Beverly Barton
Eine sinnliche Affäre
Roman
Aus dem Amerikanischen von
Elisabeth Schwarz
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH
Titel der amerikanischen Originalausgaben:
Lover and Deceiver
Copyright © 1994 by Beverly Beaver
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln
Umschlaggestaltung: Büropecher, Köln
Redaktion: Christiane Branscheid
Titelabbildung: HarperCollins France / Getty Images, München / Masterfile
ISBN eBook 978-3-95649-922-7
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Sie war perfekt. Absolut perfekt. Sie zu verführen würde kinderleicht sein. Miss C.C. Collins wirkte so unschuldig wie eine Jungfrau.
Gardner Kegan lächelte. Die Frau war noch nicht geboren, die er nicht um den Finger wickeln konnte, wenn er es darauf anlegte. Und das, was er von Miss Collins wollte, konnte ihm nur sie und keine andere geben.
Er spürte die neugierigen Blicke und wusste, dass die Kassiererinnen ihn im Vorbeigehen einer genauesten Inspektion unterzogen. Da nur zwei Bankkunden anwesend waren, hatten sie auch genug Muße dazu. Gardner konnte aus dem unterdrückten Gemurmel sogar ein paar Wortfetzen auffangen. „… ein richtiger Kleiderschrank … sieh dir nur mal diese … Schultern wie … weißt du, wer? … stell dir nur vor …“ Es folgte ein vielsagendes Kichern.
Gardner scherte sich nicht darum. Die Frau, die ihn interessierte, saß hinter ihrem Schreibtisch in einem kleinen, mit Glaswänden abgetrennten Büro direkt vor ihm. Er warf einen Blick auf das mit Goldbuchstaben geprägte Namensschild. C.C. Collins. Er hatte sich wohl hundertmal gefragt, wie sie aussehen mochte, und musste nun zugeben, dass er sich völlig verschätzt hatte. Seiner Vorstellung nach hätte die sechsundzwanzigjährige Vizepräsidentin dieser Bank irgendwie beeindruckender sein müssen. Und da ihre Familie im Geld schwamm, vielleicht auch eine Spur mondäner.
Wie sie dort hinter ihrem großen Schreibtisch saß, die schmalen Schultern leicht gebeugt und den Telefonhörer am Ohr, wirkte sie viel jünger als sechsundzwanzig. Mit ihrem klaren Gesicht und den rosigen Wangen sah sie fast zehn Jahre jünger aus. Auf ihrer makellosen Haut schimmerte nur ein Hauch von Make-up, und ein blassrosa Lippenstift unterstrich sehr dezent ihren weichen Mund. Gardner war fast sicher, dass der rosige Schimmer ihrer Wangen natürlichen Ursprungs war und keinerlei Rouge erforderte.
Er beobachtete sie, während sie sich ein paar Notizen machte. Trotz ihres relativ strengen marineblauen Kostüms wirkte C.C. Collins ausgesprochen zart, beinahe zerbrechlich. Bei diesem Gedanken regte sich sein Gewissen. Er schob dieses Gefühl jedoch sofort beiseite. Je unbedarfter sie war, desto einfacher würde es sein, sie zu verführen.
Er durfte sich durch nichts und niemanden von seinem Weg abbringen lassen. Er würde nicht dulden, dass sich irgendetwas zwischen ihn und sein Ziel schob. Und diese Frau, gleichgültig wie zerbrechlich und weltfremd sie auch wirken mochte, war der einzige Mensch auf Erden, der ihm beim Erreichen dieses Ziels helfen konnte.
Während er sie aufmerksam beobachtete, beschloss er im Stillen, seinen Plan geringfügig zu ändern. Ursprünglich hatte er eine heiße Liebesaffäre für das wirksamste Mittel gehalten. Jetzt jedoch fragte er sich, ob C.C. Collins wohl schon jemals einen Mann gehabt hatte.
Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, überflog sie rasch ihre Notizen. Dann schaute sie auf, als hätte sie seine Gegenwart gespürt. Sie lächelte – und sein Gewissen meldete sich wieder. Diesmal noch nachdrücklicher. Was für ein warmes, von Herzen kommendes Lächeln!
Noch immer lächelnd stand sie auf und reichte ihm die Hand. „Guten Tag. Ich bin Cecilia Collins. Kann ich irgendetwas für Sie tun?“
Einen Augenblick schaute er auf ihre schmale, zarte Hand, bevor er sie ergriff. Sie verschwand fast völlig in seiner. Sie war warm und weich und zitterte leicht.
Ihr Blick glitt von seinem Gesicht hinab auf seine Hand und dann wieder zurück. Der rosige Hauch ihrer Wangen vertiefte sich.
„Ich bin Gardner Kegan“, sagte er. „Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.“
Als sie versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, hielt er sie fest. Er trat noch einen Schritt näher, sodass ihre Körper sich fast berührten. Er hätte sich nur noch ein wenig vorzubeugen brauchen, und seine Brust hätte die ihre berührt. Ein verlockender Gedanke, fand er. Ihre Brüste unter dem maßgeschneiderten Kostüm schienen rund und fest zu sein – und mehr als nur eine Handvoll.
Sie sah ihn noch immer an. Trotz ihrer hohen Absätze war sie fast einen Kopf kleiner als er. Ihre großen blauen Augen waren sehr ausdrucksvoll. Sie verrieten ihm, dass sie sich zwar von ihm angezogen fühlte, aber trotzdem ganz entschieden auf der Hut war. Gardner fragte sich unwillkürlich, welcher Art die Erfahrungen sein mochten, die sie so vorsichtig gemacht hatten.
„Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Mr. Kegan?“, wiederholte sie. Ihre Stimme war fest, aber die Worte kamen irgendwie gehetzt und atemlos.
„Ich bin der neue Polizeichef und werde mich in ein paar Wochen hier in Cold Water niederlassen. Deshalb wollte ich die Runde machen und in den kommenden Tagen möglichst viele der hier ansässigen Geschäftsleute kennenlernen.“ Lächelnd sah er ihr in die Augen. Ihre Hand, noch immer in seiner, bebte wieder. „Und wenn alle Geschäftsfrauen in Cold Water so charmant sind wie Sie, Miss Collins, wird mein Besuch das reinste Vergnügen sein.“
Ihr Lächeln verschwand, und sie zog abrupt ihre Hand aus seiner. Oh, verflixt! War es am Ende ein Fehler gewesen, ihr zu schmeicheln? Womöglich gehörte sie zu diesen Emanzen, die in jedem Kompliment eine sexuelle Belästigung witterten.
Er schaute auf ihr Namensschild und beschloss, eine andere Taktik anzuwenden. „Sie müssen beruflich sehr erfolgreich sein, Miss Collins. Sonst hätten Sie es nicht in so jungen Jahren schon zur Vizepräsidentin gebracht.“
Sie wies mit der Hand auf den Ledersessel, der vor ihrem Schreibtisch stand. „Bitte, nehmen Sie doch Platz, Mr. Kegan. Oder sollte ich lieber Chief Kegan sagen?“
Ihm gefiel die Art nicht, wie sie das Wort „Chief“ betonte, und auch nicht der frostige Ausdruck in ihren Augen. Noch vor ein paar Sekunden waren ihre Augen so blau wie der Sommerhimmel gewesen. Jetzt dagegen hatten sie einen eisigen Gletscherton. Auf keinen Fall durfte seine Bekanntschaft mit Cecilia Cornelia Collins auf dem falschen Fuß beginnen. Sie war der Schlüssel, der ihm die Tür zu der einflussreichen Hammond-Familie öffnen sollte.
Gardner nahm Platz, entspannte sich so gut es ging, und gab sich betont freundlich. „Habe ich etwas gesagt, das Sie in irgendeiner Weise gekränkt hat, Miss Collins?“
Sie setzte sich in den dunkelgrünen Ledersessel hinter ihrem Schreibtisch und sah ihn kalt an. „Gewiss nicht. Wie kommen Sie darauf?“
„Weil Sie nicht mehr lächeln.“ Mit einem mutwilligen Grinsen beugte er sich vor. „Die meisten Frauen wären geschmeichelt, wenn ein Mann bemerkt, wie jung und anziehend sie sind.“
„Ich gehöre nicht dazu, Mr. Kegan.“
Nein, das tust du offensichtlich nicht. Aber du bist meine Eintrittskarte in die Welt des Hammond-Clans. „Sagen Sie mir, was ich falsch gemacht habe, und ich werde mich auf der Stelle entschuldigen.“
„Dazu besteht keine Veranlassung.“
Sie faltete die Hände und tippte nervös die Daumen gegeneinander. „Ich weiß zufällig genau, dass ich keine aufregende Schönheit bin, und ich lege keinen Wert auf Schmeicheleien. Wir werden gut miteinander auskommen, wenn Sie mir gegenüber offen und ehrlich sind.“
Offen und ehrlich? Keine Chance. Das konnte er weder zu ihr sein, noch zu einem Mitglied ihrer Familie oder überhaupt zu irgendjemandem in Cold Water. Er musste sein dunkles Geheimnis bewahren, bis er sein Ziel erreicht hatte und diese verdammte Stadt wieder verlassen konnte.
Gardner erhob sich. Er beugte sich über den Schreibtisch, bis sein Gesicht direkt vor ihrem war. „Da muss Sie jemand belogen haben, C.C. Collins.“
Mit steifem Rücken richtete sie sich auf. Ihre Augen schossen Blitze, und sie ballte die Hände. „Was wollen Sie damit sagen?“
„Wer immer Ihnen weisgemacht hat, dass Sie keine Schönheit sind, hat gelogen“, erklärte er ruhig.
Er sah sie fest an, und sein Gesicht wirkte völlig unbewegt. Er spürte die Spannung, die sich in ihr aufbaute, und wusste, dass sie zwischen Zweifel und dem Wunsch, ihm glauben zu können, schwankte.
Als sie beharrlich schwieg, fuhr er fort: „Ich halte auch nichts von falschen Schmeicheleien.“ Er richtete sich wieder auf, ging um den Schreibtisch herum und blieb neben ihrem Stuhl stehen. „Ich habe keinen Grund Sie anzulügen. Ich bin ein Neuankömmling in dieser Stadt, in der mir noch alle fremd sind. Ich wollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass ich Sie attraktiv finde und Sie gern näher kennenlernen würde.“
Er umspannte ihr Kinn mit Daumen und Zeigefinger. Helle Röte schoss in ihre Wangen, und sie senkte unwillkürlich die Lider.
Als sie die Augen wieder öffnete und zu ihm aufsah, erkannte er darin freudige Überraschung. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Mr. Kegan … Chief Kegan. Ich …“
„Nennen Sie mich Gardner.“ Lächelnd ließ er ihr Kinn los und strich flüchtig über ihre Wange. „Ich denke, ich werde Sie Celia nennen, wenn es Ihnen recht ist.“
„Miss Eula nennt mich auch so.“
„Miss Eula?“ Er wusste genau, wer Miss Eula war, durfte es ihr jedoch nicht verraten.
„Meine Großmutter“, erklärte sie. „Genauer gesagt, die Mutter meines Stiefvaters. Miss Eula und ich stehen uns aber so nahe, dass sie für mich immer wie eine richtige Großmutter war.“
„Aha. Und Miss Eula nennt Sie also Celia, ja?“
„Ja, solange ich denken kann.“
Gardner bemerkte, wie ihr Gesicht sich erhellte, als sie von Miss Eula sprach. Gut. Das bedeutete, dass eine enge Bindung zwischen ihr und der alten Dame bestand. Was immer Celia zustieß, würde demnach nicht nur ihren Stiefvater tief treffen, sondern auch die Matriarchin des Hammond-Clans.
Gardner hörte ein diskretes Hüsteln. Er wandte sich um und sah sich Boyd Hammond gegenüber, dem Mann, den er zu hassen gelernt hatte. Um diesen Mann zu vernichten, war er nach Cold Water gekommen.
„Entschuldige bitte, Cecilia, ich möchte nicht stören, aber ich brauche dich für einen kurzen Augenblick.“ Boyd Hammond nickte Gardner zu und musterte ihn kurz, aber gründlich. „Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.“
„Oh, Daddy, das ist Gardner Kegan.“ Hastig schob Celia ihren Stuhl zurück und stand auf. „Er ist der neue Polizeichef von Cold Water. Er hat nur vorbeigeschaut, um sich vorzustellen.“
Boyd streckte die Hand aus. Gardner überwand seinen Widerwillen und ergriff lächelnd die Rechte des Mannes. Wenn er diese Charade durchziehen wollte, musste er lernen, seine Gefühle zu verbergen. Auch wenn er Boyd Hammond zutiefst verachtete, musste er sich ihm gegenüber freundlich geben.
„Ich bin Boyd Hammond, Cecilias Vater und Präsident dieser Bank.“
Gardner und Celias Stiefvater schüttelten sich die Hand. Gardner war über alle Details genau im Bilde. Er hatte jede Information über die Hammond-Familie, die er sich selbst und sein Vater durch seine Position bei der Polizei von Birmingham ihm verschaffen konnte, verinnerlicht. Celias leiblicher Vater war gestorben, als sie noch ein Säugling war, und ihre Mutter hatte den ältesten Hammond-Sohn geheiratet, als Celia knapp fünf Jahre alt war. Boyd Hammond hatte keine eigenen Kinder. Er betete seine Frau an und liebte ihr einziges Kind, als wäre es sein eigenes. Wenn Gardner Cecilia Collins benutzte, verschaffte ihm das nicht nur Zugang zur Familie, sondern würde auch ein probates Mittel sein, Boyd Hammond zu verletzen.
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir. Ich habe Miss Collins gerade erzählt, dass ich vor meinem Umzug nach Cold Water schon mal zu einer Stippvisite hergekommen bin, um die wichtigsten Leute am Ort kennenzulernen. Wie Ihre Tochter ja bereits erwähnte, übernehme ich den Posten des aus dem Amt scheidenden Chief Maddox.“ Gardner unterbrach sich und versuchte abzuschätzen, wie Hammond auf diese Neuigkeit reagierte. Der Mann machte einen durchaus freundlichen Eindruck. „Ich würde Sie und Ihre Tochter gern zum Lunch einladen.“
„Großartige Idee“, sagte Boyd und schaute von Gardner zu Celia. „Leider habe ich selbst schon eine Verabredung zum Lunch, doch ich bestehe darauf, dass Sie mit Cecilia gehen.“
„Aber Daddy …“
„Wir wollen dem neuen Polizeichef gegenüber doch nicht ungastlich sein, Liebes. Geh mit ihm ins ‚Primrose Path‘. Du kannst das Essen auf deine Spesenrechnung setzen.“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Hammond.“ Gardner frohlockte im Stillen. Celias Vater schien ihn zu mögen.
„Die Wahrheit ist, dass Cecilia viel zu hart arbeitet.“ Boyd warf einen Blick auf seine goldene Rolex. „Es ist schon fast zwölf. Mach Schluss für heute, Kind. Esst in aller Ruhe zu Mittag, und dann kannst du Chief Kegan durch die Stadt führen. Zeig ihm alles, was für ihn von Interesse sein könnte.“
„Aber Daddy, ich bearbeite gerade die McBryar-Akte, und um eins habe ich einen Termin mit Mr. Davidson.“
„Die McBryar-Sache kann warten, und den Termin mit Mr. Davidson kann Jim wahrnehmen.“ Boyd reichte Celia einen Schnellhefter. „Wirf hier nur schnell noch einen Blick hinein. Dann bist zu für heute frei.“
Celia nahm die Mappe, öffnete sie und überflog den Inhalt. „Das wird mindestens zehn Minuten dauern.“
„Ich zeige Gardner inzwischen die Bank und mache ihn mit den Leuten bekannt. Du hast also Zeit genug.“
„Gut, dann treffen wir uns in deinem Büro.“
„Kommen Sie, Chief.“ Boyd legte Gardner die Hand auf den Rücken.
Gardner erstarrte innerlich. Obwohl er Hammonds Berührung kaum ertragen konnte, zwang er sich zu einem Lächeln und ließ sich hinausführen.
Nachdem Gardner die Bekanntschaft des Bankpersonals gemacht hatte, folgte er Hammond in dessen Büro, wo Boyd ihm eine Zigarre anbot, die er ablehnte, und eine Tasse Kaffee, die er akzeptierte. Auf dem großen Schreibtisch standen mehrere goldgerahmte Fotos. Gardner griff nach einem, auf dem eine Frau mit einem halbwüchsigen Mädchen abgebildet war. Das Mädchen erinnerte ihn sofort an Celia.
„Meine Frau und meine Tochter“, sagt Boyd warm. Sowohl seine Stimme als auch seine Augen verrieten die Liebe, die er diesen beiden entgegenbrachte. „Das Foto wurde an Cecilias sechzehntem Geburtstag aufgenommen.“
Celias Mutter war eine auffallend attraktive Frau, eine regelrechte Reklameschönheit. Abgesehen von dem hellblonden Haar und den blauen Augen sah Celia ihrer Mutter kaum ähnlich. Ihre Schönheit war subtiler, nicht so augenfällig. So mancher würde Cecilia Collins auf den ersten Blick unscheinbar finden. Gardner dagegen gefiel die natürliche Frische, die von ihr ausging. Celia war eine willkommene Abwechslung verglichen mit den Frauen, die er sonst bevorzugte – Frauen wie Celias Mutter. „Sie sind beide bezaubernd.“
„Ich bin auch stolz auf sie. Ich glaube, ich bin ein Glückspilz.“
„Das sind Sie, Mr. Hammond. Sie haben wirklich Glück.“ Aber damit wird es bald vorbei sein, dachte Gardner grimmig. Heute ist der schwärzeste Tag in deinem Leben, denn heute sind wir uns begegnet.
„Wie lange werden Sie in der Stadt bleiben?“ Boyd schenkte zwei Tassen Kaffee ein. Er reichte Gardner eine, stellte die zweite auf den Schreibtisch und machte es sich in seinem Ledersessel bequem.
„Nur bis Sonntag. Ich muss mir eine Bleibe suchen, bevor ich umziehen kann.“
„Ich würde Sie gern für Samstagabend zum Dinner einladen. Dann können Sie gleich meine ganze Familie kennenlernen.“ Boyd nahm einen Schluck Kaffee und sah Gardner über den Rand der Tasse hinweg an. „Es gab eine Zeit, da gehörte diese Stadt praktisch meiner Familie. Aber auch heute haben wir noch beträchtlichen Einfluss.“
Gardner lächelte. Alles lief wunschgemäß. Er war erst einen Tag in der Stadt und hatte bereits eine Lunch-Verabredung mit der einzigen Tochter und eine Dinner-Einladung im Kreis der Familie. „Es wird mir ein Vergnügen sein, am Samstagabend mit Ihnen zu essen. Ich nehme an, Miss Collins wird auch da sein?“
„Cecilia? Ja, natürlich.“ Er warf Gardner einen scharfen Blick zu. „Ich sollte Sie vielleicht vorwarnen. Cecilia hat mit Männern nichts im Sinn. Sie hatte vor ein paar Jahren eine sehr unerfreuliche Beziehung. Wie es eben manchmal vorkommt. Jeder Versuch wäre vergeudete Zeit.“
Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, und Gardner nahm ihn auch als solchen. Celias Vater hatte ihm soeben klargemacht, dass sie für ihn tabu war. Dass sie schon einmal verletzt worden war und er eine Wiederholung nicht dulden würde. Im Klartext: Lass die Finger von meiner Tochter, und wir können Freunde sein.
„Ich verstehe, Sir.“ Gardner trank seinen Kaffee, wobei er Boyd Hammond nicht aus den Augen ließ.
„Nach dem Lunch und der Stadtrundfahrt kann Cecilia Sie zu einer guten Immobilienmaklerin bringen. Sie ist eine Freundin von ihr. Vergessen Sie nicht, sie daran zu erinnern.“
„Ich werde daran denken.“ Gardner leerte seine Tasse. Sie war aus kostbarem, hauchdünnem Porzellan und für Männerhände viel zu zart. Er zog derbe Steinguttassen vor.
Die Tür ging auf, und Cecilia Collins trat ein, eine kleine Umhängetasche über der Schulter. „Ich bin fertig, Mr. Kegan.“
„Ich auch, Miss Collins.“ Und zu jeder Schandtat bereit … Seit Jahren hatte er dies alles geplant und auf eine günstige Gelegenheit gewartet, nach Cold Water zu kommen und die Hammonds für ihre Missetaten büßen zu lassen.
Das „Primrose Path“ war ein teures, exklusives Restaurant in der Innenstadt. Hierher pflegte die High Society von Cold Water zum Essen zu gehen. Auch Celia war mindestens einmal pro Woche hier.
Die Speisekarte bot eine Vielzahl verschiedenster Salate und Fleisch-, Geflügel- und Fischspezialitäten an. Celia hatte sich ihr Leibgericht bestellt – Geflügelsalat. Gardner hatte ein großes T-Bone-Steak gewählt. Blutig. Celia konnte beim besten Willen nicht begreifen, wie jemand sein Fleisch in diesem fast rohen Zustand genießen konnte. Nachdem sie dem neuen Polizeichef bei dieser Tätigkeit zugeschaut hatte, fragte sie sich im Stillen, was für eine Art Wilder unter dieser zivilisierten Fassade verborgen sein mochte.
Der Kellner kam und legte die Rechnung zwischen ihnen auf den Tisch. Celia wartete ab, ob Gardner danach greifen und darauf bestehen würde, für sie beide zu bezahlen. Alle Männer, mit denen sie essen ging, taten das grundsätzlich. Vermutlich wollten sie damit etwas beweisen – dass sie Kavaliere der alten Schule und an Celias Geld nicht interessiert waren. Celia hatte jedoch aus bitterer Erfahrung gelernt, dass solche Aktionen bei den meisten Männern reine Berechnung waren. Es gab nur sehr wenig echte Kavaliere, und allen Männern, mit denen sie bislang ausgegangen war, hatte mehr an ihrem Reichtum gelegen als an ihr selbst. Das traf insbesondere auf ihren Exverlobten zu.
Gardner warf einen desinteressierten Blick auf die Rechnung, während er lässig seine dritte Tasse Kaffee trank. Er machte keine Anstalten, danach zu greifen. Interessant. Und was besagte das? Dass es ihm nichts ausmachte, sich von einer Frau einladen zu lassen? Dass er nicht das Bedürfnis hatte, irgendetwas zu beweisen?
Er hatte sich als charmanter Tischgenosse erwiesen, mit allen Wassern gewaschen, was seine Fähigkeit betraf, eine Frau zu unterhalten und ihr das Gefühl zu geben, begehrenswert zu sein.
Celia hob ihr Weinglas an die Lippen. Ein Mann wie Gardner Kegan war ihr noch nie begegnet. Ein wirklicher Mann, kein Gentleman. Er wirkte völlig unkonventionell, selbstsicher, und er sparte keineswegs mit seinem erotischen Charme. Celia wehrte sich dagegen, ihn zu mögen. Sie wehrte sich ganz entschieden dagegen, dem verführerischen Blick seiner braunen Augen zu erliegen. Der reinste Schlafzimmerblick. Seine Augen waren hellbraun, mit goldenen und grünen Pünktchen. Sie bildeten einen lebhaften Kontrast zu seinem schwarzen Haar und dem dunklen Teint.
„Sie sind nicht übermäßig gesprächig, Celia, nicht wahr?“ Er stellte seine Tasse ab, beugte sich vor und schaute ihr fest in die Augen.
Celia spürte, wie ihr Herz schneller schlug, und war auf der Hut. Dieser Mann war gefährlich, brandgefährlich! „Sie haben doch für uns beide genug gesprochen“, meinte sie. „Trotzdem haben Sie so gut wie nichts über sich selbst verraten.“
„Sie machen nicht gerade den Eindruck, als interessierten Sie sich für Privatangelegenheiten.“
„Dies ist ein Arbeitsessen, Chief. Ich habe nicht die Absicht, Sie mit privaten Dingen zu langweilen.“ Sie stellte das Weinglas auf den Tisch, nahm die Rechnung und zog ihre Brieftasche heraus. „Sind Sie bereit für eine Tour durch Cold Water?“
„Jederzeit.“ Er griff über den Tisch und berührte ihre Hand. Ruckartig fuhr sie herum und sah ihn an, versuchte jedoch nicht, ihre Hand wegzuziehen. „Ein Gespräch über persönliche Dinge würde mich ganz und gar nicht langweilen. Schon gar nicht, wenn es um Sie geht, Celia.“
Sie entzog ihm ihre Hand und stand auf. „Gehen wir.“ Als Dank für die aufmerksame Bedienung ließ sie ein ansehnliches Trinkgeld zurück.
Der kühle Aprilwind fuhr in ihr Haar und löste ein paar Strähnen. Sie hob die Hand und schob sie hinters Ohr. Gardner ging neben ihr her und bemühte sich, seine langen Schritte ihren anzupassen.
„Wie ich hörte, ist Cold Water eine der ältesten Städte in Alabama“, sagte er und betrachtete die aus dem achtzehnten Jahrhundert stammenden Häuser, die die Hauptstraße säumten. „Und Ihre Familie gehörte zu den ersten, die sich hier niederließen, stimmt’s?“
Celia nickte. „Die Hammonds gehörten zu den ersten Siedlern.“ Sie wusste genau, dass er sie gleich berühren würde. Trotzdem konnte sie ein Zittern nicht verhindern, als seine Handfläche sich auf ihren Rücken legte. „Auch die Collins, meine Vorfahren, gehörten dazu.“ Sie spürte die Wärme seiner Hand durch ihr Kleid.
„Boyd Hammond ist Ihr Stiefvater?“ Gardner wusste, dass sie ihm jede Menge Informationen über seine Feinde liefern konnte. Er brauchte sie nur zu fragen und sich dumm zu stellen. Der Rest ergab sich von selbst.
„Ja, aber ich sehe ihn nicht so. Für mich ist er der einzige Vater, den ich je gekannt habe.“ Celia blieb vor einer Bank stehen, die der Cold Water Savings and Loan-Bank, der Hammond-Bank, direkt gegenüber lag. „Dies ist unser größter Konkurrent. Möchten sie, dass ich Sie dem Direktor vorstelle?“
„Nicht heute“, wehrte Gardner ab. Zeigen Sie mir nur einfach die Stadt und berichten Sie mir in gestraffter Form alles, wovon Sie glauben, dass ich es wissen müsste. Heute Nachmittag werde ich versuchen, noch ein paar Leute zu treffen.“ Er wollte keinen Augenblick dieses Tête-à-tête mit Celia dadurch vergeuden, dass andere dazukamen, auch wenn sie noch so wichtig waren.
„Sicher waren Sie schon im Rathaus und haben dort alle kennengelernt“, sagte Celia. Die Ampel sprang auf Grün, und sie überquerten die Straße. „Wir sind sehr stolz auf unser altes Rathaus. Wir haben es zwar modernisiert, aber die ursprüngliche Architektur so weit wie möglich beibehalten.“
„Es ist ein schönes altes Gebäude. Der Gefängnistrakt ist sehr modern, und ich war ziemlich beeindruckt. Die Beamten, mit denen ich heute gesprochen habe, scheinen sehr viel von Chief Maddox zu halten. Ich hoffe, es wird ihnen nicht allzu schwer fallen, sich an mich zu gewöhnen.“
„Der Umstand, dass Sie noch so jung sind, könnte für einige der Älteren problematisch sein“, gab Celia zu bedenken. Sie blieb an der Straßenecke stehen. „Dort drüben ist eine kleine Grillstube, wo es die besten Hamburger im ganzen Distrikt gibt.“
„Warum sind wir zum Lunch nicht dorthin gegangen?“
„Daddy hat darauf bestanden, dass ich Sie ins ‚Primrose Path‘ führe.“
„Tun Sie immer, was Ihr Daddy von Ihnen verlangt?“
Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, ging Celia mit raschen, kleinen Schritten weiter. Er folgte. Da sie offenbar nicht die Absicht hatte, ihren Schritt wieder zu verlangsamen, ergriff er ihren Arm. Sie fuhr herum und blitzte ihn wütend an.
„Was ist denn jetzt wieder los?“, fragte er.
Wortlos fixierte sie ihn. Ein kaum wahrnehmbares Zittern überlief ihren Körper.
„Ich trete offenbar dauernd ins Fettnäpfchen.“ Was war nur los mit ihr? Irgendwie schien alles falsch zu sein, was er sagte. „Wieso sind Sie denn jetzt schon wieder beleidigt? Was habe ich nur an mir, dass Sie mich nicht leiden können?“
„Ich kenne Sie gar nicht gut genug um zu entscheiden, ob ich Sie leiden kann oder nicht.“
„Keine Ausflüchte, Miss Collins. Irgendetwas habe ich an mir, das Sie auf die Palme bringt, das Sie absolut nicht ausstehen können.“
„Wie ich schon sagte …“
Gardner legte ihr mit festem Griff die Hände auf die Schultern und zog sie zu sich heran. „Haben Sie einfach nur Angst vor mir, weil ich ein Mann bin? Oder gar weil ich ein Mann bin, der Sie attraktiv findet?“
„Machen Sie hier keine Szene, Mr. Kegan.“ Verlegen schaute Celia sich um und stellte erleichtert fest, dass sich keiner der Passanten für sie zu interessieren schien.
Anstatt sie loszulassen, zog Gardner sie noch näher an sich und schob sie dann rückwärts in eine Einfahrt zwischen zwei Häusern, wo sie von den Vorbeigehenden nicht gesehen werden konnten.
„Was soll das?“, fragte Celia nervös.
„Ich versuche herauszufinden, weshalb ich mit Ihnen nicht klarkomme.“ Er ließ die Hände über ihren Rücken abwärts gleiten und schloss die Arme um sie.
Celia blieb völlig passiv, obwohl der Wunsch, den Kopf an seine Brust zu legen und sich an ihn zu schmiegen, sie fast überwältigte. „Ich gehöre nicht zu dem Typ Frau, der auf Männer wie Sie fliegt. Lassen Sie also das Süßholzgeraspel, und legen Sie die Karten auf den Tisch.“
„Was meinen Sie damit?“ Er senkte den Kopf und rieb seine Nase an ihrer.
Celia zog hörbar den Atem ein. „Was wollen Sie von mir?“
„Wollen Sie das wirklich wissen?“
„Ja. Mir ist die Wahrheit allemal lieber als all die falschen Schmeicheleien, die sie mir serviert haben, seitdem Sie heute Morgen mein Büro betraten.“
„Was glauben Sie denn, was ich von Ihnen will?“, fragte er.
„Keine Ahnung. Warum sagen Sie es mir nicht einfach?“
Er grinste, und Celias Knie wurden weich.
„Ich möchte mit Ihnen schlafen … irgendwann … wenn wir uns erst ein wenig besser kennen.“
Fast wie in Trance hob Celia die Hände und legte sie gegen seine Brust. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.“
„Oh doch. Ich möchte mit Ihnen schlafen.“ Er fragte sich, was die scheue, prüde Miss C.C. Collins tun würde, wenn er ihr gestand, dass er nicht nur mit ihr schlafen wollte, sondern dass er die Absicht hatte, das immer und immer wieder zu tun, bis sie einander völlig erschöpft in den Armen liegen würden. In diesem Augenblick, als Gardner in ihre unschuldigen, arglosen Augen sah, wusste er, dass der Tag kommen würde, an dem sie ihn darum bitten würde.
Celia spürte eine Hitze in ihrem Körper aufsteigen, die sie wie ein plötzliches Fieber einhüllte. Kein Mann hatte je so etwas zu ihr gesagt. Kein Mann hätte es gewagt. Und dieser Mann, den sie erst vor ein paar Stunden kennengelernt hatte, trieb es praktisch hier mitten auf der Hauptstraße mit ihr! Und sie ließ es auch noch geschehen.
„Sie dürfen so nicht …“
Er legte ihr den Finger auf die Lippen. „Schsch … Sie haben mich gefragt, was ich von Ihnen will, und eine ehrliche Antwort erhalten. Ich habe Ihnen ganz genau gesagt, was ich will.“
„Ich glaube Ihnen nicht.“ Sie versuchte sich loszumachen, doch er hielt sie fest.
„Warum sollte ich lügen? Stimmt, Sie sind nicht der Typ Frau, den ich normalerweise bevorzuge. Aber Sie haben so etwas Liebes und Anziehendes an sich, Celia, das in mir den Wunsch weckt, über Sie herzufallen und Sie gleichzeitig zu beschützen.“
„Ich bin eine sehr wohlhabende Frau, Mr. Kegan, und Sie wären nicht der Erste, den dieser Gedanke beflügelt.“
Lächelnd fuhr er mit der Fingerspitze über ihre Unterlippe, übers Kinn und dann am Hals hinab bis zu dem obersten Knopf ihrer Bluse. „Ich bitte Sie ja nicht, meine Frau zu werden, und ebenso wenig um ein Darlehen. Glauben Sie mir, meine Süße, ich interessiere mich nicht im Geringsten für Ihr Geld. Nur für Sie.“
Durfte sie ihm glauben? Ihr Verstand verneinte entschieden. Ihr Herz jedoch sagte vielleicht. Sie hatte noch nie so empfunden – niemals. Ganz gewiss nicht während ihrer kurzen Verlobungszeit mit Randall Landers. Ihre Eltern hatten Randall sehr gemocht. Er entstammte ebenfalls einer alteingesessenen Familie aus Alabama, die allerdings ihr Vermögen verloren hatte. Drei Wochen vor der Hochzeit hatte Celia herausgefunden, dass der Mann, der vorgab sie zu lieben, sie nur ihres Geldes wegen wollte.
„Warum sollte ich Ihnen glauben?“ Angriffslustig hob Celia das Kinn und sah Gardner offen ins Gesicht. Vielleicht konnte sie ja in seinen Augen erkennen, ob er die Wahrheit sagte.
„Wer war es, Süße?“
„Wer war was? Wovon reden Sie?“
„Der Bursche, der Ihnen den Glauben an die Männer genommen hat. Wer war er?“
Celia hatte keine Lust, über diesen größten Fehlgriff ihres Lebens zu sprechen. Wenn sie Gardner von Randall erzählte, würde er wissen, wie leichtgläubig sie gewesen war. Er würde sie für eine Närrin halten.
„Meine Vergangenheit hat nichts mit Ihnen zu tun, Mr. Kegan.“
„Wenn das stimmt, warum beweisen Sie es dann nicht?“ Er nahm ihre Hände und hob sie an die Lippen. Dann drehte er eine Hand um, drückte einen Kuss aufs Handgelenk und strich mit den Lippen über ihre Finger.
Celia hielt den Atem an. Ihre Wangen brannten wie Feuer, und sie spürte, wie es heiß in ihr aufwallte. „Wie soll ich es denn beweisen?“
„Geben Sie mir eine Chance, Celia. Geben Sie uns eine Chance.“ Er legte ihre Hand an seine Wange, und sein Blick tauchte tief in ihren. „Lernen Sie mich erst kennen, bevor Sie sich ein Urteil über mich bilden. Bevor Sie mich zu einem Mann abstempeln, der zu beschränkt ist, um zu erkennen, was für eine wundervolle Frau Sie sind.“
„Wir werden zweifellos die Möglichkeit haben, uns besser kennenzulernen“, sagte sie steif. Sie musste weg von ihm, weg von diesem maskulinen, harten Körper. Sonst würde sie bestimmt einen Narren aus sich machen. „Schließlich kommen Sie ja am Samstagabend zum Essen. Und wenn Sie nach Cold Water ziehen und hier Polizeichef werden, werden wir uns sicher dann und wann sehen.“
„Ich will mehr als das.“
Celia befreite sich aus seinem Griff, und er versuchte nicht, sie daran zu hindern. Irgendwie begriff sie gar nicht, was hier eigentlich geschah. Der Tag hatte ganz normal begonnen, und jetzt stand sie plötzlich einem umwerfend attraktiven Mann gegenüber, der ganz offen zugab, mit ihr ins Bett zu wollen. Wie war es nur möglich, dass ausgerechnet ihr so etwas passierte? Einem simplen, schüchternen kleinen Mauerblümchen, das noch nie im Leben ein Rendezvous gehabt hatte, das nicht von den Eltern oder wohlmeinenden Freunden arrangiert worden war.
Celia trat auf den Bürgersteig, während Gardner in der Einfahrt stehen blieb. „Ich fürchte, ich werde Sie enttäuschen, Mr. Kegan. Sie sagten ja selbst schon, dass ich nicht der richtige Typ Frau für Sie bin.“
Er zuckte mit den Schultern, und ein unwiderstehliches Lächeln flog über sein Gesicht. „Mit dem Alter kommt die Weisheit. Ich bin bereit, mich umzustellen, beispielsweise auf eine Frau mit Klasse und Köpfchen.“
Oh, dieser Mann wusste wirklich, wo es langging! Obwohl Celia wild entschlossen war, sich nicht von ihm einwickeln zu lassen, fühlte sie sich von seiner Beurteilung geschmeichelt. Zuerst hatte er ihr Charme attestiert, und jetzt auch noch Klasse und Köpfchen. Vielleicht meinte er es ja wirklich so. Vielleicht war sie aber auch nur unbelehrbar.
„Ich weiß nicht, ob auch ich bereit bin, mich auf einen Mann wie Sie umzustellen.“
Gardner trat aus der Einfahrt, und Celia setzte sich rasch in Bewegung. Er ging neben ihr her, versuchte jedoch nicht mehr, sie zu berühren.
„Wollen Sie morgen Abend mit mir essen?“
„Geht nicht. Ich bin schon verabredet.“ Das stimmte sogar. Sie hatte Miss Eula versprochen, mit ihr ins Kino zu gehen. Miss Eula war ein Fan von Kevin Costner, und im Kino lief gerade sein neuster Film.
„Na schön. Können wir uns dann morgen wieder zum Lunch treffen?“
„Geht auch nicht. Da habe ich schon ein Arbeitsessen.“ Celia konnte gar nicht glauben, dass sie tatsächlich ein Wiedersehen mit Gardner Kegan ins Auge fasste.
Er streifte sie mit einem fragenden Blick. „Wenn ich nicht so ein gesundes Selbstvertrauen hätte, müsste ich denken, dass Sie mir einen Korb geben wollen.“
Celia blieb stehen und wandte sich ihm zu. Vielleicht war sie wirklich unbelehrbar, aber sie konnte doch nicht den Rest ihres Lebens damit verbringen, vor den Männern auf der Flucht zu sein. Auch sie war älter und weiser geworden. Warum sollte es ihr nicht möglich sein, sich wie eine erwachsene Frau zu verhalten? „Machen Sie mir ein anderes Angebot.“
„Schon besser.“ Gardner seufzte erleichtert. Für einen Augenblick hatte er befürchtet, sein oft erprobter Charme hätte ihn im Stich gelassen. „Ihr Vater erzählte mir, dass Sie mit einer Immobilienmaklerin befreundet sind. Ich brauche ein Haus. Treffen Sie doch eine Verabredung mit ihr, und dann schauen wir uns zusammen die Häuser an.“
„Einverstanden.“ Celia konnte nicht verhindern, dass ein Lächeln sich über ihr Gesicht breitete, und in ihren Augen blitzte es zufrieden auf. Diese Art Verabredung war nun wirklich ganz unverfänglich. „Janie Sue Malone ist eine Schulfreundin von mir. Ich rufe sie nachher an.“
„Malone? Ich habe da einen Officer Malone in meiner Truppe.“
„Rory ist Janie Sues Mann.“
„Wollen Sie mitkommen und mir bei der Suche nach einem Haus helfen?“
„Wenn Sie das wirklich möchten.“
Das Lächeln, das Celia Gardner schenkte, war praktisch ein Eingeständnis ihrer Niederlage. Sie würde diesem Mann nicht lange widerstehen können. Sie war nicht einmal sicher, dass sie das wollte. Vielleicht war eine Affäre mit ihm ja genau das, was sie brauchte … falls es ihr gelang, ihr Herz außen vor zu lassen. Eine Affäre mit einem Mann, der ihr nichts vormachte, der nicht vorgab sie zu lieben. Wenn sie schon dazu bestimmt war, ihr Leben als Single zu beschließen, stand ihr dann nicht wenigstens eine heiße, leidenschaftliche Affäre zu? Schließlich wollte sie ja nicht als Jungfrau sterben.
„Das möchte ich wirklich.“ Er nickte. „Und wenn ich mich dann einrichte, werde ich ebenfalls Ihren Rat brauchen. Aus einem Haus wird ohne die Hilfe einer Frau nie ein gemütliches Heim.“
„Jetzt muss ich aber los.“ Nach einem kurzen Zögern streckte Celia die Hand aus, und er ergriff sie. Sie tauschten einen kurzen Händedruck. „Ich werde für morgen Nachmittag einen Termin mit Janie Sue machen. Holen Sie mich gegen halb fünf bei der Bank ab.“
„Abgemacht“, sagte er.
Gardner nahm das Gas weg und fuhr langsam um die Kurve der Landstraße. Der Tankwart in Cold Water hatte ihm den Weg zu Wayne Michaels’ Haus genau beschrieben. Es lag ein paar Meilen außerhalb der Stadt, gehörte aber noch zum Stadtgebiet. Der junge Mann an der Tankstelle hatte auch nicht mit guten Ratschlägen gespart und Gardner darauf hingewiesen, dass er als neuer Polizeichef Typen wie Wayne Michaels gut im Auge behalten sollte. Offenbar gehörte Wayne zu den Leuten, die dauernd in Schwierigkeiten steckten.
Von dem heruntergekommenen hölzernen Farmhaus blätterte die Farbe ab, und die Fensterläden hingen windschief in den Angeln. Neben einem verrosteten Auto ohne Reifen lag schlafend ein Mischlingshund.
Gardner hielt seinen schwarzen Mustang an, ließ den Motor jedoch weiterlaufen. Hier also lebte Wayne Michaels. Eigentlich sollten ihn die Schäbigkeit und der Schmutz überall nicht überraschen, aber es machte ihn trotzdem traurig, wenn er daran dachte, dass Gail Michaels unter so erbärmlichen Bedingungen hatte leben müssen.
Nichts an dem Haus oder der Umgebung kam ihm bekannt vor, doch das war auch kein Wunder. Gardner hatte überhaupt keine Erinnerung an sein Leben, bevor Ernie und Lois Kegan ihn vor einunddreißg Jahren adoptiert hatten.
Eine üppige Wasserstoffblondine kam auf die Veranda herausgerannt, gefolgt von einem bärtigen, grauhaarigen Mann. Die Frau trug hautenge knallrote Hosen und einen lila Angorapullover. Der Mann war barfuß und vom Gürtel aufwärts nackt. Sein Bierbauch schwabbelte, als er die Frau am Arm packte.