Johann Wolfgang von Goethe
Erster und zweiter Teil
Direktor. Theatherdichter. Lustige Person:
Direktor:
Ihr beiden, die ihr mir so
oft,
In Not und Trübsal,
beigestanden,
Sagt, was ihr wohl in
deutschen Landen
Von unsrer Unternehmung
hofft?
Ich wünschte sehr der Menge zu
behagen,
Besonders weil sie lebt und
leben läßt.
Die Pfosten sind, die Bretter
aufgeschlagen,
Und jedermann erwartet sich
ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen
Augenbraunen
Gelassen da und möchten gern
erstaunen.
Ich weiß, wie man den Geist
des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie
gewesen:
Zwar sind sie an das Beste
nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich
viel gelesen.
Wie machen wir's, daß alles
frisch und neu
Und mit Bedeutung auch
gefällig sei?
Denn freilich mag ich gern die
Menge sehen,
Wenn sich der Strom nach
unsrer Bude drängt,
Und mit gewaltig wiederholten
Wehen
Sich durch die enge
Gnadenpforte zwängt;
Bei hellem Tage, schon vor
vieren,
Mit Stößen sich bis an die
Kasse ficht
Und, wie in Hungersnot um Brot
an Bäckertüren,
Um ein Billet sich fast die
Hälse bricht.
Dies Wunder wirkt auf so
verschiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund,
o tu es heute!
Dichter:
O sprich mir nicht von jener
bunten Menge,
Bei deren Anblick uns der
Geist entflieht.
Verhülle mir das wogende
Gedränge,
Das wider Willen uns zum
Strudel zieht.
Nein, führe mich zur stillen
Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine
Freude blüht;
Wo Lieb und Freundschaft
unsres Herzens Segen
Mit Götterhand erschaffen und
erpflegen.
Ach! was in tiefer Brust uns
da entsprungen,
Was sich die Lippe schüchtern
vorgelallt,
Mißraten jetzt und jetzt
vielleicht gelungen,
Verschlingt des wilden
Augenblicks Gewalt.
Oft, wenn es erst durch Jahre
durchgedrungen,
Erscheint es in vollendeter
Gestalt.
Was glänzt, ist für den
Augenblick geboren,
Das Echte bleibt der Nachwelt
unverloren.
Lustige Person:
Wenn ich nur nichts von
Nachwelt hören sollte.
Gesetzt, daß ich von
Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt
Spaß?
Den will sie doch und soll ihn
haben.
Die Gegenwart von einem braven
Knaben
Ist, dächt ich, immer auch
schon was.
Wer sich behaglich mitzuteilen
weiß,
Den wird des Volkes Laune
nicht erbittern;
Er wünscht sich einen großen
Kreis,
Um ihn gewisser zu
erschüttern.
Drum seid nur brav und zeigt
euch musterhaft,
Laßt Phantasie, mit allen
ihren Chören,
Vernunft, Verstand,
Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht
ohne Narrheit hören.
Direktor:
Besonders aber laßt genug
geschehn!
Man kommt zu schaun, man will
am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen
abgesponnen,
So daß die Menge staunend
gaffen kann,
Da habt Ihr in der Breite
gleich gewonnen,
Ihr seid ein vielgeliebter
Mann.
Die Masse könnt Ihr nur durch
Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich
selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird
manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus
dem Haus.
Gebt Ihr ein Stück, so gebt es
gleich in Stücken!
Solch ein Ragout, es muß Euch
glücken;
Leicht ist es vorgelegt, so
leicht als ausgedacht.
Was hilft's, wenn Ihr ein
Ganzes dargebracht?
Das Publikum wird es Euch doch
zerpflücken.
Dichter:
Ihr fühlet nicht, wie schlecht
ein solches Handwerk sei!
Wie wenig das dem echten
Künstler zieme!
Der saubern Herren
Pfuscherei
Ist, merk ich, schon bei Euch
Maxime.
Direktor:
Ein solcher Vorwurf läßt mich
ungekränkt:
Ein Mann, der recht zu wirken
denkt,
Muß auf das beste Werkzeug
halten.
Bedenkt, Ihr habet weiches
Holz zu spalten,
Und seht nur hin, für wen Ihr
schreibt!
Wenn diesen Langeweile
treibt,
Kommt jener satt vom
übertischten Mahle,
Und, was das Allerschlimmste
bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen
der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns, wie
zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflügelt
jeden Schritt;
Die Damen geben sich und ihren
Putz zum besten
Und spielen ohne Gage
mit.
Was träumet Ihr auf Eurer
Dichterhöhe?
Was macht ein volles Haus Euch
froh?
Beseht die Gönner in der
Nähe!
Halb sind sie kalt, halb sind
sie roh.
Der, nach dem Schauspiel,
hofft ein Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer
Dirne Busen.
Was plagt ihr armen Toren
viel,
Zu solchem Zweck, die holden
Musen?
Ich sag Euch, gebt nur mehr
und immer, immer mehr,
So könnt Ihr Euch vom Ziele
nie verirren
Sucht nur die Menschen zu
verwirren,
Sie zu befriedigen, ist schwer
–
Was fällt Euch an? Entzückung
oder Schmerzen?
Dichter:
Geh hin und such dir einen
andern Knecht!
Der Dichter sollte wohl das
höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm
Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich
verscherzen!
Wodurch bewegt er alle
Herzen?
Wodurch besiegt er jedes
Element?
Ist es der Einklang nicht, der
aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt
zurücke schlingt?
Wenn die Natur des Fadens
ew'ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die
Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon'sche
Menge
Verdrießlich durcheinander
klingt –
Wer teilt die fließend immer
gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich
rhythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur
allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Akkorden
schlägt?
Wer läßt den Sturm zu
Leidenschaften wüten?
Das Abendrot im ernsten Sinne
glühn?
Wer schüttet alle schönen
Frühlingsblüten
Auf der Geliebten Pfade
hin?
Wer flicht die unbedeutend
grünen Blätter
Zum Ehrenkranz Verdiensten
jeder Art?
Wer sichert den Olymp?
vereinet Götter?
Des Menschen Kraft, im Dichter
offenbart.
Lustige Person:
So braucht sie denn, die
schönen Kräfte
Und treibt die dichtrischen
Geschäfte
Wie man ein Liebesabenteuer
treibt.
Zufällig naht man sich, man
fühlt, man bleibt
Und nach und nach wird man
verflochten;
Es wächst das Glück, dann wird
es angefochten
Man ist entzückt, nun kommt
der Schmerz heran,
Und eh man sich's versieht,
ist's eben ein Roman.
Laßt uns auch so ein
Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle
Menschenleben!
Ein jeder lebt's, nicht vielen
ist's bekannt,
Und wo ihr's packt, da ist's
interessant.
In bunten Bildern wenig
Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen
Wahrheit,
So wird der beste Trank
gebraut,
Der alle Welt erquickt und
auferbaut.
Dann sammelt sich der Jugend
schönste Blüte
Vor eurem Spiel und lauscht
der Offenbarung,
Dann sauget jedes zärtliche
Gemüte
Aus eurem Werk sich
melanchol'sche Nahrung,
Dann wird bald dies, bald
jenes aufgeregt
Ein jeder sieht, was er im
Herzen trägt.
Noch sind sie gleich bereit,
zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung,
erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist, dem ist nichts
recht zu machen;
Ein Werdender wird immer
dankbar sein.
Dichter:
So gib mir auch die Zeiten
wieder,
Da ich noch selbst im Werden
war,
Da sich ein Quell gedrängter
Lieder
Ununterbrochen neu
gebar,
Da Nebel mir die Welt
verhüllten,
Die Knospe Wunder noch
versprach,
Da ich die tausend Blumen
brach,
Die alle Täler reichlich
füllten.
Ich hatte nichts und doch
genug:
Den Drang nach Wahrheit und
die Lust am Trug.
Gib ungebändigt jene
Triebe,
Das tiefe, schmerzenvolle
Glück,
Des Hasses Kraft, die Macht
der Liebe,
Gib meine Jugend mir
zurück!
Lustige Person:
Der Jugend, guter Freund,
bedarfst du allenfalls,
Wenn dich in Schlachten Feinde
drängen,
Wenn mit Gewalt an deinen
Hals
Sich allerliebste Mädchen
hängen,
Wenn fern des schnellen Laufes
Kranz
Vom schwer erreichten Ziele
winket,
Wenn nach dem heft'gen
Wirbeltanz
Die Nächte schmausend man
vertrinket.
Doch ins bekannte
Saitenspiel
Mit Mut und Anmut
einzugreifen,
Nach einem selbstgesteckten
Ziel
Mit holdem Irren
hinzuschweifen,
Das, alte Herrn, ist eure
Pflicht,
Und wir verehren euch darum
nicht minder.
Das Alter macht nicht
kindisch, wie man spricht,
Es findet uns nur noch als
wahre Kinder.
Direktor:
Der Worte sind genug
gewechselt,
Laßt mich auch endlich Taten
sehn!
Indes ihr Komplimente
drechselt,
Kann etwas Nützliches
geschehn.
Was hilft es, viel von
Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie
nie.
Gebt ihr euch einmal für
Poeten,
So kommandiert die
Poesie.
Euch ist bekannt, was wir
bedürfen,
Wir wollen stark Getränke
schlürfen;
Nun braut mir unverzüglich
dran!
Was heute nicht geschieht, ist
morgen nicht getan,
Und keinen Tag soll man
verpassen,
Das Mögliche soll der
Entschluß
Beherzt sogleich beim Schopfe
fassen,
Er will es dann nicht fahren
lassen
Und wirket weiter, weil er
muß.
Ihr wißt, auf unsern deutschen
Bühnen
Probiert ein jeder, was er
mag;
Drum schonet mir an diesem
Tag
Prospekte nicht und nicht
Maschinen.
Gebraucht das groß, und kleine
Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr
verschwenden;
An Wasser, Feuer,
Felsenwänden,
An Tier und Vögeln fehlt es
nicht.
So schreitet in dem engen
Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung
aus,
Und wandelt mit bedächt'ger
Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur
Hölle.
Der Herr. Die himmlischen Heerscharen. Nachher Mephistopheles. Die drei Erzengel treten vor.
Raphael:
Die Sonne tönt, nach alter
Weise,
In Brudersphären
Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne
Reise
Vollendet sie mit
Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln
Stärke,
Wenn keiner sie ergründen
mag;
die unbegreiflich hohen
Werke
Sind herrlich wie am ersten
Tag.
Gabriel:
Und schnell und unbegreiflich
schnelle
Dreht sich umher der Erde
Pracht;
Es wechselt
Paradieseshelle
Mit tiefer, schauervoller
Nacht.
Es schäumt das Meer in breiten
Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen
auf,
Und Fels und Meer wird
fortgerissen
Im ewig schnellem
Sphärenlauf.
Michael:
Und Stürme brausen um die
Wette
Vom Meer aufs Land, vom Land
aufs Meer,
und bilden wütend eine
Kette
Der tiefsten Wirkung rings
umher.
Da flammt ein blitzendes
Verheeren
Dem Pfade vor des
Donnerschlags.
Doch deine Boten, Herr,
verehren
Das sanfte Wandeln deines
Tags.
Zu drei:
Der Anblick gibt den Engeln
Stärke,
Da keiner dich ergründen
mag,
Und alle deine hohen
Werke
Sind herrlich wie am ersten
Tag.
Mephistopheles:
Da du, o Herr, dich einmal
wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bei
uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich
gerne sahst,
So siehst du mich auch unter
dem Gesinde.
Verzeih, ich kann nicht hohe
Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze
Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß
zum Lachen,
Hättst du dir nicht das Lachen
abgewöhnt.
Von Sonn' und Welten weiß ich
nichts zu sagen,
Ich sehe nur, wie sich die
Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt
bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie
am ersten Tag.
Ein wenig besser würd er
leben,
Hättst du ihm nicht den Schein
des Himmelslichts gegeben;
Er nennt's Vernunft und
braucht's allein,
Nur tierischer als jedes Tier
zu sein.
Er scheint mir, mit Verlaub
von euer Gnaden,
Wie eine der langbeinigen
Zikaden,
Die immer fliegt und fliegend
springt
Und gleich im Gras ihr altes
Liedchen singt;
Und läg er nur noch immer in
dem Grase!
In jeden Quark begräbt er
seine Nase.
DER HERR:
Hast du mir weiter nichts zu
sagen?
Kommst du nur immer
anzuklagen?
Ist auf der Erde ewig dir
nichts recht?
Mephistopheles:
Nein Herr! ich find es dort,
wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in
ihren Jammertagen,
Ich mag sogar die armen selbst
nicht plagen.
DER HERR:
Kennst du den Faust?
Mephistopheles:
Den Doktor?
DER HERR:
Meinen Knecht!
Mephistopheles:
Fürwahr! er dient Euch auf
besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Toren
Trank noch Speise.
Ihn treibt die Gärung in die
Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit
halb bewußt;
Vom Himmel fordert er die
schönsten Sterne
Und von der Erde jede höchste
Lust,
Und alle Näh und alle
Ferne
Befriedigt nicht die
tiefbewegte Brust.
DER HERR:
Wenn er mir auch nur verworren
dient,
So werd ich ihn bald in die
Klarheit führen.
Weiß doch der Gärtner, wenn
das Bäumchen grünt,
Das Blüt und Frucht die
künft'gen Jahre zieren.
Mephistopheles:
Was wettet Ihr? den sollt Ihr
noch verlieren!
Wenn Ihr mir die Erlaubnis
gebt,
Ihn meine Straße sacht zu
führen.
DER HERR:
Solang er auf der Erde
lebt,
So lange sei dir's nicht
verboten,
Es irrt der Mensch so lang er
strebt.
Mephistopheles:
Da dank ich Euch; denn mit den
Toten
Hab ich mich niemals gern
befangen.
Am meisten lieb ich mir die
vollen, frischen Wangen.
Für einem Leichnam bin ich
nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit
der Maus.
DER HERR:
Nun gut, es sei dir
überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem
Urquell ab,
Und führ ihn, kannst du ihn
erfassen,
Auf deinem Wege mit
herab,
Und steh beschämt, wenn du
bekennen mußt:
Ein guter Mensch, in seinem
dunklen Drange,
Ist sich des rechten Weges
wohl bewußt.
Mephistopheles:
Schon gut! nur dauert es nicht
lange.
Mir ist für meine Wette gar
nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck
gelange,
Erlaubt Ihr mir Triumph aus
voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit
Lust,
Wie meine Muhme, die berühmte
Schlange.
DER HERR:
Du darfst auch da nur frei
erscheinen;
Ich habe deinesgleichen nie
gehaßt.
Von allen Geistern, die
verneinen,
ist mir der Schalk am
wenigsten zur Last.
Des Menschen Tätigkeit kann
allzu leicht erschlaffen,
er liebt sich bald die
unbedingte Ruh;
Drum geb ich gern ihm den
Gefallen zu,
Der reizt und wirkt und muß
als Teufel schaffen.
Doch ihr, die echten
Göttersöhne,
Erfreut euch der lebendig
reichen Schöne!
Das Werdende, das ewig wirkt
und lebt,
Umfass euch mit der Liebe
holden Schranken,
Und was in schwankender
Erscheinung schwebt,
Befestigt mit dauernden
Gedanken!
(Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich.)
Mephistopheles (allein) :
Von Zeit zu Zeit seh ich den
Alten gern,
Und hüte mich, mit ihm zu
brechen.
Es ist gar hübsch von einem
großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel
selbst zu sprechen.
In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer Faust, unruhig auf seinem Sessel am Pulte.
Faust:
Habe nun, ach!
Philosophie,
Juristerei und
Medizin,
Und leider auch
Theologie
Durchaus studiert, mit heißem
Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer
Tor!
Und bin so klug als wie
zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor
gar
Und ziehe schon an die zehen
Jahr
Herauf, herab und quer und
krumm
Meine Schüler an der Nase
herum –
Und sehe, daß wir nichts
wissen können!
Das will mir schier das Herz
verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als
all die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber
und Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch
Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle
noch Teufel –
Dafür ist mir auch alle Freud
entrissen,
Bilde mir nicht ein, was
Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich
könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu
bekehren.
Auch hab ich weder Gut noch
Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der
Welt;
Es möchte kein Hund so länger
leben!
Drum hab ich mich der Magie
ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und
Mund
Nicht manch Geheimnis würde
kund;
Daß ich nicht mehr mit saurem
Schweiß
Zu sagen brauche, was ich
nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die
Welt
Im Innersten
zusammenhält,
Schau alle Wirkenskraft und
Samen,
Und tu nicht mehr in Worten
kramen.
O sähst du, voller
Mondenschein,
Zum letzenmal auf meine
Pein,
Den ich so manche
Mitternacht
An diesem Pult
herangewacht:
Dann über Büchern und
Papier,
Trübsel'ger Freund, erschienst
du mir!
Ach! könnt ich doch auf
Bergeshöhn
In deinem lieben Lichte
gehn,
Um Bergeshöhle mit Geistern
schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer
weben,
Von allem Wissensqualm
entladen,
In deinem Tau gesund mich
baden!
Weh! steck ich in dem Kerker
noch?
Verfluchtes dumpfes
Mauerloch,
Wo selbst das liebe
Himmelslicht
Trüb durch gemalte Scheiben
bricht!
Beschränkt mit diesem
Bücherhauf,
den Würme nagen, Staub
bedeckt,
Den bis ans hohe Gewölb
hinauf
Ein angeraucht Papier
umsteckt;
Mit Gläsern, Büchsen rings
umstellt,
Mit Instrumenten
vollgepfropft,
Urväter Hausrat drein gestopft
–
Das ist deine Welt! das heißt
eine Welt!
Und fragst du noch, warum dein
Herz
Sich bang in deinem Busen
klemmt?
Warum ein unerklärter
Schmerz
Dir alle Lebensregung
hemmt?
Statt der lebendigen
Natur,
Da Gott die Menschen schuf
hinein,
Umgibt in Rauch und Moder
nur
Dich Tiergeripp und
Totenbein.
Flieh! auf! hinaus ins weite
Land!
Und dies geheimnisvolle
Buch,
Von Nostradamus' eigner
Hand,
Ist dir es nicht Geleit
genug?
Erkennest dann der Sterne
Lauf,
Und wenn Natur dich
Unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir
auf,
Wie spricht ein Geist zum
andren Geist.
Umsonst, daß trocknes Sinnen
hier
Die heil'gen Zeichen dir
erklärt:
Ihr schwebt, ihr Geister,
neben mir;
Antwortet mir, wenn ihr mich
hört!
(Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.)
Ha! welche Wonne fließt in
diesem Blick
Auf einmal mir durch alle
meine Sinnen!
Ich fühle junges, heil'ges
Lebensglück
Neuglühend mir durch Nerv' und
Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese
Zeichen schrieb,
Die mir das innre Toben
stillen,
Das arme Herz mit Freude
füllen,
Und mit geheimnisvollem
Trieb
Die Kräfte der Natur rings um
mich her enthüllen?
Bin ich ein Gott? Mir wird so
licht!
Ich schau in diesen reinen
Zügen
Die wirkende Natur vor meiner
Seele liegen.
Jetzt erst erkenn ich, was der
Weise spricht:
"Die Geisterwelt ist nicht
verschlossen;
Dein Sinn ist zu, dein Herz
ist tot!
Auf, bade, Schüler,
unverdrossen
Die ird'sche Brust im
Morgenrot!"
(er beschaut das Zeichen.)
Wie alles sich zum Ganzen
webt,
Eins in dem andern wirkt und
lebt!
Wie Himmelskräfte auf und
nieder steigen
Und sich die goldnen Eimer
reichen!
Mit segenduftenden
Schwingen
Vom Himmel durch die Erde
dringen,
Harmonisch all das All
durchklingen!
Welch Schauspiel! Aber ach!
ein Schauspiel nur!
Wo fass ich dich, unendliche
Natur?
Euch Brüste, wo? Ihr Quellen
alles Lebens,
An denen Himmel und Erde
hängt,
Dahin die welke Brust sich
drängt –
Ihr quellt, ihr tränkt, und
schmacht ich so vergebens?
(er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.)
Wie anders wirkt dies Zeichen
auf mich ein!
Du, Geist der Erde, bist mir
näher;
Schon fühl ich meine Kräfte
höher,
Schon glüh ich wie von neuem
Wein.
Ich fühle Mut, mich in die
Welt zu wagen,
Der Erde Weh, der Erde Glück
zu tragen,
Mit Stürmen mich
herumzuschlagen
Und in des Schiffbruchs
Knirschen nicht zu zagen.
Es wölkt sich über mir
–
Der Mond verbirgt sein Licht
–
Die Lampe
schwindet!
Es dampft! Es zucken rote
Strahlen
Mir um das Haupt – Es
weht
Ein Schauer vom Gewölb
herab
Und faßt mich an!
Ich fühl's, du schwebst um
mich, erflehter Geist
Enthülle dich!
Ha! wie's in meinem Herzen
reißt!
Zu neuen Gefühlen
All meine Sinnen sich
erwühlen!
Ich fühle ganz mein Herz dir
hingegeben!
Du mußt! du mußt! und kostet
es mein Leben!
(Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.)
Geist:
Wer ruft mir?
Faust (abgewendet) :
Schreckliches Gesicht!
Geist:
Du hast mich mächtig
angezogen,
An meiner Sphäre lang
gesogen,
Und nun –
Faust:
Weh! ich ertrag dich nicht!
Geist:
Du flehst, eratmend mich zu
schauen,
Meine Stimme zu hören, mein
Antlitz zu sehn;
Mich neigt dein mächtig
Seelenflehn,
Da bin ich! – Welch erbärmlich
Grauen
Faßt Übermenschen dich! Wo ist
der Seele Ruf?
Wo ist die Brust, die eine
Welt in sich erschuf
Und trug und hegte, die mit
Freudebeben
Erschwoll, sich uns, den
Geistern, gleich zu heben?
Wo bist du, Faust, des Stimme
mir erklang,
Der sich an mich mit allen
Kräften drang?
Bist du es, der, von meinem
Hauch umwittert,
In allen Lebenslagen
zittert,
Ein furchtsam weggekrümmter
Wurm?
Faust:
Soll ich dir, Flammenbildung,
weichen?
Ich bin's, bin Faust, bin
deinesgleichen!
Geist:
In Lebensfluten, im
Tatensturm
Wall ich auf und
ab,
Wehe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselndes
Wehen,
Ein glühend
Leben,
So schaff ich am laufenden
Webstuhl der Zeit
Und wirke der Gottheit
lebendiges Kleid.
Faust:
Der du die weite Welt
umschweifst,
Geschäftiger Geist, wie nah
fühl ich mich dir!
Geist:
Du gleichst dem Geist, den du
begreifst,
Nicht mir!
(verschwindet)
Faust (zusammenstürzend) :
Nicht dir?
Wem denn?
Ich Ebenbild der
Gottheit!
Und nicht einmal dir!
(es klopft)
O Tod! ich kenn's – das ist
mein Famulus –
Es wird mein schönstes Glück
zunichte!
Daß diese Fülle der
Geschichte
Der trockne Schleicher stören
muß!
Wagner im Schlafrock und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig.
Wagner:
Verzeiht! ich hör euch
deklamieren;
Ihr last gewiß ein griechisch
Trauerspiel?
In dieser Kunst möcht ich was
profitieren,
Denn heutzutage wirkt das
viel.
Ich hab es öfters rühmen
hören,
Ein Komödiant könnt einen
Pfarrer lehren.
Faust:
Ja, wenn der Pfarrer ein
Komödiant ist;
Wie das denn wohl zuzeiten
kommen mag.
Wagner:
Ach! wenn man so in sein
Museum gebannt ist,
Und sieht die Welt kaum einen
Feiertag,
Kaum durch ein Fernglas, nur
von weitem,
Wie soll man sie durch
Überredung leiten?
Faust:
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr
werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele
dringt
Und mit urkräftigem
Behagen
Die Herzen aller Hörer
zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt
zusammen,
Braut ein Ragout von andrer
Schmaus
Und blast die kümmerlichen
Flammen
Aus eurem Aschenhäuschen
'raus!
Bewundrung von Kindern und
Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen
steht –
Doch werdet ihr nie Herz zu
Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen
geht.
Wagner:
Allein der Vortrag macht des
Redners Glück;
Ich fühl es wohl, noch bin ich
weit zurück.
Faust:
Such Er den redlichen
Gewinn!
Sei Er kein schellenlauter
Tor!
Es trägt Verstand und rechter
Sinn
Mit wenig Kunst sich selber
vor!
Und wenn's euch Ernst ist, was
zu sagen,
Ist's nötig, Worten
nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so
blinkend sind,
In denen ihr der Menschheit
Schnitzel kräuselt,
Sind unerquicklich wie der
Nebelwind,
Der herbstlich durch die
dürren Blätter säuselt!
Wagner:
Ach Gott! die Kunst ist
lang;
Und kurz ist unser
Leben.
Mir wird, bei meinem
kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen
bang.
Wie schwer sind nicht die
Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen
steigt!
Und eh man nur den halben Weg
erreicht,
Muß wohl ein armer Teufel
sterben.
Faust:
Das Pergament, ist das der
heil'ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf
ewig stillt?
Erquickung hast du nicht
gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner
Seele quillt.
Wagner:
Verzeiht! es ist ein groß
Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten
zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein
weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so
herrlich weit gebracht.
Faust:
O ja, bis an die Sterne
weit!
Mein Freund, die Zeiten der
Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben
Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten
heißt,
Das ist im Grund der Herren
eigner Geist,
In dem die Zeiten sich
bespiegeln.
Da ist's denn wahrlich oft ein
Jammer!
Man läuft euch bei dem ersten
Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und eine
Rumpelkammer
Und höchstens eine Haupt- und
Staatsaktion
Mit trefflichen pragmatischen
Maximen,
Wie sie den Puppen wohl im
Munde ziemen!
Wagner:
Allein die Welt! des Menschen
Herz und Geist!
Möcht jeglicher doch was davon
erkennen.
Faust:
Ja, was man so erkennen
heißt!
Wer darf das Kind beim Namen
nennen?
Die wenigen, die was davon
erkannt,
Die töricht g'nug ihr volles
Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr
Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und
verbrannt.
Ich bitt Euch, Freund, es ist
tief in der Nacht,
Wir müssen's diesmal
unterbrechen.
Wagner:
Ich hätte gern nur immer
fortgewacht,
Um so gelehrt mit Euch mich zu
besprechen.
Doch morgen, als am ersten
Ostertage,
Erlaubt mir ein' und andre
Frage.
Mit Eifer hab' ich mich der
Studien beflissen;
Zwar weiß ich viel, doch
möcht' ich alles wissen.
(Ab.)
Faust (allein) :
Wie nur dem Kopf nicht alle
Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge
klebt,
Mit gier'ger Hand nach
Schätzen gräbt,
Und froh ist, wenn er
Regenwürmer findet!
Darf eine solche
Menschenstimme hier,
Wo Geisterfülle mich umgab,
ertönen?
Doch ach! für diesmal dank ich
dir,
Dem ärmlichsten von allen
Erdensöhnen.
Du rittest mich von der
Verzweiflung los,
Die mir die Sinne schon
zerstören wollte.
Ach! die Erscheinung war so
riesengroß,
Daß ich mich recht als Zwerg
empfinden sollte.
Ich, Ebenbild der Gottheit,
das sich schon
Ganz nah gedünkt dem Spiegel
ew'ger Wahrheit,
Sein selbst genoß in
Himmelsglanz und Klarheit,
Und abgestreift den
Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub, dessen
freie Kraft
Schon durch die Adern der
Natur zu fließen
Und, schaffend, Götterleben zu
genießen
Sich ahnungsvoll vermaß, wie
muß ich's büßen!
Ein Donnerwort hat mich
hinweggerafft.
Nicht darf ich dir zu gleichen
mich vermessen;
Hab ich die Kraft dich
anzuziehn besessen,
So hatt ich dich zu halten
keine Kraft.
Zu jenem sel'gen
Augenblicke
Ich fühlte mich so klein, so
groß;
Du stießest grausam mich
zurück,
Ins ungewisse
Menschenlos.
Wer lehret mich? was soll ich
meiden?
Soll ich gehorchen jenem
Drang?
Ach! unsre Taten selbst, so
gut als unsre Leiden,
Sie hemmen unsres Lebens
Gang.
Dem Herrlichsten, was auch der
Geist empfangen,
Drängt immer fremd und fremder
Stoff sich an;
Wenn wir zum Guten dieser Welt
gelangen,
Dann heißt das Beßre Trug und
Wahn.
Die uns das Leben gaben,
herrliche Gefühle
Erstarren in dem irdischen
Gewühle.
Wenn Phantasie sich sonst mit
kühnem Flug
Und hoffnungsvoll zum Ewigen
erweitert,
So ist ein kleiner Raum ihr
genug,
Wenn Glück auf Glück im
Zeitenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet gleich im
tiefen Herzen,
Dort wirket sie geheime
Schmerzen,
Unruhig wiegt sie sich und
störet Luft und Ruh;
Sie deckt sich stets mit neuen
Masken zu,
Sie mag als Haus und Hof, als
Weib und Kind erscheinen,
Als Feuer, Wasser, Dolch und
Gift;
Du bebst vor allem, was nicht
trifft,
Und was du nie verlierst, das
mußt du stets beweinen.
Den Göttern gleich ich nicht!
zu tief ist es gefühlt;
Dem Wurme gleich ich, der den
Staub durchwühlt,
Den, wie er sich im Staube
nährend lebt,
Des Wandrers Tritt vernichtet
und begräbt.
Ist es nicht Staub, was diese
hohe Wand
Aus hundert Fächern mit
verenget?
Der Trödel, der mit
tausendfachem Tand
In dieser Mottenwelt mich
dränget?
Hier soll ich finden, was mir
fehlt?
Soll ich vielleicht in tausend
Büchern lesen,
Daß überall die Menschen sich
gequält,
Daß hie und da ein Glücklicher
gewesen? –
Was grinsest du mir, hohler
Schädel, her?
Als daß dein Hirn, wie meines,
einst verwirret
Den leichten Tag gesucht und
in der Dämmrung schwer,
Mit Luft nach Wahrheit,
jämmerlich geirret.
Ihr Instrumente freilich
spottet mein,
Mit Rad und Kämmen, Walz und
Bügel:
Ich stand am Tor, ihr solltet
Schlüssel sein;
Zwar euer Bart ist kraus, doch
hebt ihr nicht die Riegel.
Geheimnisvoll am lichten
Tag
Läßt sich Natur des Schleiers
nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht
offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab
mit Hebeln und mit Schrauben.
Du alt Geräte, das ich nicht
gebraucht,
Du stehst nur hier, weil dich
mein Vater brauchte.
Du alte Rolle, du wirst
angeraucht,
Solang an diesem Pult die
trübe Lampe schmauchte.
Weit besser hätt ich doch mein
Weniges verpraßt,
Als mit dem Wenigen belastet
hier zu schwitzen!
Was du ererbt von deinem Vater
hast,
Erwirb es, um es zu
besitzen.
Was man nicht nützt, ist eine
schwere Last,
Nur was der Augenblick
erschafft, das kann er nützen.
Doch warum heftet sich mein
Blick auf jene Stelle?
Ist jenes Fläschchen dort den
Augen ein Magnet?
Warum wird mir auf einmal
lieblich helle,
Als wenn im nächt'gen Wald uns
Mondenglanz umweht?
Ich grüße dich, du einzige
Phiole,
Die ich mit Andacht nun
herunterhole!
In dir verehr ich Menschenwitz
und Kunst.
Du Inbegriff der holden
Schlummersäfte,
Du Auszug aller tödlich feinen
Kräfte,
Erweise deinem Meister deine
Gunst!
Ich sehe dich, es wird der
Schmerz gelindert,
Ich fasse dich, das Streben
wird gemindert,
Des Geistes Flutstrom ebbet
nach und nach.
Ins hohe Meer werd ich
hinausgewiesen,
Die Spiegelflut erglänzt zu
meinen Füßen,
Zu neuen Ufern lockt ein neuer
Tag.
Ein Feuerwagen schwebt, auf
leichten Schwingen,
An mich heran! Ich fühle mich
bereit,
Auf neuer Bahn den Äther zu
durchdringen,
Zu neuen Sphären reiner
Tätigkeit.
Dies hohe Leben, diese
Götterwonne!
Du, erst noch Wurm, und die
verdienest du?
Ja, kehre nur der holden
Erdensonne
Entschlossen deinen Rücken
zu!
Vermesse dich, die Pforten
aufzureißen,
Vor denen jeder gern
vorüberschleicht!
Hier ist es Zeit, durch Taten
zu beweisen,
Das Manneswürde nicht der
Götterhöhe weicht,
Vor jener dunkeln Höhle nicht
zu beben,
In der sich Phantasie zu
eigner Qual verdammt,
Nach jenem Durchgang
hinzustreben,
Um dessen engen Mund die ganze
Hölle flammt;
In diesem Schritt sich heiter
zu entschließen,
Und wär es mit Gefahr, ins
Nichts dahin zu fließen.
Nun komm herab, kristallne
reine Schale!
Hervor aus deinem alten
Futterale,
An die ich viele Jahre nicht
gedacht!
Du glänzetst bei der Väter
Freudenfeste,
Erheitertest die ernsten
Gäste,
Wenn einer dich dem andern
zugebracht.
Der vielen Bilder künstlich
reiche Pracht,
Des Trinkers Pflicht, sie
reimweis zu erklären,
Auf einen Zug die Höhlung
auszuleeren,
Erinnert mich an manche
Jugendnacht.
Ich werde jetzt dich keinem
Nachbar reichen,
Ich werde meinen Witz an
deiner Kunst nicht zeigen.
Hier ist ein Saft, der eilig
trunken macht;
Mit brauner Flut erfüllt er
deine Höhle.
Den ich bereit, den ich
wähle,
"Der letzte Trunk sei nun, mit
ganzer Seele,
Als festlich hoher Gruß, dem
Morgen zugebracht!
(Er setzt die Schale an den Mund.)
Glockenklang und Chorgesang.
Chor der Engel:
Christ
ist erstanden!
Freude
dem Sterblichen,
Den die
verderblichen,
Schleichenden, erblichen
Mängel
unwanden.
Faust:
Welch tiefes Summen, welch
heller Ton
Zieht mit Gewalt das Glas von
meinem Munde?
Verkündigt ihr dumpfen Glocken
schon
Des Osterfestes erste
Feierstunde?
Ihr Chöre, singt ihr schon den
tröstlichen Gesang,
Der einst, um Grabes Nacht,
von Engelslippen klang,
Gewißheit einem neuen
Bunde?
Chor der Weiber:
Mit
Spezereien
Hatten
wir ihn gepflegt,
Wir seine
Treuen
Hatten
ihn hingelegt;
Tücher
und Binden
Reinlich
unwanden wir,
Ach! und
wir finden
Christ
nicht mehr hier.
Chor der Engel:
Christ
ist erstanden!
Selig der
Liebende,
Der die
betrübende,
Heilsam
und übende
Prüfung
bestanden.
Faust:
Was sucht ihr, mächtig und
gelind,
Ihr Himmelstöne, mich am
Staube?
Klingt dort umher, wo weiche
Menschen sind.
Die Botschaft hör ich wohl,
allein mir fehlt der Glaube;
Das Wunder ist des Glaubens
liebstes Kind.
Zu jenen Sphären wag ich nicht
zu streben,
Woher die holde Nachricht
tönt;
Und doch, an diesen Klang von
Jugend auf gewöhnt,
Ruft er auch jetzt zurück mich
in das Leben.
Sonst stürzte sich der
Himmelsliebe Kuß
Auf mich herab in ernster
Sabbatstille;
Da klang so ahnungsvoll des
Glockentones Fülle,
Und ein Gebet war brünstiger
Genuß;
Ein unbegreiflich holdes
Sehnen
Trieb mich, durch Wald und
Wiesen hinzugehn,
Und unter tausend heißen
Tränen
Fühlt ich mir eine Welt
entstehn.
Dies Lieb verkündete der
Jugend muntre Spiele,
Der Frühlingsfeier freies
Glück;
Erinnrung hält mich nun, mit
kindlichem Gefühle,
Vom letzten, ernsten Schritt
zurück.
O tönet fort, ihr süßen
Himmelslieder!
Die Träne quillt, die Erde hat
mich wieder!
Chor der Jünger:
Hat der
Begrabene
Schon
sich nach oben,
Lebend
Erhabene,
Herrlich
erhoben;
Ist er in
Werdeluft
Schaffender Freude nah:
Ach! an
der Erde Brust
Sind wir
zum Leide da.
Ließ er
die Seinen
Schmachtend uns hier zurück;
Ach! wir
beweinen,
Meister,
dein Glück!
Chor der Engel:
Christ
ist erstanden,
Aus der
Verwesung Schoß.
Reißet
von Banden
Freudig
euch los!
Tätig ihn
preisenden,
Liebe
beweisenden,
Brüderlich speisenden,
Predigend
reisenden,
Wonne
verheißenden
Euch ist
der Meister nah,
Euch ist
er da!
Spaziergänger aller Art ziehen hinaus.
Einige Handwerksbursche:
Warum denn dort hinaus?
Andre:
Wir gehn hinaus aufs Jägerhaus.
Die Ersten:
Wir aber wollen nach der Mühle wandern.
Ein Handwerksbursch:
Ich rat euch, nach dem Wasserhof zu gehn.
Zweiter:
Der Weg dahin ist gar nicht schön.
Die Zweiten:
Was tust denn du?
Ein Dritter:
Ich gehe mit den andern.
Vierter:
Nach Burgdorf kommt herauf,
gewiß dort findet ihr
Die schönsten Mädchen und das
beste Bier,
Und Händel von der ersten
Sorte.
Fünfter:
Du überlustiger
Gesell,
Juckt dich zum drittenmal das
Fell?
Ich mag nicht hin, mir graut
es vor dem Orte.
Dienstmädchen:
Nein, nein! ich gehe nach der Stadt zurück.
Andre:
Wir finden ihn gewiß bei jenen Pappeln stehen.
Erste:
Das ist für mich kein großes
Glück;
Er wird an deiner Seite
gehen,
Mit dir nur tanzt er auf dem
Plan.
Was gehn mich deine Freuden
an!
Andre:
Heut ist er sicher nicht
allein,
Der Krauskopf, sagt er, würde
bei ihm sein.
Schüler:
Blitz, wie die wackern Dirnen
schreiten!
Herr Bruder, komm! wir müssen
sie begleiten.
Ein starkes Bier, ein
beizender Toback,
Und eine Magd im Putz, das ist
nun mein Geschmack.
Bürgermädchen:
Da sieh mir nur die schönen
Knaben!
Es ist wahrhaftig eine
Schmach:
Gesellschaft könnten sie die
allerbeste haben,
Und laufen diesen Mägden
nach!
Zweiter Schüler (zum ersten) :
Nicht so geschwind! dort
hinten kommen zwei,
Sie sind gar niedlich
angezogen,
's ist meine Nachbarin
dabei;
Ich bin dem Mädchen sehr
gewogen.
Sie gehen ihren stillen
Schritt
Und nehmen uns doch auch am
Ende mit.
Erster:
Herr Bruder, nein! Ich bin
nicht gern geniert.
Geschwind! daß wir das
Wildbret nicht verlieren.
Die Hand, die samstags ihren
Besen führt
Wird sonntags dich am besten
karessieren.
Bürger:
Nein, er gefällt mir nicht,
der neue Burgemeister!
Nun, da er's ist, wird er nur
täglich dreister.
Und für die Stadt was tut denn
er?
Wird es nicht alle Tage
schlimmer?
Gehorchen soll man mehr als
immer,
Und zahlen mehr als je
vorher.
Bettler (singt) :
Ihr guten
Herrn, ihr schönen Frauen,
So
wohlgeputzt und backenrot,
Belieb es
euch, mich anzuschauen,
Und seht
und mildert meine Not!
Laßt hier
mich nicht vergebens leiern!
Nur der
ist froh, der geben mag.
Ein Tag,
den alle Menschen feiern,
Er sei
für mich ein Erntetag.
Andrer Bürger:
Nichts Bessers weiß ich mir an
Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und
Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der
Türkei,
Die Völker aufeinander
schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt
sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die
bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh
nach Haus,
Und segnet Fried und
Friedenszeiten.
Dritter Bürger:
Herr Nachbar, ja! so laß ich's
auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe
spalten,
Mag alles durcheinander
gehn;
Doch nur zu Hause bleib's beim
alten.
Alte (zu den Bürgermädchen) :
Ei! wie geputzt! das schöne
junge Blut!
Wer soll sich nicht in euch
vergaffen? –
Nur nicht so stolz! es ist
schon gut!
Und was ihr wünscht, das wüßt
ich wohl zu schaffen.
Bürgermädchen:
Agathe, fort! ich nehme mich
in acht,
Mit solchen Hexen öffentlich
zu gehen;
Sie ließ mich zwar in Sankt
Andreas' Nacht
Den künft'gen Liebsten
leiblich sehen –
Die Andre:
Mir zeigte sie ihn im
Kristall,
Soldatenhaft, mit mehreren
Verwegnen;
Ich seh mich um, ich such ihn
überall,
Allein mir will er nicht
begegnen.
Soldaten:
Burgen
mit hohen
Mauern
und Zinnen,
Mädchen
mit stolzen
Höhnenden
Sinnen
Möcht ich
gewinnen!
Kühn ist
das Mühen,
Herrlich
der Lohn!
Und die
Trompete
Lassen
wir werben,
Wie zu
der Freude,
So zum
Verderben.
Das ist
ein Stürmen!
Das ist
ein Leben!
Mädchen
und Burgen
Müssen
sich geben.
Kühn ist
das Mühen,
Herrlich
der Lohn!
Und die
Soldaten
Ziehen
davon.
Faust und Wagner.
Faust:
Vom Eise befreit sind Strom
und Bäche
Durch des Frühlings holden,
belebenden Blick;
Im Tale grünet
Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner
Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge
zurück.
Von dorther sendet er,
fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer kornigen
Eises
In Streifen über die grünende
Flur;
Aber die Sonne duldet kein
Weißes,
Überall regt sich Bildung und
Streben,
Alles will sie mit Farben
beleben;
Doch an Blumen fehlt's im
Revier
Sie nimmt geputzte Menschen
dafür.
Kehre dich um, von diesen
Höhen
Nach der Stadt
zurückzusehen.
Aus dem hohlen finstern
Tor
Dringt ein buntes Gewimmel
hervor.
Jeder sonnt sich heute so
gern.
Sie feiern die Auferstehung
des Herrn,
Denn sie sind selber
auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen
Gemächern,
Aus Handwerks- und
Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und
Dächern,
Aus der Straßen quetschender
Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger
Nacht
Sind sie alle ans Licht
gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend
sich die Menge
Durch die Gärten und Felder
zerschlägt,
Wie der Fluß, in Breit und
Länge
So manchen lustigen Nachen
bewegt,
Und bis zum Sinken
überladen
Entfernt sich dieser letzte
Kahn.
Selbst von des Berges fernen
Pfaden
Blinken uns farbige Kleider
an.
Ich höre schon des Dorfs
Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer
Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und
klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf
ich's sein!
Wagner:
Mit Euch, Herr Doktor, zu
spazieren
Ist ehrenvoll und ist
Gewinn;
Doch würd ich nicht allein
mich her verlieren,
Weil ich ein Feind von allem
Rohen bin.
Das Fiedeln, Schreien,
Kegelschieben
Ist mir ein gar verhaßter
Klang;
Sie toben wie vom bösen Geist
getrieben
Und nennen's Freude. nennen's
Gesang.
Bauern unter der
Linde.
Tanz und Gesang.
Der
Schäfer putzte sich zum Tanz,
Mit
bunter Jacke, Band und Kranz,
Schmuck
war er angezogen.
Schon um
die Linde war es voll,
Und alles
tanzte schon wie toll.
Juchhe!
Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
So ging
der Fiedelbogen.
Er
drückte hastig sich heran,
Da stieß
er an ein Mädchen an
Mit
seinem Ellenbogen;
Die
frische Dirne kehrt, sich um
Und
sagte: Nun, das find ich dumm!
Juchhe!
Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
Seid
nicht so ungezogen!
Doch
hurtig in dem Kreise ging's,
Sie
tanzten rechts, sie tanzten links,
Und alle
Röcke flogen.
Sie
wurden rot, sie wurden warm
Und
ruhten atmend Arm in Arm,
Juchhe!
Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
Und Hüft
an Ellenbogen.
Und tu
mir doch nicht so vertraut!
Wie
mancher hat nicht seine Braut
Belogen
und betrogen!
Er
schmeichelte sie doch bei Seit,
Und von
der Linde scholl es weit:
Juchhe!
Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
Geschrei
und Fiedelbogen.
Alter Bauer:
Herr Doktor, das ist schön von
Euch,
Daß Ihr uns heute nicht
verschmäht,
Und unter dieses
Volksgedräng,
Als ein so Hochgelahrter,
geht.
So nehmet auch den schönsten
Krug,
Den wir mit frischem Trunk
gefüllt,
Ich bring ihn zu und wünsche
laut,
Daß er nicht nur den Durst
Euch stillt:
Die Zahl der Tropfen, die er
hegt,
Sei Euren Tagen
zugelegt.
Faust:
Ich nehme den
Erquickungstrank
Erwidr' euch allen Heil und
Dank.
(Das Volk sammelt sich im Kreis umher.)
Alter Bauer:
Fürwahr, es ist sehr wohl
getan,
Daß Ihr am frohen Tag
erscheint;
Habt Ihr es vormals doch mit
uns
An bösen Tagen gut
gemeint!
Gar mancher steht lebendig
hier
Den Euer Vater noch
zuletzt
Der heißen Fieberwut
entriß,
Als er der Seuche Ziel
gesetzt.
Auch damals Ihr, ein junger
Mann,
Ihr gingt in jedes
Krankenhaus,
Gar manche Leiche trug man
fort,
Ihr aber kamt gesund
heraus,
Bestandet manche harte
Proben;
Dem Helfer half der Helfer
droben.
Alle:
Gesundheit dem bewährten
Mann,
Daß er noch lange helfen
kann!
Faust:
Vor jenem droben steht
gebückt,
Der helfen lehrt und Hülfe
schickt.
Er geht mit Wagnern weiter.
Wagner:
Welch ein Gefühl mußt du, o
großer Mann,
Bei der Verehrung dieser Menge
haben!
O glücklich, wer von seinen
Gaben
Solch einen Vorteil ziehen
kann!
Der Vater zeigt dich seinem
Knaben,
Ein jeder fragt und drängt und
eilt,
Die Fiedel stockt, der Tänzer
weilt.
Du gehst, in Reihen stehen
sie,
Die Mützen fliegen in die
Höh;
Und wenig fehlt, so beugten
sich die Knie,
Als käm das Venerabile.
Faust:
Nur wenig Schritte noch hinauf
zu jenem Stein,
Hier wollen wir von unsrer
Wandrung rasten.
Hier saß ich oft gedankenvoll
allein
Und quälte mich mit Beten und
mit Fasten.
An Hoffnung reich, im Glauben
fest,
Mit Tränen, Seufzen,
Händeringen
Dacht ich das Ende jener
Pest
Vom Herrn des Himmels zu
erzwingen.
Der Menge Beifall tönt mir nun
wie Hohn.
O könntest du in meinem Innern
lesen,
Wie wenig Vater und
Sohn
Solch eines Ruhmes wert
gewesen!
Mein Vater war ein dunkler
Ehrenmann,
Der über die Natur und ihre
heil'gen Kreise
In Redlichkeit, jedoch auf
seine Weise,
Mit grillenhafter Mühe
sann;
Der, in Gesellschaft von
Adepten,
Sich in die schwarze Küche
schloß,
Und, nach unendlichen
Rezepten,
Das Widrige
zusammengoß.
Da ward ein roter Leu, ein
kühner Freier,
Im lauen Bad der Lilie
vermählt,
Und beide dann mit offnem
Flammenfeuer
Aus einem Brautgemach ins
andere gequält.
Erschien darauf mit bunten
Farben
Die junge Königin im
Glas,
Hier war die Arzenei, die
Patienten starben,
Und niemand fragte: wer
genas?
So haben wir mit höllischen
Latwergen
In diesen Tälern, diesen
Bergen
Weit schlimmer als die Pest
getobt.
Ich habe selbst den Gift an
Tausende gegeben:
Sie welkten hin, ich muß
erleben,
Daß man die frechen Mörder
lobt.
Wagner:
Wie könnt Ihr Euch darum
betrüben!
Tut nicht ein braver Mann
genug,
Die Kunst, die man ihm
übertrug,
Gewissenhaft und pünktlich
auszuüben?
Wenn du als Jüngling deinen
Vater ehrst,
So wirst du gern von ihm
empfangen;
Wenn du als Mann die
Wissenschaft vermehrst,
So kann dein Sohn zu höhrem
Ziel gelangen.
Faust:
O glücklich, wer noch hoffen
kann,
Aus diesem Meer des Irrtums
aufzutauchen!
Was man nicht weiß, das eben
brauchte man,
Und was man weiß, kann man
nicht brauchen.
Doch laß uns dieser Stunde
schönes Gut
Durch solchen Trübsinn nicht
verkümmern!
Betrachte, wie in
Abendsonne-Glut
Die grünumgebnen Hütten
schimmern.
Sie rückt und weicht, der Tag
ist überlebt,
Dort eilt sie hin und fördert
neues Leben.
O daß kein Flügel mich vom
Boden hebt
Ihr nach und immer nach zu
streben!
Ich säh im ewigen
Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen
Füßen,
Entzündet alle Höhn beruhigt
jedes Tal,
Den Silberbach in goldne
Ströme fließen.
Nicht hemmte dann den
göttergleichen Lauf
Der wilde Berg mit allen
seinen Schluchten;
Schon tut das Meer sich mit
erwärmten Buchten
Vor den erstaunten Augen
auf.
Doch scheint die Göttin
endlich wegzusinken;
Allein der neue Trieb
erwacht,
Ich eile fort, ihr ew'ges
Licht zu trinken,
Vor mir den Tag und hinter mir
die Nacht,
Den Himmel über mir und unter
mir die Wellen.
Ein schöner Traum, indessen
sie entweicht.
Ach! zu des Geistes Flügeln
wird so leicht
Kein körperlicher Flügel sich
gesellen.
Doch ist es jedem
eingeboren
Daß sein Gefühl hinauf und
vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum
verloren,
Ihr schmetternd Lied die
Lerche singt;
Wenn über schroffen
Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet
schwebt,
Und über Flächen, über
Seen
Der Kranich nach der Heimat
strebt.
Wagner:
Ich hatte selbst oft
grillenhafte Stunden,
Doch solchen Trieb hab ich
noch nie empfunden.
Man sieht sich leicht an Wald
und Feldern satt;
Des Vogels Fittich werd ich
nie beneiden.
Wie anders tragen uns die
Geistesfreuden
Von Buch zu Buch, von Blatt zu
Blatt!
Da werden Winternächte hold
und schön
Ein selig Leben wärmet alle
Glieder,
Und ach! entrollst du gar ein
würdig Pergamen,
So steigt der ganze Himmel zu
dir nieder.
Faust:
Du bist dir nur des einen
Triebs bewußt,
O lerne nie den andern
kennen!
Zwei Seelen wohnen, ach! in
meiner Brust,
Die eine will sich von der
andern trennen;
Die eine hält, in derber
Liebeslust,
Sich an die Welt mit
klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich
vom Dust
Zu den Gefilden hoher
Ahnen.
O gibt es Geister in der
Luft,
Die zwischen Erd und Himmel
herrschend weben
So steiget nieder aus dem
goldnen Duft
Und führt mich weg zu neuem,
buntem Leben!
Ja, wäre nur ein Zaubermantel
mein,
Und trüg er mich in fremde
Länder!
Mir sollt er um die
köstlichsten Gewänder,
Nicht feil um einen
Königsmantel sein.
Wagner:
Berufe nicht die wohlbekannte
Schar,
Die strömend sich im
Dunstkreis überbreitet,
Dem Menschen tausendfältige
Gefahr,
Von allen Enden her,
bereitet.
Von Norden dringt der scharfe
Geisterzahn
Auf dich herbei, mit
pfeilgespitzten Zungen;
Von Morgen ziehn,
vertrocknend, sie heran,
Und nähren sich von deinen
Lungen;
Wenn sie der Mittag aus der
Wüste schickt,
Die Glut auf Glut um deinen
Scheitel häufen
So bringt der West den
Schwarm, der erst erquickt,
Um dich und Feld und Aue zu
ersäufen.
Sie hören gern, zum Schaden
froh gewandt,
Gehorchen gern, weil sie uns
gern betrügen;
Sie stellen wie vom Himmel
sich gesandt,
Und lispeln englisch, wenn sie
lügen.
Doch gehen wir! Ergraut ist
schon die Welt,
Die Luft gekühlt, der Nebel
fällt!
Am Abend schätzt man erst das
Haus. –
Was stehst du so und blickst
erstaunt hinaus?
Was kann dich in der Dämmrung
so ergreifen?
Faust:
Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?
Wagner:
Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.
Faust:
Betracht ihn recht! für was hältst du das Tier?
Wagner:
Für einen Pudel, der auf seine
Weise
Sich auf der Spur des Herren
plagt.
Faust:
Bemerkst du, wie in weitem
Schneckenkreise
Er um uns her und immer näher
jagt?
Und irr ich nicht, so zieht
ein Feuerstrudel
Auf seinen Pfaden
hinterdrein.
Wagner:
Ich sehe nichts als einen
schwarzen Pudel;
Es mag bei Euch wohl
Augentäuschung sein.
Faust:
Mir scheint es, daß er magisch
leise Schlingen
Zu künft'gem Band um unsre
Füße zieht.
Wagner:
Ich seh ihn ungewiß und
furchtsam uns umspringen,
Weil er, statt seines Herrn,
zwei Unbekannte sieht.
Faust:
Der Kreis wird eng, schon ist er nah!
Wagner:
Du siehst! ein Hund, und kein
Gespenst ist da.
Er knurrt und zweifelt, legt
sich auf den Bauch,
Er wedelt. Alles
Hundebrauch.
Faust:
Geselle dich zu uns! Komm hier!
Wagner:
Es ist ein pudelnärrisch
Tier.
Du stehest still, er wartet
auf;
Du sprichst ihn an, er strebt
an dir hinauf;
Verliere was, er wird es
bringen,
Nach deinem Stock ins Wasser
springen.
Faust:
Du hast wohl recht; ich finde
nicht die Spur
Von einem Geist, und alles ist
Dressur.
Wagner:
Dem Hunde, wenn er gut
gezogen,
Wird selbst ein weiser Mann
gewogen.
Ja, deine Gunst verdient er
ganz und gar,
Er, der Studenten trefflicher
Skolar.
(Sie gehen in das Stadttor.)
Faust mit dem Pudel hereintretend.
Faust:
Verlassen
hab ich Feld und Auen,
Die eine
tiefe Nacht bedeckt,
Mit
ahnungsvollem, heil'gem Grauen
In uns
die beßre Seele weckt.
Entschlafen sind nun wilde Triebe
Mit jedem
ungestümen Tun;
Es reget
sich die Menschenliebe,
Die Liebe
Gottes regt sich nun.
Sei ruhig, Pudel! renne nicht
hin und wider!
An der Schwelle was schnoperst
du hier?
Lege dich hinter den Ofen
nieder,
Mein bestes Kissen geb ich
dir.
Wie du draußen auf dem
bergigen Wege
Durch Rennen und Springen
ergetzt uns hast,
So nimm nun auch von mir die
Pflege,
Als ein willkommner stiller
Gast.
Ach wenn
in unsrer engen Zelle
Die Lampe
freundlich wieder brennt,
Dann
wird's in unserm Busen helle,
Im
Herzen, das sich selber kennt.
Vernunft
fängt wieder an zu sprechen,
Und
Hoffnung wieder an zu blühn,
Man sehnt
sich nach des Lebens Bächen,
Ach! nach
des Lebens Quelle hin.
Knurre nicht, Pudel! Zu den
heiligen Tönen,
Die jetzt meine ganze Seel
umfassen,
Will der tierische Laut nicht
passen.
Wir sind gewohnt, daß die
Menschen verhöhnen,
Was sie nicht
verstehn,
Daß sie vor dem Guten und
Schönen,
Das ihnen oft beschwerlich
ist, murren;
Will es der Hund, wie sie,
beknurren?
Aber ach! schon fühl ich, bei
dem besten Willen,
Befriedigung nicht mehr aus
dem Busen quillen.
Aber warum muß der Strom so
bald versiegen,
Und wir wieder im Durste
liegen?
Davon hab ich so viel
Erfahrung.
Doch dieser Mangel läßt sich
ersetzen,
Wir lernen das Überirdische
schätzen,
Wir sehnen uns nach
Offenbarung,
Die nirgends würd'ger und
schöner brennt
Als in dem Neuen
Testament.
Mich drängt's, den Grundtext
aufzuschlagen,
Mit redlichem Gefühl
einmal
Das heilige
Original
In mein geliebtes Deutsch zu
übertragen,
(Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.)
Geschrieben steht: »Im Anfang
war das Wort!«
Hier stock ich schon! Wer
hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch
unmöglich schätzen,
Ich muß es anders
übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht
erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang
war der Sinn .
Bedenke wohl die erste
Zeile,
Daß deine Feder sich nicht
übereile!
Ist es der Sinn , der
alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war
die Kraft !
Doch, auch indem ich dieses
niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich
dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf
einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im
Anfang war die Tat !