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© Sabine Stuewer/Kosmos
Unsere Hunde sind heutzutage Teil der Familie und sollen uns überallhin begleiten. Ob Autofahren, Straßenlärm, Menschenansammlungen oder auch geruchsintensive Spaziergänge in der Natur – wir möchten einen unerschrockenen, gehorsamen und nicht auffälligen Begleiter.
Dabei ist uns gar nicht bewusst, was wir von unserem vierbeinigen Freund alles verlangen. Nur über eine positive Erziehung und den Aufbau von Vertrauen können wir unsere Hunde auf unser Leben vorbereiten.
Von einem Hund erwartet man heutzutage sehr viel. Als hochsoziales Rudeltier soll er einerseits problemlos den halben Tag allein bleiben, uns andererseits trotz seines äußerst feinen Gehörs und Geruchssinns ungerührt durch den Straßenverkehr begleiten. Mit den vielen fremden Hunden und Menschen, denen er begegnet, soll er auf Anhieb gut auskommen, denn schon das geringste Knurren oder Schnappen stempelt ihn in der Öffentlichkeit als gemeingefährliche Bestie ab. Selbstverständlich soll ein Hund in jeder Situation gehorsam sein. Und jagt er, der geborene Hetzjäger, einmal Wild, gilt das als schwerwiegendes Fehlverhalten.
Es spricht für die beachtliche Anpassungsfähigkeit der Hunde, dass sie tatsächlich lernen können, die Anforderungen im Großen und Ganzen zu erfüllen. Jedoch bedarf ein Hund unserer Anleitung, um sich in unserer menschlichen Welt zurechtzufinden.
Damit Sie sich Ihrem Hund verständlich machen können, müssen Sie als Hundehalter nachvollziehen können, wie Hunde „denken“ und lernen, in welcher Gefühlswelt sie leben. Dieses Einfühlen in die andersartige Welt eines fremden Lebewesens ist immer wieder eine spannende Aufgabe. Es wäre schade, wenn es für Sie nicht mehr als eine lästige Pflicht wäre. Immerhin hätten Sie ja auch ein Haustier wählen können, bei dem eine Erziehung und Ausbildung nicht nötig ist …
Sie brauchen übrigens nicht zu befürchten, dass Sie Ihrem Hund durch eine konsequente Erziehung etwas von seiner Lebensfreude nehmen oder dass Gehorsamsübungen auf eine Art Kasernenhofdrill hinauslaufen. Im Gegenteil, Hunde sind normalerweise dann am glücklichsten, wenn sie sich an einem freundlichen, fähigen „Leittier“ (und das sind Sie!) orientieren können. Außerdem hat sich in der Ausbildung von Hunden gerade in den letzten Jahren ganz schön viel getan. Gewaltfreie Methoden finden erfreulicherweise immer mehr Verbreitung. Und um eine solche eine artgerechte und zeitgemäße Hundeerziehung mit möglichst viel positiver Verstärkung soll es in diesem Buch gehen.
Wie er da so vor Ihnen sitzt und Sie treu anschaut, kann man es kaum glauben, aber dennoch: Alle Hunde, auch niedliche kleine Welpen, sind krasse Egoisten!
Das Märchen von dem berühmten „will to please“ (engl.: der Wunsch, seinem Herrn gefällig zu sein) können Sie also zusammen mit dem Märchen vom „schlechten Gewissen“ gleich wieder vergessen. Ihrem Hund ist es leider herzlich egal, ob Sie von ihm enttäuscht sind oder sich blamiert fühlen, wenn er nicht gehorcht. Er weiß auch nicht, dass es „undankbar“ ist, wenn er sich schlecht benimmt, obwohl Sie ihn doch so lieben oder gar aus dem Tierheim gerettet haben.
Ein Hund hat wahrscheinlich nicht einmal einen Begriff von „Erlaubt“ und „Verboten“, geschweige denn von „Gut“ und „Böse“. Er unterscheidet grundsätzlich nur zwischen „Ungefährlich“ („Angenehm“) und „Gefährlich“ („Unangenehm“). Ihr Hund klaut den Kuchen nicht etwa deshalb heimlich und verstohlen vom Tisch, „weil er genau weiß, dass er das nicht darf“, sondern weil er gelernt hat, dass es in Abwesenheit von Menschen ungefährlich (= angenehm), im Beisein von Menschen aber gefährlich (= unangenehm) für ihn ist. Nehmen Sie ihm diese Eigenart bitte nicht übel. Sicher liebt er Sie auf seine Weise trotzdem, nur ist es ihm eben nicht gegeben, sich in ein anderes Lebewesen (gar in einen Menschen) hineinzuversetzen. Er kann sein eigenes Verhalten nicht davon abhängig machen, welche Gefühle es in Ihnen auslöst, sondern nur davon, welche unmittelbare Vor- oder Nachteile es für ihn selbst hat. Falls diese Vorstellung Sie ernüchtert, hier die gute Nachricht: Ihr Hund tut zwar nichts, um Ihnen zu gefallen, aber auch nichts, um Sie zu ärgern oder sich an Ihnen zu rächen.
LERNEN EIN LEBEN LANG
Ein Hund ist sein ganzes Leben lang lernfähig und passt sich immer neu den wechselnden Gegebenheiten an. Benehmen und Gehorsam Ihres Hundes werden daher im Laufe der Zeit entweder besser oder schlechter, je nachdem, was Sie dazu tun oder unterlassen.
© Sabine Stuewer/Kosmos
Ab einem Alter von sechs Wochen ist das Lernvermögen des Hundes voll entwickelt.
Allen Kommissar-Rex- und Lassie-Filmen zum Trotz: Hunde haben es nicht so sehr mit Nachdenken und logischem Kombinieren und können es höchstens ganz eingeschränkt. Sie lernen hauptsächlich auf zweierlei Weise: Erstens verknüpfen sie Dinge miteinander, die oft genug gleichzeitig oder genauer gesagt ganz kurz hintereinander passieren. (Der Fachbegriff für diese Art des Lernens ist „klassische Konditionierung“.) Zum Beispiel bellt Ihr Hund, sobald die Türklingel ertönt, weil das Klingeln normalerweise Besuch ankündigt. Und wenn Sie in die Jackentasche fassen, freut er sich, weil er diese Geste nach einigen Wiederholungen mit dem Auftauchen eines Leckerchens verknüpft hat.
Durch Verknüpfung lernt der Hund auch, auf Hör- oder Sichtzeichen („Signale“) zu reagieren und die Bedeutung bestimmter Gesten, Worte oder Situationen zu verstehen. Bestehende Verknüpfungen werden schwächer, wenn sie nicht dauernd aufgefrischt werden: Wenn Sie die Türklingel hundert Mal betätigen, ohne dass jemand kommt, wird Ihr Hund kaum noch darauf reagieren.
Die zweite wichtige Lernform der Hunde ist die sogenannte „operante Konditionierung“. Das ist die Methode Versuch und Irrtum oder, treffender ausgedrückt, Versuch und Erfolg. Hat der Hund ein Problem oder will er ein Ziel erreichen, probiert er verschiedene Verhaltensweisen aus. Um durch eine geschlossene Tür zu kommen, versucht er es z. B. mit Bellen, Hochspringen, Kratzen, Stillsitzen, Im-Kreis-Laufen usw. Verhaltensweisen, die sich als nutzlos erweisen, „sterben“ mit der Zeit „aus“, d. h., sie werden in der betreffenden Situation schließlich gar nicht mehr gezeigt. Was aber zum Erfolg führt, merkt sich der Hund, um es künftig in ähnlichen Situationen wieder anzuwenden.
Nun liegt es an Ihnen, diesen Lernprozess in die richtigen Bahnen zu lenken. Was für ein Verhalten wünschen Sie sich von Ihrem Hund, wenn Sie ihn hinter einer geschlossenen Tür zurücklassen? Bellen, Kratzen und Winseln? Dann brauchen Sie nur die Tür zu öffnen, während er dahinter tobt. Ist er mit diesem Verhalten auch nur wenige Male erfolgreich, wird er es wieder und wieder damit probieren. Soll er stattdessen lernen, ruhig zu warten, dürfen Sie die Tür nur dann öffnen, wenn es dahinter still ist.
Zwei weitere Lernformen des Hundes haben praktische Bedeutung im Umgang mit ihm: Gewöhnung (= unempfindlicher werden) und Sensibilisierung (= empfindlicher werden). Man gewöhnt sich an einen bestimmten Geruch, Lärmpegel usw., wenn man ihm oft oder lange ausgesetzt ist, d. h., man reagiert kaum noch darauf. Ihrem Hund geht es ebenso, wenn Sie ihn ans Halsband oder ans Autofahren gewöhnen. Gewöhnung tritt ein, wenn der Sinnesreiz nicht allzu unangenehm ist oder nur ganz allmählich gesteigert wird. Fangen Sie daher behutsam an, wenn Ihr Hund sich an etwas gewöhnen soll.
Statt sich an eine bestimmte Wahrnehmung zu gewöhnen, kann man ihr gegenüber aber auch empfindlicher werden, d. h., man reagiert immer stärker darauf (auf Schnarchen z. B.!). Hunde entwickeln auf diesem Weg manchmal starke Ängste: Ein geräuschempfindlicher Hund kann in der Nähe eines Schießstandes – statt sich an das Knallen zu gewöhnen – immer ängstlicher werden und dann in wenigen Minuten eine bleibende Schussangst entwickeln.
Die Wahl des richtigen Zeitpunkts („Timing“) ist bei der ganzen Hundeerziehung das Wichtigste. Lernen durch Verknüpfung oder Ausprobieren funktioniert nämlich nur, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht: Ihr Hund kann zwei Ereignisse nur dann miteinander verbinden, wenn sie ganz kurz aufeinander folgen, am besten mit einem Abstand von nicht mehr als einer (!) Sekunde. Ebenso erkennt er etwas nur dann als Folge seines eigenen Handelns, wenn es ganz unmittelbar, also innerhalb von ein bis zwei Sekunden, darauf folgt.
In der Praxis bedeutet dies, dass die Wirkung Ihrer Erziehungsmaßnahmen vor allem davon abhängt, ob Sie schnell genug sind. Sie kommen in die Küche, wo Ihr Hund mit den Vorderpfoten auf der Anrichte steht und am Kuchen knabbert. Beim Geräusch Ihrer Schritte springt er wieder herunter und läuft auf Sie zu. Inzwischen haben Sie Ihre Sprache wiedergefunden und schimpfen ihn tüchtig aus. Was haben Sie nun bestraft? Dass er auf Sie zukommt! Er wird höchstwahrscheinlich weiterhin Kuchen klauen, aber Ihnen ausweichen oder ein „schlechtes Gewissen“ zeigen, wenn Sie hinzukommen. Oder Sie üben mit Ihrem Hund Platz-Bleib. Da er brav liegen geblieben ist, gehen Sie zu ihm zurück, lassen ihn Sitz machen und geben ihm ein Leckerchen. Was belohnen Sie damit? Richtig! Nicht das Liegenbleiben, sondern das Hinsetzen.
Da das Timing so wichtig, aber auch so schwierig hinzubekommen ist, ist es für die Ausbildung ungeheuer nützlich, ein Signal zu haben, das dem Hund sagt, dass er sich gerade eine Belohnung verdient hat. Dieses Signal (Fachbegriff: „konditionierter Verstärker“ oder „Markersignal“) kündigt immer eine Belohnung an und überbrückt dadurch sozusagen die Zeit, die bei manchen Übungen gezwungenermaßen zwischen dem lobenswerten Moment und der tatsächlichen Übergabe des Leckerchens vergeht.
Ein Beispiel: Wenn Sie Ihren Hund rufen und ihm ein Leckerchen geben, nachdem er bei Ihnen angekommen ist, belohnen Sie damit zwar das Herankommen insgesamt, können jedoch nicht genau übermitteln, was Ihnen daran besonders wichtig war. Ihr Hund hat sich vielleicht sofort umgedreht, nachdem Sie riefen, kam dann jedoch eher angebummelt. Oder er kam zwar angerast, sprang aber am Ende an Ihnen hoch. Wofür genau war denn nun das Leckerchen? Mit einem „Marker“ können Sie problemlos den Aspekt betonen, den Sie gerade belohnen wollen. Dazu geben Sie das Markersignal, je nachdem was gerade Ihr Trainingsziel ist: sobald er auf Ihr Rufen reagiert, während er zügig kommt oder wenn er sich am Ende vor Sie setzt. Die Kommunikation zwischen Ihnen und Ihrem Hund wird dadurch viel präziser, was das Training enorm beschleunigt und seine Motivation steigert. Denn da er besser versteht, was Sie wollen, macht ihm das Training auch mehr Spaß. Als Markersignal verwenden Sie am besten den Clicker sowie ein Wort (z. B. FEIN).
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„Ansprechen“ mit Markersignal: „Indy!“
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„Click“ oder FEIN, sobald der Hund reagiert.
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„Indy“ kommt, um sich das versprochene Leckerchen abzuholen.
Lernen und Handeln braucht immer einen Antrieb. Diesen nennt man Motivation = (Beweggrund zum Handeln). Die Klage mancher Hundebesitzer: „Er macht nur, was er will!“, trifft den Nagel auf den Kopf: Jeder Hund gehorcht nur, wenn er will, also genügend motiviert ist.
Wenn Sie Ihren Hund erziehen oder ihm etwas Neues beibringen, reicht es also nicht, dass er versteht, was Sie möchten. Die Kunst besteht immer auch darin, ihn gleichzeitig dazu zu bringen, dass er will. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: „Zuckerbrot und Peitsche“, also die Aussicht auf Belohnung und die Angst vor Strafe. Dadurch verknüpft der Hund die betreffenden Handlungen mit angenehmen (Belohnung) oder unangenehmen (Strafe) Gefühlen. Eine Belohnung (= Verstärkung) ist also alles, was bewirkt, dass der Hund in Zukunft die belohnte Verhaltensweise häufiger ausführt als bisher, weil sich dies aufgrund der Verknüpfungen einfach „gut anfühlt“. Eine Strafe hingegen hat zur Folge, dass er die bestrafte Handlung in Zukunft seltener oder gar nicht mehr ausführt. Diese Erklärung mag auf den ersten Blick überflüssig erscheinen, aber sie macht klar, dass Belohnung und Strafe kein Selbstzweck sind. Einen Hund bestraft oder belohnt man nicht, weil er es „verdient“ hat, sondern um sein Verhalten zu ändern. Führt z. B. eine als Strafe gedachte Maßnahme nicht zu einer Verhaltensänderung, ist sie nichts weiter als Tierquälerei.
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Spielen ist die richtige Belohnung für aktive Tätigkeiten wie Kommen auf Ruf.
Motivation ist außerdem etwas sehr Individuelles. Für Bella ist ein Stückchen Knäckebrot eine Belohnung, für ihren Bruder Ben jedoch nicht. Und selbst Bella ist durch die Hoffnung auf ein Knäckebrot nicht mehr so stark motiviert, wenn sie gerade satt ist.
Leider denken die meisten Menschen im Zusammenhang mit Hundeerziehung immer noch zuerst an Strafe: „Tu, was ich will, sonst …“ Dabei ist Belohnung der Strafe in ihrer Wirkung in den meisten Fällen weit überlegen. Kein Wunder, führt doch die Aussicht auf eine Belohnung dazu, dass der Hund sich voll einsetzt und mit Eifer und Freude dabei ist. Strafe kann einem Hund zwar ggf. auch „Beine machen“, hat jedoch auch allerlei unerwünschte Nebenwirkungen wie z. B. übertriebene Unterwürfigkeit, Lustlosigkeit oder „Sturheit“, ja, schlimmstenfalls sogar Angst und Meideverhalten oder Aggression.
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Für Retriever ist das Tragen selbstbelohnend.
Unser Ziel ist daher, auf Strafe so weit wie möglich zu verzichten. Konzentrieren Sie sich vor allem darauf, erwünschtes Verhalten Ihres Hundes zu fördern und zu belohnen, statt unerwünschtes zu bestrafen. Sie werden überrascht sein, wie weit Sie damit kommen. Wenn es darum geht, dass der Hund lernt, etwas aktiv zu tun, wie z. B. auf KOMM und PLATZ richtig zu reagieren, sind Strafe und Zwang normalerweise ohnehin fehl am Platz. Wenn das Ziel jedoch ist, dass der Hund etwas unterlässt (z. B. nicht klauen, nichts anfressen, nicht aufs Sofa springen), ist es nicht immer sinnvoll, völlig auf Strafe zu verzichten. Daher müssen Sie als Hundehalter auch wissen, wie man Strafe richtig einsetzt und wann sie eventuell doch einmal angebracht ist.
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Das Klauen hat sich schon rentiert. Eine Strafe würde nicht mehr viel bewirken.
Kevin ist allein zu Haus, er ist einsam und langweilt sich. Er knabbert an der Tapete und fühlt sich gleich besser, denn Kauen beruhigt, und die Tapete abzureißen ist eine interessante Beschäftigung. Zufrieden macht Kevin neben der demolierten Wand ein kleines Nickerchen.
Sie kommen zurück Eine halbe Stunde später kommen Sie nach Hause, entdecken die zerstörte Tapete, zerren Kevin hin und schimpfen ihn tüchtig aus.
Am nächsten Tag Am nächsten Tag hat Kevin morgens ausgiebig mit Nachbars Tessa gespielt. Er macht nichts kaputt, sondern schläft die ganze Zeit. Als Sie nach Hause kommen, werfen Sie einen misstrauischen Blick ins Wohnzimmer – aber alles ist in Ordnung. Sie loben Kevin, weil er so brav war.
Nichts gelernt? Am folgenden Tag war er wieder an der Tapete! Wutentbrannt schütteln Sie ihn am Nackenfell. Kevin ist sehr bestürzt und unterwürfig, er wird seine Lektion nun wohl begriffen haben.
Und tatsächlich: Am nächsten Tag verkriecht Kevin sich ängstlich hinterm Sofa, sobald Sie zur Tür hereinkommen und noch ehe Sie bemerkt haben, dass wieder ein Stück Tapete fehlt. Vermutlich sind Sie nun endgültig überzeugt davon, dass Kevin sich an Ihnen rächen will, weil Sie ihn so oft allein lassen müssen.
Aus Kevins Sicht sieht die Sache allerdings etwas anders aus, und zwar folgendermaßen:
— |
allein Tapete abreißen = angenehm |
— |
allein mit heiler Tapete = neutral |
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allein mit angefressener Tapete = neutral |
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Sie + heile Tapete = neutral |
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Sie + angefressene Tapete = unangenehm |
Fazit: Kevin lernt durch Verknüpfung, dass Tapete-Abreißen Spaß macht und dass Sie aus unerfindlichen Gründen jähzornig werden, wenn Sie mit einer angefressenen Tapete zusammentreffen. Folgerichtig versucht er in solchen Situationen vorbeugend, Sie, den mächtigen und unberechenbaren Sozialpartner, durch Unterwürfigkeit freundlich zu stimmen. Dass Sie gar nicht erst zornig geworden wären, wenn er einige Stunden zuvor auf das Tapeteknabbern verzichtet hätte, kann er beim besten Willen nicht begreifen.
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Die Unschuld in Person.
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„Ich wollte doch nur beim Aufräumen helfen!“
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„Alles, was Spaß macht, ist verboten …“
Eine Belohnung muss Ihrem Hund gefallen, nicht Ihnen. Und die Belohnung muss auch zu seiner momentanen Stimmung passen. Sie kann spektakulär und aufregend sein oder leise und beruhigend.
Wenn Ihr Hund gern gestreichelt wird, heißt das nicht unbedingt, dass er sich dafür auch aus dem Spiel mit einem anderen Hund abrufen lässt. Spiel oder Leckerchen funktionieren in einer solchen Situation besser. Eine Streicheleinheit wiederum ist die passende Belohnung, wenn Ihr Hund beispielsweise im Restaurant ruhig unter dem Tisch liegt. Futter oder Spielzeug würden ihn jetzt vielleicht zu sehr aktivieren.
Merkwürdigerweise denken viele Hundehalter bei Leckerchen, anders als bei Spielbelohnung, sofort an Bestechung. Häufige Argumente gegen das Training mit Futter:
„Der Hund gehorcht nur, wenn ich ein Leckerchen in der Hand habe.“
Falls man zu Beginn der Ausbildung Leckerchen als Lockmittel verwendet (z. B. indem man dem Hund eines zeigt, damit er herankommt), muss man das im weiteren Verlauf der Ausbildung wieder abbauen, sonst bleibt es bei unbefriedigenden Halbheiten.
„Ich kann doch nicht ewig mit Fleischwurst in der Tasche herumlaufen!“
Brauchen Sie auch gar nicht! Am Anfang des Trainings ist es tatsächlich effektiver, wenn der Hund für jede richtige Reaktion ein Leckerchen bekommt. Und Sie brauchen eventuell mal besonders attraktive Leckerchen. Aber später können Sie die Leckerchen zum großen Teil durch andere Belohnungen ersetzen, wenn Ihnen das wichtig ist.
„Wenn ich Leckerchen dabei habe, bettelt mein Hund nur noch und ist völlig abgelenkt.“
Freuen Sie sich, Sie haben einen leicht zu motivierenden Hund! Sobald er erst einmal begriffen hat, dass er die Leckerchen nicht fürs Hochspringen und Stupsen bekommt, sondern nur für Wohlverhalten, wird er ebenso eifrig gehorchen, wie er anfangs gebettelt hat. Sie müssen nur konsequent sein und ein wenig Geduld mit ihm haben.
„Nachbars Struppi (oder: der Hund von Trainer XY) gehorcht auch ohne Leckerchen!“
Zwar gibt es tatsächlich Hunde, die ganz ohne Futterbelohnung, nur für Lob, „funktionieren“. Aber nur allzu oft sind diese vor allem mit Zwang und Einschüchterung ausgebildet worden. Unter diesen Umständen ist das Lob ein Sicherheitssignal, über das der Hund sich vor allem deswegen „freut“, weil es bedeutet, dass er im Moment keine Strafe zu befürchten hat.
Fragen Sie vor allem Ihren Hund! Spielzeug bzw. mit dem Hund herumtollen ist für viele Hunde eine starke Belohnung und eignet sich für aktive Tätigkeiten wie z. B. Kommen auf Ruf. Aber Spiel unterbricht das Training relativ lange und man muss es steuern, damit der Hund nicht allzu aufgeregt wird. Das ist nicht nur wichtig, damit er nicht grob wird, sondern auch, weil allzu große Erregung sich nachteilig auf den Lernerfolg auswirkt.
Futterbelohnung ist in der Regel einfach zu handhaben. Sie eignet sich vor allem fürs Üben in konzentrierter Stimmung und ermöglicht viele Wiederholungen von Übungen in kurzer Zeit, sodass sie sich für gezielte Trainingseinheiten anbietet. Auch ist es meist leichter, einen weniger verfressenen Hund doch noch dazu zu bringen, dass er Gefallen an Leckerchen findet, als einen spielunlustigen Hund zum Spielen zu bewegen. Daher ist Futter bei den Übungen in diesem Buch zunächst das Hauptmotivationsmittel.
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Füttern ist eine soziale Tätigkeit, an der beide Spaß haben.
Zuwendung und Aufmerksamkeit mögen alle Hunde. Dafür reicht oft schon ein herzlicher Blick. Streicheln wirkt vermutlich vor allem durch die entspannende Wirkung, die es auf viele Hunde hat, als Belohnung und ist daher am besten für ruhige Situationen geeignet. Beides kann man auch gut als „Ersatzbelohnung“ statt Leckerchen verwenden, um den fortgeschrittenen Hund für Dinge zu belohnen, die er schon gut kann. Um neue Dinge beizubringen, braucht man allerdings oft eine stärkere Belohnung.
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Seien Sie sicher: Ihr Hund liebt Sie nicht nur wegen Ihrer Leckerchen.
Leckerchen sollten möglichst klein sein, damit Sie in einer Trainingseinheit 20 bis 30 davon verfüttern können, ohne dass Ihr Hund satt wird. Er soll auch nicht lange mit dem Kauen beschäftigt sein und keine Krümel hinterlassen.
Geeignet sind z. B. handelsübliche Leckerchen oder Hundekuchen, sofern sie klein genug sind. Für besondere Zwecke sind vorübergehend auch einmal Käse- oder Fleischwurstwürfelchen angeraten. Probieren Sie aus, ob Ihr Hund die Abwechslung liebt oder „konservativ“ ist und lieber seine gewohnten Leckerchen möchte. Wenn Sie Ihren Hund besonders motivieren müssen, halten Sie ihn vorher mit Futter etwas knapp, damit er zur Trainingszeit hungrig ist. Sie müssen die Belohnungen sowieso von seiner üblichen Futterration abziehen. Ist er sehr verfressen, machen allzu gute Leckerchen ihn gierig und unkonzentriert! Bringen Sie die Leckerchen griffbereit unter (Gürteltasche o. Ä.), damit Sie nicht lange danach fummeln müssen, wenn Sie sie brauchen.
Spiel können Sie nur dann zur Belohnung einsetzen, wenn Ihr Hund einerseits gern spielt, andererseits aber einigermaßen diszipliniert mit Ihnen spielen kann. Er darf nicht allzu erregt werden, muss das Spielzeug problemlos wieder hergeben und darf nicht versuchen, es Ihnen dreist aus der Hand zu reißen. Besonders geeignet sind Spielzeuge, die eine Schnur haben und zum Tauziehen einladen. Das Spielzeug müssen Sie (auch wenn es dreckig und angeschlabbert ist) an Ihrem Körper verstauen können, sodass Ihr Hund es nicht mehr sieht und Sie es doch schnell wieder herausziehen können, wenn Sie es brauchen. Spiel zur Belohnung dauert nur kurz, zehn Sekunden sind genug.
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Für ausgelassenes Spiel eignet sich Spielzeug mit einer Schnur.
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Tauziehen macht den Hund nicht „dominant“, sondern fördert die Bindung.
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Und natürlich darf er auch mal „gewinnen“.
Finden Sie heraus, wie Sie Ihren Hund so streicheln können, dass er sich dabei entspannt. Lange feste Striche oder ein Kraulen hinter dem Ohr sind dafür oft am besten geeignet. Manche Hunde lassen sich anfangs nicht so gern lange streicheln oder werden zu aufgeregt. Hören Sie dann einfach auf. Genießt Ihr Hund das Schmusen offensichtlich, verknüpfen Sie es mit betont ruhig gesprochenen Lobworten wie z. B. „Braaav“. Auch diese Worte allein bringen ihn dann später automatisch in eine entspannte Stimmung (= Entspannungssignal). Bei einem vierbeinigen „Rührmichnichtan“, der streicheln nicht mag, verknüpfen Sie Ihr Entspannungssignal, indem Sie es immer mal wieder sagen, während er kurz vor dem Einschlafen ist.
Während ein Hund etwas Neues lernt, ist es besser, ihn für jede richtige Ausführung zu belohnen, denn die Belohnung übermittelt in diesem Stadium auch die Information: „Richtig gemacht!“ Außerdem muss Ihr Hund erst einmal felsenfest davon überzeugt sein, dass es sich wirklich für ihn lohnt, ein Signal zu befolgen oder sich in einer bestimmten Situation brav zu verhalten. Wenn Sie die Belohnungen zu früh oder zu schnell abbauen oder gar von einem Tag auf den anderen weglassen, bekommt er den Eindruck, dass dieses Spiel nicht genug Gewinn für ihn abwirft. Entsprechend gering ist dann seine Motivation.