Inhaltsverzeichnis

Das Buch:

Dieser Roman handelt von unerklärlichen Funden, die absolut nicht in das herkömmliche Bild der Archäologie und unserer Entwicklung passen.

Im Jahr 1947 öffnet Knut Wagner beim Erzabbau eine Höhle, in der er sonderbare Wandbeschriftungen mit fremdartigen Symbolen und einer ausländischen Schrift sieht. Außerdem findet er moderne Teile, die er überhaupt nicht kennt oder zuordnen kann.

60 Jahre später erbt sein kanadischer Neffe Robert Wagner unter anderem auch das Tagebuch von Knut Wagner und liest darin von den damaligen Funden. Er hält die beschriebenen Objekte für Compact Disc und Handyüberreste und ist sofort fasziniert von den Aufzeichnungen seines Onkels. Woher stammen diese zeitlich unmöglichen Stücke?

Robert Wagner hat die Zeit und die finanziellen Mittel, um die geheimnisvollen Entdeckungen seines Onkels aufzuklären.

Der Autor:

Hermann Lühr, Jahrgang 1953, verheiratet, zwei erwachsene Töchter.

Arbeitet als Altenpfleger und wohnt in Schöningen, Niedersachsen.

Er schreibt seit 1999 Romane um rätselhafte Geschehnisse.

Buchveröffentlichung: „Die Kristallpyramide“, 2008.

Prolog

1347v. Chr., Theben, Ägypten.

Die beiden kahlköpfigen Priester saßen sich auf ihren Liegen gegenüber. Zwischen ihnen, auf einem reich verzierten Tisch, stand eine große, mit Ernteszenen bemalte Keramikschale mit allerlei Früchten, ein schlichter Tonkrug mit Wasser und eine goldene Karaffe mit Wein, die beiden kunstvollen Kelche waren ebenfalls aus Gold.

Der Oberpriester hob nach langem Schweigen den Kopf, sah seinem Stellvertreter – der jünger und erheblich fülliger war – in die Augen und sagte: „Amenhotep ist nun vollends dem Wahn verfallen. Die Feinde bedrohen uns, das Land versinkt in Chaos und Anarchie – und dem Pharao ist nichts wichtiger, als dass das Volk vermehrt zu seinem Sonnengott Aton beten und die letzten alten Götter aufspüren und vernichten soll.“

„Wenn Echnaton erfährt, dass du ihn mit seinem abgelegten Namen nennst, lässt er dich auch zu den Krokodilen werfen.“

„Das wird er nicht mehr können.“

Der dicke Priester wollte sich gerade mit spitzen Fingern eine Dattel nehmen, nun zuckte seine Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. „Wie? – Was soll das heißen?“

„Amenhotep muss weg. Zum Wohle Ägyptens, zum Wohle Amuns und seiner treuen Diener. Es ist höchste Zeit.“

„Aber…“ Der Stellvertreter sah sich erschrocken nach allen Seiten um und sprach noch leiser, obwohl sie alleine in dem großen Raum waren. „Willst du ihn etwa…“

„Ja.“

„Aber das ist Mord – Frevel“, flüsterte er entsetzt. „Mord am Gott Pharao.“

„Mein Gott ist und bleibt der allmächtige Amun.“

Allein der Name des verbotenen Gottes machte den Dicken schon nervös, trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn. „Und wann?“, fragte er mit trockener Kehle.

„Heute Abend. Bald.“

„Und wer? – Und wie?“ Die Frage nach dem Thronfolger behielt er lieber für sich.

„Damit brauchst du dich nicht zu belasten“, antwortete der Oberpriester und verzog den Mund zu einem spöttischen Grienen.

„Das wird zu einem richtigen Bürgerkrieg führen.“

„Im Gegenteil. Das wird für Ruhe und Ordnung sorgen. Und für eine Rückbesinnung auf die alten Werte.“

„Aber es ist Mord am…“

„Was ist schon ein Toter im Verhältnis zu den Tausenden von Ermordeten im Namen Atons? Wer zählt die vielen Leichen, die im Nil schwimmen und die Krokodile mästen? Diese eine Tat verhindert doch weitere Morde.“

Der Dicke leerte seinen Kelch, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und wollte zu einer ausführlichen Erwiderung ansetzen: „Aber trotzdem ist Echnaton…“

Mit einem harten „Genug!“ hackte der andere seine Rede ab. „Der Pharao wollte noch mehr Dummheiten begehen. Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen handeln.“

„Wir?“, fragte sein Untergebener vorsichtig und hielt sich dabei am goldenen Kelch fest, wobei die Fingerkuppen der rechten Hand fast zärtlich über die getriebenen Wölbungen des Trauben-Reliefs strichen.

„Ja, wir. – Wir, die Priesterschaft des Amun. Auch du gehörst zu diesem Wir. – Davon gehe ich jedenfalls aus.“

„Natürlich“, versicherte er krächzend, als hätte er Wüstensand im Hals. Er stellte den Kelch behutsam auf den Tisch. Seine Hand kreiste suchend über die Obstschale, entschied sich für eine geschälte, halbierte Feige. Mit dem köstlichen Geschmack im Mund fühlte er sich gleich besser. „Was denn für weitere Dummheiten?“

„Er wollte das überlieferte Geheimwissen und alle Gegenstände aus dem Sarkophag der großen Pyramide dem Volk zeigen.“

„Auch die sprechenden Bilder?“

„Aber klar“, der Oberpriester nickte. „Der sonderbare Apparat sollte in einer feierlichen Prozedur in die Sonne gestellt und durch die Strahlen seines verehrten Atons wieder mal zum Leben erweckt werden.“

„Was wirklich sehr beeindruckend war.“ Er dachte an die wundersamen beweglichen Bilder, an diese fliegenden Dinger und die riesigen Wolkenpilze.

„Eben. Wie hätte das erst auf das einfache Volk gewirkt? Das hätte unabsehbare Folgen gehabt. Das musste unbedingt verhindert werden.“

„Ja.“ Der Dicke nahm die andere Hälfte der Feige.

„Stell dir nur die Auswirkungen dieser sogenannten Botschaft vor: Nur Sonne ist Leben, Liebe ist alles, für Aton sind alle gleich, keine Götter – keine Priester, allen gehört alles, man soll friedlich leben und sogar seine Feinde lieben. Das wäre unser aller Untergang gewesen.“

„Die Hethiter lieben?“, fragte er genüsslich kauend. „Wer wäre schon so wahnsinnig?“

„Unser Pharao Amenhotep. – Außerdem wollte er die doppelseitige Form wieder benutzen und damit viele Scheiben herstellen und in alle Länder senden. Diese gebrannten Tonscheiben mit den unbekannten Zeichen. So, wie es früher zu Zeiten der Antefs schon einmal gemacht wurde.“

„Wozu?“

„Um die ganze Welt mit dieser Botschaft und Aton zu beglücken. – Und in der Hoffnung, irgendein fernes Genie könne den Rest der seltsamen Zeichen entziffern.“

„Wer sollte weiser sein als unsere Gelehrten?“

„Fürwahr.“ Der Oberpriester nickte und sah an seinem missliebigen Stellvertreter vorbei, starrte in die Glut des Kohlebeckens – und in seiner Fantasie sah er, wie die Sonnenanbeter den unheilvollen Zauber-Apparat in der heiligen Barke des Amun transportierten. Diese Schändung durfte er niemals zulassen. Mit einem Ruck schaute er wieder auf sein Gegenüber und sagte: „Ich werde alles vernichten.“

„Was?“

„Ich werde den Sarkophag leeren und alle fremden Unterlagen und Gegenstände in der Mitte des Nils versenken. Damit nie wieder ein Pharao diesem gefährlichen Irrglauben verfällt.“

„Auch die sprechenden Bilder?“, fragte der Dicke verstört und zog seine Kutte am Hals zusammen, weil ihm plötzlich kalt war, da rieselten eisige Schauer über seinen Rücken.

„Ja. Alles.“

„Und die vielen Zeichnungen und Landkarten, die vielen Pläne für Maschinen, Bewässerungen, Bau- und Hebevorrichtungen?“

„Kommt alles weg. Ich werde alles vernichten. Für alle Zeiten.“

„Aber die Sachen könnten uns ungeheuer nützlich sein.“

„Oder ungeheuer schaden. So wie in den letzten verheerenden Jahren.“

„Dieses uns weit überlegene Wissen könnte…“

„Noch Wein?“

„Aber gerne.“

Der Oberpriester nahm die Karaffe und goss den Kelch halb voll, das Gold bespiegelte sich gegenseitig.

„Du kannst ruhig voll schenken.“

„Ohne Wasser?“, fragte er kritisch.

„Ich kann einen kräftigen Schluck gebrauchen.“ Der Dicke senkte den Blick zur Obstschale und sah auf die gemalten Fellachen, die kniend das Korn schnitten. Der Oberpriester goss etwas Wein nach, stellte die Karaffe auf den Tisch, hob seinen Kelch und sagte feierlich: „Zum Wohle Amuns!“

„Ja. Auf Amun!“ Der andere nahm erleichtert den gefüllten Kelch und musste sich beim Trinken beherrschen, ihn nicht in einem Zug zu leeren.

473v. Chr., Epidauros, Griechenland.

Timoklet war ein erfahrener Gold- und Silberschmied, der schon mehrere Aufträge für das Heiligtum zur vollsten Zufriedenheit erledigt hatte. Deshalb war er auch schon oft hier gewesen, kannte den obersten Verwalter und viele Heiler, Priester und Bedienstete. Doch heute hatte er eine Verabredung mit dem bedeutenden Heiler Polysias, mit dem er noch nie gesprochen hatte, darum fühlte er sich nicht recht wohl in seiner Haut.

Er kam jetzt zwischen dem Stadion und dem Wohnhaus der Athleten hindurch, verließ die Straße und bog nach links ab, ging dann durch den kleinen Olivenhain und sah Polysias schon von weitem, denn er stand im Schatten des Asklepios-Tempels und seine weiße Tunika hob sich deutlich vor den bemalten Säulen ab.

Timoklet zwang sich zu festen Schritten und war rasch bei ihm. Sie begrüßten sich freundlich und Polysias schätzte ihn dabei blitzschnell von oben bis unten ab: vom leicht angegrauten Haar und den braunen Augen über den erdfarbenen, aber sauberen Chiton bis zu den Sandalen. Der Handwerker spürte starkes Unbehagen, hielt aber dem prüfenden Blick stand.

„Schön, dass ihr meinem Ruf gefolgt und pünktlich seid.“

„Gerne, hoher Herr“, Timoklet verneigte sich etwas und bemerkte dabei ein kleines, weißes Bündel, das der Heiler in der linken Hand hielt.

„Lass uns ein paar Schritte gehen. Jetzt ist es noch nicht so heiß.“

„Ihr ließet mir ausrichten, ihr hättet einen Auftrag für mich?“

„Ganz recht. Etwas Besonderes, für euch sicherlich Ungewöhnliches.“

„So?“ Sofort war die Neugier des Kunstschmieds geweckt.

Die beiden schritten langsam nebeneinander her, links wurde der umfriedete Bezirk durch das Abaton begrenzt, in dem die Kranken schliefen, um den heilenden Traum zu empfangen.

„Es geht darum, ob ihr mit euren Fertigkeiten sehr feine Teile für uns herstellen könnt.“

„Keine Schmuckstücke?“

„Nein. Aber nicht minder kunstvoll und exakt.“

„Aus Gold?“, fragte Timoklet.

„Nein. Zu weich.“

„Also Silber?“

„Wahrscheinlich. Mal sehen.“

„Habt ihr Entwürfe, Zeichnungen oder gar Muster?“

„Ja. Hier in dem Tuch“, Polysias hob kurz das kleine Bündel hoch.

„Gut. Wenn es schon ein anderer geschafft hat, werde ich es wohl auch vollbringen.“

„Das ist die rechte Einstellung.“ Der Heiler schmunzelte arglistig.

„Aber wartet, bis ihr die Stücke gesehen habt.“

„Ja. Sicher.“

„Lass uns dort in den heiligen Hain gehen.“

„Aber darf man da einfach so…“

„Wir schon. – Da darf nur kein Mensch sterben und keine Frau gebären. Beides haben wir nicht vor.“

Sie kamen in den Schatten der riesigen Bäume, und Timoklet schaute ehrfürchtig zu den dichten Kronen empor.

„Lass uns dort hinsetzen“, Polysias zeigte auf eine Marmorbank unter einer mächtigen Zypresse. „Dort will ich euch die betreffenden Teile zeigen.“

„Hier? Hier draußen im heiligen Hain?“

„Ja. Hier sind wir ungestört. In den Häusern haben die Wände Ohren.“

„So?“ Die ganze Angelegenheit kam Timoklet nicht geheuer vor.

„Wenn ihr meint.“

Sie setzten sich auf den kühlen Stein, und nach einem Rundumblick wickelte Polysias das Bündel vorsichtig auf seinem Schoß aus, zum Vorschein kamen ungefähr zehn verschiedene Miniaturwerkzeuge aus silberfarbigem Metall. Der Heiler nahm ein Teil, das wie ein Storchenschnabel aussah und sich auch so schloss, wenn man die beiden Schenkel oben zusammen drückte.

„Was ist das?“

„Eine Pinzette“, antwortete Polysias und reichte sie ihm.

„Sehr fein gearbeitet.“ Timoklet untersuchte staunend das fremdartige Stück, drückte es mehrmals zusammen. „Ist aber kein Silber. Scheint viel härter zu sein.“

„Aber trotzdem edles Metall, denn es rostet nicht und zeigt keinerlei Korrosion. – Und das ist sehr wichtig.“

„Also geht Eisen auf keinen Fall?“

„Nein. Auch kein Kupfer.“ Polysias nahm ein anderes Teil, das einen langen Griff und vorne eine kurze Klinge hatte. „Hier. Aber vorsichtig, es ist sehr scharf.“

„Ein Messer?“

„Wir nennen es Skalpell.“

„Was macht ihr damit?“, Timoklet besah sich den präzisen Schliff.

„Heilen.“

„Ich denke, Asklepios heilt die Kranken.“

„Auch ein Gott kann nicht alles alleine machen“, Polysias lächelte und gab ihm eine feine Zange mit rechtwinkelig abgebogener Spitze. „Wir sind seine Diener und helfen ihm beim Heilen.“

„Wunderbare Arbeiten“, Timoklet legte das Skalpell und die Pinzette wieder behutsam zu den anderen Stücken und betätigte begeistert die Zange.

„Kannst du diese Instrumente aus Silber herstellen?“

„Ja. Das Schwierigste ist die jeweilige Mechanik. – Aber sie werden sich schneller abnutzen als diese. Was ist das für ein Metall?“

„Wir wissen es nicht.“

„Woher habt ihr diese Spezialwerkzeuge?“ Timoklet legte die Zange zurück und berührte mit dem Zeigefinger nacheinander die restlichen Teile: eine hohle Sonde, zwei unterschiedliche Klemmen, ein löffelartiges Besteck, zwei entgegengesetzt abgebogene Doppelhaken, eine gekrümmte Schere und einige Nadeln.

„Sie sind schon lange im Besitz meiner Familie und kamen vor Urzeiten aus einem fernen Land im Osten.“

„Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gesehen.“

„Also übernehmt ihr den Auftrag?“

„Ja. Gerne.“ Timoklet wollte lieber nicht wissen, wofür genau die Heiler diese Dinger brauchten.

„Oberste Pflicht ist allerdings absolute Verschwiegenheit. Niemand darf diese oder eure Instrumente sehen.“

„Auch kein Mitarbeiter?“, fragte Timoklet und legte seine Hände seitlich auf die Marmorbank, die kühle Glätte tat gut, beruhigte ihn.

„Nein. Niemand. Das ist Voraussetzung.“

„Gut.“

„Dann sind wir uns also einig.“ Polysias warf einen Blick zurück und wickelte dann das Besteck wieder sorgfältig in das weiße Tuch ein.

„Und der Preis?“

„Wird auf jeden Fall eurer Leistung gerecht werden.“

„Wunderbar!“, sagte Timoklet und klatschte mit beiden Händen auf seine nackten Knie.

„Kann man eigentlich auch eine kleine Säge aus Silber entsprechend benutzen?“

„Kommt darauf an, was ihr sägen wollt.“

„Natürlich“, Polysias nickte mehrmals und band das weiße Bündel zusammen.

47v. Chr., Alexandria, Ägypten.

Ariston arbeitete seit 23 Jahren als Archivar in der weltberühmten Bibliothek von Alexandria. Sie war der Mittelpunkt des Museions, einer universellen Forschungsstätte für Philosophen, Dichter, Wissenschaftler, Künstler und Gelehrte. Seit über 250 Jahren kam an dieser Akademie die geistige Elite vieler Länder zusammen, viele betrieben hier ihre Studien, viele weltbewegende Erkenntnisse hatten hier ihren Ursprung. Mathematiker und Astronomen wie Archimedes und Euklid stellten hier ihre Berechnungen an. In 700.000 Buchrollen war das gesamte Wissen der Welt an diesem Ort vereint.

Ariston hatte die geistige Atmosphäre und den Geruch von Papyrus und Pergament geliebt. Doch jetzt saß er hier niedergeschlagen am Tisch seines Bruders und hatte nur noch den beißenden Brandgestank in seiner Nase. Die einzigartige Bibliothek stand in Flammen. Er hatte noch schnell seine uralte Lieblingskarte gerettet und war vor dem Feuer geflohen. Er hatte viele seiner Kollegen und mehrere Gelehrte gesehen, die so wie er auch einige Rollen unter ihren Gewändern verbargen und weg rannten.

„Du hast dein Leben für diesen Papyrus riskiert?“, fragte sein Bruder.

„Daran habe ich nicht gedacht. Ich musste diese einmalige, unersetzliche Landkarte einfach retten.“

„Du hättest bei lebendigem Leib verbrennen können.“

„Andere haben auch Schriftstücke gerettet“, Ariston wischte sich über die Ruß beschmierte Stirn. „Aber fast alles ist verbrannt – verloren. Weg. Für immer aus dem Gedächtnis der Menschheit verschwunden.“

„Wie kam es zu dem Brand? Hat jemand das Feuer gelegt?“

„Ich weiß nicht. Niemand hat uns gewarnt. Auf einmal war es da.“

„Die konnten unsere Bibliothek aber auch nicht einfach den Römern überlassen“, sagte sein Bruder.

„Aber wir hätten die wichtigsten Rollen heimlich wegbringen und verstecken können.“

„Die römischen Spitzel sind überall.“

„Dieser unermessliche Verlust für die Zivilisation“, Ariston schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Wasser.

„Was ist denn so einmalig an dieser Karte?“

„Alles“, er berührte liebevoll die Rolle. „Da ist viel mehr eingezeichnet als unsere Welt, wie wir sie heute kennen.“

„Aber woher soll sie kommen? Wer soll dort hingefahren sein und diese Karte angefertigt haben?“

„Das ist unbekannt. Da wusste auch keiner der Gelehrten eine Erklärung für.“ Ariston konnte immer noch nicht fassen, dass diese ganzen bedeutenden Schriften genauso brannten wie irgendwelche unwichtigen Papyrusrollen. Dem Feuer war es vollkommen gleichgültig, ob es Weisheiten oder Einkaufslisten verschlang. Es brannte, qualmte und stank genauso und wurde ohne Unterschied zu Asche. Der Inhalt war einerlei, ob von Herodot oder Platon oder einem einfachen Fischhändler.

„Gibt es noch viele fremde Länder?“, fragte sein Bruder.

„Ja. Weit im Westen gibt es einen großen Doppelkontinent, der ungefähr in der Mitte durch eine schlanke Landbrücke miteinander verbunden ist. Die unterste Spitze von diesem südlichen Teil hat wiederum eine schmale Landverbindung mit einem großen Kontinent, der sich unterhalb unserer Welt erstreckt.“

„Noch südlicher als das Ende von Afrika?“

„Ja. Soll ich es dir zeigen?“, er wollte die Rolle ausbreiten.

„Darf ich das denn sehen?“

„Du solltest es natürlich nicht weiter erzählen.“

„Zeig es mir lieber nicht.“

„Gut.“ Ariston war froh, dass sein Bruder darauf verzichtete, denn erfahrungsgemäß konnte er noch nie ein Geheimnis für sich behalten; schon als Junge hatte er immer alles ausgeplaudert.

„Also ist die Welt in Wirklichkeit noch viel größer?“

„Ja. Im Norden gibt es auch noch mehr und im Osten sind weite Gebiete. Und im Südosten gibt es noch einen großen Inselkontinent.“

„Aber es muss doch schon mal jemand dort gewesen sein.“

„Sicher“, sagte Ariston. „Aber niemand, den wir kennen.“

378, Tikal, Mittelamerika.

Sie hatten ihn beschimpft, mit Abfällen beworfen und unter lautem Geschrei in den Urwald gejagt. Ihn, den großen Feuermacher, der viele Jahre lang ein bewunderter Zauberer und angesehener Gestalter der heiligen Zeremonien war. Sie hatten ihn vertrieben, weil sein wertvolles rotes Teil plötzlich kein Feuer mehr machen konnte. Mit Schweißperlen auf der Stirn hatte er immer wieder mit dem Daumen an dem Funkenrädchen gedreht, bis die Haut abgeschabt war und das Blut ihm am Handgelenk herunter lief. Doch dieses Mal gelang es nicht: die Funken kamen, aber keine Flamme.

Dass er ausgerechnet jetzt versagte und offensichtlich von den Göttern und seinem Blut verlassen wurde, wo der tapfere Rauch-Frosch – der Bruder von Groß-Jaguar-Tatze – eine Armee für den Eroberungszug zusammenstellte, mussten alle als Verrat und böses Omen ansehen. Er, der ehemalige Feuermacher, musste verschwinden, um die Götter zu besänftigen, damit sie ihnen den Sieg über Uaxactún schenkten.

Nun hockte er hier im Wald am bemoosten Stamm eines Baumriesens und kaute seine letzten Kokablätter. Er besaß nur noch ein Messer, die mit Obsidian bestückte Keule, seinen Schurz, den Kopfschmuck aus Quetzalfedern, das unbrauchbare Feuerteil und seine prächtigen Amulette. Sonst hatte er nichts mehr. Er, der feuerlose Feuermacher.

In Gedanken sah er sich auf der turmhohen Plattform des Tempels stehen, beim Anzünden des Brandopfers. Nach dem großartigen Blick über Tikal mit seinen zahlreichen emporragenden Tempeln, mehrstöckigen Gebäuden und unzähligen Treppen schritt er würdevoll die vielen Stufen herunter, als stiege er vom Himmel zu den Winzlingen der Erde herab. Er, der berühmte feuermachende Mayapriester. Stolz ging er auf der großen Straße zum Platz des Jaguars, alle Entgegenkommenden verneigten sich vor ihm, und er erwiderte ihre Ehrerbietung mit einem hochmütigen Kopfnicken. Das einfache Volk bewunderte ihn und seine Macht über das Feuer; doch bei den Oberen gab es etliche Neider, die ihm sein rotes Zaubergefäß gerne entwendet hätten.

Durch das Gebrüll mehrerer Affen und das Kreischen zweier über ihm flatternder Papageien wurde er wieder in die einsame grüne Wirklichkeit zurückgeholt. Nunmehr könnten die Anderen das wertlose Stück behalten. Er nahm es aus dem Beutel und untersuchte es, hielt das sonderbare Material gegen das Licht, konnte aber jetzt keine Flüssigkeit mehr erkennen, auch beim Schütteln war nichts mehr zu hören. Er drehte mit dem Zeigefinger – um seinen wunden Daumen zu schonen – am Rädchen und die Funken kamen. Das bewegliche schwarze Plättchen unterhalb des Rädchens, das beim Betätigen mit heruntergedrückt wurde, machte auch kein zischendes Geräusch mehr. Was immer für ein unbekanntes Feuermittel in dem Behältnis gewesen war, nun war es weg. Sein Wundergerät war leer und erloschen – und somit war auch sein Ruhm für immer erloschen wie ein erkalteter Vulkan, er war genauso nutzlos wie dieses fremdartige Teil.

Er erinnerte sich daran, wie er es vor vielen Jahren aus der Grabkammer eines vergessenen Herrschers gestohlen hatte, zusammen mit diesem herrlichen Jade-Amulett und goldenem Fußschmuck; wie er mit dem merkwürdigen roten Ding gespielt hatte und plötzlich eine Flamme daraus kam und so lange blieb, wie er das schwarze Plättchen fest hielt. Damals hatte er sofort erkannt, dass dieses Feuerteil für ihn viel wertvoller war als Gold oder Jade; es machte ihn reich und berühmt, er war der einzige Maya, der mit seinem Daumen eine Flamme entfachen konnte.

Über ihm war eine fast lautlose Bewegung. Er blickte hoch und sah einen wie schwerelos gleitenden Quetzal. Der heilige Vogel landete auf einem Ast, seine langen Schwanzfedern hingen prunkvoll herab, sie schimmerten grün und blau, die äußeren waren weiß, seine Brust scharlachrot. Er starrte zu dem Vogel empor und spürte Freude und wieder erwachende Kräfte und Zuversicht. Das war ein gutes Zeichen. Der Quetzal war der geflügelte Götterbote der Maya und brachte ihm hier eine Nachricht von ihnen. Die Götter hatten ihn nicht verstoßen, der bunte Vogel überbrachte ihre Grüße und Verbundenheit.

Der Quetzal flog davon, und er stand auf, steckte das rote Teil zurück in den Beutel und reckte sich erleichtert. Er war nicht verloren. Nun musste er Wasser und etwas zu essen finden, und später ein Dach über den Kopf. Er würde zu der Milpa seines Onkels gehen, das müsste er bis zur Dämmerung schaffen. Er wollte auf keinen Fall die Nacht hier im Urwald bei den Raubtieren und Schlangen verbringen. Dort würde er um Unterkunft und Bleibe bitten und seine Dienste bei der Maisernte, beim Zisternenbau und besonders bei der Brandrodung anbieten, denn da war er ja schließlich der Fachmann. Er lächelte und ging los, schlug mit der Keule das Dickicht zur Seite.

836, Ajanta, Indien.

Bovinda war ein hübscher, stolzer Jüngling: groß, schlank, mit feinen Gesichtszügen und offenem, aber oft herablassendem Blick. Er fühlte sich zu höherem berufen, hielt sich für schöner, begabter und besser als seine Altersgenossen, auf die er allzu oft spöttisch herabsah; nicht nur, weil er sie um fast einen Kopf überragte. Aber eigentlich hatte Bovinda überhaupt keinen Grund, eingebildet und überheblich zu sein, denn er kam aus ärmlichen Verhältnissen: sein Vater war ein einfacher Feldarbeiter und konnte die sechsköpfige Familie kaum satt bekommen, seine Mutter half trotz ihrer vielen Arbeit noch im Haushalt eines wohlhabenden Beamten, um nicht nur etwas zu verdienen, sondern um hauptsächlich Nahrungsreste und alte Kleidung mit nach Hause zu bringen. So wie dieser Beamte wollte Bovinda einmal leben, nicht so wie seine armen, sklavischen Eltern, die er tief verachtete.

Sie wohnten – für Bovinda war es mehr ein Hausen – in der alten Höhlenanlage, die früher einmal, zur Blütezeit der Gupta-Dynastie, ein berühmtes Bauwerk gewesen war, das buddhistische Klöster und Tempel beherbergt hatte, die mit Wandmalereien reich verziert und mit zahlreichen Skulpturen gefüllt waren. Heute war von dieser einstigen Pracht nicht mehr viel übrig, nur Treppen, Säulen und verblasste Inschriften und Bilder. Die unterschiedlich großen Räume, von kleinen Altarnischen und Gewölben aller Art bis zu den gewaltigen Tempelhallen, wurden im Laufe der Zeit zweckentfremdet und für die verschiedensten Unterbringungen genutzt: als Wohnungen, Viehställe, Holzkammern, Werkstätten, Lagerräume oder als Müllhalden. Die armen Leute benutzten diese aufgegebene Anlage als stabile, kostenlose Behausung und hatten sich am Fuße der Felsenstadt kleine Gartenparzellen angelegt, in denen sie auch allerlei Geflügel hielten.

Außer seiner edlen Erscheinung hatte Bovinda nicht viel, womit er angeben konnte. An erster Stelle war da die uralte Flasche aus weichem Glas, die als wertvollstes Stück zwischen den Heiligtümern im Familienaltar stand. Nur sein Vater besaß solch ein sonderbares Gefäß, und im Zusammenhang mit diesem ehemaligen Priesterzentrum wurde es zu etwas einmalig Geheimnisvollem, das jeden Betrachter erstaunen ließ.

Heute wollte Bovinda seinen neuen Freund, den Sohn eines Händlers, damit beeindrucken. Sie gingen lachend zwischen den kleinen Gartenstücken hindurch, ärgerten die Perlhühner, brachten die Enten zum Schnattern und stürmten schließlich die lange Treppe hoch. Oben blieb der ungewohnte Ersteiger außer Atem stehen, und Bovinda rief seinen Vater heraus, um nicht sein schäbiges Heim vorführen zu müssen.

„Ja, mein Sohn?“

„Mein neuer Gefährte Gulga würde gerne unsere berühmte Flasche aus weichem Glas sehen“, Bovinda deutete auf den japsenden, rotköpfigen Jungen.

„Gerne, mein Sohn. Folgt mir.“ Der Vater war froh, dass sein so fremder Sohn mal etwas von ihm wollte, dass er wenigstens ein Teil hatte, auf das er stolz sein konnte.

Sie gingen nach rechts in den engen Gebetsraum, wo der einfache Altar aufgebaut war. Zwischen den hinduistischen Göttern, unter dem vierköpfigen, vierarmigen Brahma und seiner Gattin Sarasvati, zwischen Vishnu und dem elefantenköpfigen Ganesh stand die durchsichtige, unten grünliche Flasche. Der Vater nahm sie vorsichtig herunter und reichte sie seinem Sohn. Der hielt sie wie einen kostbaren Schatz, zeigte sie seinem Freund, drückte sie etwas zusammen.

„Siehst du, es ist weiches Glas“, sagte Bovinda. „Es ist unzerbrechlich, man kann es ruhig fallen lassen. Hier, nimm sie und befühle sie.“

Gulga nahm ehrfürchtig die Flasche und unter seinem behutsamen Fingerdruck gab das merkwürdige Material nach. Er lächelte und sagte: „Es stimmt. Es ist biegsames Glas. Wirklich seltsam.“ Er tippte gegen den Flaschengrund und fragte: „Woher kommt das Grün da drinnen?“

„Wahrscheinlich von Algen“, antwortete der Vater. „Sie war lange Zeit im Wasser.“

„Woher habt ihr sie?“

„Sie lag hier in einer Tempelecke.“

„Und wie alt ist sie?“, Gulga besah sich den gerillten Flaschenhals.

„Uralt. Sie war schon vor 400 Jahren hier.“

„So alt?“

„Noch viel älter“, sagte der Vater. „Der hundertjährige Mönch, der im letzten Sommer starb, der hat erzählt, sie sei vor Jahrtausenden bei Hochwasser aus den Bergen gekommen, schwamm da auf dem Fluss. So hätte es die Priesterschaft überliefert.“

„Unglaublich! Danke!“, Gulga gab die Flasche dem Mann zurück.

„Da staunst du, wie?“, Bovinda strahlte, fühlte sich groß und eingeweiht.

„Ja. Du hattest wirklich Recht.“

„Wie immer.“

„Und wer ist das da?“, Gulga zeigte auf ein verblichenes Wandbildnis.

„Das ist Buddha.“ Der Vater stellte die Flasche wieder auf ihren Platz. „Der wurde früher einmal hier verehrt.“

1504, Florenz, Italien.

Der Geldverleiher hatte die Münzen gezählt, geprüft und wieder in den kleinen Lederbeutel klimpern lassen, den er jetzt genau mittig vor sich auf den Tisch stellte. Er lehnte sich zurück, sah sein Gegenüber misstrauisch an und fragte: „Woher hast du nun auf einmal das Geld her, um endlich deine Schulden zu tilgen?“

„Ich habe etwas verkauft“, antwortete Ernesto.

„So? Und was?“

„Ein Schmuckstück aus Familienbesitz.“

„Und was für ein Teil?“

„Eine goldene Brosche.“ Das war gelogen, aber Ernesto sah überhaupt nicht ein, warum er diesem Halsabschneider die Wahrheit sagen sollte. Es war kein Schmuck gewesen, sondern ein äußerst ungewöhnliches Teil aus sehr leichtem Metall, das einem schwebenden Geier nachgebaut schien, ohne irgendwie vogelartig zu sein, eher wie das Modell eines Flugapparats.

„Und warum konntest du sie nicht schon eher zu Geld machen?“

„Man trennt sich doch nicht so leicht von alten Erbstücken“, sagte Ernesto. Der Wucherer wollte ein Verhör? Das konnte er haben. Er würde sich schon die passenden Antworten einfallen lassen, nur nicht die richtigen.

„Und wem gehörte die Brosche?“

„Meiner Großmutter.“ Dieses merkwürdige kleine Ding hatte sein Vetter aus dem reichhaltigen Arsenal des Vatikans entwendet; wie vorher schon allerhand Sachen, die sie dann gemeinsam bei verschiedenen Hehlern verkauft hatten.

„Und der Rest der Familie war damit einverstanden?“

„Es war nicht einfach“, Ernesto verzog vielsagend das Gesicht. Dieser Beutelschneider war ja furchtbar neugierig. Der große Cäsar sollte diesen leichten, silbrigen Flieger von seiner Kleopatra geschenkt bekommen und mit nach Rom gebracht haben.

„Und an wen hast du die Brosche verkauft?“

„An einen Pfandleiher am Stadtrand.“

„Seinen Namen kennst du nicht?“

„Nein“, Ernesto schüttelte mit ehrlichster Miene den Kopf. Er hatte dieses einzigartige Stück an einen Mitarbeiter der Werkstatt des berühmten Leonardo da Vinci verkauft. Der war ja sicherlich ein bedeutender Künstler, andererseits aber auch ein wenig verrückt mit seinen ausgefallenen Erfindungen. Deshalb war er auch stets an außergewöhnlichen Dingen interessiert.

1

1756, Hohegeiß im Harz, Königreich Preußen.

Gustav Wagner war seit über 10 Jahren Bergmann, doch viel lieber wäre er in eine Schreibstube gegangen. In der Schule war er stets der Beste in Deutsch gewesen, hatte auf allen Zeugnissen ein ‚Sehr gut’ gehabt. Sein Lehrer hatte vergeblich versucht, den Vater davon zu überzeugen, dass der begabte Sohn auf eine Höhere Schule wechseln sollte. Doch sein Vater – selbst Bergmann – hatte vier Kinder, seine Frau und seine Mutter zu versorgen und konnte sich eine andere Schule nicht leisten. Der Junge musste so schnell wie möglich Geld zum Familieneinkommen beisteuern. So ging auch der schlaksige Gustav zur Erzgrube ‚Louise’, arbeitete anfangs in der Aufbereitung und begann dann auf sein ausdauerndes Drängen hin mit der Lehre. Vielleicht konnte er später ja immer noch den Beruf wechseln, wenn er volljährig und unabhängig war und Geld gespart hatte.

Doch daraus wurde nichts. Als er 22 war, lernte er in diesem herrlichen Sommer seine große Liebe Hedwig kennen; ein halbes Jahr später war sie schwanger. Sie hatten eine bescheidene, aber wunderbare Hochzeit, nahmen am Ortsende eine geräumige Wohnung und freuten sich auf ihr Kind. Im schweißtreibenden August wurde ihr erster Sohn geboren, den sie auf den Namen Emil tauften. Eineinhalb Jahre später bekamen sie eine Tochter: Gertrud, die außer von ihrem Vater von allen nur Trude genannt wurde. Nach einem Jahr folgte noch ihr Sohn Egon. An ihrem dritten Hochzeitstag waren sie also schon eine große Familie mit drei Kindern und beschlossen, ab sofort besser aufzupassen, um den Nachwuchs möglichst auf dem jetzigen Stand zu begrenzen. Hedwig holte sich Rat und bitteres Pulver bei der schielenden Kräuter-Else. Sie war eine gute Frau und Mutter, sie lachten viel und waren glücklich, trotz seiner ungeliebten Arbeit und ihrer wirtschaftlichen Not.

Mittlerweile waren die Kinder wie die Orgelpfeifen und ständig hungrig. Gustav war froh, dass es bei dreien geblieben war, doch Hedwig sprach in letzter Zeit verdächtig oft von niedlichen kleinen Kindern; irgendetwas fehlte ihr wohl, seit Egon nun auch in der Schule war. Doch das Geld reichte so schon nicht aus, und er konnte im Laufe der Zeit seinen Vater und seine damalige Entscheidung immer besser verstehen: als Familienoberhaupt hatte er keine andere Wahl gehabt. Wenn es bis dahin kein Wunder gab, musste Emil in wenigen Jahren wohl auch seinen eigenen Weg wiederholen.

Trotz ihrer Genügsamkeit hatten sie viel Spaß, sie beschäftigten sich oft mit den Kindern, und das Sammeln von Pilzen oder Heidelbeeren wurde jedes Mal zu einem lustigen Ausflug.

Besonders die duftenden Bergwiesen hatten es Hedwig angetan: sie liebte diese Gräser, Kräuter und Blumen, die sie fast alle mit Namen kannte und der Familie immer mal wieder vorstellte und erklärte: von der Trollblume bis zum Gefleckten Knabenkraut.

Sie saßen am abgenutzten Küchentisch, und Gustav berichtete seiner Frau von dem neuen Bekanntmachungsplakat, mit dem um Soldaten geworben wurde und bei Eintritt in die preußische Armee regelmäßiger Sold, drei Mahlzeiten pro Tag, freie Uniform und Unterkunft, kostenlose ärztliche Versorgung und dauerhafter Ruhm versprochen wurde.

„Das hängt direkt neben dem Kartoffel-Erlass.“

„Dem Aufruf werden bestimmt viele junge Männer folgen“, sagte Hedwig.

„Meinst du?“, er strich sich nachdenklich über den Schnurrbart.

„Aber sicher. Damit sind sie doch mit einem Schlag alle hiesigen Sorgen los: keine Arbeit für alle, nie richtig satt, zerlumpte Kleidung und Angst vor Krankheiten, die Tod, Siechtum oder Bettelstab bringen.“

„Als Soldat kannst du morgen auch schon tot oder Krüppel sein“, erwiderte Gustav.

„Dann tritt man wenigstens mit vollem Bauch und ordentlichem Anzug vor den Heiland. Und als Krüppel kommt man ins Invalidenheim, wo für einen gesorgt wird.“

„Nein, nein“, ihr Mann schüttelte heftig den Kopf, „da kommen nur die wenigsten hin, wahrscheinlich nur mit Beziehungen. Die meisten Veteranen humpeln einbeinig als Bettler durch die Orte und verrecken irgendwann im Dreck.“

„Das mit dem Invalidenheim habe ich aber so mal gelesen“, Hedwig schob die Unterlippe schmollend vor.

„Das sind alles nur leere Versprechungen.“

„Trotzdem glaube ich, dass viele junge Kerle sich bei der Armee melden werden. Die haben hier doch nichts zu verlieren.“

„Nur ihre Freiheit, ihr Leben und ihre Gesundheit.“

„Pah!“, entgegnete sie mit zorniger Stirnfalte. „Wer ist hier schon richtig gesund?“

„Ich bin jedenfalls froh, dass unsere Jungens noch nicht in dem Alter sind.“

„Sicher. Das bin ich auch“, Hedwig beruhigte sich wieder und nickte. „Es würde mir das Herz zerreißen.“

„Unser König Friedrich wird alle ins Verderben führen.“

„Sag so etwas nicht!“, sie sah besorgt zum Fenster. „Sei vorsichtiger mit deinen Äußerungen!“

„Wenn man nicht mal in den eigenen vier Wänden seine Meinung sagen darf…“

„Und wir sind hier eine preußische Insel.“

„Hauptsache, die Hannoveraner und Braunschweiger nutzen nicht die Gelegenheit, um uns einzuverleiben.“

„Bloß nicht, dass plötzlich hier gekämpft wird.“

„Das Königreich Hannover wird zu den Franzosen halten“, sagte Gustav.

„Wird es ein großer Krieg werden?“

„Auf jeden Fall. Preußen alleine gegen Österreich, Russland und Frankreich. Wie könnten wir gegen diese Übermacht gewinnen?“

„Und warum geht es jetzt zuerst gegen Sachsen?“, fragte Hedwig.

„Weil die mit Maria Theresia verbündet sind.“

„Die soll sich mal lieber um ihre 16 Kinder kümmern.“

„Ja“, er lachte auf, „da hast du Recht.“

„Dann hätte sie nicht so viel Zeit und Kraft, um gegen uns Ränke zu schmieden.“

„Unser Friedrich hat sie natürlich seit Schlesien ständig herausgefordert. Das konnte sich Österreich auf Dauer nicht gefallen lassen.“

„Ich kann mir gar nicht vorstellen“, Hedwig hielt sich prüfend ihren Bauch, „wie das sein kann, wenn man 16 Kinder bekommen hat.“

„Das werden wir auch auf keinen Fall zu probieren versuchen.“

Die Tür öffnete sich und Egon kam mit seinem Steckenpferd herein gehüpft. Er hoppelte durch die Küche und rief: „Hurra, hurra! Die Kavallerie ist da!“

„Hilfe!“, Hedwig spielte mit erhobenen Händen die Erschrockene.

„Tu mir nichts!“

„Hurra, hurra!“, Egon hielt den rechten Arm hoch und schwenkte einen unsichtbaren Säbel.

Gustav schmunzelte, doch als er wieder an den Krieg dachte, gefror sein Lächeln, löste sich auf. Er wischte sich über den Schnurrbart und sah dann in seine offene Hand, als könnte er es dort wiederfinden.

Gustav, Anton und Theo waren Hauer, die anderen waren alle ungelernt und arbeiteten als Helfer. Das Erz, das die drei aus dem Fels schlugen, füllten sie in Holztröge, die vorne und hinten je zwei Kerben hatten, in die dann die Schlingen des Trageseils eingeklemmt wurden. Über jede Schulter hängte man sich dieses Seil und schleppte so gleichzeitig zwei Tröge, die wie schwere Wiegen pendelten und vorne gehalten werden mussten. Es war sehr anstrengend für die Männer, mit diesen beidseitigen Gewichten in gebückter Haltung zu gehen, ohne viele Erzklumpen zu verlieren. Zum Ausgang hin wurde der Stollen geräumiger und höher, und die Träger entleerten dort ihre Tröge in eine längliche Holzkarre, deren Rad mit Eisenband ummantelt war. Dann gingen sie erleichtert und schnell mit den Holzschalen unter den Armen zum Abbauplatz zurück. Andere Helfer fuhren die Schubkarren zum Mundloch empor und raus zum ungefähr 200 Meter entfernten Pochwerk, wo das Erz durch Wasserkraft und mit ohrenbetäubendem Lärm zerkleinert wurde. Früher, als hier noch mehr Leute beschäftigt waren und viel mehr Kupfer- und Eisenerz abgebaut wurde, benutzte man statt der Schubkarren die größeren Hunten, die gezogen und geschoben wurden.

Je nachdem, wo gerade gearbeitet wurde, war der Weg für die Trogschlepper länger oder kürzer. Der Louisenstollen war nämlich 1000 Meter lang und verlief in östlicher Richtung auf Hohegeiß zu. Da war es schon entscheidend, ob man am Ende, in der Mitte oder in der Nähe des Ausgangs startete. Links gegenüber vom Mundloch des Louisenstollens lag der Eingang zu dem erheblich kürzeren Antoinettenstollen, der in den Wolfsberg führte.

Zur Mittagspause traf man sich in der Kantine des Zechenhauses, wo die beschrifteten Henkelmänner rechtzeitig ins heiße Wasserbad gestellt wurden. Auf jedem Tisch standen zwei Teekannen, zwei Wasserkrüge und ausreichend Becher.

Anton öffnete den Deckel und klagte: „Mann! Schon wieder Steckrübeneintopf!“

„Ist doch lecker“, erwiderte Siegfried und packte sein Brot aus. Er war Junggeselle und hatte deshalb meistens keinen gefüllten Henkelmann.

„Aber nicht jeden Tag“, maulte Anton.

„Wollen wir tauschen?“, Siegfried sah ihn erwartungsvoll an. „Ich esse deinen Eintopf und du bekommst meine Schmalzstullen.“

„Einverstanden“, Anton stellte ihm den Behälter hin und Siegfried schob ihm das Brot zu.

„Seid ihr jetzt endlich fertig?“, sagte Theo. „Ich habe übrigens Graupensuppe.“

„Wieso? Willst du auch tauschen?“, fragte Gustav.

„Nee.“

„Schmeckt doch lecker“, sagte Siegfried nach dem ersten Löffel. Er war groß, muskulös und der schnellste Schubkarrenschieber.

„Habt ihr schon gehört?“, fragte Anton kauend. Er schien auch zufrieden zu sein mit dem Tausch. „Wir rücken nun bald in Dresden ein.“

„Ja, mit diesem Überraschungsangriff haben die verfluchten Sachsen nicht gerechnet“, meinte Theo.

„War ja auch ohne Kriegserklärung“, warf Gustav ein.

„Na und?“, Theo zielte mit seinem Löffel auf ihn. „Sollte Friedrich warten, bis das Dreier-Bündnis mit dem Kriegsbeginn so weit war?“

„Richtig. Unser König ist denen nur zuvorgekommen“, Anton biss in das Brot.

„Die nächste Schlacht wird jedenfalls schwerer zu gewinnen sein“, sagte Gustav. „Wenn Österreich, Russland und Frankreich mit einem gemeinsamen Heer gegen uns antreten.“

„Der Friedrich wird sie mit seinen Kriegslisten schon schlagen“, Theo hielt seinen Henkelmann schräg und löffelte den Rest aus.

„Gegen diese Übermacht?“, Gustav machte eine skeptische Miene.

„Das ist doch…“

„Mutig“, unterbrach ihn Siegfried mit bösem Blick.

„Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“, fragte Theo drohend.

„Auf unserer natürlich.“

„Das will ich dir auch raten“, Siegfried hob seine mächtige Faust.

Die Familie Wagner war in der gut gefüllten Kirche gewesen, wie jeden Sonntag. Während des Gottesdienstes mussten die drei Kinder öfter durch strenge Seitenblicke des Vaters zur Ruhe und Unbeweglichkeit ermahnt werden, besonders der kleine Egon wollte Fragen stellen oder pendelte mit den Beinen hin und her. Der Pastor erwähnte mit keinem Wort den Krieg, doch seine häufigen Erinnerungen an preußische Tugenden wie Treue und Pflichterfüllung zielten eindeutig in diese Richtung.

„Warum heißt die Kirche denn Himmelspforte?“, fragte Egon später zwischen ihnen.

„Weil wir hier 600 Meter näher am Himmel sind, als die im Flachland“, antwortete Hedwig. „Und Pforte heißt Tür oder Eingang.“

„Also ist die Kirche die Tür in den Himmel?“

„Genau, mein Sohn.“

Emil, der vor ihnen neben seiner Schwester ging, drehte seinen Kopf zu ihr und verdrehte die Augen mit bedeutungsvoller Miene, Gertrud kicherte leise.

„Da brauchen sich die Großen da vorne gar nicht drüber lustig machen“, ermahnte sie Hedwig mit scherzhaftem Unterton.

Gertrud stieß ihren Bruder an, beide blickten kurz zurück und lachten.

„Egon“, sagte Gustav, „und du denke daran, dass du in der Kirche nicht immer so rumzappelst.“

„Ja, Vater.“

Sie gingen die Lange Straße runter, begrüßten alle Entgegenkommenden; bei manchen blieben sie auch stehen und tauschten Neuigkeiten aus, was die Kinder natürlich langweilig fanden. Besonders wenn ein Pferdegespann vorbeikam, mussten die beiden Jungens ihm entgegen oder hinterher rennen.

Nach einem kurzen Besuch bei Gustavs Eltern gingen sie langsam wieder nach Hause; schwangen dabei den Kleinen ab und zu beidseitig hoch, er strampelte dann mit den Beinen in der Luft und johlte vor Vergnügen.

„Großvater ist aber schon ganz schön alt, nicht wahr?“, fragte Egon.

„Einigermaßen. Manche sind aber viel älter. – Warum?“

„Der redet so wenig und ist so schlapp.“

„Das ist bei älteren Leuten halt so“, sagte seine Mutter.

„Aber Großmutter redet doch andauernd“, meinte Emil.

„Das ist halt bei den Menschen so“, Gustav feixte zu seiner Hedwig, „die Frauen reden immer viel mehr als die Männer.“

„Wirst du auch mal so alt wie Großvater?“, fragte Egon.

„Das will ich doch hoffen.“

„Wirst du dann auch so komisch?“

„Weiß nicht. Vielleicht“, Gustav zog die Schultern hoch. „Hoffentlich nicht.“

„Männer werden im Alter meistens etwas komisch“, sagte Hedwig und streckte ihrem Mann die Zunge raus.

Es war dunkel und staubig und die Luft war knapp. Von weitem wirkten die Laternen wie vereinzelte Glühwürmchen in einer schwarzen Nacht. Die Hauer standen nebeneinander in einem Abstand von ungefähr fünf Metern und schlugen mit der Spitze des Bergeisens die Erzbrocken aus der Stollenwand. Sobald das gebrochene Gestein auf dem Boden lag, waren die Helfer dafür zuständig: mit Hacken und Schaufeln zogen sie es von den Bergmännern weg; zwei verwachsene Jungens krabbelten sogar zwischen ihren Beinen herum und sammelten die größeren Stücke ein, wobei sie oft von herabfallendem Erz getroffen wurden.

Andere Hilfsarbeiter füllten das Material in die Holztröge, die dann von den Trägern balancierend weggeschleppt wurden.

Gustav Wagner stand in der Mitte, rechts von ihm war Anton, links Theo, der irgendeine Melodie summte. Wie so oft dachte Gustav beim Ausholen und Zuhacken an ihre wirtschaftlichen Nöte: Der Herbst stand vor der Tür, sein dunstiger Atem war morgens zu sehen und hatte schon einige Blätter verfärbt; auf den kurzen, bunten Herbst folgte stets ein langer, kalter Winter – und er hatte noch kein Feuerholz; Emil brauchte dringend neue Schuhe und eine dicke Jacke; Gertrud benötigte ein Kleid für gut und einen Wintermantel; der Kleine musste natürlich die Sachen vom Großen auftragen, zum Glück. Und Hedwig und er? Sie brauchten auch allerlei, aber wie immer schoben sie ihre Bedürfnisse ganz nach hinten, horizontweit hinter die Kinder.

Gustav schlug schon einige Zeit im oberen Bereich, das Bergeisen schrammte manchmal an der Stollendecke entlang. Er holte weit aus, hieb die Spitze in den Fels und sofort löste sich ein bottichgroßer Bereich, der krachend und mit einer Staubwolke als Geröllhaufen auf dem Boden landete. In diesem dunklen Herunterfallen hatte Gustav für einen Moment etwas Blinkendes und etwas Spitzeckiges gesehen.

„Das hat sich aber gelohnt“, rief Theo und pfiff zwischen den Zähnen.

„Du willst uns wohl ersticken?“, Anton hustete übertrieben und wedelte mit der Hand den schwebenden Staub weg.

„Das war richtig mürbe“, Gustav schaute nach oben und entdeckte dort ein schwarzes Loch mit dem Durchmesser eines Tellers.

„Kann das gefährlich werden?“, fragte Theo mit einer Kopfbewegung zur Decke.

„Glaub’ ich nicht“, antwortete Gustav. „Das Gestein war so locker, weil darüber ein Hohlraum ist, durch den Wasser eingesickert ist und drückte. Vielleicht ist es auch eine Art Wasserröhre bei starken Niederschlägen.“

„Aha“, Theo nickte und hob wieder sein Eisen.

Die Helfer hatten schon ein paar Schaufeln von dem Haufen weggetragen. Der Junge mit dem Buckel hielt vor seiner Brust zwei rübengroße Klumpen und humpelte damit zu den Holztrögen.

„Moment mal!“, Gustav bückte sich und suchte mit beiden Händen nach dem blinkenden Etwas. Nach einigem Wühlen hatte er es gefunden und zog es aus dem Geröll. Es war ein silbrig glänzender Schlägel ohne Stiel. Zwei Handbreit weiter lag ein dreieckiges Stück Milchglas, es hatte oben ein Loch wie ein Anhänger und war irgendwie beschriftet. Er richtete sich wieder auf und nach kurzer Begutachtung steckte er die beiden Teile rasch in die Gesäßtasche seiner Weste.

„Was war denn das?“, rief Anton.

„Jetzt könnt ihr weiter wegräumen“, sagte Gustav zu den Helfern.

„He! Was hast du da gefunden?“, fragte Anton.

„Ein Stück gediegenes Silber.“

„Wirklich? Stimmt das?“

„Nein, du Tölpel!“, antwortete Gustav und grinste.

„Aber was war es?“ Die Neugier schob Anton immer weiter nach links.

„Ein polierter Schlägel. Ich zeige ihn dir später.“

„Warum nicht jetzt gleich?“

„Weil wir jetzt arbeiten müssen“, Gustav umfasste den Stiel seines Bergeisens. „Geh wieder an deinen Platz und hau rein!“

„Aber ich will das Ding sehen“, maulte Anton, bewegte sich aber mit kleinen Schritten zögernd zurück.

„Ich zeige es dir am Feierabend.“

„Aber nicht vergessen.“

„Versprochen.“ Gustav arbeitete weiter und dachte dabei an dieses seltsame Metallteil, das jetzt bei jedem Zuhauen gegen sein Hinterteil klappte: Für Silber war es zu leicht, doch es war auch kein übliches Eisen. Aber wer würde schon ein Werkzeug aus Silber fertigen? Höchstens die Zwerge im Märchen. Wenn es doch bloß Silber wäre! Wenn er hier einen Schatz gefunden hätte! Dann wäre er mit einem Schlag all seine Sorgen los. Ein einziger Schlag mit seinem Eisen hätte viel mehr eingebracht als die Millionen anderen in all den Jahren.

Gustav sah hoch zu dem Loch und wünschte sich, dass daraus jetzt ein blinkender Regen von Silbertalern auf ihn herabrieseln würde. Wie im Märchen, du Blödmann!, sagte er zu sich selbst, schüttelte den Kopf und hackte mit voller Wucht seine Wünsche in die Wand. Vielleicht war wenigstens der dreieckige Anhänger etwas wertvoll. Vielleicht war er ein altes, seltenes Amulett. Und wenn nicht, würde er Gertrud das Ding schenken. Die würde sich auf jeden Fall darüber freuen und es sich um den Hals hängen.

Nach der Schicht saß er auf der Bank am Zechenhaus und wartete auf Anton, der immer länger brauchte. Er holte den gefundenen Schlägel aus seinem Beutel und betrachtete ihn aufmerksam. Er war absolut rostfrei, zeigte keinerlei Abnutzung und hatte eine edle silbergraue Farbe; auf beiden Seiten, über dem ovalen Stielloch, hatte er das gleiche vertiefte Zeichen: ein durchkreuztes Symbol mit vier kurzen Ausläufern. Gustav drehte das fremdartige Teil in seinen Händen und grübelte über dessen Herkunft nach: Wo kam das her? Wer hatte es angefertigt? Es musste aus einer unbekannten Metalllegierung bestehen und wirkte unbenutzt. Ein verlorenes Werkzeug aus früheren Zeiten? Doch es sah besser und neuer aus als seines. Aber es musste älter sein. Der Schlägel kam von oben. Also war über dem Louisenstollen irgendwann schon mal Erz abgebaut worden. Warum wussten sie nichts davon? Aber die hatten doch früher kein höherwertiges Werkzeug als wir heute. Dann zog er das Dreieck aus der Hosentasche und untersuchte es: die Rückseite war weißlich, die Vorderseite zeigte exakte Zeichnungen; es war glatt, leicht, aber kein Milchglas, denn er konnte es etwas biegen; unterhalb der Spitze war das Loch für das Halsband, darunter ein Kreis, von dem mehrere Schlangenlinien ausgingen, es sah aus wie eine Sonne mit ihren Strahlen; es folgten einige Buchstaben und unbekannte Zeichen; ganz unten, auf der Grundlinie, war über die ganze Länge eine Reihe von verschieden dicken Strichen. Er sah Anton kommen und steckte den Anhänger schnell weg.

„Ah!“, Anton ließ sich stöhnend neben ihm nieder. „Lass mal sehen.“