Cover
Hans-Peter Dieterich
Hessisch für Anfänger
mit Illustrationen von Martin Glomm
Alle Rechte vorbehalten • Societäts-Verlag
© 2014 Frankfurter Societäts-Medien GmbH
Satz: Nicole Ehrlich, Societäts-Verlag
Umschlaggestaltung: Nicole Ehrlich, Societäts-Verlag
Covermotiv: © Martin Glomm
eBook: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
ISBN 978-3-95542-111-3

Inhaltsverzeichnis

Einleitung
1. Vom Babbeln und anderen Sprachfertigkeiten
2. Von Grammatik und anderen Eigenwilligkeiten
3. Vom guten Ton und anderen Nettigkeiten
4. Vom Essen, Ebbelwei und anderen Genüssen
5. Vom Hüpfem und anderen Bewegungsarten
6. Von der Kerb und anderen Festen
7. Von Bobbelsche, Schnerch und anderen Leuten
8. Vom Aussehen und anderen Befindlichkeiten
9. Von Machern und anderen Charakteren
10. Von falschen Hasen und anderen Uzereien
11. Von Moldrofs und anderem aus der Natur
12. Von Orten, Dingen und Gelersch
Literatur- und Quellenverzeichnis

Einleitung

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„Jede Provinz liebt ihren Dialekt:
denn er ist doch eigentlich
das Element, in welchem die
Seele ihren Atem schöpft.“
Goethe, aus „Dichtung und Wahrheit“
 
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„Auf Hessisch wirkt das
ein bisschen charmanter.“
Robert Treutel als Bodo Bach
über seine Telefonstreiche,
Interview in der FAZ
vom 23. März 2003
 
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„Des Hessisch gibt’s gar net.“
Ein besorgter Leser zu den ersten
„Hessisch für Anfänger“-Glossen
in der Frankfurter Neuen Presse
 
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*„Kall, mei Drobbe!“
Liesel Christs legendärer
Ausruf als Mama
Hesselbach
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Erbarme …

Bevor Anfang der 80er Jahre die Rodgau Monotones die Republik mit dem Ruf „Erbarme, zu spät, die Hesse komme“ aufschreckten, hatten Babba und Mamma Hesselbach (Wolf Schmidt und Liesel Christ) bereits ein breites Fernsehpublikum mit dem hessischen Idiom bekannt gemacht. Wie andere Mundarten ist das Hessische von großen regionalen Unterschieden geprägt, und selbst im Rhein-Main-Gebiet variieren Aussprache und Wortschatz. Wenn man sich im „Blauen Bock“ mit Heinz Schenk zum Äbbelwoi ruhig niederließ, tat und tut man das in Frankfurt beim Ebbelwei oder Ebbler. Und die eingangs erwähnte Kultband reimt ganz volksnah: „Un de hib un de hob un de Schobbe in de Kobb“.
Der Vielfalt des Hessischen haben sich auch die Sprachforscher angenommen und in Form von Sprachatlanten dokumentiert, deren vierter und letzter Band 2010 von Heinrich J. Dingeldein herausgegeben wurde. Wir wollen uns der hessischen Mundart jedoch nicht allzu wissenschaftlich annähern, sondern aus der Sicht eines Eingeplackten, wie die Vollblut-„Berjer“ ihre zugezogenen Mitbürger liebevoll nennen. Nehmen wir die Worte des Mundartdichters Kurt Bambach aus seinem „Bichelsche“ „Warum denn net?“ als Leitgedanken: „Warum soll mer denn net so babbele, wie aan de Schnawwel gewachse is?“ „Rischtisch“.

… die Gallier komme

Der Ausspruch „Die habbe en Dubbe, die Hesse“ (die spinnen, die Hessen) entstammt keinem mundartlichen Frühwerk von Goethe. Er ist auch nicht Dragoslav Stepanovic zuzuschreiben, zumindest nicht nachweislich. Was in französischer Sprache seinen Anfang nahm, seinen Siegeszug in vielen Ländern antrat, erfuhr schließlich im Dialekt eine völlig neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeit. Asterix babbelt hessisch, und das schon in neun Mundartausgaben des beliebten Comics. Besonders die Formen des menschlichen Miteinanders schöpfen aus der reichen Vielfalt des Dialekts. Da beschimpfen sich die Gallier gegenseitig als „Erbsezähler“, „Lumbeseckel“, „Stinkstibbel“ oder als „ald Knodderdibbe“. Letzteres (auch unter der Bezeichnung „Knodderbix“ gebräuchlich) bezeichnet kein lärmendes Haushaltsgerät sondern eine mürrische Person. Die „Dreggwätz“ (Einzahl „Dreggwatz“) beziehen sich auf das sich im Dreck suhlende Borstenvieh (Watz oder Wutz). Und dann ist ständig von den „Babbsäck“ die Rede: „E klaa Kaff hört net uff, sich mit dene Babbsäck zu bummbe.“ Die „Babbsäck“ sind wie die „Dreggwätz“ schmutzige Zeitgenossen („babbisch“ = schmierig), die es gleichsam herausfordern, dass „mer se bummbe duhd“. „Bummbe“ tut man, wenn der Reifen aufgepumpt werden muss, wenn Fußball gespielt wird oder wenn jemand verhauen wird. Bekanntermaßen die bedauernswerten Römer.

Hessisch von Süd nach Nord

Die südhessische Mundart, die man südlich des Ballungsraums Rhein-Main spricht, ist über die Landesgrenze hinweg mit dem Pfälzischen und dem Rheinhessischen verbunden. Diese übergreifende Mundartregion bezeichnet man auch als Rheinfränkisch. Beginnen wir mit einem Mundartbeispiel aus dem Odenwald. Von einem, der recht arrogant daherkommt, heißt es:
Wonn oaner lääft wie wonn er en Schdegge verschluggd hodd.
(Aus Ulrich Herrmann, „Des unn sell“)
Der folgende Ratschlag stammt aus dem Rheingau und ist somit auch rheinfränkischer Natur:
Wann des Lewe aach kaa Zuckerschlecke is, dann derf mer doch nit alsfort de Kopp hänge losse.
(Aus Hedwig Witte, „Hessisch, wie es nicht im Wörterbuch steht“)
In den Medien prägt eine Art Neuhessisch das Bild eines scheinbar hessenweit einheitlichen Dialekts. Der Sprachwissenschaftler und Mundartforscher Heinrich Dingeldein spricht auch von „RMV-Hessisch“, weil es sich als mundartliche Umgangssprache im Einzugsbereich des Rhein-Main-Verkehrsverbunds etabliert hat und weiter ausbreitet. Heinz Schenk wurde in einem Zeitungsinterview sogar noch deutlicher und meinte zu seinem Hessisch: „Ein Pidgin-Hessisch. Man kann es von Hamburg bis München verstehen. Ich wollte, dass alle Leute kapieren, was ich sage (FAZ vom 11.12.2004).“ Die Rhein-Main-Region von Hanau über Frankfurt, Offenbach bis Wiesbaden ist eine Übergangszone zwischen dem Süden und den Mundarten Mittelhessens, wobei die sprachlichen Eigenheiten des Südhessischen überwiegen. Aber selbst im Ballungsraum lassen Städte und Landstriche noch viele Eigentümlichkeiten ihrer Mundart erkennen. Der folgende Witz auf Frankfurterisch verlöre auf Hochdeutsch deutlich an Charme:
Könnt ich emal Ihne Ihrn Mann spreche? – Ei, is der ewe net mit Ihne im Uffzuch eruffgefahrn? – Ich hab kaan gesehe im Uffzuch! – Er is ziemlich klaa un redd net viel …
(Aus Fritz Ullrich, „Handbuch für Sprichklobber“)
Nördlich von Frankfurt, im Taunus, in der Wetterau und im Vogelsberg beginnt das Gebiet der mittelhessischen Mundart, wozu auch Limburg-Weilburg, die Gegend um Gießen, das hessische Hinterland und das Marburger Land zählen. Nicht nur die Landschaften ändern sich, auch die Dialekte klingen vernehmbar anders. Typisch sind das gerollte „R“ wie bei der Wetterauer „Runkelroiwe“ oder Formen wie „Brourer“ statt „Brudä“.
Weitere Sprachbeispiele:
„Eich sei“ = ich bin
„Eich hun“ = ich habe
„Do stieht mein Brourer“ = Da steht mein Bruder.
„De harr em e goure Roat gesaat“ = Der gab ihm einen guten Rat.
„Wos woasch do so schieh“ = Wie schön war’s dort (Marburger Gegend).
„Huste schu gehott?“ = Hast du schon gehört? (Hinterländer Platt)
Im Raum um die Bischofsstadt Fulda und von Hünfeld bis Hersfeld im Norden spricht man osthessisch. Auffällig ist „bos“/„bas“ für „was“:
„Bos leid dänn doo?“ = Was liegt denn da?
Nördlich und nordwestlich erstreckt sich im Geviert der Städte Alsfeld – Frankenberg – Eschwege – Kassel die Region des Niederhessischen. Als Mundartprobe dienen uns die Zeilen eines Kasseläners, der auf die sprachliche Eigenständigkeit seiner Heimat pocht:
Zu lange hom’ mäh uns bescheiden vergrorren,
midden Gnibbärschen alszus bloß Hohrdeutsch geschbrorren.
For mich äß um’ bliewed diß einzig Wohre
Unse waschechte Kasseler Fullebriggenschbrohre!
(Aus „Lache is gesund!“)
Außerhalb des Bereichs der hessischen Mundarten liegt der äußerste Norden Hessens von Korbach bis Hofgeismar, der bereits zum niederdeutschen Sprachraum gehört.

Sprachgrenzen in Hessen

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Kapitel 1
Vom Babbeln und anderen Sprachfertigkeiten

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Mundwerk

Die Mundart stellt, wie das Wort bereits andeutet, ganz pragmatisch den Mund als Werkzeug des Sprechens in den Mittelpunkt. Im Dialekt geht es beim Reden meist bildhafter und bodenständiger zu als im Hochdeutschen. Nicht von ungefähr verweisen in Hans Friebertshäusers „Kleinem hessischen Wörterbuch“ die Einträge „reden“ und „sprechen“ gleich auf „schwatzen, schwätzen“, was im Rhein-Main-Gebiet dem Babbeln entspricht. Das Wort „babbeln“, hinter dem sich das französische „babiller“ (schwatzen, plappern) versteckt, ist Grundstock für eine Reihe von Bezeichnungen für jemanden, der viel und Unwichtiges redet: „Babbeldasch“, „Babbelmaul“, „Babbelschnut“, „Babbelfritz“ und „Babbelhannes“, „Babbellies“ und „Babbelsuse“ oder der unvermeidliche „Babbelarsch“. Gern nennt man den anderen auch einen „Schleechtbabbler“ oder „Schleechtschwätzer“, wobei „schlecht“ mit langem e „dumm, töricht“ bedeutet.
Mund und Mundwerk stehen stellvertretend für Charakter und Eigenart eines Menschen. „Die hat awwer e Mundwerk“ kann bewundernd gemeint sein, „e bees Mundwerk“ nicht mehr.
Ein Mundstück lässt uns eher an Musik denken, meint aber im Folgenden die böse Zunge. Die Nachbarin ist ja „e ganz gut Fraa, hot awwer e bitterbees Mundstick“. Friedrich Stoltze bezeichnet schwatzhafte Personen bissig als „gewisse zwääbäänige Mundsticker“. Bezüglich der Größe des Mundwerks bemühte man in Frankfurt einst das beliebte Fußbänkchen („Schawellche“). Das Wort „Schawelleschnut“ ist rar geworden, die Großmäuligkeit gedeiht prächtig.

Geschwätz

Wollen wir der Mundart noch einmal aufs sprichwörtliche Maul schauen, bietet das Frankfurter Wörterbuch genügend Beispiele. Am reichhaltigsten sind die Fälle, in denen sich der Sprecher dumm und ungeschickt anstellt oder überheblich ist. In mannigfacher Weise greift der Dialektmund den Stuss auf, was dem Jiddischen entlehnt ist und von hebräisch „stut“ („Torheit“, „Narrheit“) stammt. Schmus und Schmonzes („Gerede“ respektive „Geschwätz“) sind übrigens auch jiddischen Ursprungs.
Ein beliebtes Schimpfwort für einen missliebigen oder miserablen Sprecher ist das „Schlappmaul“, bei dem – um im Bild zu bleiben – vor lauter Geschwätzigkeit und vorlautem Gerede bereits die Unterlippe schlapp gemacht hat und lasch herunterhängt. Der Ärger ist vorprogrammiert, so ein Beleg aus besagtem Wörterbuch: „Hästde dei Schlappmaul net eneigehenkt, wär deß nit bassiert.“
Auch die „Bambelschnut“ vermittelt das eindringliche Bild des vom vielen Babbeln ausgeleierten Mundes (bambeln = herunterhängen). Ausgefallene Wörter sind die „Protokollschnut“ (Besserwisser) und die „Quatschdruse“ (Schwätzerin), tierisch die „Affeschnut“, der „Schnabeler“ oder „Schnabelschnell“ (Vielschwätzer) und als Aufforderung zum Mundhalten die „Dibbeschnut“ („Halt dei schlecht Dibbeschnut!“).
Mit einem Häppchen Sprachlyrik schließen wir den Kreis von A wie „Affemaul“ bis Z wie „Zuckerschnut“. Das frankfurterische „Schnedderedett“ für einen schwatzhaften Menschen ahmt das Storchgeklapper nach und bietet zugleich eine verspielte, französisch anmutende Variante an: „Schnedderedeng“.

Schreien

Die nächtliche Ruhe fordert manche, meist jugendliche Zeitgenossen, geradezu heraus, sich auf mittlere Distanz schreiend zu verständigen oder die städtische Häuserzeile auf Echotauglichkeit zu testen. Unsicher, ob man im Dialekt neben dem „Maulaff“ auch vom „Brüllaff“ redet, liegen einem doch die gängigen Verwünschungen mit Tiervergleichen auf der Zunge. Manchmal klingt es aber nur wie ein Schimpfwort. „Brüllochs“ zum Beispiel, so lesen wir im „Kleinen hessischen Wörterbuch“ ist in Süd- und Mittelhessen ein Zuchtstier und fällt somit als Beschimpfung aus.
Die Mundart begnügt sich nicht mit einem einfachen Geschrei, sondern greift sprachlich zur schrilleren Stufe, wenn „schee gekrische“ wird. Frankfurter können gemäß den Redensarten je nach Bedarf wie „e Dachmerder (Dachmarder)“, „e Leeb (Löwe)“ oder „e Neuntöter“ kreischen – wie am Spieß sowieso. Wer „so e Gekrisch“ macht, heißt „Krischer“, wie man ein kleines schreiendes oder heulendes Kind bezeichnet. Erwachsene Schreihälse heißen auch „Großkrischer“, was nicht nur die Lautstärke sondern auch großmäuliges Gehabe meint.
Früher konnte jemand „ausgekrische“, in einen üblen Ruf gebracht werden. Heute kann einem das in der vernetzten Welt passieren und heißt dann „Shit Storm“. Gut, dass Schreien auch etwas Befreiendes hat: „Mit jedem Krisch geht en Brast (Kummer) vom Herze“, bestätigt das Frankfurter Wörterbuch.

Werrerra

Das Eisenwarengeschäft in der Frankfurter Innenstadt hatte sich für den Neu-Frankfurter stets als gute Adresse für die üblichen Heimwerkerutensilien erwiesen. Doch an diesem Tag Mitte der 80er Jahre gab es eine sprachliche Zugabe. Die Art, wie der nette und kompetente Verkäufer das „R“ rollte, klang so ganz anders als das sonst zu hörende Frankfurterisch, eher amerikanisch. Ob es damals um einen Rriegel oder das rrichtige Rreindrehen der Schrrauben ging, weiß ich nicht mehr. Aber dass ein Stückchen Amerika, zumindest was den R-Laut angeht, auch in den Mundarten der Wetterau schlummert, prägte sich ein.
Zum geflügelten Wort, das diese sprachliche Eigenheit beschreibt, wurde die „Runkelroiweroppmaschin“, das monströse Rübenvollerntegerät. Mit dem gleichnamigen Lied von „Adam und die Micky’s“ zog die Runkelrüben-Rausreißmaschine gar in die Populärmusik ein:
Die Runkelroiwerobbmaschin die robbt die Roiwe raus.
Un wenn se all gerobbt sin, isses Roiwerobbe aus.
Auch das „d“ in Bruder oder das „t“ in Wetter gleicht im Mittelhessischen einem Zungenspitzen-R, also „Brourer“, „Werrer“. Da dürfte selbst Elvis Presley nah am Dialekt gewesen sein, wenn es darum ging, den Ort seiner Wehrdienstzeit zu beschreiben: „Friedberg in the Werrerra“.
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Kapitel 2
Von Grammatik und anderen Eigenwilligkeiten

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Der, die, das – oder was?