Dieses Buch wendet sich vor allem an Einsteiger in der Geologie, die mehr über die Entwicklungsgeschichte der Erde erfahren möchten und an der eigenständigen Erkundung geologischer Sehenswürdigkeiten und Erscheinungen interessiert sind. Gerade in Mitteleuropa, das aufgrund seiner wechselvollen geologischen Vergangenheit nahezu das gesamte Spektrum der erdgeschichtlichen Entwicklung vom Präkambrium vor mehr als 570 Millionen Jahren bis zur Gegenwart bietet, gibt es eine Vielzahl von Gebieten, die dies ermöglichen.
Wo bestimmte geologische Erscheinungen typischen Naturräumen wie Küste, Tiefland oder Mittelgebirge entsprechen, verbindet sich das intensive Erleben von Landschaften zudem in idealer Weise mit dem praktischen Verstehen geologischer Prozesse. Dabei spiegeln die geologischen Erscheinungen nicht nur die im Untergrund einer Landschaft herrschenden Verhältnisse wider. Sie geben auch Hinweise darauf, welche Landschaften den heutigen vorausgingen. Das Entdecken geologischer Erscheinungen bedeutet daher zugleich, Ausflüge in die Erdgeschichte zu unternehmen.
Hierzu möchte ich Sie mit diesem Buch einladen, das Ihnen hoffentlich ein informativer und interessanter geologischer Reisebegleiter sein wird.
Wenn Sie es durchgelesen haben, werden Sie wissen, dass es in der Geologie vor allem darauf ankommt, in sehr langen zeitlichen Zusammenhängen zu denken. Drei, fünf, zwanzig, selbst hundert Millionen Jahre sind Zeitspannen, in denen sich geologisches Denken ganz selbstverständlich bewegt. Es gibt auf der Erde Stellen, wie zum Beispiel den Fish-River-Canyon in Süd-Namibia, an denen man Gesteine sehen kann, die sogar über eine Milliarde Jahre alt sind!
Solche besonderen Plätze zu entdecken, die dort vorhandenen Steine zu sehen, zu befühlen und sich mit ihrer Hilfe auf eine gedankliche Reise in weit zurückliegende Epochen der Erdgeschichte zu begeben, macht für mich einen wichtigen Teil des Reizes der Beschäftigung mit geologischen Erscheinungen aus.
Sollten sich aus Ihrer Lektüre dieses Buches Anregungen für eine weitergehende Beschäftigung mit geologischen Erscheinungen sowie den Umständen ihrer Entstehung und Entwicklung ergeben, wäre mein Anliegen erreicht.
Auf Ihren Exkursionen wünsche ich Ihnen viel Spaß sowie zahlreiche spannende Entdeckungen!
Jens Edelmann
Die Kürzel an den Fotos stehen für folgende Personen. Wir bedanken uns für ihre freundliche Abdruckgenehmigung.
gh | Gerrit Hesse (S. 1, 130, 160) |
js | Jens Schulze (S. 105) |
gl | Grit Lorenz (S. 40, 70) |
hs | Hans Scharf (S. 103) |
Alle weiteren Fotos: Jens Edelmann (je)
Geologische Erscheinungen sind Zeugen der erdgeschichtlichen Entwicklung einer Landschaft. Dazu gehören die Felsenriffe der Fränkischen und Schwäbischen Alb genauso wie die eiszeitlichen Vergletscherungen, Karstgebiete, Blockmeere oder Steilküsten. Auch die Gesteine selbst, ihre Minerale sowie die Fossilien als überlieferte Reste ausgestorbener Lebensformen sind geologische Erscheinungen und stehen als solche in direktem Bezug zur Erdgeschichte.
Obwohl es zahllose geologische Erscheinungen gibt, lässt sich ihre Entstehung auf relativ wenige, meist innerhalb sehr langer Zeiträume, zum Teil aber auch sprunghaft ablaufende Grundprozesse zurückführen. Dabei spielen neben den endogenen Kräften des Erdinneren auch solche Faktoren eine Rolle, die exogen, also von außen her, auf die Erdkruste einwirken. Erdbeben und Vulkanausbrüche, Meeresvorstöße und -rückzüge, die Entstehung von Gebirgen und deren Abtragung sowie Klimaveränderungen demonstrieren eindrucksvoll, dass die Erdkruste keine starre Schale ist, sondern sich in ständiger Bewegung bzw. Veränderung befindet.
Geologische Erscheinungen lassen sich fast überall und ohne besondere Vorkenntnisse entdecken. Dabei ist es gleich, ob man im Norddeutschen Tiefland, an der Küste, im Hügelland der Mittelgebirge oder in den Alpen unterwegs ist. Mitteleuropa besitzt glücklicherweise eine sehr große Fülle interessanter erdgeschichtlicher Erscheinungen, sodass man nicht unbedingt weite Reisen unternehmen muss, um interessante Beispiele zu finden. Auch spezieller Vorkenntnisse oder einer besonderen Ausrüstung bedarf es dabei nicht. Wesentlich wichtiger sind hingegen ein grundsätzliches Interesse am Verständnis geologischer Probleme, eine gute Beobachtungsgabe und etwas Abstraktionsvermögen. Man muss auch kein Geologiestudium absolviert haben, um den geologischen Erscheinungen und den Ursachen ihrer Entstehung auf die Spur zu kommen. Wo aber kann bzw. sollte man beginnen, um möglichst rasch zu ersten Erkenntnissen zu gelangen? Am einfachsten wäre es vielleicht, bei einem Spaziergang oder auf einer Wanderung etwas mehr auf die Gesteine des Wegrandes zu achten oder bei einem Tag am Strand vor allem dem am Ufer liegenden Geröll besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Auch in Ihrem Treppenhaus oder auf Ihrer Fensterbank könnten Sie fündig werden, schauen Sie sich dort einmal genau um!
Dass sich aus dem beiläufigen Steinesammeln im Urlaub oftmals eine lebenslange Leidenschaft entwickelt, gilt nicht nur unter Geologen als Binsenweisheit. Hat man erst einmal einen Einstieg gefunden, kann man sich in Geoparks und auf geologischen Lehrpfaden, im Internet und in der Fachliteratur auf die Suche nach weiteren interessanten Details aus der Erdgeschichte begeben.
Obwohl die Gesteine des Untergrundes in unseren Breiten meist von Boden, Vegetation und eiszeitlichen Lockersedimenten bedeckt sind, gibt es zahlreiche Stellen, an denen sie frei zutage treten und eine Betrachtung ermöglichen. Diese Stellen werden als geologische Aufschlüsse bezeichnet, wobei zwischen natürlichen und künstlichen Aufschlüssen zu unterscheiden ist. Während natürliche Aufschlüsse, wie z. B. Hänge, Bacheinschnitte und Abbrüche, durch das Wirken der Natur selbst entstanden sind, gehen künstliche Aufschlüsse (z. B. Steinbrüche, Tagebaue und Straßenböschungen) auf die Einwirkung des Menschen zurück.
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In den von der EU und der UNESCO geförderten Geoparks werden viele geologische Erscheinungen auf Schautafeln und mit Hilfe interaktiver CD-ROMs, Videos und entsprechendem Prospektmaterial sehr anschaulich erklärt. Diese Informationsmittel sind vor allem für Besucher ohne Vorkenntnisse gedacht und sollen mit den verschiedensten geologischen Erscheinungen bekannt machen und zum Schutz der Natur anhalten.
In Europa gibt es mittlerweile insgesamt 10 Geoparks, die von der UNESCO zum geologischen Welterbe erklärt wurden. Dies sind:
• der Naturpark Nördlicher Teutoburger Wald und Wiehengebirge
• die Vulkaneifel (beide Deutschland)
• das Réserve Géologique de Haute-Provence
• das Astroblème von Rochechouart-Chassenon (beide Frankreich)
• der versteinerte Wald von Lesbos
• der Psiloritis-Naturpark (beide Griechenland)
• der Marble Arch and Cuilgagh Mountain Park
• die Kupferküste (beide Irland)
• der Parque Natural Cabo de Gata-Nijar
• der Maestrazgo-Kulturpark (beide Spanien)
Die Schwäbische Alb ist zur Aufnahme in die Liste der UNESCO-Geoparks vorgesehen.
Alle Geoparks sind inzwischen mit mehr oder weniger aussagekräftigen Web-Seiten auch im Internet präsent. Die Internetadressenliste im Anhang enthält nähere Hinweise zu den genannten Links.
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Auch auf den in Deutschland und den Nachbarstaaten vielfach vorhandenen geologischen Lehrpfaden lassen sich leicht geologische Erscheinungen mit geringem zeitlichen und finanziellen Aufwand erkunden.
Der Umstand, dass inzwischen auch zahlreiche geologische Lehrpfade im Internet präsent sind, erleichtert die Auswahl des Zielgebietes sowie die Routenplanung erheblich.
Wer die Internetadressen der jeweiligen Geoparks oder -trails nicht kennt, kann sich mit Suchmaschinen weiterhelfen. Durch Eingabe der Suchbegriffe „Geologie + Einsteiger“ findet sich schnell eine Anzahl interessanter Seiten. Einige empfehlenswerte Geo-Webseiten nebst Kurzbeschreibung stehen im Anhang.
Hillesheimer Geopfad
Einer der längsten geologischen Lehrpfade der Bundesrepublik ist der „Hillesheimer Geopfad“ in der Vulkaneifel, wo man auf einer Länge von rund 120 Kilometern mehr als 30 geologische Aufschlüsse besichtigen kann (www.eifeltour.de).
Weitere Kontaktmöglichkeiten bieten sich über die geologischen Landesämter, Museen, Erlebnisbergwerke, Heimatbund-Gruppen, Höhlenvereine, die Vereinigung der Freunde der Mineralogie und Geologie e.V. (VFMG) sowie diverse geologische Interessengemeinschaften. Auch hierzu finden Sie im Anhang eine Auswahl entsprechender Adressen sowie Literaturhinweise.
Besonders schutzwürdige Aufschlüsse werden als „Geotop“ bezeichnet und von den geologischen Landesämtern in einem speziellen Katalog, dem so genannten Geotopkataster, zusammengefasst. Geotope umfassen vor allem solche erdgeschichtlichen Bildungen, die Erkenntnisse über die Entwicklung der Erde und des Lebens vermitteln. Dazu gehören auch einzelne Naturschöpfungen bzw. schützenswerte Landschaftsteile. Aus diesem Grund kann bereits das Betreten von Geotopen Beschränkungen unterliegen.
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Leider gelingt die Erhaltung geologisch wertvoller Aufschlüsse nicht immer. Dort, wo Steinbrüche Narben in der Landschaft hinterlassen (siehe Bild), gehen oft auch unersetzliche Zeugnisse der Erdgeschichte verloren. Nach der Beendigung des Abbaus bieten sie jedoch vielen Tierarten Schutz und Zuflucht. Pionierpflanzen, wie Heidekraut und Birke sorgen zudem dafür, dass die Natur allmählich verlorenen Boden zurückerobern kann.
Sie haben Ihre ersten Exkursionen absolviert und dabei vielleicht schon einige Aufschlüsse in der näheren Umgebung Ihres Wohnortes besichtigt. Dies hat Ihr anfängliches Interesse an der Geologie noch gesteigert, allerdings stehen Sie auch vor vielen Fragen: Wie lassen sich die einzelnen Gesteinsarten unterscheiden und wie entstehen die Gesteine überhaupt? Warum wurden die Schichten hier gefaltet und dort nicht? Wieso ist dort ein Sattel und hier eine Mulde? Warum macht der Fluss gerade hier eine Biegung und wie steht es mit größeren geologischen Zusammenhängen? Warum sind die Kontinente und Ozeane so ungleichmäßig auf der Erdoberfläche verteilt? Warum brechen Vulkane aus und wie kommen Meeressedimente ins Mittelgebirge?
Diese in der Tat schwierig zu beantwortenden Fragen erfordern einen kleinen Ausflug in das Innere der Erde. Dorthin, wo die geologische Geschichte unseres Planeten seit über vier Milliarden Jahren aufgezeichnet wird.
Kurz nach ihrer Entstehung vor rund viereinhalb Milliarden Jahren herrschten auf der (Ur-)Erde extrem hohe Temperaturen. Ihre Oberfläche glich wahrscheinlich einem kochenden Magmaozean, auf dem gewaltige Schollen aus halb flüssigem Gestein trieben. Leichte Gase wie Wasserstoff, Methan, Ammoniak, Helium und Wasserdampf konnten noch nicht kondensieren, sodass auch die Bildung einer Atmosphäre nicht möglich war.
Schließlich hatte sich die Erde so weit abgekühlt, dass sich unter dem Einfluss der Gravitation in ihrem Inneren Schwermetalle sowie Verbindungen höherer Dichte ansammelten, aus denen Erdkern und Erdmantel entstanden. Die leichteren Elemente bewegten sich hingegen nach außen und bildeten die Erdkruste. Mit der Entstehung von Konvektionsströmen setzten auch die Bewegungen der Gesteinsmassen an der Erdoberfläche ein.
Schließlich entstanden auf der Erdoberfläche erstmals zusammenhängende, feste Areale, die so genannten Kratone. Dabei handelt es sich um kleinere Lithosphärenplatten aus kontinentaler Kruste, die nach ihrer Entstehung und Verfestigung nicht wieder aufgeschmolzen wurden. Die Kratone, in der Geologie auch als „Schilde“ bezeichnet, bilden die alten Kerne der heutigen Kontinente.
Konvektionsströme
sind walzenartig im äußeren Kern und im oberen Erdmantel zirkulierende Massenströme aus halb flüssigem Gesteinsmaterial.
Vorläufig glich die Erdoberfläche aber weiterhin einer vulkanischen Urlandschaft, mit zahlreichen Kratern, Spalten und Eruptionskegeln, bis die fortgesetzte Tätigkeit der Vulkane zur Bildung einer wasserdampfreichen Atmosphäre führte, welche die Entstehung größerer Wassermengen auf der Erdoberfläche ermöglichte, aus denen sich schließlich die Ozeane entwickelten.
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