Aus Versehen gesund

Hinweis zur geschlechtergerechten Schreibweise

Das Autorenteam hat beim vorliegenden Werk bewusst auf die geschlechterge-rechte Schreibweise verzichtet, um die Lesbarkeit zu erhöhen und die Textlänge nicht unnötig aufzublähen. So sind mit dem Begriff „Anwender“ beispielsweise immer Anwenderinnen und Anwender gemeint, der Begriff „Aufmerksamkeits-leiter“ (AL) umfasst Aufmerksamkeitsleiterinnen und Aufmerksamkeitsleiter. Die weibliche Form wurde gewählt, wenn es sich um eine reine Frauengruppe handelt.

Rechtliche Hinweise

Das vorliegende Werk erhebt keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Die ge-schilderten Inhalte basieren auf persönlichen Erfahrungen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Wo Quellen verwendet werden, sind diese explizit im Text erwähnt.

IRT ersetzt keine ärztliche Diagnose und keine medizinische Behandlung. Die nachfolgenden Ausführungen stellen kein Heilungsversprechen dar. Die Auto-ren übernehmen keine Verantwortung für die Anwendung der Methode IRT (Imaginatives Resonanz-Training).

Aus Versehen gesund

Imaginatives Resonanz-Training

nach Paul Meyer B. Sc.

Das Original-Praxisbuch

Gesellschaft für Freie Geistige Wissenschaft e. V.

Gesellschaft für Freie Geistige Wissenschaft

Der gemeinnützige Verein „Gesellschaft für Freie Geistige Wissenschaft“, kurz GFGW, wurde 2001 gründet. Satzungszweck des Vereins sind unter anderem die Auswertung und Weiterentwicklung des von Paul Meyer erstellten Materials. Hierzu gehören die Berichte zu Sitzungen, Mitschnitte von Vorträgen mit Grup-pensitzungen, Fotos, Broschüren und Anwenderbestätigungen sowie die Pflege seiner einschlägigen Bibliothek. Es obliegt der GFGW, Richtlinien für ein fundiertes Ausbildungscurriculum zu erstellen sowie Seminare zur Ausbildung von IRT-Auf-merksamkeitsleitern zu konzipieren und durchzuführen. Schließlich soll die GFGW wissenschaftliche Veröffentlichungen (Bücher, Fachartikel), wissenschaftliche Vor-träge und Forschungsaufträge, die Erstellung von Material zur Verbreitung von IRT gewährleisten. Paul Meyer hatte den Vorsitz über den Verein bis zu seinem Tod im Jahr 2014 inne. In seinem Testament verfügte er, dass der Verein GFGW seine Methode IRT weiterentwickeln und verbreiten soll.

Impressum

Texte und Erfahrungsberichte: Christine Hutegger, Heike Volk

Fachlektorat: Natalie Ernst, Karin Bellinger, Armin Engeler

Korrektorat: Annelies Schuchert

Projektleitung: Natalie Ernst

Fotos: Bernd Schiemann, Heike Volk

Layout: zengarten.ch

© 2019 Gesellschaft für Freie Geistige Wissenschaft e. V.

E-Mail: irt@irt-pm.com, Web: irt-pm.com

ISBN 978-3-00-063247-1 (Print)

ISBN 978-3-96724-935-4 (E-Book)

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Inhalt

Zum Geleit7

Vorwort9

1 Wie alles begann 13

2 und wie es weiterging17

3 Theoretische Grundlagen von IRT21

4 Ablauf einer IRT-Sitzung27

5 Praxisteil I Hände, Arme, Oberkörper 39

6 Praxisteil II Füße, Beine, Unterleib 77

7 Praxisteil III Kopf, Gesicht, Kiefer / Zähne, Augen, Ohren103

8 Praxisteil IV Körper-Rückseite 149

9 Praxisteil V Körper-Vorderseite 165

10 Praxisteil VI Hals, Nacken 183

11 Resonanzräume 203

12 Exkurs: Szenenübung und Masseausgleich 209

Nachwort 224

Sitzungsprotokoll 227

Stichwortverzeichnis 228

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Zum Geleit

Liebe Leserin, lieber Leser

Sie halten ein Buch in der Hand, das eine lange Geschichte hat. Paul Meyer, der Urheber des Imaginativen Resonanz-Trainings (IRT), hat bereits in den 1950er Jahren mit der Entwicklung der Methode begonnen. Von Anfang an schrieb er seine Gedanken und Erfahrungen kontinuierlich auf. In den letzten Jahren seines Schaffens erhielt er intensive Unterstützung von Christine Hutegger. Sie war seine persönliche Aufmerksamkeitsleiterin und ordnete und ergänzte die Texte zu ei-nem Buchmanuskript, mit dem er sich einverstanden erklärte. Leider konnte das Buch bis zu seinem Tod im Jahr 2014 nicht ganz fertiggestellt werden.

Die Gesellschaft für Freie Geistige Wissenschaft (GFGW): rechtmäßige Erbin der Methode IRT

In seinem Testament verfügte Paul Meyer, dass sein geistiges Erbe an die Gesell-schaft für Freie Geistige Wissenschaft e. V. (GFGW) übergehen soll. Heike Volk, die Vorsitzende des Vereins, stand Paul Meyer als persönliche Assistentin und Sekre-tärin von 2012 bis 2014 zur Seite. Sie übernahm die Aufgabe, seine umfangrei-che Bibliothek zu sichten und alle Unterlagen zur Fortführung des Buches zusam-menzutragen. Immer wieder haben Einzelpersonen versucht, aus dem geistigen Erbe von Paul Meyer persönlichen Gewinn zu schlagen und sich die Erfindung von IRT auf die Fahnen zu schreiben. Daher haben wir, der aktuelle Vorstand und die Herausgeberinnen des Buches, in den letzten fünf Jahren alles darangesetzt, um das vorliegende Original-Praxisbuch ganz im Sinne des wahren Urhebers Paul Meyer zu gestalten und zu veröffentlichen.

Zahlreiche Erfahrungsberichte zu Ihrer Inspiration

Die Herausgeberinnen haben in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit IRT gearbeitet. Dabei sind zusätzlich zu den bereits vorhandenen Erfahrungsberich-ten von Paul Meyer zahlreiche Beispiele für die erfolgreiche Anwendung von

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IRT zusammengekommen. Diese Erfahrungsberichte mögen Ihnen als Inspiration für Ihre Anwendung von IRT dienen.

Das Buch in Ihren Händen ist vorwiegend ein Praxisbuch. Sie können es ent-weder von vorne nach hinten lesen und durcharbeiten. Bevor Sie in die Welt des Imaginierens eintauchen erfahren Sie so einiges über den Begründer Paul Meyer und die Theorie des Imaginativen Resonanz-Trainings (IRT). Oder Sie fan-gen gleich mit dem Praxisteil an und schlagen hier das Thema auf, das Sie am meisten anspricht. Für diesen Fall legen wir Ihnen zuerst Kapitel 4 „Ablauf einer IRT-Sitzung“ ans Herz.

Paul Meyer hat sein Leben einer großartigen Methode gewidmet wir, die Her-ausgeberinnen, wollen diese Methode bekannt machen. In diesem Sinne wün-schen wir Ihnen viel Freude beim Lesen und viel Erfolg beim Imaginieren!

Die Herausgeberinnen

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Vorwort

von Heike Volk, Vorsitzende der Gesellschaft für Freie Geistige Wissenschaft

Anfang 2012 erzählte mir eine Freundin, dass „ein alter Professor aus Wiesbaden“ jemanden zur Unterstützung bei der Verfassung seines Buches suche. Es handle sich um einen gewissen Paul Meyer.

Ich war interessiert und rief ihn an. Er berichtigte sofort die von mir verwendete Anrede „Herr Professor Meyer“ und erklärte, er sei kein Professor: „Herr Meyer reicht!“ Schnell war ein Vorstellungstermin vereinbart, und ich war gespannt auf diesen Menschen, der mich am Telefon so unverblümt zurechtgewiesen hatte.

Zum vereinbarten Termin wurde ich zu Paul in die Küche gebeten, der dort ge-rade sein Mittagessen zu sich nahm. Er begrüßte mich, setzte mich ins Wohn-zimmer und drückte mir sechs Broschüren in die Hand mit den Worten: „Wenn Sie die gelesen haben, wissen Sie, worum es geht, dann können wir anfangen zu arbeiten“. Überrascht stimmte ich zu und fing an zu lesen. Der Inhalt der Broschü-ren faszinierte mich sofort.

Nachdem Paul mit dem Essen fertig war, kam er zu mir ins Wohnzimmer und fragte, wie weit ich denn sei und was ich davon halte. Die Broschüren und die dar-in beschriebenen Übungen seien das Ergebnis seiner jahrzehntelangen Forschun-gen am Imaginativen Resonanz-Training. Die ersten Broschüren hatte er bereits 2007 veröffentlicht. Ich sagte zu Paul, dass er mit seiner Methode offene Türen bei mir einrenne und ich mir eine Zusammenarbeit mit ihm sehr gut vorstellen könne. Er meinte, das sei ja erfreulich, fragte, ob ich Hunger habe und versorgte mich mit drei Äpfeln. Da ich ja noch zu lesen hätte, würde er jetzt sein Nickerchen machen. Danach könnten wir einen Vertrag abschließen.

Und so geschah es. Von Frühling 2012 an arbeitete ich mit Paul Meyer jede Woche drei Tage an seinen Texten, diskutierte mit ihm Methoden und Thesen, las mit ihm diverse wissenschaftliche Bücher, übersetzte Artikel, erledigte seine

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Korrespondenz und bestückte die Website (www.irt-pm.com). Auch meine künst-lerischen Fähigkeiten wurden gefordert: Skizzen für die Broschüren, Flyer und Skripten sowie CD-Labels mussten erstellt oder verbessert und ergänzt werden. Paul erzählte mir viele Erlebnisse, die er im Laufe seines langen Lebens hatte. Freimütig führte er mich durch die schlimme Zeit der Judenverfolgung in Deutsch-land, sprach über seine Flucht und die Zeit, die er als Jugendlicher in England ver-brachte. In England hatte er studiert und war Ingenieur geworden, daher besaß er auch die britische Staatsangehörigkeit.

Paul führte mich von Anfang an in seine Methode ein, indem er mich intensiv darin unterrichtete und mir alles erklärte, was ich wissen wollte. Auf meinen Vor-schlag hin organisierten wir auch Kommunikationskurse und IRT-Kurse. Zwischen-durch hielten wir Schnupperabende ab, an denen Interessenten die Methode vor-gestellt wurde. Wir bereiteten zusammen einen Film über einen IRT-Kurs vor und fuhren zusammen zur Jahrestagung der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose, wo Paul 2012 und 2013 als Referent mit einem Workshop eingeladen war ein unglaublich beeindruckendes Erlebnis!

2013: Paul Meyer lässt einen IRT-Kurs filmen. Im Bild mit Kameramann und Heike Volk (rechts).

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Als Paul im März 2014 aus gesundheitlichen Gründen seine Teilnahme an der Jahrestagung der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose absagen soll-te, beauftragte er mich, den Workshop an seiner Stelle zu halten. Allerdings war er sehr verärgert über seinen schlechten Gesundheitszustand und über die Ärzte, die ihm die Teilnahme am Workshop verboten hatten. Er entschloss sich dann doch kurzfristig und gegen ärztlichen Rat, persönlich nach Bad Kissingen zu fah-ren. Eine Pflegerin versuchte ihn auf dem Weg aus dem Krankenzimmer aufzuhal-ten vergeblich, denn Paul verbat sich die Einmischung. Er marschierte aus dem Haus und nahm sich ein Taxi nach Bad Kissingen. Den Taxifahrer engagierte er für den ganzen Tag. Punkt 12.00 Uhr stand er vor mir im Tagungshotel. Nach einem kurzen Imbiss legte er sich auf mein Hotelbett, kam pünktlich um 14.00 Uhr zu mir in den Tagungsraum, und wir hielten den Workshop gemeinsam. Dieser Auf-tritt war ein riesiger Erfolg. Paul erhielt von den Teilnehmern Standing Ovations.

Ich habe mich damals außerordentlich gefreut, dass Paul dieses Erfolgserlebnis noch haben durfte. Es sollte sein letzter Auftritt sein: Kurze Zeit später, am 16. Mai 2014, verstarb er.

Paul Meyer an der Jahrestagung der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose (2014)

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Wie alles begann

von Paul Meyer

An einem trüben Dezembertag des Jahres 1990 ging ich zum Mittagessen in die Kantine der Maschinenfabrik, bei der ich als Berater tätig war. Mir sollte eine Erfahrung bevorstehen, die für mein und anderer Menschen Leben richtungs-weisend wurde.

Eine Mitarbeiterin der Kantine, Frau R., hatte monatelang gefehlt und erschien jetzt mit ihrem rechten Arm in einer Schlinge. Sie erzählte mir, sie sei vor sechs Monaten wegen Knochenerweichung (Osteomalazie) am rechten Handgelenk operiert worden. Trotz monatelanger Krankengymnastik konnte sie die Hand nach wie vor nicht schließen und nichts festhalten. Wir hatten uns immer gut verstan-den, daher bat ich sie, an einem Vorstellungsexperiment teilzunehmen.

Arbeit mit einem vorgestellten Arm

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Sie willigte ein, und ich forderte sie auf, mit einer in Echtgröße vorgestellten rech-ten Hand die Tischkante zu ergreifen (siehe Bild), auf die sie offenen Auges blickte. Etwas ungläubig befolgte sie meine Anweisung. Sie konnte die Tischkante in der Vorstellung erfühlen und die vorgestellte Hand mit dem Daumen oben auf dem Tisch sowie den Fingern darunter wahrnehmen, samt Operationsnarbe und Versteifungen.

Dann wollte ich von ihr wissen, wie weit sie die vorgestellte Hand nun schließen könne. Überrascht berichtete sie, dass sie diese weit genug schließen kann, um die Kante zu umfassen. Also bat ich sie, mit der vorgestellten Hand woran man ja nichts kaputtmachen könne die Tischkante noch fester zu ergreifen. Obwohl das mit ihrer wirklichen Hand nicht möglich war, klappte es mit der vorgestellten Hand!

Sie sagte daraufhin erstaunt, dass ihre rechte Hand, speziell die Operationsnarbe, zu kribbeln beginne und warm werde. Dieses Resonanz-Phänomen breitete sich den Arm hinauf aus. Sobald das Kribbeln abgeklungen war, bat ich sie, den Griff loszulassen. Sie verspürte daraufhin eine Verstärkung dieser Wirkungen, ausge-hend von den vorgestellten Fingerspitzen, die gegen die Unterseite der Tischplat-te gedrückt gewesen waren. Für einen sauberen Abschluss der Übung bat ich sie, die vorgestellte Hand in ihrer Imagination in die wirkliche hineinzubewegen und deren Auflösung dort zu erspüren.

Frau R. meldete zurück, dass ihre wirkliche Hand, ohne überhaupt bewegt worden zu sein, die Empfindungen der vorgestellten Hand mitgemacht hätte und sie nun in ihrer rechten Hand ein Kribbeln sowie pulsierende Wärme wahrnehme die Operationsnarbe sei regelrecht heiß!

Ein zweiter solcher Zyklus mit einer neu vorgestellten Hand intensivierte das von ihr berichtete Kribbeln und Wärmegefühl in der wirklichen Hand, die jetzt sehr belebt war.

1 Wie alles begann 15

Neugierig nahm sie die operierte Hand aus der Schlinge, und zu unser beider Erstaunen konnte sie diese nun schließen, was seit ihrer Operation nicht mehr möglich gewesen war! Mir wurde klar, dass wir in diesen knapp fünf Minuten einer neuen Methode auf die Spur gekommen waren.

Ich traf Frau R. einige Monate später zufällig wieder. Sie demonstrierte mir mit kräftigem Handgriff ihre komplette Genesung, die nach kurzer Zeit mit Eigenübun-gen eingetreten sei. Dem Chirurgen, den sie zur Folgeuntersuchung konsultieren musste, war dies unverständlich: Er wäre bereit gewesen, ihr eine 50%ige Arbeits-unfähigkeit zu bescheinigen, wofür sie eine Rente erhalten hätte.

Frau R. bestätigte mir den Vorgang schriftlich mit Datum vom 11. November 1992, samt der ihr viel wichtigeren, medizinisch völlig unerwarteten Gesundung ihrer Hand.

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und wie es weiterging

von Paul Meyer

Die unmittelbare Erfahrung des eben geschilderten Vorfalls ließ mich von nun an nicht mehr los: Ich lag quasi auf der Lauer, um ähnliche Fälle zu entdecken. Oder war Frau R. etwa nur eine Ausnahmebegabung gewesen? Nur kurze Zeit später ergab sich eine zweite ähnliche Gelegenheit.

Ich brauchte für meinen Wagen einen Kundendienst. In der Werkstatt bemerkte ich, dass der KFZ-Meister seine rechte Hand in einer Schlinge trug. Der Grund da-für war ein Bruch des Mittelhandknochens während seiner Arbeit. Und wie schon Frau R. konnte auch er, trotz bereits erfolgter Therapie, seine Hand nicht mehr richtig schließen beziehungsweise genügend Kraft aufbringen, um zum Beispiel einen Schraubenzieher zu halten.

Ich schlug auch ihm eine Probesitzung vor, und nachdem ich die Erfahrungen mit den Beschwerden von Frau R. geschildert hatte, war er sofort damit einverstan-den. Also ließ ich ihn in seinem Büro dieselbe Übung machen, die auch schon bei Frau R. erfolgreich war, mit Fokus auf die vernarbte Stelle an seiner Hand.

Wieder ergaben sich ganz ähnliche Wirkungen wie zuvor bei Frau R. Er konnte nach ungefähr 20 Minuten mit mehreren Zyklen von „hinfassen, zugreifen, los-lassen und hinein(bewegen)“ mit einer vorgestellten Hand seine eigene verletz-te Hand schließen. Er konnte wieder einen Schraubenzieher halten, wenn auch noch nicht mit voller Kraft. Ich riet ihm, diese Übungen in Eigenregie fortzuführen. Seine schriftliche Bestätigung des vorstehend Geschilderten sowie der danach erfolgten vollständigen Heilung erhielt ich im April 1993.

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In beiden Fällen handelte es sich um Erfahrungen mit Unfall- und Opera-tionsfolgen bei gesunden Erwachsenen.

Zu meiner Überraschung ging es kurz darauf weiter mit der Selbstheilung von Durchblutungsstörungen, offenen Beinen und Gangrän (Wundbrand) bei einem älteren, vielfach erkrankten Menschen!

Im Juni des Jahres 1992 war ich zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Nach dem Geburtstagskaffee brachen alle Anwesenden zur Probefahrt mit dem neuen Auto eines der Familienmitglieder auf. Nur die in ihrem Fernsehsessel unbeweglich, mit verbundenen, ausgestreckten Beinen sitzende Mutter blieb mit mir zurück. Die damals 70-Jährige hatte bislang aufgrund ihrer Schwäche und Apathie kaum an den Feierlichkeiten teilnehmen können. In Ermangelung eines geeigneten Ge-sprächsthemas beschloss ich, mit ihr die Vorstellungsübungen auszuprobieren. Dies taten wir bis zur Rückkehr der anderen Gäste, etwa 20 Minuten später.

Darüber und über die Folgen lasse ich die Anwenderin selbst in ihrem im Februar 1993 erstellten Erfahrungsbericht zu Worte kommen:

„Ich, Anna R. aus Runding, geb. 15. Dezember 1921, war Anfang 1992 schwer an Bronchitis und Herzbeschwerden erkrankt. Am 20. Juni 1992 besuchte mich Herr Meyer: Ich saß mit geschwollenen Beinen, schwer an Mangeldurchblutung und Krampfadern leidend, im Lehnstuhl. An den Knöcheln waren die Beine offen und mussten hoch gelagert sein, um schon nach einigen Minuten eintretende schwere Schmerzen zu vermeiden. Ich konnte nicht mehr gehen und saß apa-thisch da. Zweimal in der Woche wurde ich zum Arzt gefahren zur Behandlung mit Pillen und Salbe. Die Beine waren fest gewickelt und unterhalb der Knie blau bis schwarz. Meine Hände und Füße waren andauernd kalt.

Herr Meyer brachte mich, anfangs mit einiger Mühe beim Klarmachen, dazu, die erste Übung mit den Händen auf der Lehne des Armsessels zu machen, erst mit einer, dann mit der anderen, dann mit beiden Händen, jeweils etwa fünf bis sechs Aktionen.

Ich stellte schon bei der Übung mit der ersten Hand fest, dass diese warm und durchblutet wurde. Ich erreichte dieses schließlich für beide Hände und Arme

2 und wie es weiterging19

und war sehr interessiert. Das hatte ich schon seit vielen Monaten nicht gehabt die Hände waren immer kalt und schlecht durchblutet gewesen. Nach wenigen Übungen für die Füße wurden diese auch wärmer.“ (Fortsetzung folgt)

Arbeit mit einem vorgestellten Bein

Nach den Handübungen gab ich Anna R. folgende Anweisungen: Zuerst die Auf-merksamkeit auf die Übungsfläche halten, das heißt in diesem Fall, den Fußboden am Rande des Teppichs anschauen. Dann an dieser Stelle einen vorgestellten Fuß samt Bein erscheinen lassen. Danach mit dem imaginierten Fuß auf den Boden drücken, den Druck wieder loslassen und schließlich per Beschluss das ganze vorgestellte Bein (Körperbild) in das wirkliche hineinbewegen. Abschließend das vorgestellte Bein im wirklichen Bein auflösen lassen.

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Als anfängliche Komplikation ergab sich, dass sich Frau R. zuerst genierte und sich deshalb den Fuß und das Bein mitsamt Verband und dicken Strümpfen vorstellte. Dadurch war anfangs der Teppichrand nicht spürbar. Erst nachdem ich ihr versi-chert hatte, dass ich ihre Vorstellung ja nicht sehen könne, ließ sie den Fuß und das Bein unbekleidet dort erscheinen. Dadurch konnte ihr Tastgefühl auch dort, wo sie die ganze Zeit hinschaute, auf meine Anfrage hin wirksam werden.

Frau R. nahm nach der Sitzung mit lebhaftem Interesse an der Geburtstagsfeier teil. Zu unser aller Überraschung stand sie beim Abschied sogar auf und begleite-te mich zur Tür, scheinbar ohne Schmerzen zu empfinden. Davor hatte sie bereits starke Schmerzen, wenn sie ihre Unterbeine nur ganz kurz herunterhängen ließ!

Frau R. berichtete weiter:

„Bis zum 11. Juli hatte ich mir aus eigenem Antrieb jeden Tag auf diese Weise die Hände warm gemacht beziehungsweise warm gehalten und hatte auch mit den Füßen beziehungsweise Beinen weiter geübt, vorgestellte Berührung mit dem Boden, Druck auf den Boden, nach der Formel: hinstellen, zudrücken, loslassen, hinein. Dabei stellte ich mir zuerst Herrn Meyer, die Anleitungen ge-bend, vor, was ich nach der zweiten Sitzung nicht mehr tat. Im Resultat waren die Wunden kleiner geworden, ein nicht unangenehmes ‚Heiljucken‘ war um die Wundränder zu spüren, und ich konnte im Haus und bis zum Gartentor gehen.“

Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Methoden ist, dass wir in allen Fällen mit geöffneten Augen gearbeitet und das Körperbild in Lebensgröße mit der betrachteten wirklichen Umgebung in aktiven Bezug gesetzt haben. Dies könnte die starken Selbstheilungsimpulse erklären. Die Arbeit mit IRT in den darauffolgenden Jahren bestätigte diese erste Vermutung von mir.

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Theoretische Grundlagen von IRT

von Paul Meyer, Christine Hutegger, Heike Volk und Natalie Ernst

Bei den theoretischen Grundlagen für IRT reiten wir sprichwörtlich auf den Schul-tern großer Denker. Die verschiedenen, den Menschen mehr oder weniger zu-gänglichen Bewusstseinsebenen sind in nahezu allen religiösen und philosophi-schen Traditionen das zentrale Thema. Sie bilden die Grundlage für sämtliche Praktiken und Übungen zur Bewusstseinserweiterung.

Ein zeitgenössischer Autor, der dieses alte Wissen sehr anschaulich und für die aktuelle Zeit verständlich beschrieben hat, ist Ken Wilber. Paul Meyer hat sich sehr stark mit seinen Werken auseinandergesetzt, er war einer seiner Lieblingsauto-ren. Daher sei Ken Wilber stellvertretend zur Veranschaulichung der theoretischen Grundlagen von IRT nachfolgend zitiert.

Reagieren im Wachzustand

In einem seiner Werke beschreibt der US-Autor Ken Wilber sehr anschaulich die verschiedenen Bewusstseinszustände, aus denen Menschen agieren können. Der Zustand, in dem wir uns tagsüber meistens befinden, bezeichnet er als Wach-zustand.

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Nach Ken Wilber: „Vom Tier zu den Göttern. Die große Kette des Seins.“

Im Wachzustand nehmen wir uns über unsere Gedanken, Gefühle und Körpersin-ne wahr und identifizieren uns mit diesen. Das heißt, ich bin meine Gedanken, ich bin meine Gefühle, ich bin meine Körpersinne. Dieses Ich tut alles, um zu über-leben. Zu überleben als Fleischkörper, als Mentalkörper, als Energiekörper. Ebenso wichtig ist das Überleben der Gruppen, denen ich mich zugehörig fühle: Meine Familie, meine Firma, mein Land. Alle Entscheidungen, die ich im Wachzustand treffe, dienen einzig dem Überleben. Außerdem kann das Ich keine wirklich freien Entscheidungen treffen, da es geprägt ist von vergangenen Erfahrungen und Er-kenntnissen. Entscheidungen im Wachzustand beruhen daher immer auf Erfah-rungen von gestern. Ganz nach dem Motto: Wir suchen, was wir kennen. Dieses Prinzip kennt auch der Volksmund: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“ „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ „Tee trinke ich nur, wenn ich krank bin.“ Gibt es eine Möglichkeit, wirklich freie Entscheidungen zu treffen?

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Agieren auf der kausalen Ebene

Auf der sogenannten kausalen Ebene kann das Ich wirklich freie, d.h. kreative, schöpferische Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen sind frei von alten Erfahrungen und somit unabhängig von persönlichen Verhaltensmustern. Wir sprechen daher auf der kausalen Ebene nicht von Entscheidungen, die man trifft, sondern von Beschlüssen, die man fasst. Diese Beschlüsse können sich entwe-der sehr rasch manifestieren oder es ist noch ein langer Weg bis zu deren Ver-wirklichung. Da hier das Programm „Überleben“ inaktiv ist, spielt Zeit keine Rolle. Welche Möglichkeiten gibt es, auf die kausale Ebene zu kommen?

Bewusstseinserweiterung durch Absichtslosigkeit

Die kausale Ebene zeichnet sich durch Absichtslosigkeit aus. Dieser Zustand kann durch Meditationen und andere Methoden zur Bewusstseinserweiterung erreicht werden, wie sie in vielen Teilen der Welt praktiziert werden. Auch die in diesem Buch empfohlenen Übungen werden in der inneren Haltung der Absichts-losigkeit durchgeführt. Absichtslosigkeit bedeutet, dass das im Wachzustand ak-tive mentale Überlebensprogramm außer Kraft ist.

Bei IRT-Übungen geht es darum, mit den auftretenden Begleiterscheinungen und Körperreaktionen in Resonanz zu gehen und sie mit dem beharrlichen Richten von ungeteilter Aufmerksamkeit „verpuffen“ zu lassen. Auftretende Begleiterschei-nungen und Körperreaktionen können sein: Schläfrigkeit, sich benebelt fühlen, ablenkende Gedanken, Erinnerungen an verdrängte Erlebnisse, Gefühlsausbrü-che, körperliche Schmerzen, Bildfetzen oder andere visuelle Phänomene. Das ergaben jahrelange Untersuchungen und Erfahrungen der Autoren und im Buch erwähnten Aufmerksamkeitsleiter.

3 Theoretische Grundlagen

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IRT nutzt die Beziehung zwischen Vorstellung und Körperfunktionen

IRT nutzt die Beziehung zwischen Vorstellung und Körperfunktionen. Beispiele dafür kennen wir aus unserem Alltag. So manchem läuft bereits beim Duft des Lieblingsgerichtes (im wahrsten Sinne des Wortes) das Wasser im Mund zusam-men. Verliebte erleben, wie ihnen beim Gedanken an ihr „Herzblatt“ warm ums Herz wird. Gut inszenierte Kinothriller bringen Hände zum Schwitzen und Herzen zum Rasen. Um in Hochform zu kommen beziehungsweise zu bleiben durch-laufen Spitzensportler in ihrer Vorstellung ihre Wettkampfstrecken, Übungs- und Bewegungsabläufe. Auch in der Hypnose finden sich Parallelen zu IRT: So erleben tieftrancefähige Personen verbal suggerierte Situationen körperlich. Sie schwitzen in der vermeintlichen Wüste oder frieren am Nordpol. Und so löst scheinbar bei IRT-Sitzungen die Kombination aus vorgestelltem Körperteil an Berührungspunk-ten mit einem realen Gegenstand, zum Beispiel einem Tisch, Heilimpulse im wirklichen Körper aus.

Vergleichen und Werten verzögert die Wirkung

Aufgrund der positiven Erfahrungen mit Patienten versuchte Paul Meyer anfangs, ähnliche positive Wirkungen auch bei sich selbst zu erzielen, was ihm auf Anhieb aber nicht gelang. Nach einigen Versuchen kam er seinem Misserfolg auf den Grund: Er beobachtete die fehlende Wirkung bei sich und ärgerte sich immer wieder darüber, dass diese ausblieb. Er war der Meinung, andere bekämen es besser hin oder die anderen seien besser als er. Dieses überflüssige Vergleichen mit anderen Anwendern verhinderte die Wirksamkeit der Übungen. Erst nachdem es ihm gelang, das Vergleichen abzustellen und einfach neugierig und wertungs-frei zu beobachten, traten auch bei ihm positive Wirkungen ein.

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