nun sag schon«, drängt sie ungeduldig.
»Gartentag, faulenzen.«
»Nicht schon wieder«, stöhnt Nicole, »das haben wir bereits die letzten beiden Wochenenden gemacht.«
»Was schlägst du denn vor?«
»Wir brauchen Bewegung!«, sagt sie bestimmt. »Wir machen einen ausgedehnten Spaziergang, verbunden mit einem gemütlichen Picknick.«
Er grunzt unwillig und dreht sich auf den Rücken.
»Wenn es dir nicht passt, dann mach doch einen anderen Vorschlag«, fordert sie ihn auf.
Er überlegt, dreht sich wieder zu ihr, und fragt mit einem spitzbübischen Lächeln: »Wohin soll’s denn gehen, Süsse?«
»In den Jura, Etang de la Gruère.« Sie küsst ihn und steht auf.
Sie bereitet das Picknick vor, während er auf dem iPhone den Wetterbericht studiert. Dann verlassen sie das Haus, sie schliesst die Haustür ab, er verstaut die Wanderschuhe und den Rucksack im Auto.
Frühling 2010
Nico hat eine strenge Woche hinter sich und die bevorstehende Besprechung am Montagmorgen mit seinem Chef vergällt ihm das Wochenende. Er weiss, dass es ein schwieriges Gespräch werden wird und er sich mächtig ins Zeug legen muss, um zu verhindern, dass einer seiner Mitarbeiter Opfer des Spardrucks wird.
Kein Wunder, dass er schlecht schläft! Erst gegen Morgen fallen ihm die Augen zu und als Nicole ihn um halb acht weckt, ist er müde und unausgeschlafen.