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Walter Beutler

Mit dem Rollstuhl ans Ende der Welt

Walter Beutler

Mit dem Rollstuhl ans Ende der Welt

Meine Reise durch Indien

Mit freundlicher Unterstützung von:

ATEC Ing.-Büro AG, 6403 Küssnacht am Rigi, www.swisstrac.ch

Charisma Foundation, 9495 Triesen, Liechtenstein

C. & T. Marcolli-Stiftung, 4051 Basel

Ernst Göhner Stiftung, 6300 Zug, www.ernst-goehner-stiftung.ch

Schweizerische Stiftung für das cerebral gelähmte Kind, 3001 Bern, www.cerebral.ch

Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil, www.paraplegie.ch

Stiftung Denk an mich, 8042 Zürich, www.denkanmich.ch

Stiftung Felsengrund, 8704 Herrliberg

© 2016 Schwabe AG, Verlag Johannes Petri, Basel

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Margaret Reid

Umschlagbild: © Beat Schaub

Zeichnungen Vorsatz: Silvio Grimm

Lektorat: Satu Binggeli

Gesamtherstellung: Schwabe AG, Basel/Muttenz

ISBN 978-3-03784-105-1

ISBN ePUB 978-3-03784-123-5

ISBN mobi 978-3-03784-124-2

rights@schwabe.ch

www.verlag-johannes-petri.ch

Inhalt

Zum Geleit

Vorwort

Arlesheim, 5. Januar 2015

Flug Frankfurt–Chennai, 8. Januar

Fliegen mit dem Rollstuhl: kein Problem!

Ankunft in Chennai, 9. Januar

New Creation, 10. Januar

Auroville

New Creation, 13. Januar

Auromode, 14. Januar

Mein Freund, der Swiss-Trac

Auromode, 16. Januar

Familienausflug nach Tiruvannamalai

Arunachaleswara-Tempel

Ramana-Ashram

Auf dem Lande

Auromode, 22. Januar

Begegnungen – ein südindischer Bilderbogen

Zu Gast bei Murugan und Familie

Das freundliche Gespenst

Parkinson in reichem Hause

Die Prostituierte aus Assam

Auromode, 2. Februar

Darshan im Sri-Aurobindo-Ashram, Pondicherry

Sri Aurobindo und Mirra Alfassa

Sri Aurobindo (1872–1950)

Mirra Alfassa (1878–1973)

Pessoa in Südindien

Auromode, 3. Februar

Auromode, 5. Februar

Auromode, 6. Februar

Der Lebensbaum

Zur Botanik

Auromode, 7. Februar

Auroville – quo vadis?

Ein Traum wird Wirklichkeit

Matrimandir: weder Tempel noch Kirche

Hoher Anspruch …

… widersprüchliche Realität

Mit dem Taxi unterwegs: das Mittel erster Wahl

Thanjavur, 9. Februar

Tausend Jahre alter Tempel

Die Glöckner von Chidambaram

Madurai, 10. Februar

Madurai, 11. Februar

Thekkady: Erste Bergstation – und ein blaues Auge

Fahrt durch eine Orgie in Grün

Touristenfalle Thekkady

Mit blauem Auge davongekommen

Was für ein Schicksal wurde da in Gang gesetzt?

Duschen in Indien: oft einfacher als in Europa

Fort Kochi, 14. Februar

Kuzhupilly, 18. Februar

Reisen mit persönlicher Begleitung: Unmögliches wird möglich

Gabi und Beat

Berge, Dschungel, Tee

Tee …

… Dschungel …

… Berge

Kuzhupilly, 1. März

Ernakulam–Delhi–Varanasi, 3.–5. März

Reisen im Zug: schwierig bis unmöglich

Varanasi

Wie eine Halluzination

Wo die Toten verbrannt werden

Varanasi, 11. März

Kiran Village

Varanasi, 16. März

Delhi, 19. März

Entlang der Gleise

Wo real India ausgesperrt ist

Mussoorie, 22. März

Pushkar, 26. März

Indien wie im Märchen: Rajasthan

Paläste und Kamele

Der Palast der Winde

Delhi, 29. März

Dank

Zum Geleit

Guido A. Zäch

Der Mensch findet im Kopf und im Herzen statt, nicht in den Armen und Beinen, versuchte ich als Arzt meine Patienten zu trösten, die plötzlich durch Unfall oder Krankheit gelähmt wurden. Die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit, vor allem die Hilflosigkeit, belasten das persönliche Selbstwertgefühl schwer. Das Wiedererlangen der Mobilität und einer grösstmöglichen Selbständigkeit ist das Ziel sinnvoller Rehabilitationsmassnahmen.

«Volle Teilhabe und Gleichheit in unserer Zeit und Gesellschaft» hat die UNO zum Jahr des Behinderten 1981 gefordert. Einiges ist erreicht worden seither, bis zur Chancengleichheit ist noch ein langer Weg vor uns.

Walter Beutler ist für Menschen mit einer Behinderung ein beispielhafter Mutmacher. Zwei Jahre vor Einführung der Invalidenversicherung hat er 1958 eine Kinderlähmung erlitten, hat seine Kindheit im Spital verbracht, später im Schulheim für körperbehinderte Kinder. Im Rollstuhl hat er ab 2009 dank mutigem Herzen und klarem Geist Reisen bis ans ‹Ende der Welt› gewagt und seine Erlebnisse aufgeschrieben. Für viele Rollstuhlfahrer, aber auch für Fussgänger, ist er damit ein leuchtendes Beispiel.

Guido A. Zäch

Ehrenpräsident der Schweizer Paraplegiker-Stiftung

Vorwort

Keine Frage: Die Erde ist rund. Wenn ich im Titel dieses Buches behaupte, mit dem Rollstuhl bis ans Ende der Welt gekommen zu sein, so ist das also eine leichte Übertreibung. Aber nur eine leichte. Man möge sie mir verzeihen! Und man möge bedenken, dass das Ende der Welt für die einen näher und für die anderen weiter weg ist! Für die einen endet die Welt hinter dem Hügel, dort, wo die Dorfstrasse eine Kurve nimmt und im Wald verschwindet. Und für die anderen endet sie hinter der nächstgelegenen Stadt oder an der Landesgrenze. Für wieder andere endet die Welt erst irgendwo in der unvorstellbaren Weite jenseits der Sterne.

Meine Welt hatte, als ich jung war, enge Grenzen, die der Rollstuhl diktierte. Das beflügelte meine Vorstellungskraft, weckte meine Fantasie – aber auch ein unbändiges Fernweh. Irgendwo da draussen, vielleicht gleich hinter jenen Hügeln am Horizont mussten Geheimnisse liegen, die es zu entdecken galt. Sobald es mir möglich wäre, würde ich dorthin aufbrechen.

Inzwischen habe ich manche Gegenden dieser Welt bereist, manche Geheimnisse entdeckt. Und das Ende der Welt, mein Ende der Welt rückte immer weiter weg. Bis nach Indien, das für mich der Inbegriff des Geheimnisvollen, ja Mystischen war. So reiste ich vor wenigen Jahren ein erstes Mal in dieses Land, so gross wie ein Kontinent und so verwirrend und vielfältig, als wäre es ein eigener Planet. Ich reiste auf eigene Faust und nicht zuletzt, um die Grenzen meiner Welt zu überschreiten. Inzwischen bin ich ernsthaft infiziert vom Indienvirus und mehrere Male dort gewesen. Das vorliegende Buch beschreibt meine Reise im Winter 2015. Selbstverständlich bin ich auch dieses Mal nicht an ein Ende der Welt gelangt. Die Erde ist eben doch rund.

Allerdings stiess ich auf dieser Reise durch Indien mehrere Male an Grenzen, an meine eigenen, aber auch an Orte und Umstände, die mein bisheriges Indienbild erschütterten und insofern einen Wendepunkt darstellten. Das Ende einer Welt eben. Etwa in Varanasi, der heiligen Stadt am Ganges, eines der wichtigsten Ziele meiner Reise in den Norden Indiens: Dort sah ich im Strassengraben einen Mann, der im Sterben lag, gebettet auf Abfälle und von den Fliegen bereits in Besitz genommen. Doch das Leben in der Strasse ging einfach weiter. Kaum jemand beachtete ihn. Niemand kümmerte sich um ihn.

Oder jenes Dorf etwas ausserhalb von Varanasi: einfache Lehmhäuser, erbaut auf einer sandigen Klippe über den Ufern des Ganges. Das Hochwasser des nächsten Monsuns würde die Klippen weiter unterspülen und damit das Dorf in Gefahr bringen, so dass in absehbarer Zukunft hier kein Leben mehr möglich sein wird.

Dann die unzähligen Trabantenstädte um Delhi, die wie zyklopische Mahnmale in den Himmel ragen – alle noch im Bau befindlich, dreissig-, vierzigstöckig – und wirken, als hätten sie die Katastrophe bereits hinter sich. Wohin gehst du, boomendes Indien? Ist menschliches Leben hier überhaupt möglich?

Ich bin also gleich in mehrfacher Hinsicht an Grenzen, an eigene und an ein ‹Weltenende› im übertragenen Sinne, gestossen. Man möge mir deshalb die leichte Übertreibung im Titel des Buches verzeihen. Ich bin eher Poet denn Journalist. Und die wunderbaren Seiten Indiens, die Herzlichkeit der Menschen, die faszinierende Vielfalt der Kultur, die in Indien wie nirgendwo sonst an die Ursprünge des Menschseins anknüpft, auch die hellen Seiten Indiens kommen in diesem Reisetagebuch gebührend zu Wort.

* * *

Das Buch besteht, bildlich gesprochen, aus drei Textschichten: Die unterste Schicht bilden die Journaleinträge. Sie sind gleichsam das Stützgewebe, auf dem Betrachtungen und Reflexionen zum Gesehenen und Erlebten lagern. Diese sind grün übertitelt. Schliesslich, gestalterisch etwas abgesetzt und mit blauen Titeln, sind in knapper Form sachbezogene Erklärungen eingestreut, wo das zum Verständnis nötig ist, sowie einige wenige Hinweise für Rollstuhlfahrer und -fahrerinnen, die ins Auge fassen, Indien zu bereisen. Ich hüte mich, davon abzuraten.

Walter Beutler, im Mai 2016

Arlesheim, 5. Januar 2015

Bald ist es soweit. In drei Tagen frühmorgens geht der Flug von Frankfurt nach Chennai, dem ehemaligen Madras, an der Ostküste Südindiens. Einen Tag vorher reise ich mit dem Zug von Basel nach Frankfurt und übernachte in einem der Hotels auf dem Flughafengelände. Gepackt habe ich das meiste – und ausprobiert, ob auch alles hinhaut: wie ich den Koffer auf dem Swiss-Trac, meinem Rollstuhlzuggerät, am besten festzurre. Der Koffer ist klein, wirklich klein und darf nicht schwer sein, da ich ihn sonst nicht hochheben kann. Ich muss mich autonom bewegen können. Den Koffer tragen oder hinter mir herziehen ist nicht möglich. Alles muss bis ins Detail durchdacht sein. Sonst kann ich das Reisen auf eigene Faust vergessen.

Nicht zum ersten Mal in diesen Tagen frage ich mich, weshalb ich mir das alles antue. In der Zeit, als ich das Flugticket kaufe, die Unterkunft in Auroville organisiere, ist die Reise noch ein ziemlich abstraktes Vorhaben, ein administrativer Vorgang. Man kann sich darauf freuen und davon träumen – nicht zuletzt weil alles noch weit weg ist. Doch der Tag der Abreise kommt unerbittlich. Und je näher er rückt, umso mehr kommt Ängstlichkeit auf, und das Sorgenbarometer steigt. Der Gedanke, das Ganze abzubrechen und stattdessen drei gemütliche, stressfreie Monate zu Hause zu verbringen, taucht unwillkürlich auf. Man könnte verzagen ob all der Möglichkeiten, dass etwas schiefläuft. Doch diese Stimmung kenne ich von früheren Reisen. Sobald es wirklich losgeht, löst sie sich auf wie Nebelreste am Morgen.

Reisen ist Schrumpfen und sich wieder Ausdehnen. Das Schrumpfen beginnt mit den Reisevorbereitungen, dem Abschiednehmen und erreicht seinen Höhepunkt beim Packen. Im Moment der Abreise bin ich reduziert auf mein Gepäck, meinen Rollstuhl, den Trac – und mich. Vielleicht ist es das, was ich so liebe am Reisen: die Beschränkung auf das Wesentliche. Ganz praktisch gesehen ist es schlicht das, was ich wirklich brauche, um reisen zu können: ein paar Kleider, ein paar Bücher, Seife und so, Geld auch. Ach ja, und Ersatzschläuche für den Rollstuhl.

Und wenn ich angekommen bin, dehne ich mich wieder aus, vielleicht nicht ganz so wie zu Hause und je nach Aufenthaltsdauer mehr oder weniger.

Flug Frankfurt–Chennai, 8. Januar

Der grosse Teil einer Flugreise besteht aus Warten. Offenbar muss die hohe Reisegeschwindigkeit mit Warten erkauft werden. Doch nun bin ich endlich unterwegs. Mit mir fliegen zu einem guten Teil Inder und Inderinnen und Tamilen und Tamilinnen. Klar unterscheiden kann ich sie nicht.

Ich habe schlecht geschlafen und bin müde. Das Hotel ist zwar sündhaft teuer, aber in seiner Art fast unerträglich: lange, düstere Korridore mit Spannteppich, hochflorig, ein Horror für Rollstuhlfahrer und das Putzpersonal. Enge Zimmer ohne Tageslicht. Dafür ist alles dimmbar. Das Frühstück hätte zusätzlich 35 Euro gekostet. Das liess ich dann bleiben, war aber ziemlich verärgert und fühlte mich über den Tisch gezogen.

Das ganze Gebäude, der sogenannte ‹Square›, in dem sich das Hotel befindet, ist Teil des Flughafens, so dass der Abflugterminal in Geh- beziehungsweise Rolldistanz liegt. Dieser Square ist riesig und in seiner Erscheinung unglaublich kalt: eine imposante Glanz- und Warenwelt mit überdimensionierten, nicht mehr auf den Menschen zugeschnittenen Hallen und Foyers aus glänzend schwarzem Marmor – und ganz ohne Leben. Eine Maschinenwelt des 21. Jahrhunderts, mit viel Geld hinterlegt, aber ohne jeglichen Sinn ausserhalb des Aktes von Kaufen und Verkaufen. Ist das unsere Zukunft?

Fliegen mit dem Rollstuhl: kein Problem!

Nichts ist einfacher, als mit dem Rollstuhl von A nach B zu fliegen, vorausgesetzt man hat sich beim Buchen als Rollstuhlfahrer angemeldet. Wenn du eincheckst, beginnt eine Sonderroutine für Menschen mit Behinderung, die erst zu rattern aufhört, wenn dich das System am Zielort wieder ausspuckt, in der Regel nach der Gepäckausgabe. Die Routine rattert perfekt, ganz ohne dein Zutun. Manchmal fühlt sich das an, wie wenn man selbst ein Gepäckstück wäre …

Am liebsten sind mir Direktflüge. Dann habe ich meinen eigenen Rollstuhl unter Kontrolle. Mit diesem fahre ich unmittelbar zum Einstieg ins Flugzeug. Von da weg wird er als eines der letzten Gepäckstücke eingeladen und am Zielort als eines der ersten wieder ausgeladen, so dass ich dort in den eigenen Rollstuhl steigen kann. Der Transport von Rollstuhl und Swiss-Trac kostet übrigens nichts, da sie für deine Fortbewegung unerlässlich sind. Bei Billigfluglinien ist es meines Wissens anders, zumindest für den Trac, der als Sperrgut gilt und mit seinen knapp siebzig Kilogramm auch ganz schön schwer ist.

Man sollte unbedingt die Bestätigung des Swiss-Trac-Herstellers, dass es sich bei den Batterien um Trockenbatterien handelt, mitnehmen. Nassbatterien werden aus Sicherheitsgründen beim Check-in zurückgewiesen.

Es ist deutlich einfacher, mit dem Rollstuhl von Europa nach Indien zu fliegen als umgekehrt. Man merkt, dass das indische Bodenpersonal den Umgang mit dem Rollstuhl – und mit den Menschen, die darin sitzen – weniger gewohnt ist. So war es mir in Delhi trotz Insistierens nicht möglich, im eigenen Rollstuhl bis ans Gate zu fahren – angeblich aus Sicherheitsgründen.

Ankunft in Chennai, 9. Januar

Zwei Tage einer Reise hinter mir, die wie am Schnürchen geklappt hat. Ich wurde von Mensch zu Mensch, von Helfenden zu Helfenden weitergereicht, ohne die ich in Basel nicht einmal in den Zug hätte einsteigen können. Und diese Kette hat bis nach Südindien gehalten, tadellos, absolut verlässlich. In Deutschland lag das wohl an der perfekten Organisation der Deutschen Bahn. Im Zug nach Frankfurt sah ich an meinem Platz gar eine kleine digitale Anzeige leuchten: Basel, 1 Rollstuhlfahrer. In Indien war es dann wohl eher Gottes Hilfe, welche die Kette nicht abreissen liess – oder der Zufall …

Die Ankunft in Chennai ist das Anstrengendste an der ganzen Reise. Das war noch immer so. Es ist kurz nach Mitternacht; verglichen mit dem Klima bei der Abreise ist es ganz schön warm. Da wirst du in eine völlig andere Welt katapultiert. Und was machst du als Erstes? Du füllst ein Formular aus. Nein, deren zwei. Um diese ausfüllen zu können, muss man sämtliche Reisedokumente konsultieren: Passnummer, Flugnummer, Telefonnummer des Hotels oder Guest House usw. müssen angegeben werden. Dies hat zwischen dem Ausstieg aus dem Flugzeug und der eigentlichen Einreise zu geschehen. Und nirgendwo gibt es eine Ablagefläche zum Schreiben, schon gar nicht für einen Rollstuhlfahrer.

Zugleich schiebt dich ein Tamile, der zu deiner Begleitung abberufen worden ist und kein Englisch versteht, in rasendem Tempo durch den weiträumigen, blitzblanken Ankunftsbereich. Er will nicht mit Schieben aufhören, weil er deine Beteuerungen nicht versteht, dass du es gewohnt bist, selber zu fahren, dass du eben zehn Stunden gesessen bist – und zwar nichts anderes als nur gesessen – und dass dir etwas Bewegung nun ganz gut tun würde. Er versteht dies schon sprachlich nicht – ich spreche kein Tamilisch –, aber hauptsächlich kann er nicht darauf eingehen, weil er nunmal den Auftrag gefasst hat, dich durch das Prozedere der Einreise zu schieben.

Es ist jedesmal dasselbe. Es sind dieselben Hindernisse und Reibungspunkte – und es klappt jedesmal auf dieselbe Weise und letztlich ohne grössere Probleme. Kein Grund zur Aufregung also! Die ideale Gelassenheitsübung, erst noch unter erschwerten Bedingungen. Denn ich habe zwei Tage Reise hinter mir und kaum geschlafen.

Komme ich endlich aus dem Flughafengebäude, so ist es fast wie ein Nach-Hause-Kommen. Hinter einer Abschrankung steht eine Menschenmenge bereit – hauptsächlich Einheimische –, um die soeben Angekommenen in Empfang zu nehmen. Auch auf mich wartet jemand: ein Taxifahrer, der ein Blatt Papier mit meinem Namen vor sich hochhält, damit ich ihn erkennen kann.

Bloss: Er ist bei weitem nicht der Einzige. So lese ich fleissig Plakätchen, während im Hintergrund die ersten südindischen Eindrücke auf mich einstürzen: eine feuchte Wärme trotz der fortgeschrittenen Stunde, Mitternacht ist längst vorbei; die Wärme ist begleitet von himmlischen und höllischen Düften von Jasmin bis Kuhdung, von schlecht verbranntem Diesel bis zum verführerischen Duft einer Garküche am Strassenrand. Hinzu kommt Lärm in allen Variationen: Gehupe von allen Seiten, aufheulende Motoren, die Rufe irgendwelcher Verkäufer, schreiende Kinder.

Auf einem der letzten Plakätchen lese ich meinen Namen. Kurze Zeit später sind wir unterwegs durch das nächtliche Indien. Die Fahrt nach Auroville dauert drei Stunden.

New Creation, 10. Januar

Der erste Morgen in Indien. Noch bin ich nicht eingeschlafen; der Morgen dämmert schon. Von ferne, aber deutlich höre ich Flötenklänge. In die hineinkomponiert, nicht lauter, weil weiter weg, das Dreiklanghorn eines Busses oder Lastwagens. Ein geradezu ausgewogenes Klangbild, das mir frühmorgens zwei Seiten Indiens in Erinnerung ruft: seine Schönheit und seine Geschäftigkeit.