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Zu diesem Buch
© Klaus Grittner
Der Husky gehört als Nordischer Hund zu den ursprünglichen Hunderassen. Er besitzt eine ausgeprägte Mimik.
„Warum macht er das nur?“ „Das hat er plötzlich aus heiterem Himmel getan.“ Alles Sätze, die ich ständig in meiner täglichen Arbeit mit Menschen und ihren Hunden höre. Viele Menschen haben eine sehr innige Beziehung zu ihrem Hund, leben glücklich und zufrieden mit ihm. Jedoch gibt das Verhalten des Hundes ihnen immer wieder Rätsel auf. Und in den Medien ist leider häufig von der „Unberechenbarkeit einiger Hunde“ zu lesen. Mich erschreckt, dass wir seit über 14 000 Jahren mit Hunden eng verbunden zusammenleben und scheinbar immer noch wenig über deren Verhalten wissen. Viel zu häufig werden Hunde leider von ihren Menschen, aufgrund von Unwissenheit, falsch verstanden. Aus meiner Sicht ist die Basis eines entspannten und intensiven Zusammenlebens aber, dass man sich versteht. Dieselbe Sprache zu sprechen, sich verständlich zu machen, ist die Grundvoraussetzung für ein friedliches und für alle Seiten glückliches Leben.
© Klaus Grittner
Die Sprache des Hundes lernen: Für eine verständnisvolle Beziehung zwischen Mensch und Hund.
Hunde haben eine andere Sprache als wir Menschen. Dieses Buch möchte Ihnen bei der Vermittlung zwischen der hündischen und menschlichen Sprache helfen und als Dolmetscher fungieren.
In all den Jahren, in denen ich mich intensiv mit Hundeerziehung, aber vor allem auch mit Hundeverhalten beschäftige, lerne ich immer wieder dazu. In diesem Buch habe ich meine Erfahrungen und Beobachtungen zusammengetragen. Ich will Ihren Blick für hündisches Verhalten, für hündische Sprache, schärfen. Dies geschieht nicht nur durch Beschreibungen, sondern auch anhand von vielen Bildern, die das unglaublich differenzierte Kommunikationsgeflecht unserer Haushunde für Sie erklärbar und verständlich machen.
Als vollwertiger Sozialpartner für den Hund ist es unerlässlich, sich auf seine Sprache einzulassen und sie zu lernen. Nach dem Lesen wird Ihnen so manches Verhalten Ihres eigenen Hundes, oder auch anderer, die Sie täglich auf dem Spaziergang treffen, besser verständlich sein.
Dies ist kein Erziehungsratgeber im klassischen Sinn. Allerdings kann man aus meiner Sicht einen Hund nur dann gut erziehen, wenn man seine Psyche und sein Ausdrucksverhalten kennt und richtig interpretiert. Infolgedessen bin ich mir sicher, dass Ihnen dieses Buch auch bei der Erziehung Ihres Hundes hilfreich sein wird.
Viel Spaß beim Lesen und weiterhin viel Freude mit Ihren Hunden, wünscht Ihnen
Sie können Ihren Hund nur verstehen, wenn Sie sich intensiv mit der Hundesprache auseinandersetzen und lernen, hündisch zu kommunizieren.
Nur so können Sie Ihrem Hund zu verstehen geben, was Sie von ihm möchten, bzw. erkennen, was er Ihnen mit seinem Verhalten sagen will. Ein Hund ist nicht in der Lage, abstrakte Ansichten und Meinungen auszudrücken. Sein Verhalten stützt sich eher auf bestimmte Gefühle, Wünsche und Motivationen. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Hund „nur“ ein Hund sein kann. Er denkt weder über Vergangenes nach, noch blickt er in die Zukunft – er lebt im Hier und Jetzt. Sprachlich drückt er sich weniger verbal als über seine Körpersprache aus, im Gegensatz zu uns. Nicht nur durch die Tatsache, dass wir Menschen eher in der Lage sind, unser Verhalten reflektiert zu betrachten, als der Hund dies kann, sondern vielmehr auch aus Respekt dem Hund gegenüber sollten wir so gut wie möglich die Kommunikationsmöglichkeiten unserer Hunde erlernen.
© Klaus Grittner
Martin Rütter beobachtet das Spiel der Schäferhündin Milka mit der Mischlingshündin Tink.
© Klaus Grittner
Die beiden Hündinnen zeigen ein entspanntes, aber durchaus raues Spiel.
Ein Grund, warum uns die Kommunikation des Hundes so viele Schwierigkeiten bereitet, ist das schnelle Wechselspiel der Hundesprache. Hatte ein Hund bis vor ein paar Sekunden noch die dominante Rolle, zeigt er sich jetzt „devot“. Dieses sehr häufig schnelle Wechselspiel der Rollen innerhalb des hündischen Beziehungsgeflechts macht die Kommunikation der Hunde so komplex. Das Kommunikationsrepertoire unserer Haushunde besteht aus vielen Facetten und ist weit mehr als Bellen, Knurren, Beißen. Der Satz: „Aus heiterem Himmel hat der Hund plötzlich ...“, ist in aller Regel falsch. Uns Menschen sind nur häufig die entsprechenden Signale des Hundes entgangen oder wir haben sie schlichtweg falsch interpretiert. Wir sollten also lernen, Hunde genauer zu beobachten, damit uns all die schnellen und kleinen Signale der für uns doch fremden Sprache nicht entgehen.
Sie müssen sich dennoch nicht gleich wie ein Hund aufführen, denn Hunde erlernen durch das soziale Miteinander mit uns Menschen auch unsere Körpersprache und nehmen uns somit als Mensch wahr. Sie wissen, dass wir keine Hunde sind! Damit Hunde die Körpersprache des Menschen gut lesen und verstehen können, ist es wichtig, dass sie von Welpe an viel Zeit mit dem Menschen verbringen. Denn dann wissen sie z. B., dass von einem lächelnden, also eigentlich „Zähne zeigenden“ Menschen keine Gefahr zu erwarten ist oder dass der sich freundlich vorbeugende Mensch eine angenehme Streicheleinheit verspricht und nicht als Bedrohung kurz vor einem Angriff zu verstehen ist.
WICHTIG
Missverständnisse
Die meisten Probleme zwischen Mensch und Hund resultieren aus Kommunikationsmissverständnissen untereinander.
Im Laufe des Hundelebens spielt man sich aufeinander ein; man denkt, der Hund verstehe jedes Wort, und bemerkt nicht, wie oft man aneinander vorbeiredet. Das am häufigsten falsch interpretierte Signal ist hierbei wohl das Rutewedeln, das in den meisten Fällen als Freude interpretiert wird. Ein Hund kann jedoch aus vielen Gründen mit der Rute wedeln. Freude ist dabei in der Tat oft die Ursache, jedoch wedeln Hunde auch aus Erregung oder kurz vor einem Angriff. Um die jeweilige Bedeutung zu verstehen, muss der Hund im Gesamten, also in Bezug auf alle Körperteile, und im Zusammenhang mit der jeweiligen Situation betrachtet werden.
© Klaus Grittner
Wenn Mensch und Hund sich verstehen, kann jeder die Körpersprache des anderen lesen und deuten.
Kommunikation (lat. communicare = teilen, mitteilen, teilnehmen lassen; gemeinsam machen, vereinigen) bezeichnet auf der menschlichen Alltagsebene den wechselseitigen Austausch von Gedanken in Sprache, Gestik, Mimik, Schrift oder Bild. Im erweiterten Sinn ist Kommunikation das wechselseitige Übermitteln von Daten oder Signalen, die einen festgelegten Bedeutungsinhalt haben, auch zwischen tierischen und pflanzlichen Lebewesen und technischen Objekten oder Systemen.
Um von Kommunikation zu reden, sind zunächst immer ein Sender, ein Signal und ein Empfänger notwendig. Der Sender überträgt ein Signal zu einem Empfänger. Das Signal trägt dabei die zu sendende Information. An der Reaktion des Empfängers merkt der Sender, ob sein Signal angekommen ist und ob es verstanden wurde. Reagiert der Empfänger nicht oder nicht richtig auf das Signal, sendet er durch seine Reaktion wiederum ein Signal zurück an den Sender, in diesem Fall ist der Empfänger der Sender und der Sender der Empfänger.
Geben Sie Ihrem Hund einmal das Signal „Sitz“. An seinem Verhalten können Sie nun erkennen, ob Ihr Signal angekommen ist oder nicht. Setzt sich Ihr Hund, dann wissen Sie, dass das Signal Ihren Hund erreicht hat und dieser es auch verstanden hat.
Bleibt Ihr Hund stehen oder legt sich hin, gibt er Ihnen dadurch zu verstehen, dass er entweder „Sitz“ nicht ausführen möchte oder sich in der momentanen Situation auf Ihr Signal nicht einlassen kann. Für Sie bedeutet das entweder an Ihrer Beziehung zum Hund zu arbeiten, damit er Ihre Signale umsetzt, oder aber die Situation zu analysieren und z. B. evtl. ablenkende Faktoren oder den Hund verunsichernde Reize zu entfernen bzw. dem Signal entgegenstehende Motivationen zu verändern. Vielleicht hat Ihr Hund die Bedeutung des Wortes aber auch noch nicht wirklich verstanden, noch nicht wirklich gelernt, was „Sitz“ bedeutet. Dann müssen Sie noch einmal einige Schritte im Lernprozess zurückgehen und Ihrem Hund das Signal besser verständlich machen.
Bei sehr alten oder am Gelenkapparat erkrankten Hunden kann es auch sein, dass das Signal aufgrund von Schmerzen nicht ausgeführt wird. In diesem Fall müssen Sie natürlich Rücksicht auf Ihren Vierbeiner nehmen; Sie sollten keine Signale von ihm verlangen, zu denen er körperlich nicht oder nur unter Schmerzen in der Lage ist. Da sich körperliche Probleme durch Gelenkkrankheiten oftmals nicht plötzlich zeigen, sondern sich durch den Verschleiß der Gelenke schleichend entwickeln, sollten Sie Ihren Hund tierärztlich untersuchen lassen, wenn er öfter Ihre Signale nicht mehr ausführt.
Vielleicht ist Ihr Hund auch taub und konnte Ihr als Hörzeichen gegebenes Signal gar nicht empfangen? Sender und Empfänger müssen immer auch über die entsprechenden Organe verfügen, mit denen ein Signal ausgestrahlt bzw. empfangen wird.
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Tink hat Martin Rütter verstanden: Sie setzt sich auf sein Signal, den erhobenen Zeigefinger, hin.
Seit etwa 14 000 Jahren leben wir Menschen mit Hunden zusammen, haben uns von ihnen vor gefährlichen Tieren und Einbrechern beschützen lassen, sind mit ihnen zur Jagd gegangen, haben unsere Schafe und Rinder hüten lassen und haben letztlich durch Zucht ihre Gene so manipuliert, dass sie für uns zu optimalen Begleitern wurden.
Bis heute ist die Beziehung zwischen Mensch und Hund bzw. Hund und Mensch immer enger geworden, aber das Verständnis für den Hund nicht unbedingt größer. Der Hund lebt mit uns auf „hündisch“, egal ob wir ihn verstehen oder nicht. Waren Hunde früher reine Nutz- und Arbeitstiere, die z. B. Haus und Hof bewachten, sind sie mittlerweile richtige Familienmitglieder geworden und dienen nicht selten auch als Kind- oder Partnerersatz. Für viele Menschen ist es daher im Alltag nahezu unmöglich, sich auf die Kommunikationsebene des Hundes zu begeben.
Glücklicherweise werden Hunde kaum noch in Zwingern gehalten, meist leben sie ganz eng mit ihrer Familie, ihrem „Rudel“ im Haus und verbringen jede freie Minute mit ihren Menschen. Dieses Leben kommt dem Hund als Rudeltier sehr entgegen. Er ist kein Einzelgänger, der gern für sich allein lebt. Aber dieses enge, gemeinsame Zusammenleben, in dem der Hund nur noch ausschließlich als Sozialpartner für die Menschen dient, macht es uns Menschen scheinbar so unendlich schwer, den Hund als das zu betrachten, was er ist: ein Hund.
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Menschen und Hunde leben seit Jahrtausenden in engen Beziehungen zusammen.
Wie ist es überhaupt zu dieser engen Beziehung gekommen, wieso ist der Hund als einzige von Tausenden Tierarten der „beste Freund des Menschen“? Blickt man zurück in die Zeit unserer Vorfahren und die der Wölfe, so versteht man den Grund für die enge Bindung an den Wolf/Hund. Wir sind dem Verhalten der Hunde nämlich gar nicht so fern, wie wir es vielleicht annehmen möchten. Mensch und Wolf leben jeweils in einer Rudelgemeinschaft, gehen im Rudel auf die Jagd, um gemeinsam Beute machen zu können, ziehen die Nachkommen in der Gemeinschaft auf und kommunizieren über Körpersignale und Mimik. Durch die Zivilisation ist es nur verständlich, dass sich nicht nur an der Mensch-Hund-Beziehung, sondern auch an der Hund-Mensch-Beziehung etwas geändert hat, der Hund als Haustier sozusagen eine starke Aufwertung bekommen hat.
Unser Bedürfnis, das Wesen Hund immer mehr zu durchschauen und zu verstehen, wächst. Früher war es den Menschen relativ gleichgültig, was ihr Hund dachte. Solange er seine Arbeit vernünftig erledigte, bekam er sein Futter hingestellt, und wenn er alt wurde, kam schnell Ersatz her. Die Beziehung war bei Weitem nicht so herzlich und innig, wie sie heute meist zwischen Menschen und Hunden besteht. Dies wird auch an den vielen Institutionen deutlich, die sich erst seit einigen Jahrzehnten entwickelt haben und von der Liebe zum Tier profitieren. Hierzu gehören z. B. Hundehotel, Dogsitter, Hundefriedhof oder Tierpsychologen.
Und auch wenn Hunde vielen Menschen in den unterschiedlichsten Situationen helfen, sei es in traurigen Zeiten mit Aufmerksamkeit und Wärme, in schwierigen Situationen als geduldige Zuhörer, oder auch einfach nur durch Anwesenheit in einsamen Stunden, darf der Mensch dennoch bei allem eines nicht vergessen: Die Bedürfnisse des Hundes, sein Wesen und seine Veranlagungen müssen immer an erster Stelle stehen. Wir müssen den Hund als das sehen, was er ist, als Hund! Und wenn dies dann noch mit unseren Bedürfnissen und Vorstellungen zusammenpasst, steht einer harmonischen Beziehung, einem entspannten Zusammenleben eigentlich nichts mehr im Wege.
WICHTIG
Vermenschlichung
Hunde werden häufig nicht mehr als solche gehalten, sondern oft vermenschlicht. Wir Menschen meinen es gut, beschreiben es als Tierliebe und verstehen oft nicht einmal die wahre Bedeutung, die uns ein Hund mit seinem Blick oder seinem Verhalten zeigt. Die Körpersprache der Hunde wird oft fehlinterpretiert, emotionalisiert, vermenschlicht.
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Martin Rütter und seine Mischlingshündin Emma haben eine enge und vertrauensvolle Beziehung zueinander.
Bevor wir uns genauer mit der Körpersprache eines anderen Lebewesens beschäftigen, sollten wir uns zuerst einmal über die der eigenen Spezies im Klaren oder besser bewusst sein. Vielen von uns ist gar nicht klar, wie unmissverständlich wir mit unserem Körper sprechen und wie stark wir ihn auch einsetzen können. Wie soll man auf Anhieb die Körpersprache eines anderen Lebewesens deuten können, wenn man nicht einmal die eigene Körpersprache kennt? Automatisch spielen sich Vermenschlichungen ein, da wir die wahre Bedeutung nicht erkennen können oder wollen. Denn viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, was sie alles mit ihrem Körper ausdrücken, welche Gefühle und Emotionen sie über die Körpersprache transportieren.
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Hunde nutzen hauptsächlich ihren Körper zur Verständigung: Hund links droht dem Junghund.
Wir sprechen mit unserem Körper und reagieren auf die Körpersprache anderer, kommunizieren, ohne dass wir uns dessen eigentlich bewusst sind. Körpersprache bedeutet, dass der Körper mit der Umwelt kommuniziert. Nicht nur Reden ist eine Sprache. Unser Körper kann Verlangen, aber auch Abwehr nonverbal ausdrücken. Möchte der Körper einen Wunsch transportieren, wird der Ausdruck des inneren Bedürfnisses stets diesem entsprechend sein. Reagiert der Körper auf Angebote von außen, kann die Reaktion sowohl positiv als auch negativ ausfallen. Diese Signale werden als Körpersprache verstanden. (Molcho, 2001) Auch hier unterlaufen uns sicher einmal Fehlinterpretationen, gerade bei fremden Menschen, die man noch nicht so recht einzuschätzen weiß. Dennoch sind die körpersprachlichen Signale meistens eindeutig, ein Verstellen bzw. Täuschen nur schwer möglich.
Ein Wort hat eine bestimmte Bedeutung, aber das Wort allein bildet noch keinen ganzen Satz. Bei der Körpersprache ist es nicht anders. Der ganze Körper spricht mit, bildet sozusagen Sätze. Jeder Körperteil hat verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten und sagt für sich gesehen noch nicht unbedingt viel aus. Damit wir eine Sprache verstehen, müssen wir ihre Vokabeln erst lernen. Auch die Körpersprache hat ihre eigenen Vokabeln in den Körperteilen. Die Lautsprache kann lügen, widersprüchlich sein, der Körpersprache ist die Wahrheit anzusehen. (Molcho, 2001)
Unterhalten wir uns mit jemandem, so sehen wir ihn automatisch an und beobachten ihn, um Reaktionen ablesen zu können. „Und Reagieren ist eine Form des Agierens. Aktion äußert sich in Bewegung und bedeutet, dass der andere aufgenommen hat, was ich signalisiert habe.“ (Molcho, 2001) Reagiert das Gegenüber, heißt es aber nicht zugleich, dass die Botschaft auch akzeptiert wurde. Sie wurde vielleicht nur wahrgenommen, aber es wird nicht explizit darauf reagiert. Hat man nun das Gefühl, sein Gegenüber nicht erreicht zu haben, intensiviert man seine verbalen oder nonverbalen Signale, obwohl man zuvor nicht die Absicht hatte, so deutlich zu werden. (Molcho, 2001)
Diese Verstärkung gibt es auch beim Hund, oft hört man: „Er hat plötzlich, ohne zu warnen, zugebissen!“ In Wirklichkeit wurden die vorhergehenden Signale wie z. B. ein Fixieren oder Steifwerden ignoriert oder einfach nicht gesehen. Denn diese Signale werden oft nur kurz gezeigt, so dass der Mensch geübt sein muss, um sie zu erkennen.
Unsere Körpersprache sowie auch die sämtlicher anderer Lebewesen auf der Erde, ist angeboren. Man möchte es kaum glauben, aber auch in uns stecken noch biologisch begründete Signale von Territorialverhalten, Imponiergehabe und Dominanz. Vergleicht man die nun folgenden menschlichen Verhaltensweisen mit der Hundewelt, wird man auf verblüffende Parallelen treffen.
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Beim körperlichen Spiel zwischen dem Flat Coated Retriever-Rüden Buck und dem Appenzeller Sennenhund-Rüden Basti werden viele körpersprachliche Signale eingesetzt. Das Spiel ist gekennzeichnet durch Rollenwechsel, mal ist Buck vorn, mal bestimmt Basti das Spiel.
Territorial- und Revierverhalten lassen sich nicht nur in der Tierwelt beobachten. Hiermit werden das eigene Revier, der eigene Lebensraum beschützt und gesichert. Tiere neigen dazu, ihr Territorium auf irgendeine Art zu markieren, sei es durch zurückgelassene Haare, in Form von Duftmarken durch Kot und Urin oder durch reine Anwesenheit. Wir Menschen reagieren nicht anders, zum Beispiel,
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wenn wir einen Gegenstand an Stelle eines Haars zurücklassen: Dieses Verhalten kann man z. B. in Ferienzeiten beobachten, wenn Menschen „ihre“ Liege am Pool mit einem Handtuch markieren; |
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wenn wir Duftmarken, wie Parfüm, auftragen und hinterlassen; |
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wenn wir unser Revier durch reine Anwesenheit markieren bzw. durch eine ganz spezielle Form von Ordnung und Unordnung: So werden die Gemeinschaftsräume der Familie aufgeräumt gehalten, die anderen, z. B. Kinderzimmer, sind vor lauter Unordnung kaum für andere betretbar. |
Ein Beispiel aus meinen Seminaren: Zu Beginn eines Seminars stelle ich die Tische immer in einer U-Form auf. Jeder Teilnehmer sichert sich dann auch sofort einen Platz, der mit etwas Persönlichem gekennzeichnet und nach den Pausen immer wieder aufgesucht wird. Dies ist nichts anderes als territoriales Verhalten, das wir alle kennen. Doch es kommt noch besser: Am zweiten Tag stelle ich die Tische in eine parlamentarische Form um und in 28 von 30 Seminaren fragen mich die Teilnehmer sofort, ob wir die Tische nicht wieder in die U-Form zurückstellen könnten. Die Anordnung und Sicherung eines eigenen Platzes schafft also in allererster Linie Ordnung und verspricht Sicherheit.
Der Begriff des Territoriums ist nicht nur räumlich, sondern auch körperlich zu verstehen. Jeder Mensch hat und auch Tiere haben eine ganz eigene Individualdistanz. Wird diese unterschritten, geraten wir in Stress. Es gibt Menschen, die uns unangenehm auf die Pelle rücken, uns im wahrsten Sinne des Wortes zu nahe kommen. Dieses Verhalten kann man z. B. in öffentlichen Verkehrsmitteln beobachten. Betritt man einen Bus oder einen Zug, sucht man sich gern ganz freie Doppelsitze oder Abteile. Kaum jemand wird sich neben eine fremde Person setzen, wenn noch irgendwo eine freie Ecke zu finden ist, dafür durchqueren einige auch ganze Zugwaggons. Nur ungern kommt man Fremden so nah. Bei anderen Menschen, z. B. Sozialpartnern, lassen wir diese Nähe gerne zu und suchen sie auch. Individualdistanz ist aber nicht nur abhängig von der Person, sondern auch von der jeweiligen Situation, in der wir und das Gegenüber uns befinden. Bin ich selbst gerade gestresst oder aber gab es vorher eine Meinungsverschiedenheit, möchte ich vielleicht lieber auf Abstand gehen, brauche Zeit für mich, in der ich die Nähe anderer im Moment nicht ertragen kann.
Alles das findet man auch beim Hund, gerade Mehrhundehalter können diese Verhaltensweisen immer wieder beobachten. Hunde, die sich verstehen und mögen, liegen eng aneinandergekuschelt zusammen, gern auch in einem Körbchen, auch wenn der Platz dann eng wird. Doch manchmal braucht jeder Hund einfach sein eigenes Körbchen, will für sich sein, sich der Länge nach ausstrecken und seine Ruhe haben.
© Klaus Grittner
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Distanz wird visuell durch das Abwenden der Körper gezeigt. Man sitzt bzw. liegt weit auseinander, die Körperfront vom Gegenüber abgewendet.
Nähe dagegen zeigt man, indem man sich einander zuwendet und gegebenenfalls sogar Körperkontakt herstellt.
Bei Hunden gilt dasselbe wie bei Menschen: auch sie zeigen Distanz und Nähe.
„Wie komme ich einem anderen vertrauensvoll entgegen? Tatsächlich erweckt derjenige Vertrauen, der dem anderen sozusagen seinen weichen Bauch ausliefert. Wer seitwärts, also mit den Schultern voran zu einem Partner tritt, isoliert ihn und sich. Jedenfalls hält er Distanz. Mit jeder Abwendung werden andere Optionen wahrgenommen, der Sicherheitsabstand zum Partner wächst. Wenden wir dem Partner unseren Mittelkörper zu, so wird diese Zuwendung zu Zuneigung und zu größerer Nähe führen. Je näher mir der andere kommt, umso mehr Vertrauen drückt er damit aus und fordert er auch von mir.“ (Molcho, 2001)
Der Bauch ist der weiche Teil unseres Mittelkörpers, der nicht überall durch Knochen geschützt ist. Wir schützen ihn instinktiv vor Verletzungen. Auch das Verschränken der Arme vor dem Bauch ist ein Zeichen für „auf Distanz halten“. Man schützt sozusagen den weichen Teil mit den Armen und geht damit auf Abstand zu seinem Gegenüber. Kommt dieser einem näher, weicht man unwillkürlich ein Schritt nach hinten aus.
Je freier und offener jemand seinen Bauch demonstriert, desto selbstbewusster und vertrauensvoller ist er auch. Wer mit offenen Armen und ungeschütztem Bauch auf jemanden zukommt, drückt aus, dass er als Freund kommt. (Molcho, 2001)
Ebenso unangenehm wie das Unterschreiten der Individualdistanz ist auch das Über-die-Schulter-Schauen. Wir empfangen zwar auch Informationen mit dem Rücken, aber es sind wesentlich weniger als mit den Augen.
Jemanden in unserem Nacken zu spüren, ist allein schon unangenehm, weil wir sehen möchten, was uns erwartet. Ertragen können wir diese Situation nur dann, wenn wir zu der Person hinter uns Vertrauen haben, sie uns Rückendeckung geben kann. (Molcho, 2001) Besteht keine Vertrauensbasis, drehen wir uns lieber um oder gehen weg.
Im Fall des Paares auf dem Foto unten links sprechen die Körper eine deutliche Sprache. Der Mann hat die Schultern angehoben, den Kopf nach vorn gerichtet und die Individualdistanz zur Frau dadurch verringert. Er nimmt eine drohende Stellung ein. Im Gegenzug dazu lässt die Frau die Schultern hängen, weicht mit ihrem Körper zurück und geht auf Abstand zum Mann. Dadurch möchte sie die Situation deeskalieren und ihn damit milde stimmen. Auf dem anderen Foto stehen die beiden Menschen neutral, die Körper sind gerade aufgerichtet, die Stellung ist leicht geöffnet zueinander. Es herrscht eine entspannte, freundliche, offene Atmosphäre.
Imponiergehabe findet man nicht nur im Tierreich – auch wir Menschen haben das Bedürfnis, Überlegenheit zu demonstrieren. Man macht sich größer, stärker und schneller – „mein Haus, mein Auto, meine Yacht“. Streckt jemand seinen Körper, macht er sich größer; hebt man seine Stimme, möchte man seine Macht, seine Energie zeigen. Wird das Kinn vorgestreckt, zeigt man starken Willen.
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Stefan ist aufgebracht und zeigt dies Silvia gegenüber durch seine Körpersprache.
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Stefan und Silvia wenden sich einander zu, sie stehen beide offen und neutral.
Die geschwellte Brust gehört zum Imponiergehabe, sie ist reine Effekthascherei. Wer mit geschwellter Brust herumläuft, muss sich unbedingt beweisen. Er wirkt aufgeblasen und angeberisch, möchte aber Kraft demonstrieren. Ist der Brustkasten eingefallen, signalisiert der Körper hingegen mangelnde Energie und Handlungsbereitschaft.
Genauso wie beim Menschen findet man Imponiergehabe beim Hund oft in sexuell motivierten Situationen. Der Rüde, der auf eine – gegebenenfalls sogar läufige – Hündin trifft, legt das Gewicht auf die Vorderbeine, hebt den Kopf stark an und drückt damit die Brust nach vorn. Er läuft trippelnd auf durchgedrückten Beinen und macht sich möglichst groß.
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Auch beim Menschen findet man Imponiergehabe oft in sexuellem Kontext. Hier möchte Stefan Silvia nicht nur mit seiner Erzählung, sondern auch durch seine Körpersprache beeindrucken: Er macht sich groß und streckt die Brust heraus.
„Signale von Dominanz gehen stets von oben nach unten. Wer legt dem anderen die Hand auf die Schulter? Wer stoppt den Vortrag des anderen, indem er seinen Arm berührt? Immer der hierarchisch Mächtigere. Wer würde dasselbe seinem Chef gegenüber tun? Wer fällt dem Gesprächspartner ins Wort? Herrschaftssignale auf Schritt und Tritt, nicht angeborene, sondern sozial erworbene. Wer über die Zeit verfügt und das Ende eines Gesprächs bestimmt, signalisiert sein hierarchisches Übergewicht. Ein wichtiges Indiz.“ (Molcho, 2001)
Ein weiteres Signal des Dominanzverhaltens ist der Blick. Nicht das einfache An- oder Vorbeischauen, sondern der scharfe Blick, und das in Kombination mit weiteren körpersprachlichen Einzelsignalen. Es ist ein System. Man steht aufrecht und straff, mit geradem Kopf, versteiftem Nacken, der Blick ist nach vorn gerichtet. Die Augen werden leicht zusammengezogen, als wolle man alle zurzeit unwichtigen Informationen ausblenden. Die Konzentration sowie die Energie sind auf einen einzelnen Punkt gebündelt. Die Konzentration ist nur auf den Gegner gerichtet, man lässt ihn nicht aus den Augen. Früher hätte es einen das Leben kosten können, heute ist das System der Zivilisation angepasst. Diese Zielfixierung und genaue Beobachtung fördern die Sprungbereitschaft. Ein kurzer strenger Blick ist auch heute noch eine klassische Drohgebärde und sagt dem Gegenüber unmissverständlich: „Komm mir nicht zu nah!“ (Molcho, 2001)