Das Buch
Eternity and a Day- Die Ewigkeit und ein Tag ist das bereits dritte selbstveröffentlichte Buch der Autorin. Es ist die Vorgeschichte zu dem bereits erschienen Fantasy-Zweiteiler Die Nacht ist unser. Dieses Buch kann sowohl vor als auch nach Die Nacht ist unser gelesen werden. Es bildet den Auftakt zu etwas weitaus Größerem, denn auf den Tag folgt auch immer die Nacht.
Die Autorin
Maria Spotlight schreibt unter diesem Pseudonym Fantasy-Bücher. Sie wurde 1990 in Deutschland im Schwarzwald geboren und lebt dort seither. Bevor sie sich dem Schreiben widmete, arbeitete sie als Operationstechnische-Assistentin im Krankenhaus. Sie ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.
1. Auflage
Copyright© 2020 by Maria Spotlight/ Alle Rechte vorbehalten
Impressum: E-Book Vertrieb durch feiyr.com/ E-Book ID: 20019734
Covergestaltung by Franziska Buhl
Für Martin, Henry und Maik.
Danke für eure Geduld.
Eternity and a Day
Die Ewigkeit und ein Tag
Von Maria Spotlight
Die Zeit heilt alle Wunden, so hatte man es mir zumindest einmal gesagt. Doch egal, wie viel Zeit vergangen war, egal, welche Kräfte ich meinerseits aufgebracht hatte, meine Wunden wollten sich nicht verschließen; ihrer statt hatten sich hässliche Narben gebildet, die mich stets daran erinnern werden, was ich getan hatte. Um eine Geschichte zu verstehen, muss man ihren Ursprung kennen. Ich war nicht immer so, lange Zeit hatte es nur in mir geschlummert, bis es eines Tages von jemand Besonderem erweckt wurde. Dies war meine Geburtsstunde, dies war der Tag, an dem die erste Hexe das Licht der Welt erblickte …
„Steh auf!“, seine aggressive Stimme lag direkt vor meiner Tür, ein energisches Hämmern gegen ihr Holz verkündete einen neuen, alptraumhaften Tag für mich und bedeutete zugleich das Ende eines wundervollen Traumes.
„Du faules Stück, steh endlich auf!“
„Ich bin schon wach, Vater“, versicherte ich ihm und versuchte, dabei souverän zu klingen.
„Zieh dich an und dann mach, dass du nach unten kommst und deiner Mutter in der Küche hilfst.“ Die Aggression im Kern seiner Stimme war deutlich herauszuhören.
„Ist gut.“ Ich nahm die Kerze auf meinem Nachttisch und hielt sie in den Raum hinein. Durch die Ritze am unteren Rand meines Fensters sah ich, dass es draußen noch dunkel war. In dieser besseren Besenkammer, die ich mein Zimmer nannte, gab es neben meinem Bett, das inzwischen viel zu klein für mich war, noch einen kleinen Tisch, auf dem eine Waschschüssel und ein abgenutzter Spiegel standen. Jeden Abend, bevor ich zu Bett ging, holte ich aus dem Brunnen hinter unserem Haus einen Krug klares Wasser, damit dieser für den nächsten Tag schon bereitstand. Ich setzte mich auf den Schemel vor dem Spiegel und begutachtete mein Gesicht. Meine brünetten Haare, die mir bis unterhalb meiner Schulterblätter hingen, waren noch etwas wirr vom Schlaf. Schnell zog ich meinen selbst gebastelten Kamm aus Fischgräten hindurch. Das kühle Wasser auf meiner Haut vertrieb auch die letzte Müdigkeit, meine jadegrünen Augen hatten sich zu vollen Monden geöffnet. Mein Nachthemd stopfte ich unter mein Kissen, schüttelte das Bettlaken kurz auf und zog mein Kleid mit der Schürze an. Unzählige Male hatte ich es schon geflickt, weshalb es inzwischen stark abgenutzt erschien. Meine Eltern gestanden mir nicht mehr als diese Kammer und die abgetragene Kleidung zu. Bevor ich das Zimmer endgültig verließ, band ich meine Haare zu einem festen Knoten zusammen. Noch ehe ich zwei Stufen hinabsteigen konnte, drang ein eindringliches Räuspern an mich heran.
„Hast du nicht etwas vergessen?“, fragte Vater.
Fix drehte ich mich wieder um; es war meine morgendliche Pflicht, die Nachttöpfe aus den Gemächern meiner Eltern und meiner Brüder einzusammeln und sie auszuleeren. An diesem Punkt begann jeden Morgen die Prüfung aufs Neue für mich, denn meine Brüder schliefen zuweilen noch und ich durfte sie nicht wecken, andernfalls würde es für mich nichts Gutes verheißen. Vater war der Meinung, Thomas und Gabriel hätten sich ihren zusätzlichen Schlaf verdient, schließlich arbeiteten sie hart, nur ich wusste, dass dem nicht so war. Den Löwenanteil der Arbeit leisteten ich und meine Mutter. So unauffällig wie möglich, schlich ich in das Zimmer meiner Brüder, bislang hatte ich es noch immer geschafft, sie nicht aufzuwecken. Ihr Schnarchen verriet mir, sie befanden sich noch im Land der Träume, dem Ort, wo auch ich frei sein konnte. Die hölzerne Diele knarzte, jeder weitere Schritt konnte mich verraten. Thomas Nachttopf hatte ich schon einmal, doch als ich mich auf Gabriels Bett zubewegte, knackte der Holzboden verräterisch, Gabriel schreckte kurz auf, ehe er erneut zu schnarchen begann. Aufatmend machte ich, dass ich hier herauskam und meine Aufgabe zu Ende brachte. Die Tür hinter mir zuziehend, lief ich erneut mit den Töpfen nach unten.
„Ich weiß wirklich nicht, was ich mit diesem Mädchen noch anstellen soll, Margret.“
Vaters Stimme war ein Vorbote meines heutigen Schicksals. Die Tür zur Küche stand offen, die Nachttöpfe stellte ich auf den Boden, dann trat ich ein.
„Aha, da sind wir ja endlich, Fräulein Eitelkeit, warum hat das so lange gedauert?“
„Es ist nicht immer leicht, Vater, Thomas‘ und Gabriels Nachtgeschirr einzusammeln, ohne sie dabei aufzuwecken“, verteidigte ich mich.
„Ach, sind jetzt also die Jungs an deinem Versagen schuld?“
„Ich habe nicht versagt, keiner von ihnen ist wach geworden.“
„Gut, das will ich dir auch geraten haben“, seine kalten Augen brannten auf meiner Haut, „und jetzt hilf deiner Mutter.“
Sogleich stellte Mutter mir einen großen Eimer Ackerfrüchte zum Schälen und Putzen auf die Anrichte, ohne mir dabei in die Augen zu blicken oder mir gar ein freundliches ‚Guten Morgen‘ zu schenken. Eine Schüssel geschmacklosen Haferbreis würde es für mich nach getaner Arbeit erst geben. Draußen dämmerte es bereits, das sah ich durch das Fenster hinter der Anrichte. Die Monate von April bis September bedeuteten für einfaches Landvolk wie meine Familie immer sehr viel Arbeit. Die Kühe mussten zum Weiden hinaus getrieben, bestellte Äcker mussten geerntet werden, das Obst musste von den Bäumen geschüttelt werden und Holz musste für den Winter gespalten werden. Während ich gedankenverloren über diese schweißtreibenden Tätigkeiten nachdachte, deren Ausführung ich zwar überdrüssig war, aber um die ich nicht herumkam, bemerkte ich in der aufgehenden Morgenröte einen Schatten. Etwas bewegte sich draußen auf dem Hof, zu groß für einen Vogel und zu kompakt für ein eventuell entlaufenes Tier. Der Schatten bewegte sich leichtfüßig und elegant über unseren Hof, doch sah ich niemanden, von dem er hätte ausgehen können. Davon abgelenkt, schnitt ich mir unabsichtlich in den Finger. Sofort floss Blut aus der Schnittwunde.
„Du ungeschicktes Ding“, schalt Mutter, „wie sollst du mir in der Küche zu Nutzen sein, wenn du dich ständig selbst verletzt?“
„Tut mir leid“, sagte ich und hing immer noch in Gedanken bei dem Schatten.
„Ja, ja, winde dich nicht heraus“, Mutter schleuderte mir ein Tuch entgegen, „trockne die Wunde und dann sieh zu, dass du fertig wirst, wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.“
Just ging die Tür zur Küche auf, Thomas und Gabriel waren endlich aufgestanden.
„Ah, da sind ja meine beiden Prachtkerle“, Vaters Goldstücke hatten beide Schatten unter den Augen, sicher würde er mir das zuschreiben. Von zu vieler Arbeit und Überanstrengung konnte es nicht stammen, schließlich pickten sich die beiden immer die Rosinen aus der Arbeit, die Drecksarbeiten überließen sie mir. Thomas bemerkte meine Hand im Tuch, er musterte mich mit seinen blassblauen Augen.
„Wieder mal typisch Emily, sich noch vor Beginn des Tagesgeschäfts in den Finger geschnitten.“
„Na ja, ihre Arbeit hat sie ja noch nie richtig erledigt“, höhnte Gabriel, dem sein rabenschwarzes Haar in die Stirn hing, „draußen auf dem Flur stehen noch immer unsere Pisspötte.“
„Wie bitte?“, Vater erhob sich drohend, sein kaltherziger Blick fing mich ein. Angst kroch meine Nervenbahnen entlang, ich fürchtete seine Hand.
„Vater, bitte, ich habe sie draußen nur abgestellt, ich werde sie nachher gleich entleeren.“
„Nachher! Nachher?“, wie ein massiver Berg rollte er auf mich zu, der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, kippte um, „nein, du faule Metze, du erledigst das auf der Stelle.“ Seine grobe Hand fuhr in meinen Nacken, packte mich und schleuderte mich zur Küche hinaus, auf den Flur. Ich hatte es gewusst, dass auch der heutige Tag zu einer Strafe für mich werden sollte. Die Nachttöpfe nehmend, verschwand ich nach draußen und wünschte mir, nie geboren worden zu sein.
Das Nachtgeschirr entleerte ich in die dafür vorgesehene Grube; es war eine abscheuliche Aufgabe, jedes Mal würgte es mich aufs Neue. Auch das war einer meiner etlichen Arbeiten, die ich zu verrichten hatte und es scherte meine Familie einen Dreck, was ich dabei fühlte, ich war nicht mehr und nicht weniger als ihre Arbeitssklavin. Der See zu unserem Haus lag ruhig und friedlich da, Gänse und Enten hatten in ihm ein Zuhause gefunden. Ich schlenderte an ihm vorbei und ließ seine Ruhe kurz auf mich wirken, ehe es mich zurück in den Innenhof zog. Meine Brüder waren ebenfalls schon draußen.
„Vater hat gesagt, wenn du unsere Pisse weggeräumt hast, kannst du gleich mit uns in den Stall kommen und uns dort helfen“, bellte Gabriel. Er war der jüngere meiner Brüder, vierzehn Jahre hatte er nun schon hinter sich. Es fehlte ihm an Reife, jedoch nicht an Sadismus. Thomas lief hinter ihm, er war nur ein Jahr älter als Gabriel und sicherlich nicht nennenswert schlauer. Wenn sie von helfen sprachen, dann bedeutete das, ich musste die gesamte Arbeit im Alleingang erledigen, wie so oft. Wenn Vater nicht in der Nähe war, faulenzten sie, kam er hinzu, nahmen sie schnell ein Werkzeug in die Hand. War die Arbeit bis dahin nicht weit genug erledigt, erntete ich den Spott und die Häme. Thomas ging voran, seine Haare waren fettig und ein übler Geruch ging von ihm aus. Genau wie meine Eltern legten auch meine Brüder keinen Wert auf Pflege. Gebeugt lief ich den beiden hinterher, Thomas trat die Tür zum Schweinestall auf, die Tiere quiekten aufgeregt; er tat das gerne, auch er besaß eine widerliche, sadistische Ader.
„Na, na, na, was haben wir denn hier? Heute wird eins von euch dran glauben müssen.“ Thomas versuchte, sein Ausgesprochenes mit Schweine-ähnlichem Grunzen zu untermalen.
Es war tatsächlich wieder Schlachttag, ein Glück für mich, denn Vater ließ mich nie diese eine Arbeit erledigen. Für einen kurzen Moment atmete ich auf, ehe ich unsanft gegen die Wand gepresst wurde. Gabriel drückte seinen Unterarm gegen meine Kehle, seine Augen waren durchflutet von Irrsinn.
„Du hast mich heute früh geweckt, Emily. Du weißt doch, wie sehr ich meinen Schlaf brauche“, sein fauliger Atem stieß in mein Gesicht.
„Gabriel, lass mich los“, würgte ich, sein Knie bohrte sich in meine Eingeweide, für seine schmächtige Statur war er verdammt stark. Ich hatte zwar meine Hände frei, traute mich dennoch nicht, sie zu benutzen.
„Wenn das noch einmal vorkommt, Schwester, dann werde ich mich nachts in dein Zimmer schleichen, mit einem Messer, und mir dein hübsches Gesicht vornehmen. Vater und Mutter würde das sicherlich nicht scheren.“
Er ließ mich los, hastig sog ich Luft in meine Lungen. Von draußen hörte ich Schritte über den Hof stapfen, Vater! Meinen Schmerz unterdrückend, griff ich nach dem Eimer mit den gesammelten Abschnitten und begann, die Schweine zu füttern. Das Tier zum Schlachten war schon in ein separates Gehege gepfercht worden. Thomas stand bei ihm, ein großes Schlachtermesser in seiner Hand haltend, sodass das Tier immer nervöser wurde. Es verdarb das Fleisch, wenn Tiere kurz vor ihrem Tod zu viel Aufregung erlitten, doch meinen Bruder kümmerte das nicht. Die Tür zum Stall flog auf. Ich blickte zu Vater, die Angst in meinem Nacken war derart groß, dass meine aufkommende Nervosität in meine Glieder fuhr und sie von der Arbeit abhielten. Wie angewurzelt stand ich da, während er seine kaltherzigen Augen über das Geschehen schweifen ließ und mich eindringlich musterte.
„Na, dann wollen wir mal an die Arbeit gehen, Jungs.“
Ein Stein fiel von meinem Herzen, ich führte meine Arbeit weiter fort, während Thomas das Gatter öffnete. Die Sau quiekte, er trat sie in die Magengrube. Die Schweine im anderen Gehege wollten von ihrem Futter nichts wissen, sie rochen, dass Verderben in der Luft lag und starteten unglückliche Versuche, zu entkommen, indem sie in einem wilden Gedränge aufeinander aufsprangen, um über das Gatter zu springen. Gabriel band dem Schlachtschwein ein Seil um den Hals und zog es hinter sich her in den Nebenraum. Die Tiere waren allesamt erschöpft, ebenso wie ich, gerne hätte ich geweint, mich dazwischen geworfen und diesen Irrsinn beendet. Aber …
„EMILY“, fauchte mein Vater, „trödle nicht herum, mach, dass du mit der Fütterung und dem Ausmisten fertig wirst. Danach gehst du zum Hühnerstall und machst dort weiter, verstanden!“
„Ja, Vater.“
Ich tat, wie mir befohlen worden war, das scheußliche Geräusch eines gequälten Tieres begleitete im Hintergrund meine Arbeit. Beim Hühnerstall atmete ich erst einmal tief durch. Solange, wie wir nun schon Schweine aufzogen und sie regelmäßig für den Eigenbedarf und auch für den Verkauf schlachteten, konnte ich mich nicht daran entsinnen, eine derart makabre Vorstellung wie die heute miterlebt zu haben. Dass meine Brüder einen gewaltigen Sprung in der Schüssel hatten, wusste ich. Sicherlich war es wieder eine ihrer derben Witze, mich testen zu wollen. Wie einst, als sie mich mit Gewalt unter Wasser gedrückt hatten, um zu sehen, wie lange ich es ohne Luft aushielt. Ich wäre damals beinahe gestorben und niemand aus meiner Familie hätte um mich getrauert. Die Hühner waren versorgt, also machte ich mich auf in Richtung Haus. Sicher hätte Mutter drinnen noch dutzende Aufgaben für mich. Die kleinen Steine auf unserem Hof knirschten, als ich über sie hinweglief.
„EMILY!“, Vaters dröhnende Stimme mit dem drohenden Unterton schallte über das ganze Areal und übermittelte mir so die Botschaft, ich solle augenblicklich zu ihm kommen. Den Schlachtraum betretend, sah ich, dass die Sau noch immer am Leben war. Erschöpft lag sie am Boden, rote Striemen zierten ihren Unterbauch. Was hatten diese bestialischen Kerle nur mit dem armen Tier angestellt?
„Du hast nach mir gerufen?“, fragte ich und versuchte, meine Ungewissheit zu zügeln.
„Ja, mach die Tür hinter dir zu“, ich tat es, ein ungutes Gefühl überkam mich, „komm her“, befahl er.
Langsam schritt ich auf sie zu, hielt kurz vor dem Tier an, das mich aus halboffenen Augen anstarrte, als wolle es sagen „Hilf mir, bitte hilf mir.“
„Weißt du, Emily, du scheinst in letzter Zeit nicht ganz bei der Sache zu sein“, setzte Vater an und noch ehe ich meinen Mund öffnen konnte, fügte er bei, „also haben die Jungs und ich uns etwas überlegt. Dir mangelt es eindeutig an Stärke und damit sich das vom heutigen Tag an ändert, wirst du heute das Schwein schlachten.“
„Was? Nein! Ich kann das nicht! Bitte, Vater, zwing mich nicht dazu“, flehte ich.
„Seht ihr, wie ich gedacht habe“, höhnte Vater, „Thomas, wärst du dann so freundlich.“
Mein Bruder stand hinter mir, er verpasste mir einen Tritt in mein Hinterteil, sodass ich mit einem Satz nach vorne auf den schmutzigen Boden flog.
„Es ist doch ganz einfach, Schwester“, johlte Gabriel und trug dabei wieder diesen bizarren Blick in den Augen, „du nimmst das Messer und rammst es der Sau in die Kehle und lässt sie ausbluten. Zier dich nicht so!“
Jede Faser in mir wehrte sich, es nicht zu tun hätte allerdings schlimme Folgen für mich. Vater steckte mir das Fleischermesser in meine Hand. Eigentlich hätte ich leichtes Spiel, das Tier schien förmlich auf die Erlösung zu warten; es wehrte sich nicht, obwohl es das Messer sah. Das war nicht meine Aufgabe, ein unschuldiges Wesen zu töten, es war die Sache von hirnlosen Barbaren, wie mein Erzeuger und meine Brüder es waren.
„Tu es endlich!“, zischte Vater.
Ich konnte diesen Albtraum nur auf eine Weise beenden; ich musste töten. Das Messer, mit dem spitzen Ende voran, fand plötzlich wie von einer unbekannten Macht geführt seinen Weg in die Kehle des Tieres. Warmes Blut quoll wie ein Wasserfall aus der Wunde, benetzte meine Hände. Meine Familie jubelte, ich hingegen ließ das Messer fallen und verließ den Raum fluchtartig. Für immer und ewig hätte sich dieses scheußliche Szenario in meinen Kopf gebrannt.
***
„Ein dunkler Phönix wird sich aus der Asche seines Zorns erheben. Der Herr der Finsternis wird kommen, um ihn zu führen und zu formen.“
Meine Hände zitterten, mein gesamter Körper vibrierte wie bei einer Erschütterung der Erde. Ich erwachte aus einem Albtraum. Hatte ich das Schwein wirklich getötet? Ja, sein Blut klebte an meinen Händen. So sehr ich nach dem gestrigen Tag verzweifelt versucht hatte, den roten Lebenssaft des Tieres von meinen Händen abzuspülen, es war nach wie vor da und würde mich stets verfolgen.
Draußen war es noch dunkel, als ich nach unten in die Küche kam und Mutter sogleich unter die Arme griff. Vater grüßte mich nicht, während er schmatzend sein Frühstück verzehrte. Aber er giftete mich ebenso wenig an.
„Heute ist Markt, wir müssen also zusehen, dass wir mit der Hausarbeit schnell fertig werden, ehe wir aufbrechen“, sagte Mutter, ihr bitterböser Ton mir gegenüber würde wohl auch nie weniger werden.
Das hatte ich komplett vergessen, wie hätte ich nach dem gestrigen Tag auch noch daran denken können? Nach dem Erledigen der Hausarbeiten machten wir uns unverzüglich auf. Einen Vorteil bekam ich heute wenigstens einmal zu spüren. Meine Brüder und mein Vater ließen mich zufrieden. Vater hatte draußen schon den Wagen angespannt und das zu verkaufende Gut darauf geladen. Eier, Obst, Gemüse, sowie abgehangenes Fleisch. Bretter für den Aufbau der Theke lagen ebenfalls auf dem Wagen. Marktgeschäfte waren Frauenarbeit, pflegte Vater immer zu sagen und wenn wir nicht mit genügend Geld Heim kämen, war es stellenweise auch schon vorgekommen, dass selbst Mutter seine Hand zu spüren bekam. Zirka eine Stunde Wegzeit nahm es für uns in Anspruch, um in die nächste Stadt und somit zum nächsten Marktplatz zu gelangen. Der Weg dorthin war unbeschwert, keine holprigen Straßen, die uns unnötige Zeit kosteten. Ein frischer Wind wehte, die Brise fuhr durch mein Haar, das ich heute mal offen trug. Ich war endlich weg von zu Hause und konnte meine Gedanken wie eine Feder mit dem Wind auf und ab fliegen lassen. Wir erreichten rechtzeitig den Marktplatz, etliche Verkäufer hatten sich bereits dort eingefunden, sie verkauften ähnliche Waren wie wir. Es war also auch immer ein Kampf, der mit dem Feilschen der Käufer einherging. Ich half Mutter die Bretter vom Wagen zu hieven und den Tresen aufzubauen. Wer wo seinen Stand hatte, das bestimmten die Händler selbst, in jedem Fall galt, der frühe Vogel fängt den Wurm. Unser Stand befand sich nahe der Kirche. Der Platz als solcher bot sehr viel Raum für geschäftiges Treiben und war umzäunt von Häusern der Stadtbewohner. Folgte man der Straße weiter südwärts, gelangte man zu den restlichen Behausungen der Anwohner. Da es vor zwei Tagen hier noch geregnet hatte, war der Untergrund schlammig, viele hatten Schwierigkeiten, so ihre Ware richtig aufzustellen. Nach etlichen Malen auf dem Markt, kannten Mutter und ich uns schon gut aus und wussten, wo die matschigeren Stellen waren. Heute hatten wir leider so eine erwischt. Trotz allem gelang es uns, den Tresen für unsere Ware fix aufzubauen. Ich holte Obst und Gemüse vom Wagen herunter, als mir etwas auffiel. Es kam plötzlich und mit viel Unbehagen. Drüben, bei der Kirchmauer, stand eine Gestalt, eingehüllt in ihren eigenen Schatten. Der Statur nach musste es sich um einen Mann handeln. Er sah zu mir, und auf eine unheimliche Weise verdrängte sich das Unbehagen und verwandelte sich in Vertrautheit. Ich starrte ebenso intensiv zurück. Wie lange hatte er schon da gestanden? Er war mir vorher nicht aufgefallen, auch nicht, als wir auf den Markt gekommen waren.
„Emily, tagträumst du etwa schon wieder? Hilf mir mit den restlichen Sachen“, Mutters patzige Ansage schleuderte mich ins Hier und jetzt zurück. Noch einmal blickte ich zur Kirchmauer hinüber, der Mann war verschwunden.
So gut es mir eben gelang, versuchte ich mich auf die Arbeit zu konzentrieren, doch die grauenhaften Bilder des gestrigen Tages spukten noch immer in meinem Kopf herum. Dass es auf dem Markt zuweilen nach verdorbenem Fleisch und Fisch stank, machte die Situation nicht besser, ebenso wenig, dass eine Horde betrunkener Männer sich vor einer Schenke Alkohol zu Gemüte führte und über den gesamten Platz hinweg grölte. Wie angenommen feilschten die Käufer mit uns und das nicht zu knapp. Sehr oft ließ Mutter sich auf einen schlechten Handel ein, ich befürchtete, Vater wäre mit dem Erlös, den wir nach Hause brächten, nicht einverstanden. Den Lärm und den Gestank auf dem Markt ignorierend, blickte ich zurück zur Kirchmauer, als jemand zu uns an den Stand trat. Es war der Mann von vorhin, ich erkannte ihn sogleich wieder. Er sah mich an, seine dunklen Augen jagten mir einen Schrecken ein, dennoch konnte ich mich nicht von ihnen abwenden. In ihnen schien die ganze Welt zu liegen.
„Verzeiht“, setzte er an, „ich habe mich neulich an der Hand verletzt und nun schmerzt sie noch etwas. Könnt Ihr mir vielleicht helfen?“, er wandte seinen Blick nicht von mir ab.
„Nun, könnt Ihr nicht sehen, dass wir derlei Ware nicht führen? Wir verkaufen nur Fleisch, Gemüse und Obst“, keifte Mutter ihn an.
„Oh, wie bedauerlich!“, der Mann war im Begriff zu gehen.