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© 2019 Piper Verlag GmbH, München
Redaktion: Cornelia Franke
Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
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»Für Nora und Alea, hört niemals auf, für eure Träume zu kämpfen«
Unzählige Kerzen und Rosenblüten ließen die moderne Villa in einem zauberhaften Glanz erstrahlen, der mich an Prinzessinnenfilme erinnerte. Überwältigt von den Eindrücken, stand ich auf der weitläufigen Terrasse und blickte nachdenklich auf die rotschimmernde Oberfläche von Bens Lieblingswein. Ich wusste, warum er alles so arrangiert hatte, und das ließ mich vor Freude sanft erschaudern. Endlich war es soweit.
Obwohl ich es schon seit einigen Wochen erwartet hatte, klopfte mein Herz wie verrückt, während die Schmetterlinge in meinem Bauch zu seinem rhythmischen Pochen tanzten. Hilfesuchend klammerte ich mich an meinem Weinglas fest und unsere Blicke schweiften über den parkähnlichen Garten. Akkurat aufgereiht standen die Bäume Spalier, umsäumten einen breiten Weg. Die herrlich duftenden Blumenbeete wurden von Strahlern erhellt, damit man auch bei Dunkelheit ihre Blütenpracht bewundern konnte. Ebenso perfekt wie die Pflanzen war der dichte Rasen gemäht. Ein wenig zu perfekt für meinen Geschmack.
Ein lautes, lang gezogenes Pfeifen ließ mich zusammenfahren und mein Herz vor Schreck einen Schlag aussetzen. Ben griff zeitgleich nach meiner freien Hand und zog mich in seine Arme. Über uns ergoss sich mit einem Knall ein glitzernder Funkenregen. Der Beginn eines Feuerwerks.
Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und genoss den Augenblick. Sanft löste er sich von mir, stellte sein Weinglas auf dem Boden ab und kniete sich vor mir hin. Über uns funkelte und glitzerte es in zahlreichen Farben, während er ein kleines, schwarzes Kästchen öffnete.
»Victoria Maria Cortez, du bist die Liebe meines Lebens, meine Sonne, die Luft, die ich zum Atmen brauche.« Obwohl es total kitschig klang, sammelten sich bei seinen Worten Tränen in meinen Augen. So etwas Wunderschönes hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Seine Worte jagten mir ein freudiges Kribbeln durch den ganzen Körper, ähnlich wie das Feuerwerk am Himmel. Ich spürte, wie meine kalten Hände vor Aufregung zitterten, strahlte jedoch über das ganze Gesicht.
»Möchtest du meine Frau werden?«
Ich starrte auf den riesigen Brillanten und musste schlucken. Sofort schossen mir Gedanken durch den Kopf, wie viel der Ring gekostet haben musste, dass ich von dem Wert ein Jahr die Miete meiner kleinen Wohnung zahlen und ein Auto kaufen könnte. Im Gegensatz zu Ben musste ich mir alles hart erarbeiten, da ich nicht in die Welt der Reichen und Schönen hineingeboren war.
»Ich …«, begann ich zu stottern. Ja, ich hatte damit gerechnet, trotzdem überwältigte mich der Antrag. Ich zögerte, da sich ein Kloß in meinem Hals gebildet hatte. Wie gerne würde ich ein Ja herausschreien, doch er kam mir zuvor.
Ben erhob sich, schien mein Hadern zu missinterpretieren. »Du brauchst dir keine Gedanken mehr machen. Du ziehst bei mir ein, und an meiner Seite wirst du alle Vorzüge der High Society genießen können. Du gehst auf Bankette, Galas, kannst deine eigene Stiftung gründen und wirst dir nie wieder Gedanken um Geld machen müssen.«
Lächelnd senkte ich den Kopf, damit er nicht sah, wie ich rot wurde. »Das brauche ich alles nicht und das weißt du. Mir reicht es, wenn ich mein Hobby zum Beruf machen kann.« Um als Boxerin vom Sport leben zu können, musste ich eines Tages meinen eigenen kleinen Boxring gründen. »Ich könnte endlich meinen Trainerschein machen«, murmelte ich, in Gedanken an meinen Traum schwelgend.
»Nein, du wirst nicht mehr boxen. Das ziemt sich nicht für eine Frau deines Standes«, unterbrach er mich unwirsch, sodass ich erschrocken zusammenzuckte. »Du kannst dir, wenn es unbedingt sein muss, einen Boxring kaufen, aber du steigst nie mehr selbst in den Ring!«
Getroffen von seinen Worten starrte ich ihn mit offenem Mund an. »Was? Aber ich kann weiter trainieren?«, fragte ich überflüssigerweise, denn ich wusste bereits, was er mir antworten würde. Doch ich wollte es ihn aussprechen hören.
»Natürlich nicht, mein Schatz. Wie kannst du das nur glauben?«, sagte er immer noch entspannt, ohne zu bemerken, wie sehr mich seine Worten verletzten. Mit einer Geste, die besorgt und liebevoll wirken sollte, legte er seine Hand an meine Wange und zeichnete meine Züge mit seinen Fingern nach. Ich fühlte mich jedoch wie in den Fängen eines Kraken, der mich in die Tiefe des Meeres ziehen wollte, versuchte die Berührung zu ertragen, um ihn nicht zu kränken. Mein Atem stockte, mir ging die Luft aus, sodass ich mich ihm langsam entwand. Ben schien nicht darauf warten zu wollen, ob ich seine ursprüngliche Frage beantwortete, er nahm den Ring aus dem Kästchen und griff nach meiner Hand. Für ihn stand diese Verlobung ohnehin fest und etwas anderes wollte er nicht hören. Er brauchte meine Antwort nicht.
In dem Moment wurde mir klar, warum ich mich wie gefangen fühlte. Das Leben, das wir uns aufgebaut hatten, glich einer Illusion, die ihren Glanz verloren hatte. Das war nicht das Leben, das ich mir wünschte. Entschieden zog ich meine Hand zurück, schnappte nach Luft und schüttelte den Kopf. Wieder hatte ich Tränen in den Augen, dieses Mal aber nicht vor Rührung, sondern vor Wut. »Du willst mir wirklich das Boxen wegnehmen?«
»Ich nehme es dir nicht weg.« Die Selbstsicherheit in seiner Stimme war unglaublich. Genau deswegen hatte ich mich als Teenager in ihn verliebt. Sein eiserner Wille hatte mich verzaubert, doch von diesem Zauber konnte ich nichts mehr erkennen. Nein, das Einzige, das ich in seinen Worten hörte, war sein Egoismus. »Du kannst dir doch ein eigenes Studio kaufen.«
»Ich will aber kämpfen! Ben, verstehst du das denn nicht? Der Sport ist mein Ausgleich, mein Ventil, ohne ihn hätte ich nie den Weg von der Straße gefunden und stände jetzt gewiss nicht hier bei dir. Das Boxen hat mir das Leben gerettet. Es macht mich aus.«
»So ein Unsinn, Vica!«, polterte seine Stimme. Ich hörte die Verärgerung deutlich heraus, vermischt mit seinem verletzten Stolz. »Du brauchst es nicht mehr, du hast mich. Ich bin für dich da, bin gerne dein Ventil, mein Schatz. Mit mir an deiner Seite kannst du dir leisten, was immer du möchtest. Dein Leben besteht nicht mehr aus dem gegenseitigen Vermöbeln in einem Unterschichtensport.«
Seine Worte verfehlten ihr eigentliches Ziel. Statt mich zu beruhigen, schürten sie meine Wut. Trotzdem schaffte ich es, meinen Ärger herunterzuschlucken. Wenn ich jetzt die Fassung verlor, hatte er genau die Bestätigung, die er suchte. »Ich soll mich zwischen dir und dem Boxen entscheiden?«
»Ich glaube nicht, dass es da eine große Entscheidung gibt, Vica. Du weißt genauso wie ich, dass wir zusammengehören.« Auch Ben war außer sich, auch wenn er sich gut im Griff hatte. Lediglich die tiefen Falten an seiner Stirn verrieten ihn.
»Es tut mir leid, Ben, aber ich sollte jetzt gehen. Ich muss nachdenken …« Ich wich zurück, drehte mich um und schnappte mir meine kleine schwarze Lederhandtasche, die ich günstig auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Sie bewies mir, wo ich hingehörte. Der kleine Tisch, auf dem eine riesige Kerze brannte, wirkte auf einmal nicht mehr romantisch, sondern künstlich und vorwurfsvoll. Sie hatte wie das verstummte Feuerwerk ihren Glanz verloren. Bens Anwesen wirkte plötzlich wie eine Farce, deutete mir, dass ich hier nicht hergehörte und niemals hingehört hatte. So schnell ich auf den unbequemen High Heels laufen konnte, stöckelte ich in das Haus.
»Vica! Warte, was soll das?« Ben holte mich viel zu schnell ein und packte unsanft mein Handgelenk.
»Lass mich los!«, keifte ich, während ich die aufkeimenden Tränen unterdrückte, und versuchte, mich zu befreien. »Lass mich gehen, Ben! Ansonsten zeige ich dir, was ich beim Boxen gelernt habe!«
Die Drohung wirkte, Ben ließ mich ziehen, rief mir aber noch ein »Lass uns morgen darüber reden!« hinterher. Die flackernden Kerzen in der dekadenten Eingangshalle und auf der breiten Marmortreppe verschwammen vor meinen Augen, während ich schluchzend an ihnen vorbeistolperte. Fluchend zog ich die High Heels aus und trug sie, um schneller voranzukommen. Aber ich wurde nicht verfolgt. Ben versuchte kein zweites Mal mich aufzuhalten.
Während mich sein Fahrer nach Hause brachte, wunderte ich mich darüber, wie alles so aus dem Ruder hatte laufen können. War nun endgültig Schluss? Hatte ich mich so in Ben getäuscht? Vielleicht sah morgen alles anders aus? Noch war nichts verloren, redete ich mir ein. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, und schaute durch das Autofenster. Vielleicht dachte er heute Nacht über das nach, was er gesagt hatte. Vielleicht fanden wir morgen einen Kompromiss, mit dem wir beide glücklich sein würden. Zumindest hoffte ich das.
Die Nacht verbrachte ich mit wirren Träumen. Die Bäume in Bens Garten wurden zu unüberwindbaren Hecken, das Haus war finster und die Dunkelheit schien nach mir zu greifen, mich festhalten zu wollen, um mich nie mehr gehen zu lassen. Gerädert stapfte ich im Morgengrauen in die Küche meines kleinen Apartments im vierten Stock und setzte Wasser auf, um mir einen löslichen Kaffee aufzubrühen. Das Zeug schmeckte nicht mehr, wenn man einmal in den Genuss eines Kaffeevollautomaten gekommen war. Seufzend trank ich einen Schluck und verbrannte mich dabei. Der Tag konnte nur noch besser werden.
Nachdem ich mich geduscht hatte, überlegte ich, wie viele Sache noch bei Ben lagen, falls er auf seiner Meinung beharren würde und ich tatsächlich nie mehr boxen sollte. Einerseits war ich traurig, dass wir uns gestritten hatten, doch andererseits … erneut stiegen Tränen in meine Augen. Wieso verhielt er sich so? Liebte er mich nicht? Eigentlich sollte er mich akzeptieren, wie ich war, oder? Warum wollte er, dass ich mich verbog? Ben erwartete, dass ich mich für sein High-Society-Leben aufgab und das konnte er nicht verlangen.
Aber vielleicht hatte ich ihn gestern falsch verstanden? Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.
Ich zog mir eine gemütliche Hose und ein schwarzes Shirt an, bevor ich mich auf das Treffen vorbereitete. In den letzten beiden Jahren war ich regelmäßig bei ihm gewesen, manchmal sogar mehrere Wochen lang. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre ich schon längst bei ihm eingezogen, trotzdem wollte ich mir das kleine Stückchen Freiheit erhalten. Meine eigene Wohnung war mein Rückzugsort. Hier hatte ich meine Bücher, meine Erinnerungsstücke und es fühlte sich nach einem gemütlichen Zuhause an. Die meiste Kleidung hatte ich ebenfalls hier. Ich erinnerte mich nur an meinen Kulturbeutel in Bens Bad und eine Handvoll Kleidung. Deswegen sollte ein Rucksack reichen, also schulterte ich ihn, band meine langen, lockigen Haare zusammen und nahm mein Fahrrad.
Mir machte es nichts aus, dass ich fast eine Stunde mit dem Rad unterwegs war. Die Sonne schien, ich liebte die Natur und gleichzeitig half die Bewegung, einen klaren Kopf zu bekommen.
Als ich bei Bens Villa ankam, blickte ich unschlüssig auf mein Handy. Es war kurz nach neun, ob Ben schon wach war? Mein Fahrrad lehnte ich gegen die Hauswand. Zaghaft klopfte ich an die große, weiße Eingangstür, die mit goldenen Ranken verziert war. Kurz überkam mich ein kalter Schauer, als ich an die Schwärze dachte, die mich in meinem Traum durch diese Tür hineingezogen hatte. Allerdings öffnete mir Bens Haushälterin und vertrieb so die finsteren Gedanken.
»Guten Morgen, Miss Victoria«, begrüßte sie mich freundlich.
»Guten Morgen. Ist Ben schon wach?«, fragte ich lächelnd, auch wenn es mir schwerfiel und es furchtbar aufgesetzt wirken musste.
»Sí«, sie deutete zur Treppe.
»Danke, Loretta.« Ich atmete tief durch, bevor ich nach oben zu seinem Schlafzimmer lief. Meine Sachen waren alle im angrenzenden Bad, das ich nur erreichen konnte, wenn ich durch das Zimmer ging. Vorsichtig klopfte ich an die Tür.
»Ja?«, brummte Ben zur Antwort und sah überrascht auf, als ich eintrat. Selbst kurz nach dem Aufstehen war er bereits wie der perfekte Geschäftsmann gekleidet. »Vica!« Sogleich stürmte er auf mich zu und nahm mich in den Arm, dabei stieg mir sein scharfes Rasierwasser in die Nase. »Es tut mir so leid, bleibst du zum Frühstück?«
Eigentlich wollte ich nicht so lange bleiben, doch sein Verhalten machte mir Hoffnung. Mein Plan war, ihn schmoren zu lassen, damit er darüber nachdenken konnte, was er von mir verlangte. Ihm gegenüber war ich aber noch nie besonders standhaft gewesen.
»Kann ich machen«, murmelte ich und ging an ihm vorbei ins Bad. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich die nächsten Nächte bei mir verbringe«, sagte ich laut genug, dass er mich verstehen konnte, während ich meine Sachen zusammensuchte. Ich warf meine Zahnbürste und die Zahnpasta in den kleinen Beutel, klaubte meine Pillenpackung von der Ablage und drückte eine der Tabletten heraus.
»Warum? Sollen wir nicht erst einmal über alles reden?« Er kam ins Bad und umarmte mich von hinten.
»Lass das bitte, Ben.« Während ich versuchte, mich aus seiner Umarmung zu befreien, fiel mir die Tablette aus der Hand. »Ben, ich bin mit dem Rad gekommen. Lass mir bitte kurz ein paar Minuten zum Frischmachen. Danach können wir beim Frühstück miteinander reden.«
Erleichtert sah ich, wie er das Bad verließ. »Ich warte auf der Terrasse auf dich.«
Seufzend suchte ich den Boden nach meiner Pille ab und ging schließlich auf die Knie, um unter dem Waschbecken nachzuschauen. Sogleich entdeckte ich sie und sogar noch eine zweite. Was? Warum lagen zwei dort unten? Ich zog beide Tabletten heraus und verglich sie. Sie sahen gleich aus, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, zuvor eine fallen gelassen zu haben. Außerdem wurde das Bad regelmäßig geputzt. Ich nahm den Blister und kontrollierte, ob alles richtig war. Die ersten beiden Pillen der Packung waren bereits herausgedrückt, sodass ich mir sicher sein konnte, keine übersehen zu haben. Während mein Finger darüber strich, bemerkte ich die unregelmäßige Oberfläche, die mich zögern ließ. Eine Ahnung machte sich in mir breit, mein Puls schnellte in die Höhe. Mir wurde ganz heiß, als das Adrenalin durch meine Adern rauschte.
Ich drehte den Blister und entdeckte an der Seite, dass die Folie etwas abstand, ich zog daran, doch sie war festgeklebt. Ganz schön unprofessionell für ein maschinell verpacktes Medikament, schoss es mir durch den Kopf.
Panik überkam mich. Hastig öffnete ich alle Türen und Schubladen des Bades, wonach ich eigentlich suchte, wusste ich nicht. Ein Regal war für Medikamente reserviert, dort fand ich aber nichts Auffälliges. Ich wühlte durch Schubladen und machte auch nicht vor der Halt, in der Bens Rasierzeug steckte. Und tatsächlich, dort fand ich eine Tablettendose, die mich innehalten ließ. P-Dragees stand auf der Verpackung.
Geistesgegenwärtig öffnete ich die Dose und kippte eine kleine weiße Tablette auf meine Hand, die genauso aussah wie meine Pille. Placebos? Mir wurde auf einmal übel, als mir klar wurde, was Ben getan hatte. Um sicher zu gehen, drückte ich die Pille für morgen heraus und verglich sie mit dem Placebo. Absolut identisch.
Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Wir hatten bisher nie über Kinder gesprochen, oder etwa doch? Ben wollte immer eine Familie gründen, aber er wusste genauso, dass ich noch nicht bereit dazu war. Ich war erst Anfang zwanzig und hatte meine ganze Karriere als Boxerin noch vor mir. Ein Kind würde mich um mindestens ein Jahr zurückwerfen, wenn nicht sogar noch weiter.
Je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir Bens Verhalten vom Abend zuvor. Er wollte nicht, dass ich boxte, und versuchte, mich zu manipulieren.
Lange Sekunden starrte ich auf die Tabletten, schleuderte sie schließlich wutentbrannt durch das Zimmer. Danach packte ich den Blister in meine Hosentasche, unterdrückte die Wut, die Anspannung, die sich nach außen kämpfen wollte, und stopfte meine Kulturtasche und die Ersatzkleidung in meinen Rucksack. Das Schlafzimmer und den begehbaren Kleiderschrank suchte ich ebenfalls gründlich ab, damit ich bloß nichts vergaß.
Mit dem Rucksack auf dem Rücken ging ich nach unten und betrat kurze Zeit später die ausladende Terrasse. Der Tisch war mit einem üppigen Frühstück gedeckt. Es gab Speck, Rührei, Pancakes – alles, was das Herz begehrte. Ein riesiger Strauß Gladiolen zierte die Mitte, Ben hatte einen Kaffee in der Hand – natürlich frisch aus seinem Kaffeevollautomaten – und lächelte mir zu. In mir brodelte es.
»Kaffee?« Dieser scheinheilige Mistkerl tat so, als wäre alles wie immer. Als wäre alles perfekt.
Mein Herz klopfte vor Aufregung, trieb die Röte in mein Gesicht. Energisch schüttelte ich den Kopf. »Ben …«, begann ich, dabei steckte ich meine Hand in die Hosentasche und umklammerte den Blister.
»Ist alles in Ordnung? Du wirkst so aufgebracht«, besorgt stellte er seine Tasse ab und machte Anstalten aufzustehen.
Abwehrend hob ich die Hand. »Bleib sitzen. Ben, möchtest du gerne Kinder haben?«, fragte ich ausweichend. Ich traute mich nicht, ihn direkt zur Rede zu stellen. Obwohl ich ihm am liebsten den Blister um die Ohren geschmissen hätte. Aber auch er war temperamentvoll.
»Ja, natürlich. Bist du etwa schwanger?« Die unbändige Freude in seiner Stimme widerte mich an.
Energisch schüttelte ich den Kopf, ich holte tief Luft und platzte einfach damit heraus: »Warum hast du meine Pille durch Placebos ausgetauscht?«
»Was?« Obwohl ich wusste, dass er log, kam mir seine Reaktion echt vor. »Nein, das habe ich nicht, warum sollte ich das tun?«
»Weil du mich an dich binden möchtest. Du willst, dass ich deine Vorzeige-Ehefrau werde, die brav auf die Kinder aufpasst, Wohltätigkeitsquatsch organisiert und hin und wieder auf einer Gala an deiner Seite auftaucht. Das ist es, was du willst. Habe ich recht?« Tränen verschleierten meine Sicht. Die Enttäuschung war so groß, dass ich meine Hand samt der Packung aus meiner Tasche zog und sie ihm entgegenschleuderte. Sie erreichte ihn nicht, sondern landete auf den strahlenden Fliesen der Terrasse.
Ohne die Vorwürfe weiterhin zu leugnen, nickte er. Seine Hand umklammerte fest die Kaffeetasse, auch er hatte mit seiner Beherrschung zu kämpfen. »Ja, genau das will ich. So gehört sich das im Kreis der oberen Zehntausend. Eine Boxerin passt nicht zu diesem Leben. Frauen, die boxen, sind nicht besonders angesehen, es ist und bleibt ein Sport für die Unterschicht. Vica, du bist wunderschön und klug, hast einen großartigen Körper, du hast diesen Kampfsport nicht nötig. Mach dir deine Schönheit nicht kaputt, indem du dir freiwillig die Nase brechen lässt.«
»Du … du …« Seine plötzliche Ehrlichkeit überforderte mich. »Du weißt überhaupt nicht, was ich nötig habe. Dich jedenfalls nicht! Ich werde dich nicht heiraten!«, schrie ich ihn an, drehte mich um und rannte los. Seine Erklärungen wollte ich mir nicht anhören, es gab nichts, das dieses Verhalten rechtfertigen würde.
Auf dem Weg lief ich beinahe Loretta um, die sich sofort demütig entschuldigte. Mir fehlte die Zeit, um ihr zu antworten. Ich wollte einfach nur fort. Bens Rufe ließen mich sogar meine Schritte beschleunigen. Vor der Tür schnappte ich mir mein Fahrrad, doch bevor ich aufsteigen konnte, erschien Ben in der Tür.
»Bleib hier, Vica. So geht das nicht!«
»Ach was. Willst du mir jetzt auch noch vorschreiben, wo ich hinzugehen habe?« Demonstrativ stieg ich auf das Rad.
»Wenn du jetzt wegfährst, dann war es das. Dann war es das mit uns und mit deiner Boxkarriere. Ich schwöre dir, dafür werde ich sorgen!«
Seine Drohung sollte mir wohl Angst machen, doch dazu war ich viel zu wütend und enttäuscht. »Fein, dann war es das mit uns!«, fauchte ich ihn an und trat in die Pedale.
Das Beste, um sich abzureagieren, war Sport. Allem voran half mir das Boxen. Es brachte Balance in mein Leben, war der Ausgleich, den ich so sehr brauchte, um mit allem abzuschließen. Warum konnte Ben das nicht verstehen? Vielleicht, weil er es nie selbst ausprobiert hatte?
Als ich die Halle betrat, roch ich den abgestandenen Schweiß, hörte dumpfe Schläge und schmerzvolles Stöhnen. Ich liebte es, hier zu sein und von der mir vertrauten Umgebung umspielt zu werden.
Mein Trainer Mike war im Ring und trainierte mit einem jungen Burschen, den ich schon ein paar Mal gesehen hatte. So wie ich hatte er auf der Straße gelebt und versuchte nun, sich sein Leben zurückzuerobern. Stück für Stück. Ich war mir sicher, dass er es schaffen würde, denn ich sah die Ähnlichkeit zwischen uns, außerdem unterstützte ihn Mike. Mein Trainer war die gute Seele dieses Rings, auf die Fünfzig zugehend, stellte er gerade für die jungen Boxer von der Straße eine Art Vaterersatz dar. Wie immer hatte er die mittlerweile ergrauten Haare zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden.
Ich nickte ihnen kurz zu und zog mich um.
Um mich aufzuwärmen, machte ich mehrere schnelle Hampelmänner, bevor ich ins Stretching überging. Dann nahm ich mir einen Boxsack vor. Meine ersten Schläge waren locker, beinahe sanft, um meine Gelenke aufzuwärmen.
Eine empörte Stimme ertönte hinter mir: »Streichelst du den Boxsack, oder was soll das werden?«
Unwillkürlich musste ich grinsen. Ich drehte mich zu Teresa, mit der ich seit zwei Jahren zusammen trainierte. Sie stellte sich direkt an den Boxsack und hielt ihn für mich fest. Ihre hagere, aber durchtrainierte Figur verschwand beinahe hinter dem Sack. »Und jetzt will ich was sehen. Außerdem erklärst du mir, warum du nach dem gestrigen Abend nicht bei deinem Liebsten bist.« Wissend zwinkerte sie mir zu.
Bei dem Gedanken an den Abend, und vor allem an den heutigen Vormittag, wurden meine Schläge sofort härter. Ich verpasste dem Boxsack einen Haken nach dem anderen. »Wir haben uns getrennt.«
Teresa antwortete nicht, sie fragte nicht nach, sie ließ mir die Zeit, die ich brauchte. Stumm hielt sie den Boxsack, den Kopf seitlich gelehnt, sodass die blonden Strähnen ihr ins Gesicht fielen und sah mir fest in die Augen. Darum war sie meine beste Freundin geworden. Meine einzige Freundin, wenn ich ehrlich war. Aber ich wusste, dass ich auf sie zählen konnte. Immer. »Er wollte, dass ich mit dem Boxen aufhöre.«
»Du hast die richtige Entscheidung getroffen«, bestätigte Teresa, ohne mehr gehört zu haben.
Meine Bewegungen wurden langsamer, die Handschuhe fühlten sich bleischwer an. »Er …«, ich schluckte, ich wollte nicht heulen, »er hat mir gedroht, mir auch noch das Boxen zu nehmen.«
»Wie will er das denn bitte machen?« Meine Freundin ließ den Boxsack los, kam auf mich zu und schloss mich fest in die Arme. Sie war ein ganzes Stück größer als ich und drückte meinen Kopf an ihre Brust. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Mike und der Junge aus dem Ring stiegen. Im Hintergrund nahm ich das leise Läuten eines Telefons wahr.
»Er hat Kontakte.« In dem Moment wurde mir erstmals klar, dass einfach zu gehen und ihn zu provozieren, gefährlich war. Er gehörte zur oberen Schicht der Stadt und hatte wirklich Einfluss.
»So ein Unfug, hier kennt dich jeder seit Jahren. Er hat nicht so viel Macht, wie er vorgibt. Mach dir keine Sorgen.« Sie schaffte es, mich für einen Moment zu beruhigen.
Doch dann verließ Mike das kleine Büro am anderen Ende des Rings und eilte direkt auf uns zu.
»Vica, ich muss mit dir sprechen.« Die Art, wie er das sagte, machte mir Angst. Panisch sah ich Teresa an, die mir nicht von der Seite wich.
»Was ist denn?«, fragte ich, wollte dabei beiläufig klingen, doch das gelang mir nicht.
»Ich hatte gerade ein Gespräch mit Ben … Ich kann dich nicht länger trainieren.«
»Was? Warum nicht? Was hat er dir erzählt?« Mein Körper zitterte, plötzlich war mir eiskalt.
»Das ist nicht relevant. Tatsache ist, dass ich dich nicht weiter trainieren darf, obwohl ich es gern tun würde.«
»Wie kann es sein, dass er dich in der Hand hat?«, fragte Teresa mit bohrendem Blick nach.
Ausweichend deutete Mike auf die Umkleide: »Es ist kompliziert. Es tut mir wirklich leid, aber wenn ich dich nicht rauswerfe, macht er mir den ganzen Laden dicht.«
»Können wir das nicht irgendwie verhindern?« Ich war froh darüber, dass Teresa für mich das Sprechen übernahm, mein Kopf hatte mittlerweile abgeschaltet. Mit hängenden Schultern starrte ich auf meine Handschuhe, die Stimmen um mich herum wurden zu einem eintönigen Rauschen.
Ben hatte seine Drohung wahr gemacht.
»Vica?« Ich blickte in Teresas besorgtes Gesicht. »Komm, ich bringe dich nach Hause.«
Wie in Trance zog ich mich um, schaffte es nicht, mich auf dem Weg zur Tür noch einmal zum Ring umzudrehen. Kurz bevor ich nach draußen stolperte, hielt mich Mike jedoch auf. »Vica, warte kurz.«
Ich verspürte den Drang einfach wegzulaufen, seine Stimme zu ignorieren. Ich wollte nur noch raus, drückte die Tür auf und stolperte ins Freie. Die Sonne schien mir brutal hell in die Augen, sie begangen sofort zu brennen und zu tränen.
Unentwegt bewegten sich meine Beine vorwärts, war Teresa nicht gerade noch hinter mir gewesen? In dem Moment hörte ich Schritte, die mich verfolgten.
»Vica!« Teresa holte mich ein, bevor ich mein Fahrrad erreichte, und hielt mir einen Zettel unter die Nase. »Du glaubst nicht, was Mike getan hat.« Ihre Stimme klang aufgeregt, aber nicht empört, sondern vielmehr positiv überrascht.
»Er hat mich rausgeschmissen, weil mein Ex ihn erpresst?«, gab ich sarkastisch zur Antwort. Ich wischte mir die Tränen fort und drückte den Zettel aus meinem Sichtfeld.
»Lies!«, forderte Teresa und wedelte weiter mit dem Flyer unter meiner Nase herum.
»AIBA Boxing Championship Colorado. Na und?« Wieder drückte ich das Blatt weg und schloss mein Fahrrad auf.
»Mike hat dich dort angemeldet und diese Woche die Teilnahmebestätigung bekommen!«
Ihre Worte drangen langsam zu mir durch. Solch ein Wettbewerb war genau das, worauf ich seit Jahren hingearbeitet hatte. Im Gegensatz zu Ben, der mich liebend gern mit Ausflügen vom Training abgehalten hatte, wie mir jetzt erst bewusst wurde, hatte Mike mich immer ermutigt. Doch ich war bisher zu feige gewesen, mich bei den Juniorenwettkämpfen oder Amateurturnieren zu bewerben, hatte meinen Highschoolabschluss oder die Jobsuche vorgeschoben. Das hatte er anscheinend für mich in die Hand genommen. Ein schlechtes Gewissen überkam mich, ich hatte mich nicht einmal richtig von ihm verabschiedet.
»Das ist lieb von ihm, aber ohne Trainer kann ich da nicht teilnehmen.« Ich ertrug es nicht, weiter über eine unerreichbare Zukunft zu reden. »Ben hat Kontakte, ich werde in keinem Boxclub der Stadt einen Trainer bekommen.« Warum hatte ich mich auch ausgerechnet in den Kerl verliebt, der mit jedem Club in der Stadt zusammenarbeitete? Da er diverse Wettbewerbe finanzierte, war er hoch angesehen und bekam bei jedem Wettbewerb einen Sitzplatz in der ersten Reihe. Inwiefern er die einzelnen Clubs unterstütze, hatte ich bis heute nicht erkannt. Schlagartig wurde mir klar, dass Mike in gewisser Weise von seinem Wohlwollen abhängig war. Dumm für mich. Bevor ich schon wieder in Tränen ausbrach, stieg ich auf das Rad und fuhr los.
»Das werden wir noch sehen!«, rief mir Teresa motiviert nach. Sie hatte gut reden, ihr Ex-Freund hatte nicht die halbe Stadt in der Hand.
Vor lauter Anspannung presste ich die Zähne so stark aufeinander, bis mein Kiefer schmerzte. Ich war so wütend! Hatte Ben mich überhaupt geliebt, oder war ich von Anfang an als sein Püppchen auserkoren worden? Wie gerne wäre ich zu ihm gefahren und hätte ihm gezeigt, was ich im Ring gelernt hatte, aber damit hätte ich alles nur schlimmer gemacht. Dadurch würde ich seine Beweggründe auch nicht verstehen.
Wie konnte ein Mensch nur so manipulativ und verlogen sein? Wenn er mich nicht bekam, zerstörte er mir mein ganzes Leben? So hätte ich ihn niemals eingeschätzt. Wie konnte man sich nur so sehr in einem Menschen täuschen?
Zuhause warf ich meinen Rucksack frustriert in die Ecke. Meine Hoffnung, das Hobby zum Beruf zu machen, rückte in immer größere Ferne. Ich hätte aus Frust heulen können, doch mittlerweile fühlte ich mich nur noch leer und ausgelaugt. Was sollte ich nur machen? Bisher konnte ich mich durch das Boxen am besten ablenken, aber selbst das hatte Ben mir genommen.
Ich sollte nach einem neuen Club suchen, hatte aber furchtbare Angst vor weiteren Zurückweisungen, die unweigerlich auf mich zukommen würden. Ich kannte Ben, wenn er sich eine Sache in den Kopf gesetzt hatte, dann zog er sie gnadenlos durch. Dass sich diese Eigenschaft einmal so negativ auf mich auswirken würde, hätte ich jedoch nicht gedacht.
Um mich abzulenken, räumte ich also meine Wohnung auf und schrubbte jeden Winkel gründlich sauber. Ich fing bei der kleinen Küchenzeile an, kämpfte mich durch Bad, Schlafzimmer und Wohnzimmer, bis ich am Abend völlig erschöpft ins Bett fiel. Doch kaum lag ich, klingelte es an der Tür. Stöhnend zog ich die Decke über meinen Kopf, ignorierte das erneute Läuten. Dann klingelte mein Handy. Ich schaffte es nicht, es vollkommen zu ignorieren, und schaute auf das Display. Teresa?
Da es nicht Ben war, nahm ich den Anruf entgegen. »Ja?«, fragte ich genervt, um mögliche Ablenkungsversuche niederzuringen. Ich wollte nur noch schlafen.
»Bist du unterwegs?«, fragte Teresa, ich hörte im Hintergrund Autos fahren. Sie stand vermutlich vor meiner Eingangstür des Mietshauses.
»Ich bin zu Hause.« Mürrisch schlug ich die Bettdecke zurück.
»Lass mich rein! Ich habe Neuigkeiten!«
»Gute oder Schlechte? Schlechte kannst du gerne für dich behalten.«
»Lass dich überraschen. Komm schon, öffne die Tür!«
Ein tiefes Seufzen entfuhr mir, während ich mich aus dem Bett quälte. Ich beendete das Gespräch und wartete auf meine Freundin, die mit ungeahnter Schnelligkeit bis hinauf in den vierten Stock rannte.
Triumphierend grinste sie mich an, während sie mich in mein Wohnzimmer schob. »Setz dich!«, befahl sie gut gelaunt. Ihre schlanken, sehnigen Arme stemmte sie in die Hüften, sie richtete sich vor mir auf, wirkte noch größer, als sie es ohnehin schon war.
Ich gehorchte, weil mir die Kraft fehlte zu protestieren.
»Also. Ich habe da einen Boxclub, der dich nehmen wird. Ich habe schon mit dem Inhaber gesprochen.«
»Was? Wirklich?« Ich konnte nicht glauben, dass Teresa es tatsächlich geschafft haben sollte. Ben hatte so gute Kontakte und durch sein Sponsoring gab es keinen Club, der es sich freiwillig mit ihm verscherzen würde. Oder etwa doch?
»Ja wirklich!« Freudestrahlend löste sie ihre triumphierende Geste und knallte den Flyer entschieden auf den Tisch. »Du wirst also an dem Turnier teilnehmen!«
Kreischend vor Freude sprang ich auf und fiel Teresa um den Hals. »Das ist ja unglaublich. Wie hast du das geschafft?«
»Nun …«, begann sie zögerlich.
Verwundert setzte ich mich wieder hin. »Wo ist der Haken an der Sache?«
»Eigentlich ist das kein richtiger Haken.« Ihre Hände vollführten seltsame Bewegungen in der Luft, bevor sie endlich mit der Sprache herausrückte: »Dein Ex kommt an den Club nicht heran, weil er scheinbar in der Hand der Mafia liegt.«
Meine Gesichtszüge entgleisten mir. »Mafia?«, stammelte ich und hielt meine Hände vors Gesicht.
»Ja, aber es sind nur Gerüchte. Deinen Trainer habe ich bereits kennengelernt, er ist wirklich sympathisch und dass er angeblich einige Jahre im Knast war …« Sie stockte kurz und winkte dann ab, während sie sich neben mir aufs Sofa fallen ließ. »Nicht weiter wichtig. Er hat eine Lizenz!«
»Gekauft vom Mafiageld«, vervollständigte ich ihren Satz, woraufhin Teresa mit den Schultern zuckte. Das beruhigte mich jedoch kaum.
»Na und? Der Club ist eingetragen und der Trainier zertifiziert. Ich habe nachgefragt, er würde dich sogar so kurzfristig aufnehmen.«
»Er kennt mich überhaupt nicht!«, gab ich zu bedenken, obwohl ich in meiner aktuellen Lage keineswegs wählerisch sein durfte.
»Er kennt Ben und war fasziniert von der Geschichte, die dir widerfahren ist. Es wäre ihm eine Ehre, dich trainieren zu dürfen.«
Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. »Also die Faszination kann ich nicht nachvollziehen. Woher kennst du ihn?« Bevor ich zusagte, wollte ich mehr erfahren. Ob das Mafiagerücht tatsächlich stimmte, oder nicht, würde ich wohl selbst herausfinden müssen.
»Ein Freund trainiert dort. Ich habe heute Mittag mit ihm telefoniert und bin direkt dorthin gefahren. Der Trainer wird dir gefallen. Er ist verdammt heiß.«
Meine Hand griff nach einem Kissen, mit dem ich Teresa abwarf. »Ich will einen Trainer, keinen neuen Freund.«
Lachend fing sie das Kissen auf. »Das eine schließt das andere doch nicht aus. Morgen um 10 Uhr beginnt dein Training. Ich bringe dich hin!«
Ich hätte nicht erwartet, dass dieser scheußliche Tag noch gut enden würde. Doch Teresa hatte mir erneut Hoffnung gegeben, auch wenn ich mir unsicher war, ob ich den Gerüchten glauben sollte. Selbst wenn, nur weil ich dort trainierte, würde ich nicht in Mafia-Geschäfte verwickelt werden. Außerdem hatte er eine Lizenz. Was wollte ich mehr?
Trotzdem blieb ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend zurück. Aber die Alternative wäre, gar nicht mehr in den Ring zu steigen oder die Stadt zu verlassen. Zu beidem war ich nicht bereit.
Pünktlich um zehn Uhr standen wir vor dem Boxclub, der mitten in der Innenstadt lag.
»Krasse Lage«, flüsterte ich Teresa zu, die zustimmend nickte, allerdings weitaus weniger überrascht, da sie am Tag zuvor schon hier gewesen war. Der Club verfügte über einen kleinen Parkplatz, obwohl er mitten in der Stadt lag. Umgeben von Bars und Restaurants war er am Wochenende vermutlich gut besucht. Sogar die Tür hatte Stil und ließ das ganze Gebäude nobel wirken. Wäre ich jemals in diesem Stadtteil feiern gewesen, so hätte mich der Club bestimmt durch seine exklusive Ausstrahlung so sehr eingeschüchtert, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, ihn zu betreten.
Teresa klopfte an und kurze Zeit später öffnete uns ein bärtiger Typ mit Glatze. Wenn das der Trainer war, dann zweifelte ich stark an Teresas Geschmack. Seine Erscheinung strahlte eine Aggressivität aus, die mir regelrecht Angst machte, obwohl ich mich als Boxerin durchaus selbstverteidigen konnte.
Zaghaft lächelte ich. »Guten Morgen, ich bin Victoria und habe heute ein Probetraining.«
»Ah«, brummte der Kerl und zog die Tür ganz auf. »Kommt rein.« Seine tiefe Stimme passte zu seinem Aussehen. Er trug ein Muskelshirt, seine Arme waren übersät von düsteren Tattoos, die Tiere und Tribals umgeben von züngelnden Flammen, zeigten. Auf seinem rechten Oberarm prangte das Gesicht einer Frau.
»Coole Tattoos«, sagte ich verunsichert. Der Kerl brummte ein »Danke« und deutete auf eine Tür.
»Soll ich mich direkt umziehen?«, fragte ich.
»Juri kommt gleich. Wärm dich am besten gleich auf.« Er war sehr kurz angebunden. Ob er nur einen schlechten Tag hatte, oder sich immer so verhielt? Erleichtert atmete ich aus, als er uns allein ließ. Mit flüchtigem Blick erfasste ich den Raum. Zu meiner Verwunderung trainierte gerade niemand hier. Der Ring wirkte neu, die Boxsäcke kaum bespielt. Boden und Inventar waren sauber und es roch angenehm nach dem Leder der Innenausstattung. So sieht es also aus, wenn die Mafia einen Boxclub finanziert