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Über die Autorin
Dr. Margaret Wehrenberg arbeitet als Psychologin in privater Praxis und hält viele Vorträge überall in den USA. Sie ist die Autorin dreier Bücher beim renommierten Norton Verlag in den USA: The Anxious Brain, The 10 Best-Ever Anxiety Management Techniques, und The 10 Best-Ever Depression Management Techniques. Nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland lebt sie heute in St. Charles, Missouri.
Impressum
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
The 10 Best-Ever Anxiety Management Techniques.
Understanding How Your Brain Makes You Anxious &What You Can Do to Change It
© 2008 by Margaret Wehrenberg
Erschienen bei W. W. Norton & Company, Inc., New York
Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich
(ISBN 978-3-407-85710-1)
Alle Fallbeispiele in diesem Buch haben einen authentischen Hintergrund und sind aus realen Fällen zusammengesetzt. Namen und Begleitumstände wurden geändert, um die Identitäten der Personen zu schützen.
Wichtiger Hinweis
Die im Buch veröffentlichten Hinweise wurden mit größter Sorgfalt und nach bestem Wissen von der Autorin erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann jedoch weder vom Verlag noch von der Verfasserin übernommen werden. Die Haftung der Autorin bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen. Wenn Sie sich unsicher sind, sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Therapeuten.
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.
www.beltz.de
Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe:
© 2012 Verlagsgruppe Beltz, Werderstraße 10, 69469 Weinheim
Alle Rechte des deutschsprachigen Extra-Teils:
© 2015 Verlagsgruppe Beltz, Werderstraße 10, 69469 Weinheim
Umschlaggestaltung: www.anjagrimmgestaltung.de (Gestaltung),
www.stephanengelke.de (Beratung)
Umschlagfoto: © Getty Images/Zac Macanlay
Abbildungen Innenteil: © W. W. Norton
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-22260-2
Für Shannon Malone Burns und Susan Palo Cherwien:
Für all die gemeinsamen Jahre und die Liebe,
die ihr mir schenkt, und die Ermutigung zum Schreiben.
Ohne euch wäre ich nicht hier.

INHALT

EINLEITUNG
Was wir gegen die Angst in unserem Kopf tun können
TEIL I  UNSER GEHIRN VERSTEHEN
EINS
Wie das Gehirn Angst erzeugt
ZWEI
Gehirn-Management mit Medikamenten
TEIL II  WIE WIR DIE ANGST IN UNSEREM KÖRPER IN DEN GRIFF BEKOMMEN
DREI
Strategie 1: Was, wann, wo und wie viel? Ernährung und Reizzufuhr
VIER
Strategie 2: Lassen Sie sich von Ihrer Atmung helfen
FÜNF
Strategie 3: Achtsamkeit mit verändertem Aufmerksamkeitsfokus
SECHS
Strategie 4: Entspannen Sie sich
TEIL III  WIE WIR UNSER ANGSTBEWUSSTSEIN IN DEN GRIFF BEKOMMEN
SIEBEN
Strategie 5: Schluss mit dem Katastrophendenken
ACHT
Strategie 6: Die Angstgedanken abstellen
NEUN
Strategie 7: Die Sorgen im Zaum halten
ZEHN
Strategie 8: Verhaltensänderung durch umgesteuerte Selbstgespräche
TEIL IV  DIE VERÄNDERUNG DES ANGSTVERHALTENS
ELF
Strategie 9: Das Zu-viel-Aktivität-Syndrom kontrollieren
ZWÖLF
Strategie 10: Einen Plan entwickeln und umsetzen
TEIL V  10 TYPISCHE STRESS-SITUATIONEN UND WIE WIR DAMIT UMGEHEN KÖNNEN
EINS
Fliegen
ZWEI
Wartezeiten
DREI
Besuche bei Freunden oder Verwandten, die nicht ohne Spannungen ablaufen
VIER
Ein Todesfall in der Familie
FÜNF
Wie man Beziehungen mit Arbeitskollegen, Liebespartnern und Freunden beendet
SECHS
Nein sagen
SIEBEN
Neue Menschen kennenlernen
ACHT
Bewerbungsgespräche
NEUN
Prüfungen
ZEHN
Ferien
Dank
Literatur

EINLEITUNG

WAS WIR GEGEN DIE ANGST IN UNSEREM KOPF TUN KÖNNEN

»Wenn dieses Gefühl nicht aufhört, will ich nicht mehr leben.« Nur zu oft höre ich solche Bemerkungen von Menschen, die intensiv unter Angst leiden. Sie mögen es sachlich sagen oder in einem dramatischen Ton, aber alle fühlen das Gleiche: Durch die Angst und ihre vielfältigen Symptome wird das Leben weniger lebenswert. Warum bewirkt Angst, dass ansonsten leistungsfähige Menschen so dringend aus ihrem Leben ausbrechen wollen? Empfindungen von Schrecken, Untergang oder Panik können zweifellos überwältigend sein. In der Tat sind es exakt die gleichen Gefühle, die man empfinden würde, wenn das Schlimmste wirklich eintreten würde.
Angst ist in unserem Jahrtausend überall. In den westlichen Gesellschaften leidet fast jeder Zehnte mindestens einmal in seinem Leben an einer ernst zu nehmenden Angststörung, darunter sind etwa doppelt so viele Frauen wie Männer. In den USA beläuft sich die Zahl derer, die einmal in ihrem Leben von einer Panikattacke befallen werden, auf fast ein Drittel der Bevölkerung. Diese Menschen werden sechsmal so oft in die Psychiatrie eingewiesen wie Menschen ohne Angst. Allzu häufig greifen Menschen, die unter Panik oder Furcht leiden, zu Medikamenten, um sich rasch Linderung zu verschaffen. Aber genau das hindert sie daran, zu verstehen, was mit ihnen geschieht, und andere Optionen in Betracht zu ziehen, mit denen sich die Angst bekämpfen ließe. Die Behandlung mit Medikamenten, die von den Krankenkassen und Pharmaziekonzernen als erstes Mittel der Wahl gegen Angst angesehen wird, verliert an Ansehen in der Öffentlichkeit, weil erkannt wird, dass viele Mittel unangenehme Nebenwirkungen haben und dass die Symptome zurückkehren, wenn man sie absetzt.
Die gute Nachricht ist, dass die heutige Neurowissenschaft das medizinisch-therapeutische Verständnis der Angststörung grundlegend und nachhaltig verändert hat. Man weiß heute, dass Angst aus spezifischen Problemen der Gehirnstruktur und Gehirnfunktionen entsteht. Das heißt auch, dass Menschen ihr Gehirn benutzen können, um es zu verändern. Use your brain to change your brain – dieser Leitgedanke lässt sich im Englischen viel griffiger ausdrücken als in der deutschen Sprache und soll deswegen hier und an anderen Stellen dieses Buches als eine Art Leitsatz stehen bleiben (Anm. des Verlags). Medikamente sind nur eine Option unter vielen – Menschen können ihre Angst auch dadurch lindern, dass sie bestimmte Aspekte ihres Lebensstils, Denkens und Verhaltens ändern.
TYPEN DER ANGST UND ANGSTSYMPTOME
Die Symptome der Angst lassen sich in drei Hauptgruppen gliedern: Panikstörung, generalisierte Angststörung und soziale Angststörung.
Jede dieser Störungen ist mit körperlichen, kognitiven (mentalen) und verhaltensbezogenen Symptomen verbunden, die sich durch die in diesem Buch beschriebenen Strategien behandeln lassen. Daher geht es in diesem Buch nicht vorrangig um Diagnosen, sondern um Symptomgruppen:
Die Symptome in den drei Gruppen sind die Folge von Tätigkeiten in verschiedenen Teilen des Gehirns. Wenn etwas im Gehirn nicht funktional arbeitet, beeinflusst das Fühlen, Denken und Verhalten einer Person. Alle körperlichen, mentalen und verhaltensbezogenen Angstsymptome lassen sich durch Techniken in den Griff bekommen, die dadurch, dass sie das Gehirn bewusst einsetzen, das Gehirn verändern. Die Strategien in diesem Buch sind erwiesenermaßen effektiv, um Angstzustände abzuschwächen und zu beenden. Die Wissenschaft kann heute auch zeigen, warum sie funktionieren. Seit dem Beginn der bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung haben wir immer mehr darüber gelernt, wie die konsequente Anwendung von Angstbewältigungstechniken ein angstbesetztes Gehirn beruhigt.
Wenn Sie wissen, welche Methoden Sie anwenden müssen und wie sie wirklich funktionieren, dann können Sie Ihr Gehirn zur Ruhe bringen.
SICH SELBST HELFEN ODER EINEN THERAPEUTEN AUFSUCHEN
Die Techniken, die ich Ihnen in diesem Buch zeige, sind einfach zu befolgende, nachweislich erfolgreiche Methoden zur Angstreduzierung und zur Symptombewältigung. Jeder kann sie anwenden. Das heißt aber nicht, dass sie eine Psychotherapie ersetzen können, wenn es sich um eine schwere oder lang anhaltende Angststörung handelt. Sie helfen weder bei Angstzuständen, die auf traumatischen Erfahrungen beruhen, noch können sie bei komplizierten mentalen Erkrankungen an die Stelle einer langfristigen Behandlung treten. Selbst wenn die Angst nicht durch ein Trauma oder eine komplizierte mentale Erkrankung verursacht wurde, ist die Zusammenarbeit mit einem Therapeuten oft hilfreich, zumal die »Selbsthilfe« für manche etwas Einschüchterndes haben kann. Viele Menschen finden die Anleitung innerhalb einer Therapie hilfreich, um diese Strategien effektiv anwenden zu können. Therapeuten sind auch unverzichtbar für eine exakte Diagnose. Die Diagnose von Angststörungen ist aus mehreren Gründen wichtig:
Aus all diesen Gründen sind die Evaluierung und Unterstützung durch einen Psychotherapeuten, der weiß, wie man Angst therapiert, für die meisten Menschen der klügste Weg.
WIE SIE VON DEN 10 BESTEN STRATEGIEN GEGEN ANGST UND PANIK PROFITIEREN WERDEN
Für mich ist mit der Niederschrift der 10 besten Strategien gegen Angst und Panik sowohl ein persönliches als auch ein berufliches Interesse verbunden. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich unter Panikattacken und furchtbaren Angstanfällen gelitten, bis ich früh in meiner Karriere als Therapeutin durch glückliche Zufälle und Studium Techniken fand, die mir halfen, die Angst loszuwerden. Später, als die Gehirnforschung zu entdecken begann, wie das Gehirn Angstsymptome erzeugt, verstand ich schließlich, warum eine Therapie, die sich mit der Lebensgeschichte der Betroffenen beschäftigt oder psychische Konflikte löst, Menschen zu einem besseren Leben verhelfen kann, aber zugleich an ihren Angstsymptomen nur wenig oder nichts ändert. Wir wussten nicht genug darüber, welchen Anteil unser Gehirn – unsere Biologie – an dieser Angst hat. Heute, als Psychologin, die ihren Klienten früh in der Therapie zeigt, wie sie ihre Symptome kontrollieren können, sehe ich, dass diese Strategien Menschen helfen, ihre Therapieziele effektiver zu erreichen – mit weniger Rückfällen in Panik, Besorgnis und Sozialangst. Ich möchte, dass auch andere – Therapeuten wie Betroffene – von dem profitieren, was ich gelernt habe. Wir können Angstsymptome verringern oder eliminieren und uns besser fühlen, selbst wenn wir noch einen weiten Weg in der Psychotherapie vor uns haben. Wenn sich die Angstsymptome bessern, fällt es uns leichter, Konflikte, Traumata oder Probleme in unserem Leben zu lösen, die unsere mentale Gesundheit und zwischenmenschlichen Beziehungen beeinträchtigen.
Sowohl Betroffene, die unter Angst leiden, als auch Therapeuten, die mit Angstpatienten arbeiten, können das Material in diesem Buch nutzen. Ich habe versucht, keinen Fachjargon zu verwenden, sodass jeder und jede von den Strategien profitieren kann. In Teil I dieses Buchs (»Unser Gehirn verstehen«) beschreibe ich, wie das Gehirn funktioniert und wie Medikamente es beeinflussen. In Kapitel 1 (»Wie das Gehirn Angst erzeugt«) geht es um Grundlagen. Wenn man weiß, was im Gehirn geschieht, versteht man besser, warum die Methoden in diesem Buch dazu führen, ein ängstliches Gehirn zu verändern und zu einem ruhigeren, kontrollierteren Gehirn zu machen.
Kapitel 2 (»Gehirn-Management mit Medikamenten«) untersucht die Rolle von Tabletten bei der Angstbehandlung. Medikamente können unter bestimmten Umständen sehr hilfreich sein. Sie können Empfindungen dämpfen, die Furcht auslösen (wie Herzrasen oder Schwindel) oder schwer zu kontrollieren sind (wie zwanghaftes Grübeln und Besorgnisse). Indem sie von diesen tiefer liegenden Empfindungen entlasten, können Medikamente zu einem schnelleren Erlernen der Techniken zum Angstmanagement oder zu ihrer effektiveren Anwendung beitragen.
Teil II des Buchs (»Wie wir die Angst in unserem Körper in den Griff bekommen«) bietet Strategien zum Abbau körperlicher Angstsymptome an. Panik ist die körperliche Erregung, die Menschen zu Medikamenten greifen lässt. Herzklopfen, Pulsrasen, Schwindel, Kribbeln, Kurzatmigkeit sind körperliche Paniksymptome, die wie aus dem Nichts kommen und sich unerträglich anfühlen, wenn man sie nicht versteht. Intensive Angst ist vielleicht nicht so erschreckend wie offene Panik, aber sie ist natürlich trotzdem körperlich und mental äußerst qualvoll. Zu den körperlichen Symptomen der generalisierten Angststörung gehören eine ständige Verspannung im Kiefer-, Nacken- und Schulterbereich sowie ein emotional-körperliches Empfinden von Mulmigkeit oder Bedrückung in der Magengrube. Diejenigen, die an Sozialangst leiden, kennen eher Symptome wie Erröten, Schweißausbrüche (auch im Gesicht), Unsicherheit in der Stimme und zitternde Knie – Zeichen der Verlegenheit, im Angstzustand von anderen Menschen beobachtet zu werden.
So schlimm diese Symptome sein mögen, es gibt Strategien, die – wenn sie befolgt und zur lebenslangen Gewohnheit werden – eine enorme Entlastung bringen. Diese Strategien werden in den Kapiteln 3 – 6 beschrieben:
Teil III (»Wie wir unser Angstbewusstsein in den Griff bekommen«) stellt Methoden vor, mit denen Sie kognitive oder mentale Symptome kontrollieren können. Viele Menschen mit generalisierter Angststörung befinden sich in einem Zustand hoher körperlicher Anspannung, die äußerst unangenehm ist und ihnen das Gefühl gibt, etwas sei grundlegend falsch (ihnen ist »mulmig zumute«). Sie glauben, wenn sie nur einen Grund dafür fänden, ließe sich das Problem lösen und die Angst beseitigen. Doch der größte Teil der ängstlichen Anspannung hat nichts mit realen Problem zu tun, die sich lösen ließen, und so wachsen die Besorgnisse, ohne dass es je zu einer Lösung kommt.
Menschen mit Angst neigen zur Überschätzung eines Gefühls oder Problems. Kleinste Dinge nehmen katastrophenhafte Ausmaße an. Ein weiteres sehr verstörendes mentales Symptom ist das zwanghafte Grübeln – das unaufhörliche Durchspielen der ständig gleichen Gedanken, ohne sie je loswerden zu können.
Viele Besorgnisse und angstgesteuerte Gedanken haben neurobiologische Ursachen. Ob die Spannung in psychischen oder neurobiologischen Ursachen wurzelt, es gibt Mittel und Wege, die Symptome chronischer Besorgtheit und Furcht zu reduzieren. Methoden des Mentaltrainings, die besonders geeignet sind, Schwarzmalerei, zwanghaftes Grübeln, Besorgtheit und Angst zu verringern, finden sich in den Kapiteln 7 – 10:
Teil IV (»Die Veränderung des Angstverhaltens«) behandelt die dritte Symptomgruppe: das Verhalten. »Es ist so einfach! Wenn es dir Angst macht, lass es einfach bleiben.« So denken Menschen mit Angst oft über alltägliche Aufgaben, die ihnen Angst machen, wie z. B. Autofahren auf der Autobahn, sich in der Klasse melden, im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, indem man vor einer großen Gruppe redet oder sich in einem Restaurant über den schlechten Service beschwert. Doch diese Art des Vermeidungsverhaltens gewinnt schleichend die Oberhand in ihrem Leben. Menschen mit Sozialangst werden, beispielweise indem sie Begegnungen mit anderen Menschen meiden, immer befangener und gehemmter. Ihre Befangenheit nimmt zu, und sie passen ihr Verhalten immer weiter an. Nach einiger Zeit wird die Liste der Aktivitäten, die sie vermeiden, so groß, dass ihr Sozialleben, ihr Berufsleben und sogar ihre persönliche Freiheit eingeschränkt sind – zuweilen sind sie dann nicht mehr in der Lage, ins Lebensmittelgeschäft zu gehen oder einen Spaziergang im Park zu machen.
Eine weitere Art des Angstverhaltens ist die extrem hohe Bewusstseins- und Körperaktivität von Personen, die Angstzustände vermeiden wollen. Solche Menschen sind oft Workaholics und Perfektionisten. Sie bringen vielleicht einiges zuwege und machen ihre Sache gut, aber die Überaktivität hat ihren Preis. Erschöpfung und Depression sind vorhersagbare Ergebnisse des Zu-viel-Aktivität-Syndroms.
Kapitel 11 und 12 beschreiben Strategien, wie sich Verhaltenssymptome der Angst kontrollieren lassen:
Diese 10 Strategien, gruppiert nach körperlichen, mentalen und verhaltensbezogenen Angstsymptomen, bieten unterschiedliche Methoden, um das erwünschte Ziel zu erreichen, sodass sie höchst effektiv individuellen Fällen angepasst werden können. Alle Fallbeispiele in diesem Buch haben einen authentischen Hintergrund und sind aus realen Fällen zusammengesetzt. Namen und Begleitumstände wurden jedoch geändert, um die Identitäten meiner Klienten und anderer Personen zu schützen. Die Beispiele zeigen die Effektivität der Techniken und die individuellen Methoden, mit denen unterschiedliche Menschen sie anwenden können. Zwar werden die meisten Leserinnen und Leser von allen Strategien profitieren wollen, aber Sie sollten mit den Techniken anfangen, die den schlimmsten Aspekt Ihrer Symptome betreffen, und von dort aus weitere Schritte tun. Es gibt keine richtige Reihenfolge, in der man die 10 besten Strategien gegen Angst und Panik erlernen kann. Wählen Sie die Strategie und Methode aus, die für Sie am besten funktioniert.

TEIL I

UNSER GEHIRN VERSTEHEN

  
  
Sie können Ihre Angst effektiv in den Griff bekommen, ohne etwas über Ihr Gehirn zu wissen. Die 10 Techniken, die wir in diesem Buch beschreiben, funktionieren zwar, aber ihre Effektivität hängt nicht davon ab, dass Sie wissen, warum sie funktionieren. Gleichwohl kann eine Kenntnis der neurobiologischen Vorgänge, auf denen ihr Funktionieren beruht, von Vorteil sein und das Ergebnis günstig beeinflussen. Es fällt leichter, die Anstrengung des Angstmanagements auf uns zu nehmen, wenn wir wissen, dass wir jedes Mal, wenn wir unsere Symptome kontrollieren, unser eigenes Gehirn verändern. Man gewinnt automatisch ein gewisses Maß an Kontrolle über die Angst, wenn man sich selbst sagt: »Das hier macht mein Gehirn. Das bin nicht ich, und ich kann es kontrollieren.« Kapitel 1 vermittelt Ihnen die neurowissenschaftlichen Grundlagen, sodass Sie verstehen können, warum die 10 Strategien zum Erfolg führen.
MEDIKAMENTE KONTROLLIEREN DAS GEHIRN, BRINGEN IHM ABER KEINE TECHNIK BEI
Es ist wichtig, zu wissen, was Medikamente gegen Angst tun und wie sie funktionieren. Nur wenn wir wissen, welche positiven Effekte und welche Grenzen mit der medikamentösen Therapie verbunden sind, lässt sich eine wirklich fundierte Entscheidung treffen, ob wir Medikamente zum Angstmanagement einsetzen wollen oder nicht. In der Regel machen sich die Betroffenen nicht klar, dass die Einnahme von Tabletten gegen Angstsymptome allein ihnen nicht hilft, zu lernen, wie sie diese Symptome ohne Tabletten kontrollieren oder aus der Welt schaffen können. Viele entwickeln nie das Werkzeug zur Beherrschung der Angst, die aller Wahrscheinlichkeit nach immer dann wieder auftaucht, wenn sie übermäßigem Druck ausgesetzt sind oder ihr Leben tief greifenden Veränderungen unterworfen ist. Wenn sie Medikamente verschrieben bekommen, müsste ihnen gesagt werden, dass in vielen Fällen die richtigen Techniken bereits im Zeitraum weniger Wochen zu einer erheblichen Verbesserung der Angstsituation führen – etwa in dem gleichen Zeitraum, den auch manche Angstmedikamente brauchen, um zu wirken. Am besten ist es, wenn ein Therapeut und ein Arzt mit einem Patienten zusammenarbeiten und eine anfängliche Medikation mit Strategien verknüpfen, die es Betroffenen erlaubt, ein effektives Angstmanagement aufrechtzuerhalten, auch nachdem das Medikament abgesetzt wurde.

EINS

WIE DAS GEHIRN ANGST ERZEUGT

Sie müssen kein Experte in der Neurochemie werden, um zu verstehen, wie Ihr Gehirn Sie mit Angst erfüllt und warum die 10 besten Strategien zur Angstbeherrschung funktionieren. Wie ich schon sagte, funktionieren sie auch ohne das Wissen darüber, warum sie funktionieren, aber ich glaube, dass sie effektiver einzusetzen sind, wenn Sie verstehen, wie die Anwendung dieser Strategien Ihr Gehirn verändert, sodass Sie mit weniger Angst freier leben können.
NEURONEN, NEUROTRANSMITTER UND DIE KOMMUNIKATION IN UNSEREM GEHIRN
Unser Gehirn ist ein kompliziertes Netzwerk von Gehirnzellen, die man Neuronen nennt. Sie haben Milliarden von Neuronen, und jede von ihnen kann sich mit 10.000 anderen Neuronen verbinden. Die Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren, sind für solche Zellen praktisch unendlich. Über die Funktionsweise des Gehirns gibt es mehr zu verstehen, als wir in einer Lebenszeit erforschen können. Aber wir wissen heute immerhin schon so viel, dass jede Funktion in unserem Körper, jeder unserer Gedanken, jedes unserer Gefühle das Ergebnis unserer Gehirnaktivität ist. Wenn unser Gehirn tot ist, dann können auch gesunde Organe nichts mehr bewirken. Und ebenso, wie wir uns schlecht fühlen, wenn ein Organ in unserem Körper nicht richtig funktioniert, können unsere Gedanken und Emotionen in Bedrängnis geraten, wenn nicht jeder Teil unseres Gehirns gut funktioniert.
Neurowissenschaftler haben in den letzten Jahren so viel über das menschliche Gehirn herausgefunden, dass wir heute in der Lage sind zu beschreiben, in welcher Weise manche Teile des Gehirns zu Angstgefühlen beitragen. Das hat durchaus zu Veränderungen in der Angsttherapie geführt. Zwar haben viele der Techniken, die Therapeuten seit Jahren anwenden, nichts an ihrer Effektivität verloren, aber heute wissen wir, warum diese Techniken so gut funktionieren, und wir wissen genauer, wann und wie wir sie zum Wohl des Patienten einsetzen müssen. Und wir wissen heute auch, wie Betroffene zumindest eine Linderung ihrer Angstsymptome erreichen können, bevor sie ihre Psychotherapie abgeschlossen haben. Vergessen Sie nicht: Sie können Ihr Gehirn einsetzen, um Ihr Gehirn zu verändern. Use your brain to change your brain.
Die 10 besten Strategien zur Angstbewältigung sind konzipiert, um die häufigsten Angstprobleme zu verringern oder zu beseitigen: Panikattacken, zwanghafte Besorgnis und Sozialängste. Sie basieren auf unserem Wissen, wie diese Symptome durch Störungen im Gehirn verursacht werden.
Wie kommuniziert unser Gehirn?
Alle 10 Milliarden Neuronen müssen miteinander kommunizieren, um Gedanken, Verhaltensweisen und Emotionen auszulösen (die vielen anderen Aufgaben wollen wir hier unberücksichtigt lassen). Wie aber gelingt ihnen das? Neuronen kommunizieren, indem sie Boten im Spalt zwischen den Zellen – Synapse genannt – hin- und hersenden. Diese Boten im Gehirn nennt man Neurotransmitter. Unterschiedliche Botschaften werden von unterschiedlichen Neurotransmittern transportiert. Ich will Letztere kurz beschreiben.
Jede Botschaft muss empfangen werden. Wie eine Botschaft interpretiert wird und wie sie die Gehirnfunktion beeinflusst, hängt davon ab, wo im Gehirn die Botschaft empfangen wird. Die Bedeutung einer Botschaft, die gesendet wurde, wird davon bestimmt, wer sie empfängt. Nehmen wir zum Beispiel an, Sie senden eine E-Mail, in der Sie Ihre Zuneigung zu einer Mitarbeiterin (oder einem Mitarbeiter) äußern. Wenn diese Botschaft die Person Ihrer Zuneigung erreicht, wird sie vielleicht gern empfangen und Glücksgefühle auslösen – was aber, wenn Sie die Botschaft versehentlich an die Person senden, von der Sie sich gerade getrennt haben? Die gleiche Nachricht in der falschen Mailbox wird der Person, die verlassen wurde, ganz andere Gefühle bescheren. Und was, wenn der Chef die gleiche Nachricht erhält und zu überlegen beginnt, was Sie eigentlich in Ihrer Arbeitszeit anstellen? Gleiche Botschaft, anderes Resultat, je nach Empfänger.
Das in etwa geschieht mit Neurotransmittern. Nehmen wir zum Beispiel Dopamin. Dopamin ist ein Neurotransmitter, der in einem Teil unseres Gehirns als »Ich freue mich« empfangen wird. (Und nicht nur ein bisschen gute Laune, sondern ein richtig pralles Glücksgefühl!) Wenn es jedoch in dem denkenden Teil des Gehirns empfangen wird, erhöht es die Aufmerksamkeit und Konzentration. In einem noch anderen Teil des Gehirns hilft Dopamin, motorische Funktionen zu stabilisieren. Menschen, die an Parkinson erkrankt sind, verlieren Dopamin. Wir sehen also, dass Dopamin unterschiedliche Resultate zeigt, je nachdem wo es im Gehirn empfangen wird.
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Abb. 1: Neurotransmitter (als Rauten dargestellt) werden von einem Neuron in die Synapse ausgeschüttet und von einem anderen Neuron empfangen.
Wenn wir Dopamin im Zusammenhang mit Angst betrachten, dann interessiert uns vor allem die erste Funktion – Freude –, weil die Freude Menschen motiviert, Angst zu überwinden. Wenn Sie erfahren wollen, wie Sie Ihre Reaktion gegenüber angsterregenden Situationen herabmindern können, dann interessiert Sie wahrscheinlich, wie Dopamin dazu beiträgt, Ihre Angst zu überwinden. Und wenn Sie wissen wollen, wie Sie Ihre Reaktionen in angsterregenden Situationen in den Griff bekommen können, wollen Sie vielleicht außerdem wissen, wie Dopamin Sie in ängstlichen Situationen besonders aufmerksam macht. Bestimmte Therapiemethoden helfen Ihnen, die Ängstlichkeit in Situationen zu verlernen, indem Sie selber entscheiden, wem oder was Sie Ihre Aufmerksamkeit zuwenden.
Um Botschaften von einem Neuron zu einem anderen zu senden, muss es zunächst einmal genug Neurotransmitter geben, die die Botschaft transportieren. Manche Menschen, die unter Angst leiden, nehmen Medikamente, weil sie die Zahl der Neurotransmitter, die die Nachricht übermitteln, erhöhen.
Es ist auch möglich, dass es Probleme mit der Übermittlung gibt. Vielleicht sind genug Neurotransmitter vorhanden, um die Nachricht zu übermitteln, aber sie können nicht vom einen Neuron zum anderen gelangen. Ein Neurotransmitter mit dem Namen Serotonin wird an den verschiedensten Orten empfangen, und wenn er aus irgendeinem Grund nicht durchkommt, ist Besorgnis oder Unruhe das Ergebnis. Eine der Stellen in unserem Gehirn, an der Serotonin benötigt wird, ist für das »Umschalten« in unserem Denken zuständig. Wenn man immer um ein und denselben Gedanken kreist – immer wieder und geradezu zwanghaft –, dann wird man besorgt. Man kann seine eigene Entscheidungsfähigkeit einsetzen, um die Besorgnis außer Kraft zu setzen und so die Besorgnisse gezielt beherrschen (wie ich später in den Strategien zum Umgang mit Sorgen beschreiben werde). Das ist ein Versuch, die Wirkung der Tatsache zu kompensieren, dass Serotonin nicht dorthin kommt, wo es gebraucht wird. Natürlich werde ich auch erklären, wie wir sicherstellen können, dass Serotonin die besten Chancen hat, durchzukommen, sodass Besorgnisse von vornherein ein geringeres Problem darstellen.
Oder aber es können zu viele Botschaften gesendet werden. Exzessive Mengen von Neurotransmittern können dafür sorgen, dass Sie aus einer Mücke einen Elefanten machen. Ein relativ nichtiges Ereignis wird sich WIE EINE GROSSE SACHE ANFÜHLEN, aber das liegt nur daran, dass die Ausschüttung von Neurotransmittern so gewaltig ist. So etwas geschieht Personen, die zu viele Stressreaktions-Neurotransmitter haben. Der Spruch mit der Mücke und dem Elefanten ist genau das, was Ihr Gehirn tut – zu viele Botschaften auszusenden, die »Achtung, großer Stress!« kommunizieren. Ihr Gehirn und Ihr Körper werden bei großem Stress überreagieren, weil die zusätzlichen Neurotransmitter der Situation eine hohe Dringlichkeit verleihen. Bewusste Techniken, die dazu führen, dass Sie sich zielgerichtet wieder beruhigen, helfen bei dieser Art von Problem.
Der Empfang von Botschaften
Selbst wenn Zahl und Übertragung von Neurotransmittern in Ordnung sind, kann immer noch Angst entstehen, wenn es auf der Empfangsseite Probleme mit der Botschaft gibt. Neuronen können zum Beispiel in ihrer Funktion, Botschaften aufzunehmen, behindert sein. Wenn das der Fall ist, werden Neurotransmitter möglicherweise nicht empfangen, und die Botschaft (z. B. sich zu beruhigen oder sich wohlzufühlen) kommt nicht an. Insbesondere ein Neurotransmitter namens GABA ist dafür verantwortlich, Prozesse im Gehirn zu verlangsamen, sodass Hirnzellen aufhören, ständig neue Botschaften abzufeuern. Die Kommunikationsnetzwerke müssen freigeräumt werden, um neue Botschaften senden zu können. Wenn also GABA nicht gut empfangen wird, können Sie schließlich Angst oder sogar Panik empfinden, je nachdem in welchem Hirnbereich GABA arbeitet (oder aber nicht arbeitet).
Sie wissen, dass es in der Luft Radiowellen und Handysignale gibt, aber Sie müssen Ihren Apparat anschalten, um mit den ausgesendeten Signalen etwas anfangen zu können. Wenn das Signal einmal empfangen ist, muss Ihr Apparat die Information interpretieren und an Sie weitersenden. An diesem Punkt kommt die Hirnfunktion ins Spiel. Unterschiedliche Bereiche des Gehirns empfangen, senden, interpretieren die empfangenen Signale und kreieren Antworten bzw. Reaktionen. Die Hirnbereiche, die diese Funktionen haben, spielen für die Entstehung von Angst eine entscheidende Rolle – sie empfangen und verstärken die Informationen, sie koordinieren und interpretieren die Signale und helfen so, ein kohärentes Bild der Information für die Hirnbereiche zu schaffen, die neue Reaktionen auslösen, wenn die Information empfangen wird. Unterschiedliche Hirnbereiche haben unterschiedliche Funktionen, doch wie bei einem Handyanruf bedarf es des Apparats, der das Signal empfängt, interpretiert und umgekehrt dann zurückübermittelt, was Sie sagen – ebenso müssen alle Bereiche Ihres Gehirns gut funktionieren, um Botschaften klar empfangen und aussenden zu können.
Für ein gesundes Funktionieren ist Gleichgewicht notwendig
Bevor ich einzelne Neurotransmitter vorstelle und ihre Rolle bei der Entstehung von Angstsymptomen beschreibe, sollten wir uns kurz Zeit nehmen und überlegen, inwiefern das Gehirn in allen Bereichen einen Gleichgewichtszustand anstrebt. Sie wissen bereits, dass Ihr Gehirn sorgfältig überprüft, was in Ihrem Körper vorgeht, und versucht, Ihren ganzen Körper in einem Gleichgewichtszustand zu halten. Denken Sie einmal darüber nach, was geschieht, wenn Sie Sport treiben. Sie erhöhen den Bedarf an Sauerstoff, und wenn der Sauerstoff knapp wird, nehmen Ihre Atmung und Ihre Herzschlagfrequenz zu. Sie können sich dafür entscheiden, Ihre Atmung bewusst und direkt selbst zu steuern, wenn Sie etwa Gewichte heben, Yoga oder eine Kampfsportart machen. Aber auch, wenn Sie nicht bewusst daran denken, wird Ihr Gehirn dafür sorgen, dass die richtige Sauerstoffbalance entsteht, indem es Ihren Körper und Ihren Herzschlag veranlasst, schneller zu atmen bzw. die Frequenz zu erhöhen.
Ebenso wacht Ihr Gehirn darüber, dass unter den Neurotransmittern ein Gleichgewicht herrscht. Wenn ein Ungleichgewicht entsteht, setzt das Gehirn Aktivitäten in Gang, um das Gleichgewicht zurückzugewinnen. Am besten funktioniert das, wenn die Mengenniveaus der Neurotransmitter kaum divergieren. Sauerstoffknappheit macht sich durch schnelleres Atmen bemerkbar. Genauso kommt es auch bei einem Überschuss oder Mangel von Neurotransmittern zu Symptomen, und welche Art von Symptomen Sie erleiden, hängt davon ab, welcher Neurotransmitter in welchem Bereich Ihres Gehirns Schwierigkeiten hat. Ungenügende oder übermäßige Mengen von Neurotransmittern zeigen sich als Stimmungsschwankungen, als Änderung im Verhalten oder Denken. Die Strategien, die wir in diesem Buch vorstellen, können dabei helfen, dass sich das Gehirn selbst wieder ins Gleichgewicht bringt. Wenn Ihr Gehirn kein Gleichgewicht herstellen kann, weil Sie krank sind, sich nicht richtig ernähren, nicht genug Schlaf bekommen oder eine andere körperliche Störung haben, dann werden Sie wahrscheinlich auch Veränderungen in Ihrer Ernährung oder Ihrem Schlafverhalten vornehmen oder Hilfe bei einem Arzt suchen müssen.
Die spezifischen Neurotransmitter und ihre Funktionen
Die Neurotransmitter, die bei Angstzuständen die größte Rolle spielen, sind:
Die Funktion der einzelnen Neurotransmitter bei der Verursachung von Angst ist kurz gesagt Folgende:
Glutamat: Stellen Sie sich Glutamat als »Ampel-grün«-Signal vor. Glutamat gibt den Neuronen das Signal, zu feuern, ihre Neurotransmitter auszusenden. Es wird im gesamten Gehirn verteilt, weil alle Neuronen Signale zur Anregung ihrer Aktivität (zum Feuern) brauchen.
GABA: Jedes »Grün«-Signal braucht ein »Rot«-Signal. GABA ist das Stoppsignal. Es verlangsamt und stoppt die feuernden Neuronen. GABA findet sich ebenfalls im gesamten Gehirn. Wenn GABA die neuronalen Prozesse nicht effektiv verlangsamt und anhält oder wenn GABA und Glutamat sich nicht im Gleichgewicht befinden und der Glutamatanteil zu hoch ist, kommt es zu starker Aufgeregtheit, die häufig ein Vorstadium der Angst ist.
Serotonin: Serotonin-Neurotransmitter sind in geringeren Mengen unterwegs als GABA und Glutamat, aber sie haben eine mächtige Wirkung. Wir brauchen Serotonin, um unsere Stimmung zu regulieren, sodass wir nicht zu negativ sind, einen gesunden Appetit und stabile Schlafgewohnheiten haben, unsere Impulse kontrollieren und unsere Schmerzwahrnehmung modulieren. Bei so vielen Funktionen liegt es auf der Hand, dass bei einem Ungleichgewicht im Serotoninhaushalt eine Reihe unterschiedlicher Probleme auftreten kann. Die Art der Probleme hängt davon ab, wie schwer die Störung des Serotoningleichgewichts ist und welcher Hirnbereich unterversorgt ist. Weiter hinten in Kapitel 1, wenn ich die Hirnbereiche beschreibe, die bei Angst eine Rolle spielen, gehe ich auch auf die Probleme ein, die jeder Neurotransmitter in diesen Hirnbereichen auslösen kann.
Norepinephrin: Wenn Ihr Gehirn einen Aktivationsmotor hätte, dann wäre das Norepinephrin. Norepinephrin macht munter und hält Ihren Körper in Schwung. Es ist zum Beispiel wichtig, den Blutdruck im Gleichgewicht zu halten. Wenn Sie schnell Energie brauchen, um eine Stresssituation zu meistern – wenn Sie etwa plötzlich Angst haben, den Bus zu verpassen –, hilft Ihnen Norepinephrin mit neuer Energiezufuhr. Wenn Sie zu viel Norepinephrin haben (und dafür gibt es viele Ursachen), fühlen Sie sich nervös, aufgedreht, »kribbelig« oder insgesamt überspannt.
Dopamin: Wie in meinem früheren Beispiel hängt die Wirkung von Dopamin stark davon ab, in welchem Hirnbereich es empfangen wird. In einem Bereich Ihres Gehirns kann Dopamin die Botschaft »mmmmmmm gut« senden, somit ist es für Glücksgefühle zuständig. Wenn es hingegen in dem denkenden Bereich Ihres Gehirns empfangen wird, hilft es Ihnen bei der Konzentration und Aufmerksamkeit. Glücksempfindungen motivieren einen, das zu tun, was sich gut angefühlt hat – daher ist Dopamin im Umgang mit der Angst sehr wichtig. Motiviert zu sein, um die eigenen Ziele zu erreichen, hilft Ihnen, sich mit Ihren Ängsten auseinanderzusetzen, um sie überwinden zu können. Aufmerksamkeit ist ebenfalls wichtig, weil sie entweder Angst auslöst, indem sie Sie veranlasst, sich auf negative oder Furcht einflößende Dinge zu konzentrieren, oder sie kann Ihnen helfen, die Angst abzustellen, indem sie Ihnen ermöglicht, sich auf positive oder wohltuende Dinge zu konzentrieren.
DIE STRUKTUREN DES GEHIRNS UND DER ANGST
Die Neurotransmitter, die Botschafter im Gehirn, werden in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns empfangen. In welchem Teil das jeweils stattfindet, ist von Bedeutung für die Botschaft selbst. Unser Gehirn hat viele verschiedene Strukturen, und manche davon arbeiten in Systemen zusammen, um eine Aufgabe zu lösen. Auch können unterschiedliche Systeme zusammenarbeiten. Um es zu vereinfachen und nur darauf zu schauen, wie Ihr Gehirn an der Entstehung von Angst beteiligt ist, möchte ich die Teile dieser Systeme vorstellen:
Das Nervensystem
Das Nervensystem besteht aus allen Nerven, die durch den Körper laufen und das Rückenmark mit dem Gehirn verbinden. Nerven teilen unseren Muskeln mit, wann sie sich bewegen sollen, und sie übermitteln Signale an unser Gehirn, wie unser Körper funktioniert. Nerven übermitteln Informationen an die Organe und von den Organen in unserem Körper. Das Nervensystem hat drei große Aktivitätsbereiche, die in Zusammenhang mit Angst stehen:
Das periphere Nervensystem (PNS): Das PNS übermittelt Informationen an die Haut und von der Haut. Wenn wir also erröten, wie es schüchterne Menschen oft tun, handelt es sich um die Aktivität dieses Systems.
Das sympathische Nervensystem (SNS): Dieses System teilt unseren Körperorganen mit, tätig zu werden und auf Situationen, die Aktivität erfordern, zu reagieren. Wenn man eine steile Treppe hinaufsteigt, wird das SNS eine bestimmte zusätzliche Herzaktivität und Atemfrequenz fordern, die den Muskeln mehr Sauerstoff zuführt, während sie sich anstrengen. Wenn man glaubt, man werde das Opfer eines Diebstahls auf offener Straße, wird das SNS die Herzschlag- und Atemfrequenz sofort auf eine Kampf- oder Fluchtsituation vorbereiten.
Das parasympathische Nervensystem (PSNS): Dieser Teil des Nervensystems ist für die Beruhigung im Körper zuständig. Es wird aktiv, wenn Sie ruhiger werden müssen. Man kann das sympathische Nervensystem aktivieren, indem man sich entschließt, schneller zu atmen, und man kann das parasympathische Nervensystem aktivieren, indem man sich entschließt, langsamer und tiefer zu atmen. Wenn es um Angst und deren Kontrolle geht, ist es wichtig, zu verstehen, dass das Nervensystem automatisch und ohne unsere Kontrolle agiert, dass man aber gleichwohl zielgerichtet eingreifen kann. Meistens geht es darum, dass wir uns beruhigen wollen. So zielen die Techniken zum Angstmanagement darauf ab, das parasympathische System zur Beruhigung zu animieren, indem man sich auf Selbstbeschwichtigung konzentriert: durch Atmen, Entspannung und Gedankensteuerung.
Das Stressreaktionssystem
Damit unser Körper die Energie hat, die er braucht, wenn das sympathische Nervensystem (SNS) die Körperorgane ankurbelt, brauchen wir die chemische Unterstützung durch Hormone. Unser Hypothalamus, den ich im nächsten Abschnitt beschreiben werde, sendet eine Botschaft an unsere Nebennieren, Adrenalin und Cortisol auszuschütten, zwei der Hormone, die man in Stresssituationen braucht. Diese Hormone wandern mit der Blutzirkulation und mobilisieren unseren Körper, Treibstoffvorräte (Glukose und Fett) zur Verfügung zu stellen. Diese werden zur Energieverbrennung gebraucht, wenn unsere Muskeln harte Arbeit leisten. Das ist die Stressreaktion: ein System zur Energiegewinnung, wenn man sie braucht. Es kann für unterschiedliche Zeitspannen funktionieren, von kurzen und unbedeutenden kleinen Energieschüben über kurze, kraftvolle Energieausbrüche bis hin zu lange anhaltenden und ausgedehnten Stressreaktionen, wenn man zum Beispiel unter dem Druck schwieriger Emotionen oder Erwartungen steht. Ob Sie neben einem kranken Kind in der Notaufnahme im Krankenhaus sitzen oder am dritten Tag hintereinander sechzehn Arbeitsstunden im Büro verbringen, um einen wichtigen Termin einzuhalten, Ihre Stressreaktion sorgt dafür, dass Sie die benötigte Energiezufuhr erhalten. Es leuchtet Ihnen aber sicher ein, dass eine Stressreaktion nicht fortwährend ohne Pause funktionieren kann. Eine unablässige Stressbelastung kann große Angst hervorrufen.
Das limbische System
Die emotionale Arbeit des Gehirns findet in Hirnbereichen statt, die zusammen das limbische System genannt werden. Der Begriff »limbisch« stammt von dem lateinischen limbus, was so viel wie Rand, Saum, Umgrenzung heißt und sich auf den Ort im Zentrum des Gehirns bezieht, wo diese verschiedenen Strukturen angesiedelt sind. Sie arbeiten zusammen, um Emotionen und Erinnerungen zu schaffen. Die Teile des limbischen Systems sind:
Jeder Teil oder jede Struktur im limbischen System spielt eine bestimmte Rolle bei der Auslösung emotionaler Reaktionen, und jeder Teil ist mit anderen Teilen des Gehirns und der Nervensysteme verbunden, sodass das System funktioniert, ohne dass man darüber nachdenken muss. Wenn Sie zum Beispiel mit einer unmittelbaren Gefahr konfrontiert werden – sagen wir, Ihr Kind reißt sich von Ihnen los und rennt auf eine viel befahrene Straße –, dann wollen Sie keine Zeit damit verschwenden, darüber nachzudenken, ob Sie in diesem Augenblick Energiezufuhr brauchen. Ihr Körper führt sie Ihnen ohne intentionales Denken zu. (Ich werde die Beziehung zwischen Denken und Fühlen an vielen Stellen in diesem Buch erörtern.) Wie diese Teile des limbischen Systems funktionieren, ist von größter Bedeutung, wenn wir verstehen wollen, wie uns unser Gehirn Angstgefühle einflößt, auch wenn wir es nicht wollen.
Thalamus: Der Thalamus hat viele wichtige Funktionen, doch die wichtigste davon sind die Aufnahme von Informationen aus der Außenwelt durch die Sinne und die Weiterleitung dieser Informationen an die richtigen Stellen. Man könnte ihn als Torwart für die sinnlichen Informationen aus der Lebensumwelt bezeichnen. Das heißt, er erhält Informationen und gibt sie weiter an einen anderen Teil des Gehirns, damit rasch gehandelt werden kann. Der »Ball«, die sinnliche Information, die zu Ihrem Thalamus geflogen kommt, wird an die Amygdala weitergegeben, um sofort eine neue Aktion einzuleiten. Zu den vielen Aufgaben, die der Thalamus zu erledigen hat, gehört es, diese Information auch an unsere bewusst denkende Hirnregion, den Kortex, weiterzuleiten.
Hypothalamus: Der Hypothalamus ist wie ein Torwart in Ihrem Inneren, er fängt die Nachrichten aus Ihrer inneren Lebenswelt auf. Er empfängt Signale von den Körperorganen und sendet sie zugleich an diese. Der Hypothalamus ist direkt verantwortlich für die Auslösung Ihrer Stressreaktion, indem er den »Ball« der Information, in einer Stresssituation zu sein, vom Tor abschlägt. Er gibt diese Information an Ihre Nebennieren weiter, damit das von dort stammende Adrenalin sich mit ihr auf den Weg macht und Sie die Energie bekommen, die Sie brauchen. Der Hypothalamus kann zu viele Neuronen haben, die auf Stress reagieren, sodass sie eine Flut von Stressreaktionen anfordern. Das ist eine der Möglichkeiten, weshalb sich für angstbesetzte Menschen Kleinigkeiten sehr groß anfühlen und zu einer emotionalen und körperlichen Überreaktion angesichts normaler, nicht sonderlich stressiger Situationen führen können. Wenn Sie die Dinge auf eine solche Weise wahrnehmen, brauchen Sie wahrscheinlich etwas, das Sie davon überzeugt, dass die Kleinigkeiten wirklich klein sind. Aber wenn Sie einmal davon überzeugt sind, können Sie die Verminderung Ihrer Stressreaktion selbst in die Hand nehmen, indem Sie zu Ihrem Hypothalamus sprechen und ihn mit körperlich beruhigenden Botschaften – wie ruhigem Atmen – versorgen.
Hippocampus: Der Hippocampus ist der Teil des limbischen Systems, der Tatsachen für Sie registriert. Er zeichnet die Details, Daten, Fakten auf und sendet sie zu Ihrem Kortex, der darüber nachdenkt. Wenn Sie sich an kurz oder lang zurückliegende Ereignisse erinnern wollen, die sich aus den vom Hippocampus gemerkten Details zusammensetzen, werden andere Teile des Gehirns aktiviert, um diese Erinnerungen bewusst werden zu lassen.
Amygdala: Die Amygdala ist ein Hauptakteur bei der Entwicklung Ihrer Angst. Sie erinnert manchmal an die Gallier bei Asterix und Obelix, die Angst davor haben, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Das ist keine präzis fassbare Information. Sie ist nur emotional. Die Amygdala ist ein Wichtigkeitsmesser, sie registriert nur die Tonlage und die Intensität und benachrichtigt umgehend das Gehirn, wenn es sich auf Probleme vorbereiten muss. Die Amygdala kann an den Hypothalamus das Alarmsignal geben, die Stressreaktion auszulösen, und sie kann die unmittelbare Ausschüttung von Norepinephrin (der Neurotransmitter, der einen »unter Strom setzt«) veranlassen, sodass man sich auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Die ganze Erregung findet statt, lange bevor der Kortex sich ein zusammenhängendes Bild macht, sodass man darüber nachdenken kann, wie ernst die Situation tatsächlich ist. Die Amygdala registriert alle Emotionen, nicht nur die negativen, aber sie beachtet bevorzugt die mit Bedrohung und Angst verbundenen Emotionen. Die Amygdala ist eine Art Rauchmelder für unseren Körper und unser Gehirn. Ein Rauchmelder reagiert nicht auf den angenehmen Duft des Brotbackens, aber wenn das Brot zu kokeln beginnt, löst er Alarm aus. Man muss nicht besonders achtsam sein, um Freude zu erkennen, wenn man in dieser Welt überleben will. Kündigen sich dagegen Schwierigkeiten an, zum Beispiel wenn jemand wütend oder aggressiv wirkt, sollte man sie sofort erkennen, wenn man überleben will. Wenn die Amygdala einmal gelernt hat, was gefährlich ist, versucht sie uns vor all dem zu beschützen, was uns Angst einjagt. Auf diese Weise lösen Reize oder Impulse Angst oder Panik aus. Amygdala und Hippocampus wirken zusammen, um Gefahren zu identifizieren.
Die Basalganglien (BG)