Gut.
Ich fahre nach Hause. Ich bin erfrischt und ermutigt von der Predigt, die ich gerade gehört habe. Nach den letzten zwei Wochen war das genau das, was ich brauchte. Das Thema der Predigt war Vertrauen.
„Herr, ich weiß, dass du mich liebst. Ich weiß, dass du gut bist. Ich möchte dir wirklich vertrauen und dir alle meine Ängste und Sorgen hinlegen“, bete ich.
Plötzlich taucht vor mir ein Linienbus auf mit einer Werbeaufschrift auf der Heckscheibe: „Gut.“, lese ich in riesigen, weißen Buchstaben – und es ist, als hätte Gott gerade persönlich auf mein Gebet geantwortet, als hätte er noch mal persönlich bestätigt, dass er tatsächlich gut ist und alles gut machen wird.
Die letzten zwei Jahre waren nicht leicht. Wir hatten uns so sehr auf unser drittes Kind gefreut, aber es war zu Beginn des fünften Schwangerschaftsmonats in meinem Bauch gestorben, ohne dass ich es gemerkt hatte.
Ich musste es tot zur Welt bringen, und wir fuhren ohne Baby wieder nach Hause. Obwohl unsere Trauer groß und die Zeit danach sehr schmerzhaft war, fühlten wir uns von Gott getragen und spürten, wie er uns in unserem großen Verlust mit einem tiefen Frieden füllte.
Unser Wunsch nach einem dritten Kind blieb bestehen, und so versuchten wir schon bald, wieder schwanger zu werden. Zunächst jedoch ohne Erfolg.
Es dauerte anderthalb Jahre, bis ich endlich wieder schwanger wurde. Umso größer war die Freude, als ich den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt.
Ich spüre, wie sich mein kleines Mädchen in meinem Bauch bewegt. Mein so ersehntes Wunschkind. Seit meine Frauenärztin nach der Hälfte meiner Schwangerschaft ein paar Auffälligkeiten entdeckt hat, ist meine Freude allerdings leider nicht mehr ganz so unbeschwert wie sie anfangs war. Unser Baby ist zu leicht, die Hirnventrikel sind zu weit und mit dem Herzen stimmt etwas nicht. Es muss jedoch nichts Tragisches sein.
Im Internet habe ich gelesen, dass die Hirnventrikel während der Schwangerschaft noch kleiner werden können. Und zunehmen könnte unser Baby ja auch noch. Aber was, wenn nicht? Was, wenn ...? Ich wage nicht, weiterzudenken.
Nein, ich will optimistisch bleiben. Ich will vertrauen. Hat Gott mir nicht gerade noch mal so deutlich gesagt, dass er alles gutmachen wird!? Die nächsten Tage fühle ich mich leichter. Meine Sorgen sind kleiner geworden und meine Zuversicht größer.
Ein paar Wochen später bin ich auf dem Weg zu dem Feindiagnostiker, zu dem mich meine Ärztin geschickt hat. Eigentlich bin ich optimistisch und guter Dinge. Ich freue mich direkt auf den langen, genauen Ultraschall, der mir mein Mädchen zeigen wird. Über eine Stunde untersucht der ruhige, gewissenhafte Spezialist mein Baby und spricht dabei fast kein Wort. Ich sehe ihr Herz schlagen, ich sehe, wie sie sich bewegt.
„Die Hirnventrikel sind etwas kleiner geworden“, ist das Einzige, was mich der Arzt wissen lässt. Sehr gut, denke ich. Selbst wenn das Herz nicht ganz in Ordnung ist, ist das immer noch besser, als wenn mit dem Gehirn etwas nicht stimmt. Das sind doch gute Neuigkeiten.
Endlich legt der Arzt den Ultraschallkopf zur Seite und gibt mir zu verstehen, mich zu setzen.
„Frau Schultze-Petzold“, beginnt er, „ich habe leider keine guten Neuigkeiten für Sie.“
Nachdem er mir eine lange Liste von Dingen aufgezählt hat, die bei meinem kleinen Mädchen nicht so sind, wie sie sein sollten, endet er mit den Worten:
„Sie müssen sich darauf einstellen, dass Ihr Baby, wenn es die Schwangerschaft überlebt, behindert sein wird. Wahrscheinlich sogar schwerstbehindert.“
Ich traue meinen Ohren nicht. Was hat dieser sachliche Mann mir da gerade mitgeteilt? Es fühlt sich so an, als hätte er mir mitten ins Gesicht geschlagen. Ich spüre, wie Tränen in mir aufsteigen wollen. Nein, jetzt bloß nicht heulen!, denke ich mir. Der Arzt druckt ein 3D-Ultraschallbild meiner Kleinen aus und drückt es mir wie ein Trostpflaster in die Hand. Ich muss hier raus. Ich will hier nur noch weg.
Ich verabschiede mich, nicke der Sprechstundenhilfe zu und suche dann endlich das Weite. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, bis ich auf dem Parkplatz vor der Klinik angekommen bin. Ohne dass ich es verhindern kann, verschaffen sich meine Tränen nun freien Lauf. Ich rufe meinen Mann Arne an und kann vor lauter Weinen kaum noch reden. Er holt mich ab und wir weinen gemeinsam.
Mit dieser Nachricht fahren wir am nächsten Tag in unseren lang geplanten und ersehnten Sommerurlaub nach Holland. Das Timing erscheint mir alles andere als perfekt.
Auf der Fahrt ist viel Zeit zum Nachdenken. Meine Gedanken verselbstständigen sich und malen mir alle nur möglichen Horrorszenarien vor Augen. Ich fühle mich, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggerissen, als hätte ich jegliche Kontrolle über mein Leben verloren, als würde das Leben unserer Familie auf eine Richtung zusteuern, die mir so ganz und gar nicht gefällt.
Abtreibung. Dieses Wort, das für mich bisher immer absolut negativ besetzt war, klingt plötzlich fast verlockend. Es klingt nach einer Lösung, nach Kontrolle, nach einem Ausweg. Wieder spüre ich, wie sich mein Mädchen in meinem Bauch bewegt, und ich weiß, dass ich es niemals fertigbringen würde, dieses Kind zu töten.
Im Ferienhaus angekommen, sortieren wir uns, bringen die Kinder ins Bett und setzen uns ins Wohnzimmer. Mal wieder lasse ich meinen Tränen freien Lauf – und mit ihnen all den Gedanken, die mich seit gestern so sehr plagen:
Ich bin so enttäuscht! Warum hat Gott all unsere Gebete nicht erhört? Warum hat er mir erst Hoffnung gemacht, um sie dann bitter zu enttäuschen? Warum hat er all das zugelassen, nachdem wir schon in der letzten Schwangerschaft so viel durchgemacht haben? Warum ausgerechnet schon wieder wir? Warum??? Waren wir ihm so egal? Ein behindertes Kind, was würde das bedeuten? Für uns als Ehepaar, für uns im Alter? Für unsere anderen beiden Kinder? Alles in mir wehrt sich mit Händen und Füßen. Ich will nicht, dass mein Kind behindert ist! Ich will das alles nicht! Ich will, dass mein Kind gesund ist!
Es tut gut, ehrlich zu sein – mit mir selbst, mit Arne und auch mit Gott. Und obwohl ich es nie gedacht hätte, tut auch der Urlaub gut, gerade jetzt in dieser Situation. Wir verbringen viel Zeit mit Reden, Beten und Bibellesen.
„Herr, ich glaube – zumindest will ich glauben. Bitte hilf meinem Unglauben!“, ist mein Gebet, ist die Sehnsucht meiner aufgewühlten, sich aufbäumenden, orientierungslosen Seele.
Ich lese die Psalmen und ein Andachtsbuch von Oswald Chambers. Jedes Wort sauge ich wie ein ausgetrockneter Schwamm in mich auf. Und es ist, als würde Gott die Ruine in meinem Inneren Stück für Stück wieder aufbauen – langsam, sachte, liebevoll.
Er erinnert mich daran, dass mein Leben nicht mehr mir gehört, weil er es am Kreuz teuer erkauft hat. Und wenn mein Leben nun ihm gehört, ist es dann nicht auch seine Entscheidung, ob ein behindertes Kind Teil dieses Lebens sein soll oder nicht? Ist es nicht seine Entscheidung, mit was ich meine Zeit verbringen und in was ich meine Kraft investieren werde?
Er erinnert mich daran, dass das „Gut.“, das er mir auf der Heckscheibe des Busses gezeigt hat, immer noch wahr ist; ich hatte es nur falsch verstanden. Ich hatte gedacht, „gut“ hieße, dass Gott alles so macht, wie ich es für gut halte, wie ich es mir erhoffe; dass er meine Gebete erhört und mir meine Wünsche erfüllt. Aber dabei hatte ich völlig außer Acht gelassen, dass seine Gedanken so viel höher sind als meine Gedanken und seine Pläne so viel größer als meine Pläne.
Er ist gut, weil er Gott ist. Er ist gut, weil er sein Leben für mich gegeben hat. Er ist gut, weil er allein vollkommen ist.
Vor meinem inneren Auge sehe ich Jesus am Kreuz. Wie sehr Gott uns liebt, beweist er uns damit, dass Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren (vgl. Römer 5, 8). Wie könnte mir das nicht Liebesbeweis genug sein?
Frieden. Da ist er wieder. Frieden, den nur er schenken kann. Frieden, den ich nur empfangen kann, wenn ich mich ihm schenke. Und in diesem Moment schenke ich mich ihm neu, lasse los, gebe mich hin und mit mir all meine Pläne und Wünsche.
Liebe. Da ist sie. Eine ganz neue, ganz tiefe Liebe für das Mädchen in meinem Bauch – wie auch immer es sein mag – Gottes Mädchen, sein Geschenk an uns.
Gott nimmt mich an die Hand und flüstert in mein Ohr, immer und immer wieder. Es ist, als würde mein Glaube neue Wurzeln schlagen, tiefere Wurzeln als in den einfachen Zeiten meines Lebens. Jetzt weiß ich wieder, was ich glaube – Tag für Tag ein wenig besser, Woche für Woche ein wenig mehr, Monat für Monat ein wenig tiefer: Gott ist „Gut.“! Gut. Punkt. Ohne Wenn und Aber. Was auch immer passieren mag.
Julia Schultze-Petzold lebt in Rostock und ist gelernte Krankenschwester, Frau eines Pastors mit einem großen Herz für Ostdeutschland und Mutter von zwei wundervollen, gesunden Kindern, einem Himmelskind und einem ganz besonderen Mädchen.
(K)ein vergessenes Kind
Das Ende meiner Ehe im Jahr 2006 katapultierte mich völlig aus meinem bisherigen Leben mit all meinen Visionen, Plänen und Zielen. Mit dem Auszug meines Mannes geriet sowohl mein Leben als auch das unserer drei Kinder (damals zehn, sieben und zwei Jahre alt) total aus den Fugen.
Ich selbst sah mich als Versagerin, kam mir wertlos vor und war bis ins tiefste Innere verletzt. Trotzdem nahm ich mir ernsthaft vor, meine gescheiterte Ehe nicht auf den Schultern unserer Kinder auszutragen. Ganz bewusst entschied ich mich dagegen, Hass und Bitterkeit in mir Raum zu geben, weil ich befürchtete, dass diese Empfindungen irgendwann meine Persönlichkeit ausmachen könnten. Leider ist mir das im Laufe der Jahre nicht immer gelungen.
Unsere Kinder blieben nach dem Auszug meines Mannes bei mir wohnen und haben seither regelmäßige Zeiten mit ihrem Vater. Trauer, Wut und Ängste prägten von nun an unser Miteinander, und ich stellte zunehmend Verhaltensauffälligkeiten bei meinen Kindern fest.
Die Hilflosigkeit der Kinder, die nicht wussten, wie sie mit diesem neuen Leben umgehen sollten, zeigte sich mit der Zeit immer deutlicher. Unser ältestes Kind, das nach dem Auszug des Vaters zunächst kaum Betroffenheit gezeigt hatte, verschwieg jahrelang seine immensen Probleme mit seinen Mitschülern.
Nach einem Schulwechsel begann mein Sohn im Verborgenen, Alkohol zu trinken und wurde deshalb von der Schule verwiesen. In der zehnten Klasse suchte ich vergeblich nach einer neuen, passenden Schule für ihn, konnte dann jedoch erreichen, dass er schulfremd seinen Realschulabschluss erlangen konnte. Dass sich mein Sohn eine Zeit lang gerne nahe an der Grenze zum Kriminellen bewegte, stellte eine große Herausforderung für mich dar.
Unser zweiter Sohn wurde depressiv und lebensmüde, verweigerte den Schulbesuch gänzlich und fühlte sich ständig im Loyalitätskonflikt zwischen uns Eltern. Recht früh kam deshalb die Bitte auf, auf neutralem Boden wohnen zu dürfen.
Schweren Herzens ließ ich meinen Sohn in eine Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung ziehen, wohlwissend, dass er dort zusätzlich mit viel härteren Lebensgeschichten konfrontiert werden würde. Auf der einen Seite blühte er dort auf, nahm wieder mehr am Leben teil und fand im Musizieren seinen Ausgleich. Auf der anderen Seite haben manche der dortigen Erlebnisse sowie der frühe Verlust der Nestwärme tiefe Spuren in ihm hinterlassen, die bis heute nachwirken.
Unser drittes Kind war von Anfang an chronisch krank und benötigte eine besondere Ernährung. Es musste immer wieder ins Krankenhaus und war vor allem nachts auf meine Fürsorge angewiesen.
Zu alldem kamen die langwierige Suche nach einer kleineren, günstigeren Wohnung, der darauffolgende Umzug und die Suche nach einer Arbeitsstelle, mein Wiedereinstieg ins Arbeitsleben und schließlich die Scheidung.
In den letzten Jahren kam ich immer wieder an meine persönlichen Grenzen und schien keinerlei Kraft mehr für meinen Alltag zu haben. Ganz bewusst lebe ich seit Jahrzehnten mit Gott, konnte aber zwischenzeitlich nicht verstehen, warum er in meinem ohnehin kompliziert gewordenen Leben so viele schwere Konfliktsituationen – oftmals sogar mehrere gleichzeitig – zuließ. Ich war mir sicher, sein Kind zu sein, kam mir aber zunehmend wie sein vergessenes Kind vor.
Aufgrund einer totalen Erschöpfung verordnete mir mein Hausarzt dann eine Auszeit. So hatte ich endlich Zeit, die Geschehnisse der letzten Jahre mit kompetenter Begleitung noch einmal anzusehen, und konnte beginnen, sie zu verarbeiten und anzunehmen. Es wurde mir dabei auch möglich, meine eigenen Anteile am Scheitern meiner Ehe zu erkennen. Ich brachte Gott meinen ganzen Scherbenhaufen und bat ihn um Vergebung für alle meine Fehler. In mir wuchs der Entschluss, auch meinem Mann zu vergeben. Das konnte ich später sogar persönlich tun.
Etwas zeitversetzt bot mir eine Freundin an, sich regelmäßig mit mir zu treffen. Ich nahm ihr Angebot an und erlebte, dass sich in den Gesprächen mit ihr mein damaliges Bild von Gott wandelte. Gott hat mich ins Leben gerufen. Er wollte unbedingt, dass es mich gibt. Deshalb schickte er – gerade auch für mich – Jesus, seinen Sohn und sein Liebstes, in diese Welt, damit ich für alle Zeit versöhnt mit ihm leben kann.
Ich begriff, dass es Gott ganz allein ist, der mir Identität, Wert und Würde gibt. Und Gott ist es auch, der meinen Glauben an ihn überhaupt erst möglich gemacht hat. Er ist es, der mir die Augen und Ohren geöffnet und mir ein neues Herz geschenkt hat, das auf ihn ausgerichtet ist.
Im Rückblick kann ich erkennen, dass Gott auch in den schwersten Zeiten der vergangenen Jahre für mich da war; dass er es war, der die jeweilige Situation (zu seiner Zeit) gewendet hat. Er hat mir zugesagt, bis zum letzten Tag bei mir zu sein, mich nicht fallen zu lassen und mich nicht zu vergessen.
Ich erlebe, dass ich ihn unbedingt in meinem Leben brauche, in jeder Begegnung und in jeder Situation. Ich bin auf ihn und „sein ganzes Paket“, auf seine Agape-Liebe, seine Kraft, seine Freundlichkeit, Geduld, Weisheit, Kreativität, Freude und Vergebungsbereitschaft, angewiesen, damit mein Leben gelingen kann.
Und doch ist mein Leben nach wie vor mehr als herausfordernd und kräftezehrend. Ich bin zeitweise der Verzweiflung nahe und möchte manchmal einfach nur den Kopf in den Sand stecken.
Seit dem Auszug meines damaligen Mannes lebe nur noch ich unseren Kindern die biblischen Werte vor, an denen sie sich jedoch leider nicht orientieren. Sie haben ihren Halt nicht in Gott, hängen sich an Menschen und Organisationen, die sie schon bitter enttäuscht haben und treffen mitunter schlechte Entscheidungen, die mit heftigen Konsequenzen einhergehen.
Mit zunehmendem Alter unserer Kinder (mittlerweile sind sie 22, 19 und 14 Jahre alt) lerne ich, sie diese Konsequenzen tragen zu lassen. Das bedeutet jedoch nicht, dass mich ihr Lebensstil nicht dennoch tief berührt, schmerzt und erschüttert.
Zeitweise erdrücken mich auch die Ansprüche meiner unterschiedlichsten Lebensbereiche, oder ich mache mir selbst durch eigene Verirrungen das Leben schwer.
Wie gehe ich mit diesen Extremsituationen um?
Ich weiß, dass Gott da ist. Er wurde mir in den letzten Jahren zu meinem „Abba“, meinem liebevollen und fürsorglichen Vater. Ich bin froh, dass er in meine tiefsten Abgründe sieht, mich innig liebt und dass er sich an seine Zusagen hält.
Und ich weiß, dass er der Gott der neuen Anfänge ist. Wie oft habe ich auf mein Versagen hin immer wieder seine Vergebung erfahren. Ich weiß, dass ich in seiner Hand bin und dass er mich darin geborgen hält. Ich kann nicht verloren gehen, denn er selbst wird mir meinen Glauben bewahren. Das hat er mir zugesagt.
Obwohl ich um Gottes Nähe und Zuneigung weiß, kann ich diese nicht spüren. Aber ich finde sie in seinem Wort – schwarz auf weiß! Oder er zeigt sie mir durch die Menschen, die meinen Weg kreuzen und die er mir geschickt hat. Oder durch die schönen Dinge, die mir oftmals gerade an besonders schweren Tagen begegnen und die ich dann fotografiere, um sie mir in Erinnerung zu behalten. Ich habe mir deshalb ein „Bilderbuch von Gottes Liebe zu mir“ angelegt.
Außerdem hilft es mir, dass vertraute Menschen regelmäßig und ganz konkret für mich beten, besonders dann, wenn mir selbst die Worte fehlen. Das bedeutet mir sehr viel, denn in mancher Nacht reicht meine eigene Kraft gerade noch, um einen gedruckten Bibelvers oder ein Holzkreuz in den Händen zu halten, um Gott damit zu zeigen, dass ich ihm trotzdem vertrauen will.
Im Laufe der letzten Jahre wurde mir deutlich, dass mein Ergehen auch von meiner Blickrichtung abhängt. Auf wen oder was blicke ich? Blicke ich vermehrt auf die Probleme und meine eigenen Fähigkeiten, so nimmt in mir die Hoffnungslosigkeit zu. Ist es mir jedoch möglich, auf Gott, den Allmächtigen, zu blicken, wächst in mir die Zuversicht, dass er meine Situation längst kennt und eine Lösung herbeiführen wird.
Am liebsten will ich Gott von ganzem Herzen vertrauen und ihm alles zutrauen, aber es fällt mir mitunter schwer, auszuhalten, dass sein Zeitplan nicht immer mit meinem übereinstimmt; dass er oftmals mit seinem Handeln auf sich warten lässt – so fühlt es sich zumindest an.
Doch es ist gut, dass ich in diesen Wartezeiten nicht allein bin. Von ganzem Herzen bin ich dankbar für meine Gemeinde, für die klare biblische Ausrichtung und das herzliche, liebevolle Miteinander. Dieses herzliche Miteinander erlebe ich auch mit meiner besten Freundin, die mich auf gute Art und Weise herausfordert und mit mir durch dick und dünn geht. Bei ihr und ihrer Familie haben meine Kinder und ich ein zweites Zuhause gefunden.
In diesen Menschen zeigt Gott mir seine väterliche Fürsorge genau wie in den Auszeiten, die er mir bei Bedarf „verordnet“ und die ich dann als „Oasenzeiten“ mit ihm erleben darf. Für mich sind das Zeiten, in denen wir beide noch mehr Zeit füreinander haben, in denen ich nicht nur körperlich gesunde, sondern auch seelisch ein Stück heiler werde.
Warum glaube ich also immer noch?
Weil mein Abba, mein liebevoller und fürsorglicher Vater im Himmel, mir meinen Glauben bewahrt hat und bewahren wird. Weil ich kein vergessenes, sondern ein unendlich geliebtes Kind bin.
„Hätte der Herr mir nicht geholfen, dann hätte nicht viel gefehlt, und ich befände mich bereits in der Stille des Totenreichs. Doch immer wenn ich dachte: ,Jetzt gerate ich ins Stolpern!‘, dann stützte mich, Herr, deine Gnade. Als viele Sorgen mich quälten, erfüllte dein Trost mein Herz mit Freude. […] Doch der Herr ist meine sichere Burg geworden, mein Gott ist der Fels, bei dem ich Zuflucht finde“ (Psalm 94,17-19+22; NGÜ).
Ulrike Köhler ist 50 Jahre alt, Mutter von drei Kindern und Sozialpädagogin.
Vertraust du mir?
Gegenwärtig braust ein neues Sturmtief über mein Leben und wirbelt mein Lebensgefüge heftig durcheinander. Ausgerechnet jetzt, wo ich mich gerade von einem schweren, aber erfolgreichen Jahr erhole. Geschafft!, dachte ich mir. Und nun das.
„Was soll das, Gott? Gerade jetzt? Es ging mir doch gerade erst wieder gut“, betete ich, als der Sturm vor ein paar Wochen über meinem Leben ausbrach.
Durch ein Familienereignis hat mich schlagartig meine Vergangenheit noch einmal eingeholt. Eiskalt reingeschubst fühle ich mich.
Etliche Tage lang befand ich mich innerlich in Schockstarre, funktionierte nur nach außen hin. Nachts quälten mich Albträume, und schlimme Erinnerungen kamen wieder an die Oberfläche. In unzähligen Gebeten legte ich Gott alles hin. Trotz meines Glaubens fühlte ich, wie mir der Boden unter meinen Füßen zu entgleiten drohte. Angst und Sorge breiteten sich aus. Es wollte mir einfach nicht gelingen, wirklich alles loszulassen und an Gott abzugeben. Da war es wieder, mein wohlbekanntes Problem mit dem absoluten Vertrauen.
Dennoch betete ich beständig weiter und bat Gott, diese undurchschaubare Lage in seine Hände zu nehmen. Fast kommt es mir so vor, als ob der Zeitpunkt für diesen Sturm nicht zufällig gewählt wurde. Als ob Gott mich damit auffordert, meinen Glauben wieder näher anzuschauen und zu überprüfen. Ja, ich stelle mir vor, wie Gott mich in dieser Situation liebevoll und gleichzeitig herausfordernd fragt:
„Vertraust du mir?“
Ich entschließe, mich auf diesen bedeutenden Prozess einzulassen. Ich fühle ein starkes inneres Brennen und wende meinen Blick erneut Gott zu, vertraue auf ihn, wenngleich ich im Augenblick nicht weiß, was werden wird.
Auf ihn vertrauen, das klingt einfach – ist aber eine enorme Herausforderung. Doch trotz allen Widrigkeiten verspüre ich einen kraftvollen inneren Halt und eine wilde Entschlossenheit: Jetzt erst recht. Nicht aufgeben! Mit Gottes Hilfe schaffe ich das!
Schon häufiger habe ich mich in meinem Leben selbst gefragt: „Glaube ich wirklich?“ Fühle ich in mir doch ein ständiges Ringen um festes Vertrauen zu Gott, um dieses befreiende Loslassen. Es ist so viel Bangigkeit in mir, wenn mich irgendetwas im Leben zu überfordern scheint. Ich versuche dann zwar, alles an Gott abzugeben, bemerke aber, wie mich die Sorgen und die aufkeimenden Ängste dennoch nicht komplett loslassen wollen.
Eines weiß ich jedoch gewiss: Mit allem, auch mit diesem Thema, darf ich mich im Gebet vertrauensvoll an Gott wenden. Nur deshalb bin ich überhaupt fähig zu glauben. Dabei hilft mir besonders der Satz aus der Bibel, der im Markus-Evangelium 9,24 steht: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“.
Auf diesen Vers hatte mich vor vielen Jahren ein Seelsorger hingewiesen, dem ich von meinen Schwierigkeiten mit dem Vertrauen erzählt hatte. Er meinte, dass Gott mich verstehen wird, weil er mich ganz genau kennt und um meine Geschichte weiß.
Während einer Zeltmission – ich war damals zehn Jahre alt – hörte ich erstmals etwas von Gott, beziehungsweise Jesus. Mein junges Leben wurde damals durch zerrüttete Familienverhältnisse und traumatische Erlebnisse tief erschüttert. Früh war ich von meinem Vater getrennt worden und lebte danach bei meiner psychisch kranken Mutter, die mich nicht lieben – oder ihre Liebe zumindest nicht zeigen konnte. Von Geborgenheit keine Spur. Ich fühlte mich unglaublich einsam. Da war kein Mensch, dem ich mich mit all den schlimmen Erlebnissen anvertrauen hätte können.
In der Nähe unserer Wohnung entdeckte ich eines Tages auf dem Marktplatz ein großes Zelt und las auf dem Aushang, dass ein Missionar drinnen Kinderstunden anbot. Neugierig traute ich mich hinein. Hier spürte ich eine angenehme Atmosphäre und erlebte so etwas wie Zuwendung und Wärme. Genau danach lechzte meine Kinderseele.
Das Zelt stand dort eine Woche und ich besuchte es jeden Tag. Von dem, was uns erzählt wurde, faszinierte mich besonders, dass Gott mein Vater sein sollte. Spürte ich in mir doch eine enorme Vatersehnsucht. Ich wollte einfach an diesen liebevollen Vater im Himmel glauben.
Nach dieser Zeltwoche besuchte ich regelmäßig die Kinderstunde und die Sonntagsschule einer christlichen Gemeinde. Zahlreiche spannende Geschichten aus der Bibel wurden uns mithilfe bunter Figuren und einer Tafel erklärt. Auch hier vertraute ich mich niemandem an, aber ich begann, zu diesem Gott zu beten. Ich flehte ihn förmlich an, mir zu helfen. Doch es geschah nichts.
In mir wuchsen erste Zweifel. Ich fragte mich, was denn wäre, wenn es Gott doch gar nicht wirklich gäbe? Wenn es nur ausgedachte Geschichten wären?
Eine schreckliche Vorstellung. Dann wäre ich ja wieder ganz alleine. Also beschloss ich, beharrlich an diesem Gott festzuhalten, obwohl ich sein Dasein nicht spürte. Wie aber sollte ich ihm vertrauen? Wie ging das überhaupt mit dem Vertrauen?
In einer späteren Lebenskrise wusste ich erneut nicht, wie ich auf diese Art weiterleben sollte. Aufgrund meiner Vergangenheit hatte ich mit schweren psychischen Einschränkungen zu kämpfen, die mir ein normales und glückliches Leben verwehrten. Depressionen und Angstzustände hielten mich in einer dunklen Wolke gefangen.
„Gott, wo bist du?“, schrie meine Seele. „Hilf mir doch!“
In der folgenden Nacht hatte ich einen Traum: Verzweifelt spazierte ich durch eine Grünanlage. Da kam mir eine Frau entgegen, die ich von der Arbeit her kannte. Ich konnte mit ihr nie viel anfangen, weil ich ein verzerrtes Frauenbild in mir trug.
Frauen erschienen mir generell unberechenbar, kalt und unnahbar in ihrer Wesensart. Im Traum sagte diese Frau jedoch mit herzlicher und überzeugender Stimme: „Ich helfe dir!“
Als ich morgens erwachte, erinnerte ich mich an diese konkrete Zusage. In meiner Hoffnungslosigkeit griff ich später zum Telefon und rief diese Frau tatsächlich an. Ich brauchte nicht viele Worte zu sagen. Noch während ich irgendetwas stotterte, begriff sie sofort und kam kurzerhand zu mir nach Hause.
Fortan begleitete sie mich herzensgut und treu etliche Jahre lang. Durch sie durfte ich erleben, wie sich Vertrauen und Geborgenheit anfühlen. Sie war so etwas wie meine Wunschmutter. Zum ersten Mal erlebte ich bewusst, wie Gott meine Gebete erhörte.
Langsam taute ich auf und verließ nach und nach mein einsames Schneckenhaus. Es war ein langer und beschwerlicher Weg. Noch so manche Schicksalsschläge galt es zu überstehen und auszuhalten. Doch Gott schickte mir immerfort liebe Menschen über den Weg, die mich ein Stück begleiteten. So durfte ich sogar meinen leiblichen Vater neu kennenlernen. Uns wurden noch zahlreiche kostbare Jahre miteinander geschenkt bis er starb.
Meiner früheren langjährigen Freundin war ich begegnet, als ich noch ziemlich redescheu gewesen war. Später, als wir uns sehr vertraut wurden, konnten wir darüber nur noch schmunzeln. Zwischen uns entwickelte sich eine innige und tiefgehende Freundschaft. Bei ihr fand ich mein zweites Zuhause.
Uns verband insbesondere auch der christliche Glaube, mit dem wir uns rege auseinandersetzten. Hautnah durfte ich miterleben, wie in ihrem Leben ein Wunder geschah. Dies hat auch meinen Glauben einschneidend geprägt. Mit ihrer Familie zusammen habe ich sie bis zu ihrem Heimgang begleitet. Nun darf sie das schauen, was sie geglaubt hat.
Fühlte ich einst überwiegend Lebensfrust – erblühte schrittweise kraftvolle Lebenslust! War ich früher nur still und in mich gekehrt – so liebe ich jetzt den regen Austausch mit den unterschiedlichsten Personen.
Ja, heute habe ich in vertrauensvoller Umgebung sogar etwas mitzuteilen. Gott gebraucht meine Lebensgeschichte, um anderen Mut zuzusprechen. Dies erlebe ich immer wieder in den Dialogen mit Menschen, wenn ich aus meinem Leben und von meinem Glauben erzähle.
„Wie kannst du noch glauben nach allem, was du durchgemacht hast?“, fragte mich neulich erst eine selbst gläubige Freundin erstaunt, nachdem sie Details aus meinem Leben erfahren hatte. Nun, mir ist sehr viel Hilfe zuteil geworden, wofür ich sehr dankbar bin. Dass ich noch glauben kann, betrachte ich als reine Gnade und als großartiges Geschenk. Aus mir selbst heraus wäre ich zu so einer Stärke sicher nicht fähig, doch es stimmt: „Gottes Kraft wirkt in den Schwachen mächtig“ (2. Korinther 12,9; Lutherbibel).
Gewiss, Gott nimmt mir nicht alles Leid und jede Träne, aber er beschenkt mich mit der nötigen Kraft, alles zu tragen. Trotz allem Schweren – oder gerade deshalb – ist mein Glaube anhaltend intensiver geworden.
All das durchlebt und auch überlebt zu haben, hat mir Lebenskraft gegeben.
Ich fühle eine feste Zuversicht und Gewissheit, dass Gott immer an meiner Seite ist. Auch – und gerade dann – wenn es sich in meinem Leben ganz und gar nicht so anfühlt, wenn Furcht und Unruhe mich meiner Kräfte berauben wollen und mal wieder ein Sturm aufgekommen ist. Doch heute weiß ich: Gott wird mir da wieder heraushelfen. Er alleine sieht das große Ganze in meinem Leben und verfolgt einen guten Plan mit mir. Und so kann ich ihm nun antworten: Ja, ich vertraue dir!
Denn ich glaube – immer noch. Gott sei Dank.
Anjuna Siebrands ist 57 Jahre alt, verwitwet und Frührentnerin. Sie verbringt ihre Zeit gerne mit dem Schreiben von lyrischen Texten.