ein unternehmerisches Abenteuer
Für euch WeltentdeckerInnen
und alle, die sich noch die Zeit nehmen,
ein Buch zu lesen.
Ich danke dem Leben,
den Mitarbeitenden, AutorInnen, LeserInnen
und allen achtsam Reisenden
für die interessanten Herausforderungen
und die lehrreichen gemeinsamen Wegstrecken.
Und denkt dran:
Das Wesentlichste ist nicht Spass und Abenteuer,
sondern die Bewusstseinsbildung und
Lernprozesse für ein achtsames, naturnahes
und sozialverträgliches Leben und Reisen.
Walo Kamm
Vorwort: Vom Rebell und Reporter zum Multi-Unternehmer und Überflieger
1. Teil: Kurz-Bio Globetrotter Walo Kamm
Wegmarken von einer originellen Lebensreise
INTERVIEW: «Selbsthilfe der Jet-Nomaden»
Eine neue Art des Reisens und eine neue Art Lebensunternehmer
10 Fragen/Antworten zum Lebensweg von Walo Kamm
Zur Holdingfirma Globetrotter Group gehörende Reiseunternehmen
Unternehmen der Globetrotter Group (Adressen)
2. Teil: Verwirklichung einer «Utopie»
Zehn Geschichten zur puzzlehaften Entstehung der Unternehmensgruppe
INTERVIEW: «Ich möchte mehr sein als scheinen»
Hindernislauf: Vom Hippietraum zum unternehmerischen Gesamtkunstwerk
Was ermöglichte den weltweiten Individualreise-Boom?
Wie ich den Namen «Globetrotter» rettete
Von den Pionier-Vorträgen bis zu den Explora-Events
Transa – von der Alternativbude zum kultigen Marktführer
Wenn Bücher zum Abenteuer werden
Business Class – not as usual
Auf lohnenden Umwegen gemeinsam ans Ziel
Wildwestszenen zu Graumarktzeiten
Globetrotter und die CH-Dinosaurier
3. Teil: Visionäre Unternehmenskultur
Neun textliche Mosaiksteine ergeben das Bild eines unternehmerischen «Gesamtkunstwerks»
INTERVIEW: «Vom dunklen Velokeller zu acht Top-Filialen»
Elf Eckpunkte (Leitbild) – Was Globetrotter besonders macht
Globetrotters einzigartige Unternehmenskultur
«Ich mache mich selbstständig» (Ratschläge)
CSR gehörte immer zur DNA von Globetrotter
Wege zum Erfolg – 44 von 100 «WK-Rezepten»
Wie ich – reichlich spät – zum besten Internet-Domain-Namen kam
Unser erster Pensionär und seine Trauminsel
Reis, Zucker und Freudentränen
Ist Globetrotter auch ein Hilfswerk?
4. Teil: Verantwortungsbewusst reisen
Sechs tourismuskritische Beiträge zum fairen, sanften Reisen
INTERVIEW: «Mit jeder Buchung retten wir zwei Hektaren Regenwald» (1990)
Globetrotter helfen Regenwald retten (Aktion für den WWF, 1990)
Rote Karte für den Tourismus? (2002)
Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung (2019)
Fair unterwegs: Was heisst das? (2019)
Ein Stück Nordpol für den Klimaschutz (2007)
Burma/Myanmar besuchen oder boykottieren? (2002 und 2007)
Verhaltenstipps für Fernreisende anno 1980 (Nostalgie)
5. Teil: Mehr Sinn beim Reisen
Fünf Themen zur Motivation und Sinngebung individueller Fernreisen
INTERVIEW: «Traveller tragen auch zur Völkerverständigung bei»
Elemente eines sinnvollen Reisens (1978)
Ethik beim Reisen (2019)
Was zieht uns in die Ferne? (2007)
Reisen als Lebensschule (2019)
Voluntourismus (Freiwillige gemeinnützige Arbeit, 2019)
6. Teil: Gedanken für unterwegs
Sechs besondere Themen zur Diskussion
INTERVIEW: «Musse statt Masse»
Einer der Unvergesslichen: Bruno Manser
Selfies sind nur Kröten, keine tödliche Seuche
Gedanken zum Unterwegssein und Zurückkehren
Abenteuerdrang? Ab nach Südamerika!
Wie wir unsere Reise unterwegs planen
Ich bin ein/e Reisebüro-MitarbeiterIn
7. Teil: Reisevorbereitung
Sechs Beiträge mit praktischen Reise-Infos und Checklisten
INTERVIEW: «Walos Welten»
Gutes Benehmen über den Wolken
Die 10 besten Tipps gegen Flugangst
Internetlinks zum weltweiten Reisen
Globetrotter Travel Service: Reisebüro-Adressen
Countdown und Checkliste
Mit Kindern auf Reisen: Checkliste und Tipps
8. Teil: Solidarität
Wir sind eine Welt
INTERVIEW: «Globetrotter soll den bewährten Prinzipien treu bleiben»
Hallo, Mister Gott! (Thema Entwicklungshilfe)
Adressen für eine bessere, gerechtere Welt
9. Teil: Reportagen von Entdeckungsreisen
Fünf persönliche Berichte als Beispiele sinnvoller Abenteuerreisen
INTERVIEW: «Die Welt bewusst entdecken»
TREKKING oder Die Sehnsucht nach dem einfachen Leben (Nostalgie 1974, erste Weltübersicht über Trekking)
Leben und Tod in Tana Toraja (Nostalgie 1973, Beispiel für kulturelle Entdeckungsreisen)
Tuwa – Unterwegs mit den letzten Rentier-Nomaden der Mongolei (2006, Beispiel für respektvolle Annäherung)
Reise ins Land der Verzauberung (1996, Beispiel für spirituelle Reise ins Indianerland, USA
Indien hautnah. Sechs Monate im Frauenheim (2006, Beispiel für soziale Freiwilligenarbeit)
Anhang
Die wichtigsten Stationen von Walo Kamm
Liebe Reisefans und WeltentdeckerInnen
Wer mein Buch Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule kennt, das im Herbst 2019 erschien, wird sich vielleicht fragen: Schon wieder ein Globetrotter-Buch von Walo Kamm? Ist das etwa eine Art Fortsetzung?
Ja und nein. Ja, es ist eine Art Fortsetzung, denn im ersten Buch ging es um die Gedankenwelt und die Abenteuer vieler Weltenbummler. Ich erzählte von den Anfängen, also meinem Reiseleben und den ersten Gründungen, vom Globetrotter Club und der Zeitschrift und den Anfangsjahren des zwar seriös arbeitenden, aber auch etwas eigenwilligen und revoluzzerischen Globetrotter Travel Service.
Und nein, es ist nicht einfach eine Fortsetzung, denn es ist thematisch anders gelagert. Das wird schon bei einem Blick ins Inhaltsverzeichnis mit den 60 Beiträgen klar. Eine Anzahl Reportagen und Sachartikel sind zwar schon im Globetrotter-Magazin erschienen, aber die interessantesten Geschichten über die Entwicklungen habe ich erst jetzt geschrieben, um ein möglichst aktuelles, breit gefächertes Bild von Globetrotter zu vermitteln. Und um die ursprüngliche Globetrotter-DNA zu erklären.
Im ersten Buch ging es primär um den Globetrotter-Spirit: um die Philosophie des Reisens, Hintergründe, Motivationen und Sinnfindung beim Reisen auf eigene Faust. Speziell bei Rucksackreisenden mit wenig Geld und viel Zeit.
In diesem zweiten Buch geht es vor allem um das Unternehmen resp. das «Gesamtkunstwerk» namens Globetrotter – wie es entstand, sich entwickelte und expandierte und zu einer einzigartigen Erscheinung in der schweizerischen Unternehmenslandschaft wurde. Damit meine ich nicht «nur» das grosse Unternehmen Globetrotter Travel Service (GTS), sondern das vielfältige Gebilde Globetrotter Group, die Holdingfirma mit ihren 15 verschiedenen Unternehmen plus ein paar anverwandten Betrieben, die zur grossen Familie gehören und sie ergänzen.
Die Titelgeschichte über meinen Werdegang basiert auf einem Porträt über mich, das vom Journalisten Georg Weber vor zehn Jahren publiziert, nun ergänzt und von mir nochmals in eine neue Fassung gebracht wurde. Aber das Buch ist keine Autobiografie, denn eine solche müsste – inklusive aller Reisen – wohl 10000 Seiten umfassen, also eine «Mission impossible».
Eigentlich ist dies auch ein Buch zum Thema Unternehmenskultur, denn dieses Leitthema zieht sich durch alle neun Teile des Buches, meistens verpackt in unterhaltsamen Berichten. Ich habe so viele interessante, lehrreiche Lebenserfahrungen gemacht, dass es mich nun drängt, auch als geistiger und praktischer Mentor zu agieren und mein Wissen an unternehmungslustige junge Leute weiterzugeben.
Also keine Autobiografie. Oder doch, auf meine Art? Am ehesten ist es die vorläufige Geschichte eines von idealistischen Träumen heimgesuchten Zürcher Globetrotters, den seine Ideen, seine Kreativität und manchmal auch sein Ehrgeiz zu abenteuerlichen unternehmerischen Höhenflügen trieben. Doch wer beide Bücher liest und die rund 160 textlichen Mosaiksteine richtig zusammenfügt, hat einen guten Teil der Biografie des Unternehmers Walo Kamm gelesen. Und, wer weiss, vielleicht schreibt der Weltenbummler WK ja nochmals ein Buch – mit mehr Inhalt zu seinen persönlichen Reisen und Abenteuern.
In dem vorliegenden Band gebe ich auch einiges aus meiner einstigen Geschäftstätigkeit preis. Früher machte ich viele Jahre lang bewusst auf Understatement, das heisst, punkto öffentlicher Kommunikation flog ich meistens weit unter dem Radar, denn ich wollte meine Erfolgsideen nicht den Mitbewerbern preisgeben. Wer diese Kapitel liest, wird zu neuen Schlüssen kommen, was alles zu einer zielführenden Unternehmenskultur gehören kann. Inzwischen ist die Situation im Tourismus allerdings anders und es gibt nun ganz neue Herausforderungen.
Dieser zweite Globetrotter-Band bietet einen hoffentlich lehrreichen und unterhaltsamen Rückblick auf die vergangenen 45 Jahre meines Unternehmerlebens. Es ist auch eine kleine Geschichte des Globetrotter-/Entdecker-Tourismus, der ja erst in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre mit den an Fernweh leidenden AbenteurerInnen begann, wie ich in Globetrotter-Spirit schildere.
Erst ein halbes Jahrhundert weltweites Reisen also – und inzwischen sind mit Overtourism schon so viele ökologische und soziale Veränderungen und Schäden verursacht worden, dass nach Reduzierung, Einschränkungen oder gar neuen Gesetzen und Verboten gerufen wird. Das haben wir ersten Globetrotter uns damals in den 1960er- und 1970er-Jahren natürlich nicht träumen lassen, als wir als Trekker, Hippies oder pilgernde Sinnsucher unterwegs waren.
1974/75, als ich meine eigenen Diavorträge hielt, auch wieder als journalistischer Freelancer arbeitete und in der Schweiz wieder Fuss fasste – als ich plötzlich so viele Reisefans kennenlernte, hatte ich einen Traum: Ein Reise-Infocenter für zukünftige Weltenbummler zu machen, das wäre doch lässig. Bei weiterem Nachdenken hatte ich noch mehr Visionen: eine sehr persönliche Reiseberatung, wo es auch Kaffee und Kuchen gäbe, neue alternative Reisehandbücher mit Tipps & Tricks für Rucksackreisende, dazu die passende Art von Rucksäcken, Geldgürtel, Schlafsäcke, Kleinkram und Trekkingausrüstung sowie Diavorträge über Abenteuerreisen. Vielleicht könnte ich auch günstige Spezialflugtickets verkaufen, von denen ich gehört hatte, und einzelne Kulturtrekkings mit Leuten ähnlicher Wellenlänge organisieren?
In weiteren Etappen meiner (un)realistischen Träumereien kamen neue Ideen wie ein Club, der viele verschiedene Vorteile bieten würde, eine eigene grosse Zeitschrift, in der vor allem die Clubmitglieder ihre Bildreportagen publizieren könnten, und nach ein paar Gläsern Wein uferten die Träume zu noch fantastischeren Ideen aus. Aber da sass ich nun als Rückkehrer im damals noch ziemlich spiessbürgerlichen Zürich, allein, ohne Geld oder Beziehungen, ohne Wohnung oder Büro. Doch ich raffte mich auf und so fügte sich im Lauf der Zeit ein unternehmerisches Puzzleteil zum nächsten.
Da ich eine journalistische Vergangenheit habe, mache ich ein Buch ähnlich wie eine Zeitschrift: Viele verschiedene Themen und auch andere Autoren (nicht nur meine Meinung), ein inhaltlich anspruchsvoller Mix aus Information und Unterhaltung. Die Geschichte ist nicht streng chronologisch erzählt, sondern in thematische Teile gegliedert. Dazu als ordnende Hand ein paar Stichworte zu den Buchteilen:
–Kurz-Bio Walo Kamm: Viele Fakten und Geschichten aus einer originellen Lebensreise.
–Verwirklichung einer Utopie: 10 Kapitel mit tiefen Einblicken, wie es zu dieser einzigartigen Unternehmenskombination kam.
–Visionäre Unternehmenskultur: 9 Mosaiksteine zum Bild eines «Gesamtkunstwerks».
–Verantwortungsbewusst reisen: 7 Beiträge über Aktivitäten bezüglich faires Reisen.
–Mehr Sinn beim Reisen: 5 Essays zur Motivation und Sinngebung von Fernreisen.
–Gedanken für unterwegs: 7 besondere Themen zur Diskussion.
–Reisevorbereitung: 6 Beiträge mit praktischen Reise-Infos und Checklisten.
–Solidarität/Wir sind eine Welt: Adressen von NGOs und Hilfswerken.
–Entdeckungsreisen: 5 grosse Reportagen als Beispiele sinnvoller Abenteuerreisen.
–plus als Auftakt zu jedem der 9 Buchteile je ein Walo-Kamm-Interview aus Zeitungen, als Zeitspiegel der verschiedenen Entwicklungsschritte von 1978 bis 2016.
Hinweis für Manager und andere primär an unternehmerischen Einblicken Interessierte: Lest doch gleich die süffigen Kapitel im 2. Teil! Der 1. Teil beinhaltet halt auch kontroverse Erinnerungen an meine Kindheit und die bekannte Geschichte «Vom Tellerwäscher zum …» resp. in meinem Fall vom düsteren Velokeller ins (manchmal schummrige) Licht von Glanz & Gloria der Business Class … Tourismuskritisches ist eher in den Teilen 4 und 5 zu finden. Das soziale Gewissen findet im 8. Teil Nahrung. Wer einfach mal ein paar coole, nostalgische Reisereportagen lesen möchte, wird im hintersten Buchteil fündig.
Ich empfand mein Unternehmerleben schon immer als natürliche Fortsetzung der Weltenbummlerjahre, wie eine weitere unendliche Expeditionsreise ins Unbekannte – auf teils steinigen, holprigen Wegen, manchmal durch geschäftliche Dschungelgebiete, gelegentlich mit wüstenhaften Durststrecken, dann wieder rasant wie auf einem Fluss mit Stromschnellen; immer spannend, überraschend, abenteuerlich – was die unternehmerische Reise so verlockend machte. Wäre es einfach und bequem gewesen, hätte ich wohl vorzeitig in ein anderes Metier gewechselt, um mein Bedürfnis nach Abenteuer und neuen Erkenntnissen zu stillen.
Noch drei Sätze zur jetzigen Situation: «Meine» Generation von Billigflugtickets in den 1970er- und 1980er-Jahren (statt der überteuerten, fixierten IATA-Kartelltarife) bedeutete eine überfällige Demokratisierung des Reisens, mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft – wohingegen die spätere Einführung der Low Cost Carriers und der extremen Billigsttarife auch bei den etablierten Airlines eine unnötige und letztlich kontraproduktive Entwicklung war und ist, die der Geldgier von Managern entspringt.
Derzeit sind die Flugtarife generell viel zu billig; mit diesen Ausverkaufspreisen wird man dem Wert der Produkte und Dienstleistungen nicht gerecht. Jetzt wird unnötigerweise viel geflogen (zum Shopping, zu Partys, übers Weekend, Freunde besuchen, zum Arbeitsplatz pendeln etc. – mit den allseits bekannten kontroversen Auswirkungen. Und mein Gewissen regt sich von Jahr zu Jahr stärker: Was habe ich da bloss mit ausgelöst? Ich wollte doch einfach den echten Reisefans ermöglichen, wie ich die grosse, faszinierende Welt zu entdecken, mehr lehrreiche Lebenserfahrungen zu machen, mehr Begegnungen mit dem Fremden, damit alle alles besser verstehen, mehr Weltwissen sammeln und Horizonterweiterung erleben.
Als ich 1966 meinen Job bei der renommierten Airline TWA kündigte, sagte mir mein Chef (der doppelt so alt wie ich war) herablassend: «Sie sind halt ein Träumer, naja, viel Glück damit …» Ich hatte ihm gesagt, dass ich auf Reisen gehen und Schriftsteller werden wolle. Ich kann euch nur empfehlen, Träume zu haben, auch wenn andere darüber ironisch lächeln. Es ist immer noch interessanter als ein nüchtern-pragmatisches Normleben. Träumer brauchen Selbstvertrauen, Mut und Zuversicht, um zu überleben. Doch sie haben die Chance, dass einer oder mehrere ihrer Träume Wirklichkeit werden – wenn sie ihre Kreativität fördern, authentisch bleiben und die Widerstände beharrlich überwinden. Wer wirklich Persönlichkeit hat, kann auf die Ratschläge mittelmässiger Pseudofreunde verzichten und seinen eigenen Weg gehen.
Ich wollte immer etwas Eigenes schaffen, das möglichst vielen Menschen Nutzen bringt und das möglichst lange Bestand hat, wenn möglich über meine Lebenszeit hinaus. Es ist gelungen – besser als ich einst erwarten konnte. Dank dem Unternehmer-Gen in mir – und dank dem besonderen Engagement und unermüdlichen Einsatz aller Mitarbeitenden, allen voran natürlich den Mitstreitern in der Geschäftsleitung, André Lüthi und Andy Keller, und den treuen Kaderleuten.
Das 50-jährige Jubiläum wird Globetrotter auf jeden Fall noch feiern, dafür garantiere ich. Für den Globetrotter Travel Service wird 2025 das 50. Jahr sein, für den Globetrotter Club wäre das schon 2024. Ein halbes Jahrhundert – in der heutigen Zeit grossartig! Doch auch eine solche Kontinuität benötigt Wandel … Zu den heutigen Backpackern gehören auch krawattentragende Banker mit dezenten Wolfskin- oder Patagonia-Tagesrucksäckli über dem Businessanzug.
Allen KundInnen sowie den Clubmitgliedern und Magazin-AbonnentInnen danke ich herzlich für ihre Treue über so viele Jahre; vor allem aber allen Mitarbeitenden, von denen viele bereits jahrzehntelang bei Globetrotter arbeiten. Mein herzlicher Dank gilt ebenso für Mitarbeitende und Kundschaft aller weiteren zur Globetrotter Group gehörenden Unternehmen, auch wenn sie ihren eigenen Kurs fahren (dürfen). Schon seit vielen Jahren fühle ich mich nicht mehr «nur» als «Globetrotter», sondern auch als «Globotrekker», «Globi-Magaziner», «Exploraner», «Transianer» und mit den Namen weiterer 20 Marken verbundener Weltentdecker.
Euch allen wünsche ich, dass ihr noch etliche weitere Jahre der auslaufenden goldenen Globetrotter-Epoche auf Reisen gehen könnt – ob per Rucksack (mit oder ohne Rädli), Koffer oder bloss Handgepäck. Und möglichst ohne die vermehrt auf uns zukommenden Probleme des Overtourism. Das, was wir erlebt haben, die grandiosen Erinnerungen von unseren Entdeckungsreisen der letzten Jahrzehnte, das sind die Highlights unseres Lebens. Die haben wir verinnerlicht und die kann uns niemand wegnehmen.
Zürich, Neujahr 2020
Globetrotter Walo Kamm
(Dieses Buch wurde «unplugged», also ohne Hilfe eines Ghostwriters geschrieben.)
Das eigentliche Ziel einer persönlichen Entdeckungsreise in die Welt hinaus ist nicht, noch «unbekannte» Destinationen zu sehen, sondern eine neue Sicht auf die Welt und sich selbst zu gewinnen.
›INTERVIEW: Selbsthilfe der Jet-Nomaden
›Eine neue Art des Reisens und eine neue Art Lebensunternehmer
›Zehn Fragen/Antworten zum Lebensweg von Walo Kamm
›Zur Holdingfirma Globetrotter Group AG gehörende Reiseunternehmen
›Unternehmen der Globetrotter Group
«Wenn ich mit einem echten Reisefan einen interessanten Nachmittag verbracht habe, ist mir egal, ob ich etwas verkaufe oder nicht. Ich lasse auch über die Preise mit mir reden. Wir sind ja kein Reisebüro und wollen um Himmels willen auch keines werden.»
Walo Kamm, 1978
Zeitspiegel 1978 – Bericht im Tages-Anzeiger (11. Mai 1978)
Rund 2000 Schweizer Reisefans im Globetrotter Club
Individuelles Weltenbummeln zu fördern und pauschalreisegewohnte Touristen zu emanzipieren ist das Anliegen des Globetrotter Clubs, dem schon rund 2000 SchweizerInnen angehören. Billigflüge und Bücher zu Schleuderpreisen, in Clubunterlagen reisserisch angepriesen, wecken zunächst Zweifel am erklärt unkommerziellen Charakter der Organisation. Beatrice Emmenegger hat im Gespräch mit Clubgründer Walo Kamm trotzdem mehr Idealismus als Geschäftssinn entdeckt.
Erfahrungsaustausch und Erziehung zu alternativem Reisen sind Hauptziele des Globetrotter Clubs, der, 1974 aus einer Stammtischrunde von Reisefans entstanden, immer grössere Ausmasse annimmt und in seiner Art wohl einzigartig ist. Nur als existenzsichernde Nebenaktivität zu werten ist, laut Gründer Walo Kamm, der Verkauf von Flugbilletten, deren Preise auch auf Linienflügen weit unter dem offiziellen Tarif liegen. Auf dem grauen Markt purzeln vor allem die Flugpreise in asiatische Länder, hingegen existiert die halb offizielle Billettbörse für Nordamerikaflüge nicht. USA-Destinationen sind aber durch normale Charterflüge schon so billig zu haben, dass auch sie ins Budget des Globetrotters passen.
Weltenbummler fliegen heute in ferne Länder, meist solche der «Dritten Welt», um von dort aus mit dem Rucksack ausgedehnte Entdeckungsreisen auf eigene Faust zu beginnen. Überhaupt haben sich die Zeiten für Individual- und Abenteuerreisende verändert. Walo Kamm, 36, ehemaliger Journalist und seit fast zwei Jahrzehnten Weltenbummler aus Überzeugung, glaubt: «Heute ist es praktisch unmöglich geworden, sich während der Reise durch Jobs jeweils das Geld für die nächste Etappe zu verdienen. Aber die Vorstellung mancher Leute, für einen sechsmonatigen Trip brauche man 20000 Franken, ist auch unsinnig.»
Weniger sehen, dafür gründlich
Die Welt ist nach wie vor für wenig Geld zu haben – nur muss man wissen, wie. Kamm: «Auf eigene Faust eine Reise nach, beispielsweise, Asien zu machen, ist billiger und bringt mehr als eine Pauschalreise im Programm eines normalen Reisebüros.» Hotels mit Air-Condition und Farb-TV im Zimmer sind für den Rucksacktouristen zwar nicht drin, aber saubere, einfache Unterkünfte, Speis und Trank nach Art des Landes und öffentliche Verkehrsmittel, deren Benützung auch den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung mit einschliessen, sehr wohl. «Das Traurige ist doch, dass die Masse der Normaltouristen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Verschiedenes sehen möchte, anstatt sich auf einen kleineren Raum zu beschränken, den aber gründlich kennenzulernen», ereifert sich Kamm.
Am liebsten möchte er die Reisegewohnheiten der ganzen Nation verändern und auch «Konservative» davon überzeugen, dass jeder ein Individualtourist sein kann. Das Alter spielt dabei keine Rolle. Kürzlich hat er für einen 80-Jährigen eine Asienreise zusammengestellt. Deshalb hat Walo Kamm den Globetrotter Club gegründet – in erster Linie ein Informationszentrum für alternatives Reisen, in zweiter Linie ein Dienstleistungsbetrieb in Sachen Fernweh. Wer noch selten auf eigene Faust ausserhalb Europas unterwegs war, kann sich in Kamms Büro am Rennweg 35 in Zürich beraten lassen. Er erhält neben Preisinformationen und Routenempfehlungen Adressen von guten Unterkünften sowie mancherlei Tipps aus der grossen Reiseerfahrung von Walo Kamm selber oder von andern Mitgliedern des Clubs. Und selbstverständlich Flugtickets und Globetrotter-Literatur.
Die Beratung ist auch für Nichtmitglieder unentgeltlich. Kamm ist nicht mal böse, wenn am Schluss doch kein Flug gebucht wird: «Wenn ich mit einem echten Reisefan einen interessanten Nachmittag verbracht habe, ist mir egal, ob ich etwas verkaufe oder nicht. Ich lasse auch über die Preise mit mir reden, wir sind ja kein Reisebüro und wollen um Himmels willen auch keines werden.» Wenn er einerseits Globetrottern oder solchen, die es werden wollen, auf seine Billigflüge noch Extrarabatt gibt, so verlangt Kamm andererseits von jenen, die es sich leisten können, mehr. Alles im Dienste des Alternativtourismus …
Eine Ausnahme vom Individualprinzip macht Globetrotter Kamm: Mit Gruppen bis zwölf Personen reist er alljährlich nach Ladakh (Westtibet). Dieses Gebiet ist touristisch noch unerschlossen, und öffentliche Verkehrsmittel, Unterkünfte und Möglichkeiten zum Einkauf von Nahrungsmitteln sind streckenweise überhaupt nicht vorhanden, sodass Individualreisende vor zu grossen Problemen stünden. Allerdings achtet Kamm auch auf dieser Reise darauf, dass die Teilnehmer «drauskommen» – andere nimmt er gar nicht erst mit.
Da bekanntlich einer, der eine Reise tut, auch etwas erzählen kann, sind die Clubabende, die periodisch stattfinden, immer rege besucht. Der gerade sesshafte Teil der rund 2000 Mitglieder trifft sich zum Gespräch, zum Erfahrungsaustausch und zu Diavorträgen verschiedener Clubangehöriger.
Auf eine eigentliche Gestaltung der Abende wird bewusst verzichtet; organisierte Diskussionen sind nach Ansicht Kamms ohnehin «verkrampft und fruchtlos». Auch Kontakte sollen sich spontan ergeben, was jedoch für neue und scheuere Mitglieder nicht immer einfach ist. Susie W., die seit einem halben Jahr dabei ist: «Manchmal habe ich das Gefühl, dass viele gar nicht angesprochen werden wollen und lieber in den neuen Broschüren und Büchern blättern.» Der Globetrotter-Mentalität entsprechend erstaunt betonter Individualismus selbst an Clubabenden allerdings nicht.
Alle paar Wochen erhalten die Mitglieder «Club-News» mit Informationen über Neuerscheinungen auf dem Globetrotter-Literaturmarkt und Hinweisen auf Flugangebote. Auch Reiseberichte und Tipps von Mitgliedern werden veröffentlicht; zudem können in Gratisanzeigen Reisepartner gesucht werden.
Die Mitgliederbeiträge, 20 Franken im Jahr, decken höchstens einen kleinen Teil der Clubspesen. Das meiste muss durch den Verkauf der Flüge hereinkommen, denn auch der Bücherhandel bringt kaum etwas. Trotzdem würde Walo Kamm schon heute auf die kommerzielle Seite des Clubs verzichten: «Ich möchte viel lieber endlich all die Bücher über meine Reisen schreiben, als den ganzen Bürokram zu erledigen. Aber solange es den Club noch gibt, muss ich schauen, dass wir zumindest nicht defizitär sind.»
Porträt eines Aussenseiters und Weltenbummlers, der auf abenteuerlichen Wegen zum Multi-Unternehmer und Überflieger der CH-Reisebranche wurde.
Von Georg Weber und Walo Kamm
Bereits die ersten vagen Hinweise auf den Zugang nach Zanskar klangen, als seien sie einer Sage entnommen. Um in das bisher unbekannte und verbotene Bergland im tibetischen Kulturraum zu gelangen, hätte man wochenlang eine kaum bewohnte Bergwüste zu Fuss überwinden müssen, im Sommer über hohe Pässe, im Winter unter Lebensgefahr auf einem teilweise zugefrorenen Fluss – es gab dort im Jahr 1975 noch keinen Strassenzugang.
Für den 33-jährigen Walo Kamm, der damals das zuvor als militärisches Sperrgebiet unzugängliche Ladakh («Kleintibet») als einer der ersten Besucher bereiste, war es eine unwiderstehliche Versuchung, noch weiter bis in das völlig entlegene Zanskar vorzudringen: «Mit seiner Weltferne, seiner Zeitlosigkeit und den friedvollen buddhistischen Bergklöstern kam das ehemalige Fürstentum im Himalaya dem mythologischen Shangri-La sehr nahe.»
Welche Schwierigkeiten bei dem Vorhaben zu überwinden waren, zeigen schon nüchterne Zahlen: Der tiefste Punkt des Gebiets liegt auf 3500 m ü. M. und die Berge reichen bis in Höhen von 7000 m. «Sechs Wochen war ich bei der Zanskar-Durchquerung unterwegs, ging durch Schluchten und über Seilbrücken, vorbei an weidenden Yaks und an Häusern, die wie Schwalbennester an Felsen klebten», erinnert sich Kamm. «Es waren die Dörfer und Klöster einer gebirgigen Wüste, in denen sich das Leben in vielen Teilen wie vor tausend Jahren abspielte. Die Einwohner trugen die traditionelle Tracht aus bunten, selbst gewebten Wollstoffen. Überall flatterten Gebetsfahnen im Wind – buddhistische Symbole, die Glück unter die Menschen bringen sollen.»
Zehn Tage Mühsal waren es nur schon bis zum Hauptort Padum, wo Walo Kamm von der Spalier stehenden Bevölkerung mit einer Mischung aus Neugier und Furcht fast wie ein Alien bestaunt wurde. In den Klöstern gab es herzlichere Empfänge. Bilder zeigen ihn inmitten rot gekleideter buddhistischer Mönche: Zum Willkommen reichte man ihm Buttertee und Tsampa, die lokale Basisnahrung aus geröstetem Gerstenmehl. Die Besuche waren für beide Seiten ein Erlebnis.
«Vor mir war der letzte Europäer, ein ungarischer Forscher, im Jahr 1826 in dem Gebiet gewesen», erklärt Kamm. «Offiziell ist Zanskar zwar ein Teil Indiens. Doch Regierungsvertreter aus Neu Delhi hatten sich zur Zeit meines Besuches noch nie gezeigt. In Padum hielt sich gelegentlich ein Offizier aus dem indischen Teil Kaschmirs auf – die einzige Englisch sprechende Person in Zanskar.»
Walo Kamm war nicht nur auf der Suche nach neuen Eindrücken aufgebrochen, sondern auch als ein Mann, der lebendige Reportagen zu schreiben vermochte. Der grosse Bildbericht, den er nach seiner Rückkehr für das Tages-Anzeiger-Magazin verfasste, löste ein enormes Echo aus: «Auf Schritt und Tritt sprachen mich Interessierte darauf an.» Nicht nur Kamms Reisereportagen, die sich bei dem gerade erst beginnenden Trekking-Trend in allen Kontinenten ergaben, auch die soziokulturellen Bildberichte, die er in den Jahren zuvor veröffentlicht hatte, waren auf aussergewöhnliche Resonanz gestossen, unter anderem über das Volk der Toraja auf der indonesischen Insel Sulawesi; die Bewohner pflegen einen spektakulären Totenkult mit grandiosen Begräbnisfesten und aufwendigen Grabbeigaben. Interesse riefen im Jahr 1968 erst recht die Eindrücke von der thailändischen Insel Ko Samui in ihrer touristischen Unberührtheit – Kamm und seine Freundin waren die zwei einzigen Fremden auf der Insel! – und mit ihren Millionen von Palmen hervor: Dressierte Affen halfen beim Einbringen der reifen Kokosnüsse. Walo Kamm: «In vielen Gebieten, die heute bekannte touristische Ziele sind, gab es zu ‹meiner› Reisezeit noch praktisch keinen Tourismus.»
Eintritt in andere Welten
Walo Kamm hatte schon vor seinen grossen Fotoreportagen einen Umbruch in seinem Leben vollzogen. 1966 hatte er eine gute Arbeitsstelle aufgegeben, um sich ganz dem Reisen zu widmen. Seine manchmal jahrelang dauernden Streifzüge führten ihn rund um die Erde. Er lernte die unterschiedlichsten Lebensumstände kennen. Leere und rauschhafte Vielfalt, Armut und Reichtum, Dauerhaftigkeit und Veränderung, Stille und Umtriebigkeit wechselten sich ab. Fast an jedem Ort ergaben sich leicht Kontakte, begegneten ihm Menschen mit völliger Unvoreingenommenheit. Der bärtige Mann aus der Schweiz erweckte Neugier, stiess auf Fragen nach seiner Lebensweise und nach seinen Ansichten. Die finanzielle Unsicherheit, die mit der neuen Freiheit verbunden war, kümmerte ihn wenig. Es schien, als hätte jemand ein Tor geöffnet und den Weg in eine weite und sonnige Landschaft freigegeben.
Hinter Walo Kamm lag eine Jugend, die mit intensiven Eindrücken verbunden war, die aber auch ein Gefühl der Unbehaustheit zurückgelassen hatte. Über die Fragen, wie das Leben anzugehen sei, herrschte im Elternhaus der frommen Kirchgänger eine permanente Disharmonie. Von den dogmatischen religiösen Zwängen mussten sich Walo und seine Schwester in mühsamen Prozessen befreien. Kontroversen entzündeten sich immer wieder daran, ob das Glück in einem Rückzug ins Eigenbrötlerisch-Private läge oder ob es sinnvoll wäre, Unbekanntes zu erkunden und dadurch im Leben weiterzukommen.
Walo Kamm: «Jede von den vier Personen der Familie lebte in ihrer eigenen Welt; die Bedürfnisse der Kinder wurden von den Eltern kaum beachtet. Liebe, Zärtlichkeiten und freudvolle Freizeitaktivitäten waren unbekannte Aspekte. Die Schwester heiratete mit zwanzig einen indianischen Bolivianer, bekam ein Kind und wanderte nach Südamerika aus. Ich selber hatte laufend gute Gründe, um zu rebellieren – gegen die naiv-unwissenden Eltern, die heuchlerische Kirche, die prügelnden Lehrer, die skurrile Verwandtschaft, das repressive Militär, die schikanöse Obrigkeit, die schnüffelnde Fichenbehörde, die aggressive Polizei …»
Zwischen Stadt und Land
Zum Mangel an Gesprächen und Erziehung kamen bedrängte materielle Verhältnisse. Der Vater, ein grosser Pflanzenfreund, musste während der grossen Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren seine Einmann-Gärtnerei aufgeben und sich als Lagerist verdingen. Nebenbei baute er Rhabarber, Beeren und Blumen an, um sie auf den Märkten Zürichs zu verkaufen. Die Mutter verdiente als Putzfrau ein bescheidenes Zubrot. Der Vater hatte autistische Züge, sprach kaum je – die Mutter das Gegenteil: Mit ihrem schwachen Nervenkostüm gab es viele krachende Szenen wie Vulkanausbrüche. Das Einkommen war denkbar gering. «Das Haushaltsgeld war so knapp, dass es Fleisch nur am Sonntag gab», erzählt Kamm. «Und statt neuer Kleidung bekam ich bloss die ausgetragenen Klamotten und Schuhe meiner älteren Cousins. Die nötigen Gebrauchsgegenstände kamen aus zweiter Hand. Spielsachen oder Sportgeräte gab es nie. Ich wuchs ohne Telefon, Radio und Fernsehen auf, ohne Auto, Zentralheizung oder Kühlschrank. Taschengeld war ein unbekanntes Fremdwort.»
In dem Gebiet zwischen Stadt und Land, geografisch isoliert vom Quartierleben, wo die Eltern gleich nach dem Zweiten Weltkrieg in Zürich-Affoltern ein dürftig gebautes Reihenhaus erworben hatten, hatte sich in den ersten zwei Nachkriegsjahrzehnten eine ländliche Szenerie erhalten: «Nur wenige Schritte entfernt lagen Kuhweiden und Äcker sowie ein Wald, vor dem abends Rehe ästen.»
Bei einer Bauernfamilie in der Nähe, wo Walo Kamm als Halbwüchsiger beim Heuen, bei der Kirschernte, beim Kühe hüten oder beim Putzen der Runkelrüben half, fühlte er sich wohler als im Elternhaus. Das innerlich ohnehin zerstörte Pseudo-Idyll wurde aber zusätzlich durch direkte Nachbarn vermiest, die immer wieder Schreckenstaten begingen, sodass die Polizei oft einschreiten musste.
Die kargen Lebensumstände der Familie hatten aber auch für die Kinder weitreichende Folgen. Die Eltern, die nie an Veranstaltungen gingen oder in die Ferien reisten und kein einziges Mal im Ausland waren, schickten den Sohn im Sekundarschulalter und während der kaufmännischen Lehre kurzerhand auf Baustellen, wo er in den Ferien als Hilfsarbeiter etwas Geld für den Kauf von Kleidern oder für das am Stadtrand dringend notwendige Fahrrad verdienen konnte. Ungeachtet der harten Umstände (2 Franken Stundenlohn) konnte der Bursche etwas sparen, um sich kleine Freiräume zu schaffen: «Schon damals war ich neugierig auf die unbekannte Welt ausserhalb der Katzenseegegend, wollte mit eigenen Augen sehen, was hinter dem nächsten und übernächsten Horizont ist.»
Frühe Herausforderungen
Bereits beim ersten Abstecher ins Ausland gab es Ereignisse, mit denen Walo Kamm nicht gerechnet hatte. Als 16-jähriger Lehrling war er mit einem Sportsack, einem Reservehemd und sehr wenig Geld nach Paris aufgebrochen. Was er in der Tasche hatte, reichte nicht für Hotelübernachtungen. Der Weltentdecker-Neuling versuchte sich anders zu behelfen. Am Ufer der Seine sah er nachts eine alte Matratze liegen. Übermüdet und unerfahren legte er sich schlafen und bemerkte nicht, dass sich nach einiger Zeit Schatten um ihn herum bewegten.
Am Morgen fehlte alles: Portemonnaie, Uhr, Sportsack. In der harten Realität aufgewacht, dachte der Weltenbummler-Lehrling aber keineswegs ans Aufgeben. Er meldete sich auf der Schweizer Botschaft und bat um ein bescheidenes Darlehen, um sich doch noch ein paar Tage Paris ansehen zu können, versprach eine Rückzahlung in der Schweiz. Die zuständigen Beamten wollten davon nichts wissen: Er habe unverzüglich in die Heimat zurückzukehren, wurde ihm barsch beschieden. Noch hatte er aber nichts gesehen und wandte sich vom Schalter ab.
«Als ich halb verzweifelt und mit verweinten Augen im Foyer herumstand, wurde ein Herr, der eben eingetreten war, auf mich aufmerksam, sprach mich an und fragte nach meiner Geschichte», erinnert sich Kamm. «Ohne dass ich darum gebeten hätte, gab er mir als Nothilfe 20 Franken – ein ordentlicher Batzen bei einem Lehrlingslohn von 100 Franken im Monat. Bei dem Herrn mit dem besonderen Mitgefühl handelte es sich um den Diplomaten Dr. Emil Stadelhofer, Schweizer Vertreter bei der OECD. Mit Interesse habe ich seine spätere Karriere verfolgt: Als Schweizer Botschafter in Kuba vertrat er während der Krisenzeit auch die Interessen der USA und heckte mit Staatschef Fidel Castro bei privaten Gesprächen in Havannas Nachtcafés weltpolitisch wichtige Lösungen aus.»
Die Nothilfe, die der Gestrandete erhalten hatte, verwendete dieser aber weder für Essen noch Übernachtung, sondern ausschliesslich für Métro-Billets und Eintrittskarten: für den Louvre, den Eiffelturm und Ähnliches. Noch vier Tage lang nächtigte er unter Brücken; gegen den Hunger fischte er Sandwichreste aus Abfallbehältern und trank Wasser von Brunnen. Für die Rückfahrt streckte die Botschaft schliesslich das Geld vor, wenn auch nur sehr widerwillig.
Das Erlebnis am Seineufer dämpfte Walo Kamms Reiselust keineswegs. In den folgenden Sommern bereiste er per Autostopp andere Länder Europas, und ein paar Jahre später fuhr er zusammen mit einem Kollegen, der einen VW Käfer besass, rund ums Mittelmeer und durchquerte in zwei Monaten 15 Länder. Nebst Kennenlernen von alten Kulturen beinhaltete das auch etliche deftige, exotische Abenteuer.
Mehrere mögliche Lebenswege
Auf eine bestimmte Richtung im Leben wollte sich Walo Kamm noch keineswegs festlegen. Nach der Lehre und Rekrutenschule sammelte er Erfahrungen an verschiedensten Stellen, bei einer Grossbank in der Nummernkonto-Abteilung («Geldwäscherei») ebenso wie in einer Grossbäckerei, als Inserate-Akquisiteur oder als Speditionsgehilfe im Nachtdienst einer Zeitungsdruckerei. Er wanderte in Zürich auch als Sandwichmann herum, als mobile Plakatsäule. Raue, abenteuerliche Sitten herrschten in Redaktion und Fotoarchiv der Agentur Filmpress und auch bei den Ausseneinsätzen des Manager-Journalisten, der vom Filmfestival Locarno 1962 als Pressechef angeheuert worden war: Der Alkohol floss in Strömen, junge Russinnen gewährten ihre Gunst freizügig, und in der Filmjury kam es zu ständigen Intrigen. Schliesslich flogen beide in hohem Bogen raus – der Pressechef vom Festival und sein Assistent Walo Kamm vom Filmpress-Job.
Die Aussicht auf günstige Flugtickets veranlassten Kamm schliesslich dazu, einen Job als Junior Accountant bei der TWA Trans World Airlines in Zürich anzunehmen (Fr. 950.– Monatslohn). Jeder Angestellte hatte das Recht, für ein geringes Entgelt (zum Beispiel 4 Dollar bis Tel Aviv, 12 Dollar bis Hongkong) das Streckennetz zu benutzen. Kamm packte die Gelegenheit beim Schopf: «1964 flog ich durch die USA, ein Jahr später rund um die Welt, dann nach Ostafrika. Nur reichten die bloss drei Wochen Ferien pro Jahr niemals aus, die besuchten Länder wirklich kennenzulernen.»
Bereits Jahre zuvor hatte Kamm aber ein anderes Talent an sich entdeckt: das Schreiben. An Abenden und Wochenenden waren Kurzgeschichten und ein Romanfragment entstanden, die in der Literaturszene Beachtung fanden. Der Chef des Diogenes Verlags, Daniel Keel, war auf den Jungautor aufmerksam geworden, wollte einen Erzählband herausgeben und schickte Manuskripte an den NZZ-Feuilletonpapst Werner Weber. Also publizierte die angesehene Neue Zürcher Zeitung 1963 einen Text Kamms in der Rubrik «Junge Schweizer Autoren», neben Beiträgen anderer damaliger Neulinge wie Hugo Loetscher und Jürg Federspiel.
«Schon seit frühester Jugend faszinierte mich die Welt der Literatur und der Nachrichten», erklärt Kamm. «Zeitung zu lesen hiess für mich von der dritten Schulklasse an, mehr über die Welt und das Leben kennenzulernen.» Lange schwankte er zwischen verschiedenen Möglichkeiten hin und her. Sollte er sich voll dem Abenteuer Schreiben widmen? Oder die Karrierechancen in der biederen Bürowelt wahrnehmen?
Als 25-Jähriger kündigte Walo Kamm seine Stelle, ungeachtet einer anstehenden Beförderung zum Senior Accountant. Ein halbes Jahr las und schrieb er, verbrachte einen Sommer im Tessiner Ort Berzona als Nachbar der Schriftsteller Max Frisch und Alfred Andersch. «Doch ich spürte intuitiv, dass ich weg musste von der Schweizer Biedermann-Mentalität. Ich wollte die rauen Realitäten der ganzen Welt kennenlernen. Ich fühlte mich schon als junger Mensch als Weltbürger.»
Ab 1967 hielt er sich für mehrere Jahre meist ausserhalb Europas auf. Auf einer ersten Langzeitreise erkundete er samt Freundin grosse Teile Asiens, benutzte fast immer den Landweg, und kehrte nach acht Monaten und 20 Ländern mit der Transsibirischen Eisenbahn in die Schweiz zurück. Das journalistische Resultat war «Die Strasse nach Japan», eine sechsteilige Serie von Bildreportagen in der Annabelle, die zwölfseitige Bildreportage «Transsibirische Eisenbahn» in der Schweizer Illustrierten sowie Bildreportagen «Wo der Gottkönig im Exil lebt» (Besuch beim Dalai Lama) und «Der abenteuerliche Weg nach Angkor» in der Weltwoche.
Das nächste Ziel war Lateinamerika: Kamm reiste mit seiner (neuen) Freundin von Mexiko bis Feuerland meist per Autostopp, übernachtete bei Missionaren, auf Haziendas und in Billigstherbergen. In Chile und Argentinien nutzten sie eine Besonderheit: «Ich fand heraus, dass man überall bei den bomberos, der Feuerwehr, unentgeltlich übernachten konnte.»
Unter Filmern und Freaks
In Peru kam es Anfang 1970 zu ungewöhnlichen Begegnungen, als Walo Kamm in der Stadt Cuzco erfuhr, dass der Schauspieler und Regisseur Dennis Hopper – bekannt durch seinen Film Easy Rider – im Indiodorf Chinchero auf 3800 m ü. M. sein zweites Werk, The Last Movie, drehen werde. Kamm wurde gleich als Handwerker für den Aufbau eines Westerndorfes engagiert, danach als Assistent des Requisiteurs und Allround-Aushelfer. «In den drei Monaten mit den sehr freakigen, drogenfreudigen Mitgliedern der Filmcrew lernte ich weitere Hollywood-Stars kennen, die das wilde Anden-Abenteuer auskosteten: Peter Fonda, Jim Mitchum, Michelle Phillips, Sylvia Miles und andere. Besonders fiel mir ein angenehm-ruhiger Typ mit Gitarre auf, der hier mehrere Songs, darunter Me and Bobby McGee, komponierte und abends mit der Filmclique einübte – es war niemand anderes als der spätere Weltstar Kris Kristofferson. Einige der Originalmanuskripte habe ich bis heute aufbewahrt», erzählt Kamm.
Auch mit dem coolen Inka-Archäologie- Abenteurer Gene Savoy, dem realen Vorbild für den späteren Filmhelden Indiana Jones, freundete er sich in Cuzco an.
Nach Lateinamerika und einer bald folgenden zweijährigen Weltreise schrieb Kamm weiterhin seine Bildreportagen: über Erdbebenfolgen und Entwicklungshilfe, über die höchsten Arbeitsplätze der Welt in einem Schwefelbergwerk auf 6000 m ü. M. auf einem Vulkangipfel, die erste touristische Antarktisreise 1970 sowie eine Serie über sein mehrmonatiges Anden-Amazonas-Abenteuer von der Quelle bis zur Mündung. Was er in seine mechanische Hermes-Schreibmaschine tippte, fand nicht nur den Weg in Zürcher Redaktionen, sondern gelegentlich auch in ausländische Zeitschriften.
Botschafter des Natürlichen
Langzeitreisen zu unternehmen war ein Wunsch, in dem sich damals die Stimmung einer Epoche ausdrückte. Wer in den 1970er-Jahren zu weiten Fahrten aufbrach, suchte keinen Komfort, sondern Abenteuer, unverfälschte Eindrücke und ein rustikales Leben. Wenn für die Übernachtung in irgendeiner Stube ein Schlafplatz improvisiert wurde, war der Umstand keine Unvermeidlichkeit, sondern ein interessanter Teil des Erlebnisses. Kamm war einer der ersten Schweizer, der sich der neuen Art des Reisens verschrieb: Er nahm sich viel Zeit, machte sich mit Geschichte und Religionen vertraut und passte sich den lokalen Gegebenheiten an. Dafür ergab sich eine oft überwältigende Gastfreundschaft. Walo Kamm: «Am meisten schätzte ich einfache Mahlzeiten, oft nur eine Gemüsesuppe, oder im Himalaya Buttertee mit Gerstenmehl, die ich von Bauern oder in Klöstern erhielt. Zu opulenten Festessen liess ich mich nur von wohlhabenden Leuten einladen.»
Walo Kamm lernte unzählige andere Langzeitreisende kennen, fast alle waren jung und hatten wenig Geld. «Die neuen ‹Globetrotter› oder Alternativreisenden unterschieden sich aber nicht nur durch den Rucksack oder den unbegrenzten Zeithorizont von den ‹Touris›, welche Bequemlichkeit gewohnt waren, konventionelles Sightseeing suchten und in der Regel in einem höheren Alter und mit einem stattlichen Budget ihre Kulturreisen absolvierten», erläutert Kamm. «Mit dem Generationenwechsel stellte sich ein Bedürfnis nach ganz anderen Informationen ein.» Neben den Hinweisen auf lohnende Ziele wurde das praktische Wissen über erschwingliche Verkehrsmittel, günstige Unterkünfte und Traveller-Treffpunkte zur Voraussetzung für das Gelingen einer Reise als Weltenbummler.