Irene Liechti

Einhorn-Tanz

Eine Bewegungsmeditation

Für M. Sch.

in tiefer Dankbarkeit

Einleitung

Das Einhorn in Vergangenheit und Gegenwart

Wie es zu diesem Buch kam

Der Einhorn-Tanz, eine Bewegungsmeditation

Beschreibung der Form

Kurzfassung der Form

Anleitung zum Üben, Gesetzmäßigkeiten

Vorübungen: Lemniskate-Bewegungen

Wirkung der Form

Einhorn – ein spirituelles Märchen

Begegne deinem Einhorn

Eine innere Reise

Schilderungen von Kursteilnehmerinnen

Abschließende Gedanken

Glossar

Literatur/Quellennachweis

Dank

Der Einhorn-Tanz im Film

Einleitung

“Erste Spuren klar,

im tief verschneiten Winterwald –

Atemwölkchen fein

dem Himmel entgegenziehn,

auf der Lichtung das Einhorn!“

Bewusst begegnete ich dem Einhorn vor mehreren Jahren in einem Buch, welches ich in die Ferien mitgenommen hatte. Neugierig probierte ich all die beschriebenen Übungen aus und hatte erstaunliche Begegnungen mit der geistigen Welt. Alles ging ganz leicht und mühelos. Meine Faszination war geweckt, und mein Radar wurde auf «Einhorn» eingestellt. Es war ja nicht so, dass ich keine Ahnung von Meditation und inneren Reisen hatte. Durch meine Arbeit als Tai Ji- und Qi Gong-Lehrerin sowie als Lebensberaterin bewege ich mich seit Langem auf einem spirituellen Weg. Aber bei dieser Einhorngeschichte ging mir das Herz ein großes Stück weiter auf. Und plötzlich nahm ein lang gehegter Wunsch Form an: nämlich, selber eine Bewegungsmeditation zu entwickeln und mit dem Einhorn zu verbinden. Voller Freude machte ich mich ans Werk – und wieder lief alles wie am Schnürchen.

So steht nun die Bewegungsmeditation «Einhorn-Tanz» im Zentrum dieses Buches. Mit Text und Bild wird sie genau erklärt. Es ist jeweils genügend Raum vorhanden, um eigene Notizen/Skizzen hinzuzufügen. Eingebettet ist der «Einhorn-Tanz» in verschiedene Kapitel, welche diverse Aspekte rund ums Einhorn beleuchten. Darunter das spirituelle Märchen «Einhorn», welches ich selber verfasst habe und das für mich das zweite Kernstück dieses Buches darstellt.

Die einzelnen Kapitel werden jeweils von einem Tanka eingeleitet, welches ich selber kreiert habe. Das Tanka ist ursprünglich eine japanische Gedichtform. Sie entstand im 7. Jahrhundert und stellt noch immer eine beliebte, feste Versform dar. Im klassischen Sinn besteht das Tanka aus 31 Silben in fünf Versen, die sich aus 5-7-5-7-7 Silben zusammensetzen. Wo immer möglich, habe ich diese Silbenabfolge einzuhalten versucht.

Das Einhorn in Vergangenheit und Gegenwart

“Ein Schatten so klar

fliegt auf sonnig hellem Sand

vorbei wie ein Traum –

was bleibt, sind Zuversicht und

klingendes Licht im Herzen.“

Jedermann weiß, wie ein Einhorn aussieht, obwohl es im Tierreich nicht vorkommt. Seit Jahrtausenden wird das Einhorn in unterschiedlichen Kulturen erwähnt, verehrt oder auch gefürchtet. Zahlreiche Sagen und Mythen sind diesem zauberhaften Wesen gewidmet.

Die folgenden fünf Abschnitte sind dem Sinn nach Aleke Thujas Buch entnommen1: So soll dem chinesischen Kaiser Fu Hsi vor 5000 Jahren ein Einhorn, «k’i-lin», begegnet sein. Er studierte die magischen Zeichen auf dessen Rücken – und aus diesen Symbolen habe der Kaiser die chinesischen Schriftzeichen entwickelt.

Einer anderen Überlieferung zufolge begegnete die Mutter des Konfuzius einem Einhorn. In seinem Maul trug es eine Jadetafel, auf der die große Weisheit beschrieben war, zu welcher dieser Knabe heranwachsen sollte. Und Konfuzius selbst wurde, so will es die Legende, kurz vor seinem Tode von einem Einhorn besucht.

Weiter taucht das Einhorn im Zusammenhang mit verschiedenen Religionen auf. Siddharta, der als Gründer des Buddhismus gilt und auf Krone und Macht verzichtete, um Wanderprediger zu werden, hat sich in einem Gedicht mit dem einsam umherstreifenden Einhorn verglichen.

Der Legende nach soll ein «selbstverständliches» Tier im Paradies mit Adam und Eva gelebt haben. Verschiedene Darstellungen aus dem Mittelalter stellen diese Szenen mit einem Einhorn dar. In dieser Zeit galt das Einhorn im christlichen Kontext als Symbol für das Reine, Erhabene. Der sechsteilige Millefleurs-Wandbehang «La Dame à la Licorne» ist um 1500 in Brüssel im damals bedeutendsten Webzentrum Europas entstanden und weltbekannt. Heute befindet er sich im Musée de Cluny in Paris. Rilke hat die sechs Wandteppiche in «Die Dame mit dem Einhorn» wunderbar beschrieben.

Als Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte, verwendete er wieder den ursprünglichen Namen «Einhorn» für das einhörnige, pferdeähnliche Tier und nicht mehr «Rhinozeros», wie es seit Jahrhunderten üblich war.

Im schamanischen Kontext erscheint das Einhorn sehr oft als Krafttier mit ganz speziellen Attributen wie überirdische Ausstrahlung, glockenhelle Stimme, leuchtendes Horn, sanfte Augen und Rosenduft. Alles dreht sich um Wahrhaftigkeit und Göttlichkeit.

Ob in der Heraldik, im Märchen, in Romanen, Erzählungen und Gedichten – das Einhorn taucht auch heute immer wieder auf. Besonders beeindruckt hat mich das Gedicht «Einhorn» von Hilde Domin:

Die Freude

dieses bescheidenste Tier

dies sanfte Einhorn

so leise

man hört es nicht

wenn es kommt, wenn es geht

mein Haustier

Freude

wenn es Durst hat

leckt es die Tränen

von den Träumen.“

Aktuell erscheinen Filme und viele Kinder- und Jugendbücher mit dem Einhorn als Titelhelden. In letzter Zeit hat ein regelrechter Hype eingesetzt. So findet man das Einhornsujet auf Ansichtskarten, Stickern und Nippes. Aufblasbare Einhornschwimmtiere, Einhornwürste oder Einhornparkplätze sind anzutreffen … ob passend oder unpassend, sei dahingestellt.

Ebenso erhält das Einhorn in der esoterischen Welt neuen Aufschwung – im Buchhandel gibt es viele Neuerscheinungen – das Einhorn als höchst spirituelles Wesen!

1) Vgl. dazu: Aleke Thuja, Dem Einhorn auf der Spur – zur Kulturgeschichte eines Mythos, München 1988, S. 8f., 11, 24, 27ff.