Das Buch
Geburtstagsgeschenke auf Ebay versteigern …
… Partys crashen …
… Nachbarn belauschen …
… betrunken SMS mit fragwürdigem Inhalt verschicken …
… das ist alles nicht ok! Aber leider geil. Richard Kropf hat 55 Dinge gesammelt, die völlig bescheuert, unsinnig oder peinlich sind und die trotzdem viel zu viel Spaß machen, um auf sie zu verzichten! Yolo! Also rein in die Jogginghose und ab auf die Couch, Ketchup in den Topf mit den Essensresten vom Vorabend und zum 25. Mal Dirty Dancing angucken!
Der Autor
Richard Kropf, Jahrgang 1979, studierte Germanistik und Marketing in Berlin. Er arbeitet als Drehbuchautor für verschiedene TV-Serien, unter anderem als Headautor für »Der letzte Bulle«. Außerdem schrieb er für den Tagesspiegel und das jetzt-Magazin. Er lebt in Berlin. Und er hat mal Edward Norton ein tic tac gegeben.
Richard Kropf
Leider geil
55 Dinge, die wir nicht täten,
wenn sie nicht so viel Spaß machen würden
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
ISBN 978-3-8437-0469-4
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013
Umschlaggestaltung: semper smile, München
Titelabbildung: Sprühdose: © Shutterstock/Banana republic images
Vogel: © Shutterstock/DVARG
Fastfood: © Shutterstock/Leremy
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Verbreitung, Speicherung oder Übertragung
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verfolgt werden.
eBook: LVD GmbH, Berlin
»Tu doch nicht so, du magst es doch auch!«
Deichkind, »Leider geil«
Fragebogen
Für den Preis eines Taschenbuchs kann man auch ganz andere Dinge erleben. Man kann ins Kino gehen (wenn auch ohne Popcorn), man kann bei H&M ein neues T-Shirt kaufen oder den Tank zu einem Zehntel neu befüllen und damit zur Videothek fahren. Oder man kauft sich anstelle dieses Buches ein anderes. Um herauszufinden, ob du das Geld hier richtig investierst, vorab ein kleiner Test, der dir bei dieser Entscheidung behilflich sein kann:
1) Wer ist Chuck Norris?
a) Ein solider Actionheld aus den 80er Jahren, dessen schauspielerische Qualitäten sicherlich überschaubar waren. (1)
b) Chuck Norris ist der Typ, der einen Wasserhahn auf ex austrinken kann. (8)
c) Der Erfinder dieser Old-School-Turnschuhe. (0)
2) Du kommst in einem Multiplex-Kino an und stellst fest, dass heute wider Erwarten kein Kinotag ist. Was machst du?
a) Ich gehe wieder nach Hause, schaue mit meinem Schatzi »Wer wird Millionär?«, und wir wetteifern, wer mehr Fragen richtig beantwortet. (0)
b) Ich kaufe ein Ticket fürs billige Parkett, setze mich trotzdem in die Loge und schleiche mich gleich nach dem Film in den Saal nebenan, um mir den nächsten Film anzuschauen. Two for one! (6)
c) Ich gehe doch nicht mehr in Multiplex-Kinos! Was ich sehen will, streame ich mir mit der Flatrate ins Wohnzimmer! (5)
3) Du hast dir das Kochbuch gegriffen, das dir deine Mutter zum Geburtstag geschenkt hat, und eine sehr gesunde »Quinoapfanne Gärtnerinnen Art« zubereitet. Du kostest und stellst fest, dass es deine Erwartungen nicht so hundertprozentig erfüllt. Im Kühlschrank findest du zufällig noch eine Packung Pizza-Käse. Was machst du?
a) Ich esse die »Quinoapfanne Gärtnerinnen Art«, weil ich da ganz sicher sein kann, dass meine Geschmacksnerven nicht durch Chemie manipuliert werden. Den minderwertigen Käse stelle ich auf die Plattform foodsharing.de, denn Lebensmittel, so minderwertig sie auch sein mögen, wirft man nicht weg. (0)
b) Ich mache das Essen genießbar und überbacke die Quinoapfanne mit dem Pizza-Käse. (6)
c) Ich stelle die Quinoapfanne bis auf weiteres in den Kühlschrank und bestelle noch eine Pizza zum Pizza-Käse dazu. (7)
4) Im Fernsehen läuft »Die lange James-Bond-Nacht«. Was machst du?
a) Nachts? Schlafen?! (0)
b) Ich lade mir ein paar Freunde ein, und wir spielen Bond-Saufen. Immer wenn einer »Bond« sagt, dann gibt es eine Runde Kurze. (6)
c) Was ist ein Fernseher? (2)
5) Du bewirbst dich auf eine neue Stelle und wirfst einen Blick auf deinen Lebenslauf. Da steht überall »Promotion«, aber dummerweise wird es in deinem Fall Englisch ausgesprochen und ist kein akademischer Grad. Was machst du?
a) Ich bewerbe mich nicht auf die Stelle, sondern lege mich ins Bett, weine und denke: »Ich hasse mein Leben.« (0)
b) Ich verstehe die Frage nicht. Ein Lebenslauf ist eine simple Auflistung von Fakten, was gibt es denn da zu überlegen?! (0)
c) Ich frisiere den Lebenslauf ein bisschen und füge noch ein paar »Fakten« hinzu, die mich so darstellen, wie ich wirklich wäre, wenn ich nur dazu kommen würde: gebildet, zielstrebig und erfolgreich. (4)
6) Was fällt dir zu der Zeile »Ich war noch niemals in New York« ein?
a) Gut so. Das spart Kerosin, CO2-Ausstoß und schützt die Umwelt. Und wenn ich noch was anfügen darf: Scheiß amerikanischer Kulturimperialismus! (0)
b) Nichts. Na gut: ICH WAR NOCH NIEMALS AUF HAWAII, GING NIE DURCH SAN FRANCISCO IN ZERISSNEN JEANS. ICH WAR NOCH NIEMALS IN NEW YORK, ICH WAR NOCH NIEMALS RICHTIG FREI, EINMAL VERRÜCKT SEIN UND AUS ALLEN ZWÄNGEN FLIEHN! (10)
c) Wo ist eigentlich mein Bademantel? (10)
7) Du stehst mit dem Auto an der Ampel. Neben dir hält ein Typ in einem getunten Fiat Cinquecento, an seinem Rückspiegel baumeln Race Dices – kurz gesagt: Ein Vollpfosten. Was machst du?
a) Was soll ich schon machen? Ich warte, bis es grün wird, und lasse den Klappspaten vorbeiziehen, um mich nicht in eine gefährliche Straßenverkehrssituation zu bringen. (0 Punkte)
b) Ich höre auf zu singen. (5 Punkte)
c) Ich warte, bis es gelb wird, trete das Gaspedal bis in den Asphalt und zeige dem Typen, was für ein Loser er ist. (7 Punkte)
8) Zwei Blinde sitzen auf einer Parkbank. Der eine niest. Daraufhin sagt der andere: »Oh, cool. Mach mir auch mal ne Dose Bier auf.«
a) Hahahaha! LOL! ROFL! (10)
b) Ich hoffe, der Autor dieses menschenverachtenden und diskriminierenden Büchleins hat einen guten Anwalt. (0)
c) Was denn für ne Dose Bier?! (0)
9) Twitter ist …
a) … der Untergang des Abendlandes. (0)
b) … der Ort, an dem ich am meisten Zeit verbringe, sexy, erfolgreich und witzig bin und wo mir 10.000 Leute folgen, von denen ich keinen einzigen im wahren Leben schon mal getroffen habe. (9)
c) … dieses Netzwerk, in dem ich heimlich Kim Kardashian folge. (5)
10) Du triffst auf einen alten Klassenkameraden, der mittlerweile für eine gemeinnützige Organisation arbeitet. Er schlägt dir vor, mal ein »pc«-Weekend einzulegen. Was könnte er damit meinen?
a) Das steht für Personal Computer. Damit wäre dann wohl eine LAN-Party gemeint. Top! Ich habe das Shado-Pan-Kloster bei World of Warcraft mal in 15 Minuten und 29 Sekunden geschafft, falls es euch interessiert. (3)
b) Das steht für Pizza und Cola. Oder für Piña colada? Auf jeden Fall will er wohl mal wieder richtig chillen, wie damals im Hobbykeller seiner Eltern. (3)
c) Das bedeutet »politically correct«. Er will mich davon überzeugen, mein Leben an den höchsten ethischen und moralischen Maßstäben auszurichten, aber das ist gar nicht mehr nötig. Mein Leben ist die Definition von »pc«. (0)
11) Letzte Frage: Was hast du, während du diesen Test gemacht hast, außerdem noch getan?
a) Nichts. Ich habe diesen sogenannten »Test« gemacht und bin froh, dass er vorbei ist. Man sollte niemals mehr als eine Sache auf einmal machen. Es sei denn, man möchte ein nervliches Wrack werden. (0)
b) Ich snacke das Sparmenü weg, das ich mir hier nebenan im Shopping-Center noch gezogen habe. (8)
c) Welcher Test? Ach so, der. Keine Ahnung?! (10)
Auswertung
0-5 Punkte: Finger weg von diesem Buch! Es ist die reine Geldverschwendung. Du wirst damit keinen Spaß haben. Kauf dir lieber ein sinnvolles Buch über das Ende der Welt – oder schreib es am besten selbst: »Wie ich ein durch und durch guter Mensch wurde.« Und jetzt raus aus diesem Buchladen!
6-80 Punkte: Bingo! Du wirst in diesem Buch eine Menge lernen, du solltest es dringend kaufen. Es wird dich nicht glücklich machen, aber es wird dich unterhalten und dich durch die ein oder andere U-Bahn-Fahrt retten.
Mehr als 80 Punkte: Du kannst nicht rechnen, aber das ist okay. Vermutlich leidest du außerdem bereits an digitaler Demenz oder ADHS, was aber nicht deine Schuld ist, sondern die des Internets. Vielleicht hilft dir das Lesen dieses Buches, deine Aufmerksamkeitsspanne wieder ein bisschen zu erweitern. Aber das ist spekulativ.
0.
»Leider geil« sagen
»Leider-geil-Sagen ist das verbale Ed-Hardy-Shirt-Tragen.« Das hat ein Freund gesagt, als wir im Sommer 2012 bei einem Bier zusammensaßen und ich ihm von diesem Buch erzählte. Da hatte ich die ersten Kapitel schon geschrieben. Ich antwortete dem Freund, dass es aber nun mal irrsinnigen Spaß mache, Dinge zu machen, die man eigentlich in unserer politisch korrekten Gesellschaft nicht mehr tun sollte. Er dachte einen Moment nach, dann sagte er: »Popel essen!« Ja, dieses Buch geht dahin, wo’s weh tut.
In dem Jahr, in dem ich »Leider geil« schreibe, bin ich Autor bei einer Fernsehserie mit dem Titel »Der letzte Bulle«. Darin geht es um einen Polizisten, der in den 80ern ein derber Macho war und dann nach einem an ihm verübten Mordversuch 20 Jahre im Koma liegt. Als er wieder aufwacht, ist es 2008, und die Gesellschaft hat sich verändert. Für all die Dinge, die er in den 80ern so liebgewonnen hatte, gibt es mittlerweile mindestens eine Protestbewegung, die dagegen ist. Dennoch verhält sich der Bulle unbeirrt wie damals, was natürlich überall für Ärger sorgt. Er fährt einen Opel Diplomat, der mächtig Lärm macht und mehr Sprit frisst als fünf Drei-Liter-Autos zusammen. Er gibt Frauen einen Klaps auf den Po und klärt Konflikte niemals in Mediationssitzungen. Die Zuschauer (und die Fernsehleute) lieben diese Momente, in denen er sich so verhält, wie man es früher noch durfte. Und darum geht es auch in diesem Buch: Es ist eine Sammlung von Momenten, Eigenschaften und Verhaltensmustern, mit denen wir nicht prahlen. Wir erleben sie im Freundeskreis oder lieber gleich ganz allein, zu Hause, wenn die Tür zu ist. Sie machen Spaß, obwohl die Gesellschaft mittlerweile übereingekommen ist, dass sie keinen Spaß machen sollten. Weil sie geschmacklos, niveaulos, unverantwortlich, diskriminierend oder alles zugleich sind. Aber wir brauchen diese Dinge. Wir brauchen es, auch mal nicht korrekt zu sein und nicht zu funktionieren, eine Art Kurzurlaub vom Gutmenschsein. Es sind jene Momente, die früher nur möglich waren, wenn die Eltern und die Lehrer wegschauten. Sie machten am meisten Spaß, und auch heute noch können sie ein wahres Vergnügen sein – solange sie nicht zur Regel werden. Denn wie immer geht es um das richtige Maß: Wer immerzu Behindertenwitze erzählt, ist ein Idiot. Wer sich jeden Tag volllaufen lässt, ist ein Alkoholiker. Aber wer unter Freunden mal die Frage »Wo findet man einen Querschnittsgelähmten?« in den Raum wirft und sich gelegentlich im Laufe eines Abends einen Träger Bier einfüllt, der ist vielleicht in diesem Moment politisch unkorrekt und sollte besser keine lernwilligen Kinder in seiner Nähe haben, aber er ist deswegen noch lange kein schlechter Mensch.
Falls meine ehemaligen Lehrer mitbekommen haben sollten, dass ihr Exschüler ein Buch schreibt, hatten sie vermutlich auch andere Vorstellungen im Kopf als ein Werk, dessen erster Absatz mit »Popel essen« endet. So ist das. Mit Dingen, die »leider geil« sind, können wir niemanden beeindrucken, deswegen steht da ja ein »leider«. Das Gewissen nagt, aber nur ein wenig. Hunger in Afrika, Globalisierung, Umweltzerstörung, Diskriminierung, Prolligkeit – irgendwas lauert immer.
»Popel essen« hat es nicht in dieses Buch geschafft, genauso wenig wie »einen Bierbauch haben« (warum »geil«?) und »eine Sushi-Palette für zwei ganz alleine aufessen« (warum »leider«?). Ansonsten hatten viele Freunde erstaunlich schnell Vorschläge bei der Hand, die wir alle aus unserem Alltag kennen und die natürlich auch knallhart die eigenen liebgewonnenen Schwächen entlarven. Sie mögen bei vielen Menschen für Kopfschütteln sorgen – aber sie sind nun mal: leider geil!
Richard Kropf im Frühjahr 2013
Übrigens: Den Querschnittsgelähmten findet man da, wo man ihn stehen gelassen hat.
1.
Backstreet Boys hören
Seitdem es Spotify gibt, wissen wir, dass wir nicht mehr allein sind. Leute, die wir für cool hielten, tauchen in der Freundespalte auf der rechten Seite auf einmal mit Songs auf, die ihren Coolness-Nimbus mit drei Zeilen zertrümmern. »Everybody (Backstreet’s Back)«, »I want it that way«, »Quit playing games (with my heart)«. Die Backstreet Boys sind die Definition von »Guilty Pleasure«.
»Guilty Pleasure« – so nennt man seit ein paar Jahren die Freude oder den Genuss von jenen Dingen, die man gut findet, obwohl man sich eigentlich für sie schämen sollte, weil sie so geschmacklos und low sind. Manchmal handelt es sich dabei um Mode, wie Feinrippunterhemden oder → Jogginghosen, meistens aber um Popkulturkram, also Musik, Filme und Videogames. Die Backstreet Boys stehen ganz oben auf dieser Liste. Während man zu Michael Jackson mittlerweile stehen kann (zumindest zu seinem Frühwerk, man muss da nur mit seinem Einfluss auf die Popgeschichte argumentieren) und auch ABBA durch den Film mit Meryl Streep halbwegs credible wurde, bleiben die Backstreet Boys peinlich. Man sollte sie nüchtern nicht gut finden, wenn man nicht gesellschaftlich geächtet werden möchte.
Die 90er Jahre waren voll von peinlicher Musik (Europop, Billig-Techno), und die Nullerjahre wussten als Antwort darauf und als Befreiung davon nur noch die Ironie einzusetzen, die mit dem Laufe der Jahre allerdings immer weniger als solche identifizierbar wurde. Truckercappys beispielsweise werden heute vollkommen unironisch getragen, Hipster wissen vermutlich selbst nicht mehr so genau, ob sie eigentlich ironisch, retro, cool oder total bescheuert sind. Wir spüren, dass wir nicht öffentlich erörtern sollten, warum wir Texte und auch große Teile der Choreographie der Backstreet Boys auswendig können, aber daran scheitern, die Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in chronologischer Reihenfolge aufzusagen. Wer weiß, was passiert wäre, wenn uns die deutsche Geschichte damals von AJ und Brian eingetrichtert worden wäre, vielleicht wüssten wir dann heute besser Bescheid. Popmusik war in den 90ern einfach zu geschickt gemacht. Der Mann, der wusste, wie so etwas geht, hieß Lou Perlman. Noch bevor Sendungen wie DSDS aufkamen, kam er auf die Idee, eine Band zu casten. Und zwar so, dass für jeden Mädchengeschmack etwas dabei sein würde: Er fand AJ, Nick, Brian, Howie und Kevin, und das Retortenprojekt schlug ein wie Tamagotchi. Jungs mussten aufgrund von Fokusverschiebungen bei den Klassenkameradinnen das Ganze natürlich bescheuert finden, ließen sich auf Partys aber hin und wieder dabei erwischen, wie sie sich zu vorgerückter Stunde auf die Brust schlugen und dabei inbrünstig »Quit playing games with my heart« intonierten. Zusammen mit dem schwedischen Produzenten und Songwriter Max Martin hatte der Teufelskerl Lou offensichtlich eine Formel gefunden, mit der sich Hits produzieren ließen, die man sofort auswendig singen konnte und von denen man – ob man wollte oder nicht (und meistens wollte man nicht) – einen Ohrwurm bekam.
Im Prinzip haben wir diesen Ohrwurm bis heute. Wann immer eine Party den Zenit überschritten hat und der DJ nicht zu cool ist, gönnt er sich den Spaß und entlarvt uns. Am besten funktioniert die Falle dann, wenn man schon angetrunken ist und einige Stunden getanzt hat. Die Freude über eingängige, nein: simple Rhythmen und über Texte, die einem sehr vertraut sind – und allen anderen auch, obwohl man die 90er Jahre gar nicht gemeinsam erlebt hat –, schaffen größte Freude; Tanz- und Singbereitschaft eingeschlossen. Nach ein paar Songs ist dann aber auch wieder gut. Eine kurze Reise in die Vergangenheit, und dann gerne wieder zurück in die Gegenwart. Wer hängen bleibt, ist ein Freak, und prompt setzt die gesellschaftliche Ächtung ein. Und manchmal, in der Mittagspause, wenn Samstagnacht noch ein paar Tage zu weit weg ist, dann gönnt man sich eben eine kleine Runde Everyboooody. Nur kurz. Und wenn keiner mithören kann.
Sätze, die fallen müssen:
IT’S TEARIN’ UP MY HEART WHEN I’M WITH YOUUU BUT WHEN WE ARE APART I FEEL IT TOO AND NO MATTER WHAT I DO I FEEL THE PAIN WITH OR WITHOUT YOUUU
Vollkommen indiskutabel, weil:
IT’S TEARIN’ UP MY HEART WHEN I’M WITH YOUUU BUT WHEN WE ARE APART I FEEL IT TOO AND NO MATTER WHAT I DO I FEEL THE PAIN WITH OR WITHOUT YOUUU
Leider geil, weil:
IT’S TEARIN’ UP MY HEART WHEN I’M WITH YOUUU BUT WHEN WE ARE APART I FEEL IT TOO AND NO MATTER WHAT I DO I FEEL THE PAIN WITH OR WITHOUT YOUUU
Pro-Tipp:
Man kann diese Schmach für sich behalten, wenn man bei Spotify auf »Private Session« klickt.
Nur zu kompensieren durch:
Man könnte mal wieder das Instrument spielen, für dessen Erlernen die Eltern damals den Wert eines Kleinwagens zum Fenster rausgeschmissen haben.
Auch ganz geil:
Britney Spears
New Kids On The Block
N’Sync
Take That
2.
McDonald’s nachts um halb vier
Der Hamburger Royal TS ist so was wie das Gegenstück zu einer Joggingrunde. Beim Joggen fühlt man sich währenddessen beschissen, aber kurz danach ganz ausgezeichnet. Beim Hamburgeressen ist es andersrum. Man kann aber das elende Übelkeitsgefühl nach dem Essen umgehen, wenn man sich kurz nach dem Restaurantbesuch schlafen legt. Günstigerweise ist die Nacht sowieso der Zeitpunkt, zu dem der Burger am besten schmeckt, erfahrungsgemäß so gegen halb vier. Meistens ist es doch so: Die Nacht war lang und gut, wir haben getanzt zu Songs, die uns peinlich sind, und eigentlich wollten wir heute gar nicht so lange ausgehen, um morgen mal ein bisschen was vom Sonntag zu haben und nicht erst auf dem Flohmarkt aufzuschlagen, wenn die guten Sachen alle schon weg sind. Aber dann trafen wir in der Schlange zum Klo diese drei verrückten Spanier, die uns überredeten, mit ihnen einen Drink namens »Whisky-Tabasco« zu trinken, der nur zwei Zutaten hatte, abscheulich schmeckte, aber ordentlich knallte und eine Menge Spaß machte. Nach dem dritten Drink spülten wir ein Wasser nach und traten mit einem Feuerkopf aus dem Club hinaus in die Nacht. Die Vernunft wollte es, dass wir nun nach Hause gingen. Aber dann war da dieses plötzlich auftauchende Gefühl von Hunger. Präziser: von Heißhunger.
Es folgt eine kurze Diskussion über das Dilemma einer jeden Samstagnacht: Die Bäckereien haben noch nicht geöffnet, und in Tankstellen kann man nicht sitzen. Bleibt ein Fast-Food-Laden, den wir aber eigentlich aus Prinzip boykottieren.
Weil aber in betrunkenem Zustand die meisten moralischen und finanziellen Bedenken wie von Zauberhand verschwinden, sitzen wir Minuten später zu fünft in einem Taxi und nuscheln mit nasser Aussprache: »Zur nächsten McDonald’s-Filiale bitte, wenn Sie auch Hunger haben, gerne McDrive.« Der Taxifahrer verweist schüchtern lächelnd auf eine Tupperdose, in der sich noch ein halbes Graubrot befindet.
Bei McDonald’s zählen wir das letzte Kleingeld auf den Tresen (wobei IMMER ein Zwanzig-Euro-Schein auf nicht erklärbare Weise verschwunden ist) und bestellen das Sparmenü mit großer Coke, weil wir ja auf unseren Flüssigkeitshaushalt achten müssen. Und zwangsweise auch die großen Pommes. Wir setzen uns an einen Tisch, der vollkommen zugemülllt ist, wischen den Dreck mit zwei Dutzend Servietten aus dem Serviettenspender beiseite und beginnen zu speisen. Das Dröhnen in den Ohren wird langsam weniger, wir erzählen uns die besten Geschichten der Nacht, und das Essen schmeckt hervorragend und stillt die letzten Bedürfnisse. Top!
Sätze, die fallen müssen:
»Morgen geh ich eh joggen, dann hab ich das wieder runter.«
»Nimm die Pommes wieder aus deiner Nase, du Ekel.«
»Habt ihr neulich diese Reportage bei Monitor gesehen?«
»Jetzt is sowieso egal, noch so ein McFlurry macht die Sache auch nicht mehr schlimmer.«
Vollkommen indiskutabel, weil:
Menschenverachtende Arbeitsbedingungen! Keine Kohlenhydrate nach 20 Uhr! Kein Regenwaldabholzungshackfleisch zu irgendeiner Uhrzeit! Gar kein Fleisch! Keine Pommes, kein Ketchup! KEIN MCDONALD’S!
Leider geil, weil:
Nach einem schönen Suff nichts besser schmeckt als diese fetttriefende Käse-Ketchup-Hackfleisch-Masse.
Sich morgen kaum noch jemand daran erinnern wird. Oder will.
Pro-Tipps:
Beim Händewaschen auf dem Klo darauf achten, dass die mit Edding aufgemalte Telefonnummer der Club-Bekanntschaft nicht abgewaschen wird.
Auch wenn sie es ungern zugeben: Taxifahrer lieben Apfeltaschen.
Nur zu kompensieren durch:
Einen Rohkostteller mit Gemüse der Saison, geliefert vom Regionalbauern per Fahrrad oder Elektroauto.
Auch ganz geil:
»Einmal mit alles und Kräutersoße!«
3.
Eine Nacht im Internet verbringen
Der Fernseher war noch eine Röhre und so schwer – er hat den letzten Umzug nicht überlebt. Braucht auch keiner mehr, das interessante Programm ist ja doch sehr überschaubar geworden. Und den Rest kann man sich auch auf DVD anschauen oder online, was ja sehr praktisch ist, weil der Laptop sowieso den ganzen Tag an ist – und manchmal eben auch die ganze Nacht.
Wir beginnen diese Sessions gern in der Küche, essen noch ein paar Pizza-Reste (→ Essensreste vom Vortag bei offenem Kühlschrank aus dem Topf löffeln) und ziehen uns noch eine Folge »The Big Bang Theory« oder »How I met your mother« rein. 22 Minuten, eine optimale Länge, bevor wir uns an die Nachtschicht für die Magisterarbeit, die PowerPoint-Präsentation oder den Roman setzen werden. Schließlich gucken wir dann aber doch fünf oder sechs Folgen der Sitcom hintereinander, nur mit einer kurzen Unterbrechung zwischen den Folgen drei und vier für den Wechsel aus der Küche rüber ins Bett. Wir stellen den Laptop auf den Schoß (da gehört er hin, deswegen heißt er ja Laptop) und freuen uns, dass uns der heißgelaufene Akku so eine behagliche Wärme schenkt. Ab und an unterbrechen wir die Folge und sehen nach, ob neue Videos mit Panda- oder Katzencontent auf Facebook hochgeladen worden sind. Oder auf Reddit. Oder auf Twitter. Jeder Link bekommt knappe zwei Sekunden lang eine Chance, dann hopp oder top. Wir vergewissern uns außerdem, dass wir nicht irgendeine grandiose Party verpassen, auf der alle unsere Freunde sind, während wir schon im Bett liegen (→ Partys crashen). Aber die Freunde sind zum Glück nicht auf einer Party, sondern auch nur im Internet, um ihrerseits nachzuschauen, ob wir nicht auf irgendeiner grandiosen Party sind, die sie gerade verpassen. Wenn wir uns gegenseitig beruhigt haben, können wir mit dem beginnen, was wir am allerliebsten machen: Uns unkonzentriert in den Strom des Internets werfen und wild-assoziativ treiben lassen. Los geht’s meistens mit Spiegel Online (Startseite!) oder einer anderen Nachrichtenseite, auf der wir kaum einen Artikel vollständig lesen (es geht mehr um die Vergewisserung, dass die Welt noch so existiert, wie wir sie kennen). Dann biegen wir ab zu den ersten Kuriositäten (die dümmsten Unfälle, fünfjährige Breakdancer), weiter zu schrecklich selbstverliebten Modeblogs oder gleich zu Amazon (um sich zu wundern, warum diese »Kunden kauften auch«-Funktion uns immer wieder Handrührgeräte anbietet). Zurück auf Spiegel Online, wir machen ein zweites Browserfenster auf, ein drittes, ein viertes und ein fünftes, ein anonymes, um mal bei YouPorn vorbeizugucken, wieder auf Spiegel Online, wo sich aber immer noch nichts Neues ereignet hat. Wir verlinken Filmtrailer auf Facebook, bekommen blöderweise keine Likes, löschen den Trailer wieder, hören in neue Musik rein, aber auch nur ein paar Sekunden, um dann wieder auf Spiegel Online vorbeizugucken, wo schon wieder nichts passiert ist, aber immerhin: Die Welt steht noch. Auch irgendwie langweilig.
Und irgendwann, es geht stramm auf halb zwei zu, stellen wir fest: Alle Wege führen in einen Shitstorm. Früher oder später findet man sich immer in einem Forum wieder, wo irgendjemand eine ganze Ladung Hass und Lebensfrust auf die Seite gekübelt bekommt. Wie früher in der Schule: Ein großer Spaß, solange man nicht selbst betroffen ist.
Auf Nachrichtenportalen beschimpfen sich die User nach wenigen Beiträgen gegenseitig, und es findet sich immer mindestens einer, der erbost schreibt: »Wen interessiert das bitte?!« Derjenige hatte aber immerhin die Zeit gefunden, den Text zu lesen, sich einzuloggen und einen Kommentar zu schreiben. Das bekommt er dann auch knallhart von andern Usern zu hören – und dann geht’s los, bis einer heult. Noch größer ist der Unterhaltungsfaktor auf Bewertungsportalen wie Qype, wo es sich empfiehlt, die Kommentare von unten nach oben zu lesen und sich dabei die empörten Gesichter der aufgewühlten Wutbürger vorzustellen: »Eine Sprite bestellt, Mineralwasser bekommen! Haben wir natürlich zurückgehen lassen und sehen plötzlich, dass einer der Kellner sich einen Strohhalm nimmt und das Getränk probiert. Ziemlich unhygienisch, wie wir finden! Da sollte das Gesundheitsamt mal vorbeischauen!« »Furchtbar! Möchte man behandelt werden, als sei man eine störende Milchkuh, die wegen der niedrigen Cocktailpreise schnell gemolken und dann weggeworfen werden soll, ja dann ist man hier freilich richtig!« Wir sind selbst kurz davor, auch einen Kommentar zu schreiben, lassen es aber lieber sein. Weil wir natürlich keinerlei Spuren auf Seiten wie diesen hinterlassen wollen, schließlich besuchen wir sie ja eigentlich gar nicht. Dafür erinnert uns das ganze Gebattle zu sehr an die Menschen bei Mitten im Leben oder Familien im Brennpunkt. Mit dem Unterschied, dass wir hier wissen: Das ist echt. Wir werden aus unseren Gedanken über die anonyme Netzgemeinde gerissen, weil am unteren Bildrand das Skype-Symbol aufflackert. Bis wir das Chatfenster geöffnet haben, sind dort schon fünf Nachrichten unseres alten Freundes aus Amerika aufgelistet, der wegen der Zeitverschiebung natürlich noch hellwach ist und auf eine Antwort wartet:
»Hi there! U there? Hello? Hellooo?! WTF!? I CAN SEE UR ONLINE!!!«
»YES, I AM HERE! HELLO!«
Weil wir lange nicht gesprochen haben, chatten wir ein bis zwei Stunden. Manchmal auch parallel mit zwei, drei anderen Freunden. Manchmal posten wir dabei im falschen Fenster. »Sorry, natürlich vermisse ich dich auch … irgendwie, aber nicht so! Sehen wir uns morgen in der Mensa.« Manchmal schauen wir auch nebenbei in einem weiteren Fenster neuentdeckte Videos mit Ziegen, die faszinierenderweise genau wie Menschen schreien. Als wir das nächste Mal auf die Uhr gucken, ist es halb vier. Wir erinnern uns, dass wir eigentlich dringend vorhatten, die Magisterarbeit für die Uni, die PowerPoint-Präsentation für den Job heute Abend anzufangen. Ist aber nicht passiert. Keine Zeile unterhalb der Überschrift, die wir dafür aber zwölfmal zwischen verschiedenen Schriftarten und -größen hin und her formatiert haben. Die Lösung für dieses Prokrastinieren vermuten wir im Internet. Google erzählt uns von einer Software namens MacFreedom, die unser Internet für eine von uns bestimmte Zeit sperrt. Sie ist kostenpflichtig, aber weil es uns das Gefühl gibt, dass sie wirklich gut sein muss, kaufen wir sie. Um sie morgen ganz sicher zum Einsatz zu bringen. Morgen. Spätestens übermorgen.
Sätze, die fallen müssen:
»Ohne das Internet hätte ich viel weniger Kontakt zu meinen Freunden.«
»Chatten? Auf Skype? Facebook? iChat? Twitter? Okay, ich ruf dich auf dem Festnetz an.«
»Gleich wird der Clip voll lustig, wart’s ab … warte … warte … ja, vorhin war’s irgendwie lustiger.«
Vollkommen indiskutabel, weil:
Wir sollten schlafen.
Das Rumklicken im Internet senkt die Aufmerksamkeitsspanne! Beträchtlich! Erwiesenermaßen!
Kein Kätzchenclip wird uns jemals die Gehaltserhöhung verschaffen, auf die wir warten.
»… buffering …«
Get a life, Herrgott noch mal!
Leider geil, weil:
Wir können uns für Dinge begeistern, von denen wir nicht mal geahnt haben, dass es sie gibt.
Wir können schön in der →Jogginghose bleiben und trotzdem mit unseren Freunden Kontakt haben.
Wenn’s langweilig wird – klick, weg.
Pro-Tipp:
Der Bestsellerautor Daniel Kehlmann hat angeblich eine Methode herausgefunden, wie man MacFreedom austricksen kann. Wen’s interessiert – er ist nach eigenen Angaben gut per E-Mail erreichbar.
Nur zu kompensieren durch:
Einen Arbeitstag, so knallhart, als sei er von Heidi Klum durchstrukturiert worden.
Den Austausch des Smartphones gegen ein ganz normales Billo-Handy.
Auch ganz geil:
Im Büro einen Inkognito-Surf-Browser nutzen, anstatt zu arbeiten.