Jochen Mai • Daniel Rettig
Ich denke, also spinn ich
Warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen
Deutscher Taschenbuch Verlag
Ungekürzte Ausgabe 2012
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
© 2011 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 41671 - 9 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 34763 – 1
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Vorwort
Freud und Leid
Der Bystander-Effekt
Der Peltzman-Effekt
Die Pendler-Amnesie
Der Gummiband-Effekt
Der Ferien-Effekt
Der Cocktailparty-Effekt
Der Gähn-Effekt
Der Barnum-Effekt
Der Walkman-Effekt
Der Dalai-Lama-Effekt
Der Gore-Effekt
Der Überraschungs-Effekt
Für schnelle Aha-Effekte
Kopf und Kragen
Der Katharsis-Effekt
Das Feel-Good-Do-Good-Phänomen
Das Lächelmasken-Syndrom
Der Macbeth-Effekt
Das Impostor-Syndrom
Der Spotlight-Effekt
Der Pratfall-Effekt
Der Underdog-Effekt
Der Luzifer-Effekt
Der Jo-jo-Effekt
Der Roseto-Effekt
Für schnelle Aha-Effekte
Fleisch und Blut
Der Michelangelo-Effekt
Der Westermarck-Effekt
Der Valins-Effekt
Der Romeo-und-Julia-Effekt
Der Weihnachts-Effekt
Der Coolidge-Effekt
Für schnelle Aha-Effekte
Brot und Spiele
Der Anker-Effekt
Das Kontrastprinzip
Der Reaktanz-Effekt
Der Framing-Effekt
Der Zero-Price-Effekt
Der Reziprozitäts-Effekt
Der Endowment-Effekt
Der Name-Letter-Effekt
Der Frage-Effekt
Der Decoy-Effekt
Der Wert-Effekt
Der Assimilations-Effekt
Der Veblen-Effekt
Der Diderot-Effekt
Der Mere-Exposure-Effekt
Der Sleeper-Effekt
Der Halo-Effekt
Der Wandfarben-Effekt
Der Denominations-Effekt
Für schnelle Aha-Effekte
Art und Weise
Der Flynn-Effekt
Das Sieben-Phänomen
Der Vergessens-Effekt
Der Restorff-Effekt
Der Rezenz-Effekt
Der Stroop-Effekt
Der Hindsight-Bias
Der Bowery-El-Effekt
Der Stroboskop-Effekt
Der Placebo-Effekt
Der Texas-Scharfschützen-Effekt
Das Gesetz der Serie
Warnocks-Dilemma
Für schnelle Aha-Effekte
Fix und fertig
Die Entscheidungsparalyse
Der Confirmation-Bias
Der Semmelweis-Effekt
Der Overconfidence-Effekt
Der Kuleshov-Effekt
Der Schiefe-Bahn-Effekt
Das Monty-Hall-Dilemma
Der Minoritäts-Effekt
Der Abilene-Effekt
Der Begründungs-Effekt
Der Wiederholungs-Effekt
Das Blue-Seven-Phänomen
Das Catch-22-Phänomen
Für schnelle Aha-Effekte
Pauken und Trompeten
Der Effort-Effekt
Der Fischteich-Effekt
Der Lern-Effekt
Der Mozart-Effekt
Für schnelle Aha-Effekte
Ort und Stelle
Der Watercooler-Effekt
Der Korrumpierungs-Effekt
Das Helfer-Syndrom
Das Mona-Lisa-Syndrom
Der Gruppen-Effekt
Der Ringelmann-Effekt
Der Exzellenz-Effekt
Das TINA-Prinzip
Der Matilda-Effekt
Der Superstar-Effekt
Der N-Effekt
Der Zeigarnik-Effekt
Die 72-Stunden-Regel
Der Prokrastinations-Effekt
Der Broken-Windows-Effekt
Das Parkinson’sche Gesetz
Der Jetzt-ist-es-auch-egal-Effekt
Für schnelle Aha-Effekte
Einzig und artig
Der Propinquity-Effekt
Der Ben-Franklin-Effekt
Der Chamäleon-Effekt
Der Mitläufer-Effekt
Der Falsche-Konsensus-Effekt
Der Domino-Effekt
Für schnelle Aha-Effekte
Rang und Namen
Der Marshmallow-Effekt
Der Hawthorne-Effekt
Die 10 000-Stunden-Regel
Der Aha-Effekt
Der Raikov-Effekt
Der Andorra-Effekt
Der Pygmalion-Effekt
Die Superstar-Theorie
Der Matthäus-Effekt
Der Gewöhnungs-Effekt
Der Geburtsreihenfolge-Effekt
Der Dunning-Kruger-Effekt
Der Kobra-Effekt
Murphy’s Law
Der Vorführ-Effekt
Für schnelle Aha-Effekte
Schloss und Gitter
Das Hostile-Media-Phänomen
Der CSI-Effekt
Der Werther-Effekt
Der Streisand-Effekt
Der Clooney-Effekt
Das Kleine-Welt-Phänomen 2 . 0
Der Proteus-Effekt
Für schnelle Aha-Effekte
Danksagung
Literatur
Links
Stichwortverzeichnis
Unfrei willig
Je näher man dem Ziel kommt, desto mehr strengt man sich an. Freiwillig. Egal, wie sehr man sich vorher schon verausgabt hat; egal, wie viele Energiereserven schon verbraucht sind – auf dem letzten Meter macht keiner mehr schlapp. Aufgeben? Niemals! Da gibt jeder noch mal alles. Bis zum Finale. Wie beim Sex.
Was Sexualwissenschaftler an dieser Stelle relativ gelangweilt als klassische Klimax abtun würden, kennen Psychologen eher unter dem etwas sperrigen Anglizismus des Goal-Gradient-Effekt. Entdeckt hat den der Verhaltensforscher Clark Hull – und das bereits 1932. Dabei handelt es sich um eines dieser typischen Alltagsphänomene, die uns ständig begegnen, ohne dass wir es ahnen, geschweige denn selbige benennen könnten. Ob bewusst oder nicht, die Wirkungsweise machen sich zahlreiche unserer Mitmenschen zunutze: Chefs etwa, indem sie ihren Mitarbeitern kürzere Deadlines setzen und sie so zusätzlich anspornen. Fitnesstrainer, die uns anfeuern: »Komm, einmal geht noch!« Oder raffinierte Verkäufer, die uns nach einer zähen Verhandlung plötzlich einen besseren Preis machen, weil sie merken, dass wir längst an ihrem Haken zappeln.
Es kommt sogar noch besser. Vor Kurzem entlarvte ein Forscherteam um Ran Kivetz von der amerikanischen Columbia-Universität eine noch perfidere Masche, wonach wir uns sogar in diesen Zustand der Endzeit-Euphorie versetzen lassen, selbst wenn es sich dabei um eine Illusion handelt.
Bei einem dieser Experimente verteilten die Wissenschaftler sogenannte Bonus- oder Treuekarten an ihre Probanden, wie man sie heute von Sandwich-Ketten oder anderen Schnellrestaurants kennt. In diesem Fall stammten sie von einem Coffeeshop in der Nachbarschaft. Das Angebot wie immer: »Kauf zehn, und du bekommst einen Kaffee umsonst.« Nur war der Trick diesmal, dass die Hälfte der Teilnehmer eine leere Karte erhielt, auf der man zehn Treuepunkte sammeln musste. Die andere Hälfte musste theoretisch zwölf Kaffee kaufen, um an das Treuegeschenk zu gelangen – allerdings klebten schon zwei Bonuspunkte auf der Karte. Wie erwartet, bemühten sich die Probanden in beiden Fällen mit jedem weiteren Kaffee zügiger um den Bonus, was den eingangs erwähnten Effekt bestätigte. Nun aber offenbarte sich die ganze psychologische Wucht der Zwölferkarte: Ihre Besitzer griffen noch gieriger zu, um möglichst schnell den versprochenen Gratisbecher zu erhalten. Obwohl die Differenz bei beiden Karten exakt zehn Punkte ausmachte, wirkten die beiden geschenkten Treuepunkte wie ein Verkaufsturbo.
Die traurige Wahrheit ist: Wir Menschen sind so. Manipulierbar bis in die Haarspitzen, vielfach ferngesteuert oder schon ganz auf Autopilot. Zum Beispiel, wenn wir einfach mitgähnen, sobald wir einen Kollegen dabei beobachten; wenn wir uns die Hände waschen, sobald wir eine schwere Entscheidung treffen; oder wenn wir glauben, Dinge zu hören, die längst nicht mehr da sind.
Als wir mit den Recherchen zu diesem Buch begannen, waren wir überrascht, wie viele dieser Effekte existieren. Wir nehmen an, den Domino-Effekt, den Jo-Jo-Effekt und den Placebo-Effekt kennen Sie. Aber haben Sie schon einmal vom Decoy-Effekt gehört? Vom Bystander-Effekt vielleicht? Oder vom Halo-Effekt? Eben. Es gibt weit über 200 dieser Effekte – wobei Defekte zuweilen passender wäre –, deren Herkunft, Entdeckungsgeschichte oder Namen kaum einer kennt.
Schade eigentlich. Denn sie beschreiben und erklären nicht nur zahlreiche Alltagsphänomene und Ursache-Wirkungs-Prinzipien. Sie beinhalten auch viele wichtige Erkenntnisse aus der Psychologie oder Soziologie, die bis heute nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt haben und die uns in sämtlichen Stationen unseres Lebens begegnen: als Schüler oder Student, als Arbeitnehmer oder als Chef, als Single oder als Ehepartner. Sowie in sämtlichen Lebenslagen: beim Denken und Entscheiden, beim Arbeiten und Abschalten, beim Gewinnen und Verlieren.
Entsprechend haben wir auch dieses Buch aufgebaut: Die elf Hauptkapitel behandeln die wichtigsten Bereiche unseres Lebens und Alltags – vom Fühlen und Lieben bis zum Konsumieren und Kooperieren. Wissenswertes drum herum, ergänzende Studien oder Umfragen haben wir in die Kästen am Rand gepackt. Dazugestellt haben wir einige Tests, mit denen Sie manche der Effekte gleich selbst erproben können.
Natürlich gibt es auch einige Effekte, die sich nicht eindeutig abgrenzen ließen. Ihre Wirkung reicht in zahlreiche Lebenslagen hinein. Andere überschneiden sich oder heben sich gar gegenseitig auf. Aber so ist das im Leben eben: Der Mensch ist keine Maschine, mal ticken wir so, mal so. Es sind die Umstände und die Tagesform, die dann den Ausschlag geben. Gleichwohl: Beeinflusst werden wir trotzdem – so oder so.
Unter den zahlreichen Fundstücken, die uns haben hochschnellen lassen wie eine Scheibe Toast, waren freilich auch einige Kuriositäten wie etwa der Butterfly- oder Schmetterlings-Effekt, bei dem es sich eher um eine Theorie handelt. Danach kann der Flügelschlag eines einzigen Schmetterlings einen Wirbelsturm auf der anderen Erdhalbkugel auslösen. Theoretisch jedenfalls. Ob Sie es glauben oder nicht: Seit den Sechzigerjahren bildet dieser Effekt die Grundlage für das Wissen um dynamische und chaotische Systeme. Er ist Teil der sogenannten Chaos-Theorie. Doch auch wenn das Schreiben dieses Buchs zugegebenermaßen zu einem temporären Chaos auf unserem Schreibtisch geführt hat, bezweifeln wir stark, dass etwa das Begießen der Veröffentlichung ein neues Rhein-Hochwasser auslösen wird. Falls doch: sorry!
Gewiss, solche skurrilen Wirkungsketten lassen sich noch abtun als halbwissenschaftliche Spinnerei. Die überwiegende Mehrheit der Effekte dieses Buchs aber enthält allerlei Denkwürdiges, wenn nicht gar Beängstigendes. Ein Beispiel: Angenommen, wir würden Ihnen zehn Euro anbieten. Einfach so. Oder ein Lotterielos mit einer Fifty-fifty-Chance auf einen Gewinn im Wert von 20 Euro. Wofür würden Sie sich entscheiden? Nun, vermutlich würden Sie eher die zehn Euro nehmen – lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach … Aber nun stellen Sie sich bitte vor, unsere reizende Assistentin (Leserinnen stellen sich an dieser Stelle bitte den Mann aus der Colalight-Werbung vor) würde Sie kurz vorher sanft an der Schulter berühren. Welche Option fänden Sie jetzt attraktiver? Gut, in der Theorie und bei der Lektüre dieser Zeilen dürfte die Vorstellung keinerlei Unterschied machen. Aber in der Realität sehr wohl! Jonathan Levav von der Columbia-Universität hat diesen Versuch unter Realbedingungen durchgeführt, Resultat: Die Probanden entschieden sich signifikant häufiger für die Risiko- beziehungsweise Los-Variante, um genau zu sein: 6,47 Mal häufiger als die Unberührten.
Das mag ein noch relativ belangloser Zusammenhang sein, aber es gab auch andere Experimente dazu. Bei einem bekamen die Versuchspersonen fünf kanadische Dollar und konnten diese wahlweise in eine vergleichsweise sichere Anlageform mit vier Prozent Zinsen investieren oder in eine riskante Aktien-Alternative mit hohem Risiko auf Totalverlust. Wieder wurde ein Teil der Probanden scheinbar zufällig vorher an der Schulter berührt, eine zweite Gruppe wurde mit Handschlag begrüßt, die dritte Kontrollgruppe hatte keinerlei Hautkontakt. Sie ahnen bereits, was passierte: Wer berührt wurde, vor allem an der Schulter, investierte bis zu vier Dollar in Aktien. Und jetzt übertragen Sie dieses Wissen bitte auf einen Manager mit hoher Budgetverantwortung, der eine für das Unternehmen dramatische Investition abwägen soll und kurz zuvor von seiner reizenden Assistentin einen Stups bekommt! Es ist nur eine kleine Geste für ihn, aber eine große Folge für die Belegschaft …
All die Studien, all die Effekte und psychosozialen Gesetzmäßigkeiten, die wir zusammengetragen haben, nähren erheblichen Zweifel daran, dass der Mensch tatsächlich so etwas wie ein rationales Wesen ist, das seine Entscheidungen stets bewusst und im Einklang mit seinem Gewissen fällt. Stattdessen deuten die über Jahre hinweg dokumentierten Wirkungsweisen auf einen fundamentalen Einfluss unseres Unterbewusstseins sowie unterschwelliger Reize hin, die unser Handeln mehr steuern als unser Verstand. Kurz: Es geht um die heimliche Macht der Effekte. Oder wie es Arthur Schopenhauer einmal auf den Punkt brachte: »Der Mensch ist frei zu tun, was immer er will. Aber er ist nicht frei darin, zu wählen, was er will.«
Nitin Nohria, Dekan der Harvard Business School, beschäftigt sich ebenfalls seit vielen Jahren damit, was Menschen antreibt. Er wiederum geht davon aus, dass vier Grundbedürfnisse das menschliche Handeln steuern: der Wunsch, etwas zu besitzen, sich zu binden, Errungenes zu verteidigen, und – das Bedürfnis, die Welt um uns herum zu verstehen. Besonders Letzteres fällt uns in einer immer komplexeren, hektischeren Welt zunehmend schwer. Wie oft erleben wir Situationen, die vermeintlich keinen Sinn ergeben? Die uns ratlos und frustriert zurücklassen. Und die zu Zweifeln führen – an uns, an unseren Mitmenschen, ach was: am ganzen Kosmos. Mit diesem Buch, das versprechen wir Ihnen, werden Sie der Erfüllung des vierten Nohria-Bedürfnisses erheblich näherkommen. Wir können zwar nicht garantieren, dass das Buch zu mehr Toleranz führt – aber Sie werden hinterher ganz sicher Ihre Mitmenschen, deren Motive und sich selbst besser verstehen. Und sich künftig seltener manipulieren lassen.
Bei unseren Recherchen hatten wir diesbezüglich jedenfalls viele Aha-Effekte – und die wünschen wir Ihnen bei der Lektüre der folgenden Seiten ebenfalls. Sind Sie bereit? Dann los …
– Wie wir leben –
Eigentlich sind Katzen zu beneiden – jedenfalls wenn man dem Sprichwort Glauben schenkt. Demzufolge haben die possierlichen Tierchen stolze sieben Leben. Man stelle sich das mal vor – sieben Chancen, all seine Vorhaben zu verwirklichen: Träumen nachzueifern, Berufe auszuüben, Länder zu bereisen, Kulturen kennenzulernen, Menschen zu treffen, sich zu verlieben. Aufs immer Neue. Herrlich! Eigentlich. Denn womöglich ist das Leben genau deshalb so spannend und kostbar, weil wir doch nur jeweils eine Chance zu alledem haben.
Weil es im Leben eben keine Rückgängig-Taste gibt wie auf unseren Computern. Weil Momente, so wunderschön sie auch sind, nicht wiederkommen. Schicksalsschläge aber auch nicht. Das beraubt uns zwar einerseits der Chance, wie in der Hollywood-Komödie ›Und täglich grüßt das Murmeltier‹ so lange an unseren Ausrutschern zu laborieren, bis endlich der perfekte Tag gelingt. Andererseits zeigt der Film aber genau das: die wundervolle Erlösung aus der Zeitschleife, zurück ins einmalige, imperfekte Leben, hinein ins tägliche Stolpern, Torkeln, Fallen und Wiederaufstehen. Und das wiederum gibt uns die Gelegenheit, all die Skurrilitäten und Abenteuer viel mehr zu genießen, die das Hier und Heute so bereithält, weil das Morgen schon wieder ein ganz anderes sein wird. Bis auf die wenigen Ausnahmen freilich, die die sprichwörtliche Regel bestätigen. Dazu zählen zum Beispiel die denkwürdigen Effekte der folgenden Seiten. Sie sorgen unter anderem dafür, dass wir Leidende begaffen, mit unserem Leben Roulette spielen und aus dem Strandurlaub auch intellektuell cremig zurückkehren. Immer wieder. Und in nur einem Leben. Ein Katzenjammer, eigentlich.
Nichts hören, nichts sehen, nichts tun
Als sich Catherine Genovese entschied, ohne ihre Familie in New York zu leben, war sie gerade einmal 19 Jahre jung. Erst ein paar Tage zuvor war ihre Mutter Zeugin eines brutalen Mordes geworden – mitten am Tag und mitten in Queens, in der Nähe ihres Wohnhauses in Kew Gardens. Der Schock war so groß, dass die Familie beschloss, in das beschaulichere Connecticut umzuziehen. Doch Kitty, wie ihre Freunde sie auch nannten, wollte lieber mit ihrer Partnerin Mary Ann Zielonko zusammenziehen und in der turbulenten Stadt bleiben. Es gab darüber einigen Streit in der Familie, am Ende aber stimmten ihre Eltern widerwillig zu – was sie Jahre später bitter bereuen sollten.
Es war kalt am Morgen des 13. März 1964. Kitty, inzwischen 28 Jahre, groß, schlank, dunkle, kurze Haare, von denen sie sich ein paar Strähnen frech in die Stirn kämmte, kam gerade von ihrer Schicht in »Ev’s 11th Hour Sports Bar« nach Hause. Sie arbeitete dort als Managerin und war ebenso beliebt wie zuverlässig. Gegen 3.15 Uhr erreichte sie den Parkplatz, der etwa 30 Meter von ihrer Wohnungstür entfernt lag. Abgespannt und müde stieg sie aus dem Auto, als sich ihr Winston Moseley von hinten näherte und sofort auf die junge Frau einstach. Kitty schrie um Hilfe, flehte um ihr Leben. Zahlreiche Nachbarn hörten es. Vereinzelt gingen Lichter in den Häusern an. Einige öffneten die Fenster, Passanten blieben stehen und sahen zu. Doch erst, als einer von ihnen Moseley anherrschte, ließ dieser von Genovese ab. Blutüberströmt schleppte sich die Schwerverletzte zu ihrer Wohnung. Allein. Keiner kam ihr zu Hilfe. Mehr noch: Als sie außer Sichtweite der Nachbarschaft war, kehrte Moseley zurück. Eiskalt folgte er ihrer Blutspur und stöberte sie kurz vor ihrem Apartment auf. Obwohl die junge Frau kaum noch bei Bewusstsein war, hielt den wahnsinnigen Täter nichts davon ab, sie nun auch noch zu vergewaltigen und auszurauben. Eine halbe Stunde lang dauerte Kittys Martyrium. Dann erlag sie den Folgen des brutalen Angriffs.
Wie sich später herausstellte, war ihr Mörder ein geisteskranker Serientäter. Er konnte gefasst werden und wurde zum Tode verurteilt. Als die Behörden den Fall jedoch weiter untersuchten, offenbarte sich das ganze Ausmaß des Verbrechens, über das die ›New York Times‹ am 27. März 1964 schrieb: »Mehr als eine halbe Stunde lang schauten 38 achtbare, gesetzestreue Bürger in Queens zu, wie ein Mörder eine Frau in Kew Gardens belästigte und auf sie einstach.«
Die Menschen verhielten sich wie die drei Affen Mizaru, Kikazaru und Iwazaru: nichts hören, nichts sehen, nichts tun – keiner eilte Kitty Genovese zu Hilfe, niemand alarmierte die Polizei. Manch einer der Passanten gab später gar zu Protokoll, er habe gedacht, es handele sich lediglich um einen Beziehungsstreit.
Immer wieder ereignen sich solch verstörende Verbrechen – und damit meinen wir nicht den Mord, sondern vielmehr die Unbarmherzigkeit und Tatenlosigkeit von Passanten. 1983 etwa wurde in Bedford, Massachusetts, eine Frau in einer Bar von mehreren jungen Männern stundenlang vergewaltigt, ohne dass einer der anderen Besucher eingeschritten wäre. Der skandalöse Fall schlug solche Wellen, dass er 1988 mit Jodie Foster in der Hauptrolle unter dem Titel ›Angeklagt‹ verfilmt wurde. Und erst im Oktober 2009 sahen ganze 20 Zeugen zu, wie ein 15-jähriges Mädchen in Richmond, Kalifornien, auf offener Straße überfallen und sexuell missbraucht wurde. Statt dem Mädchen zu helfen oder die Polizei zu rufen, lachten einige der Passanten noch dazu oder machten Fotos mit ihren Handykameras. Nicht minder präsent sind uns die Bilder von Dominik Brunner. Jenem Helden, der 2009 an einer Münchner S-Bahn-Haltestelle drangsalierten Kindern beherzt zu Hilfe eilte und dafür selbst mit dem Leben bezahlte. Auch hier zeigten die Mitanwesenden weder Zivilcourage, noch leisteten sie Brunner oder den Kindern Beistand.
Die unerklärliche Untätigkeit der Umstehenden wurde inzwischen mehrfach psychologisch untersucht und gab dem Phänomen den Namen, der bis heute einen schier unglaublichen sozialen Defekt von uns Menschen beschreibt – den Bystander-Effekt, auch Zuschauer-Effekt oder Genovese-Syndrom genannt. Kurz gesagt bedeutet er: Bei jedem Notfall nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass einem geholfen wird, mit steigender Anzahl der Umstehenden ab.
Eingehend untersucht haben das zum Beispiel die Sozialpsychologen Bibb Latané und John Darley und daraus einen Fünf-Stufen-Prozess abgeleitet, den jeder Passant durchmacht, bevor er einem Unfallopfer hilft. Der Haken: Auf jeder dieser Stufen bilden andere Menschen ein zunehmendes Hindernis. So muss jemand, bevor er hilft, den Notfall als solchen überhaupt erst einmal erkennen. Je mehr Menschen aber anwesend sind, desto weniger bedrohlich wirkt die Situation. Wie Psychologen um David McMillen 1977 nachwiesen, kann selbst die eigene Laune enorm beeinflussen, ob man die Situation als bedrohlich und einschreitenswert beurteilt oder nicht. Konkret: Gut Gelaunte helfen eher als Miesepeter.
Auch das Verhalten der Umstehenden beeinträchtigt unser Verantwortungsempfinden enorm. Je mehr Passanten das Geschehen »übersehen«, desto eher kommt es zur sogenannten Gruppenignoranz. Nicht selten warten alle nur darauf, dass ein anderer (!) eingreift und den ersten Schritt wagt. Womöglich glaubt der Einzelne auch, die anderen seien zur Hilfe besser geeignet – etwa, weil sie kräftiger oder kompetenter sind. Verantwortungsdiffusion heißt wiederum dieses Phänomen im Fachjargon. Was es aber auch nicht besser macht.
Was sich gegen so viel soziale Ignoranz tun lässt? Wenig. Die Polizei empfiehlt Opfern, ihren Hilferuf nicht an die Allgemeinheit zu richten, sondern ganz gezielt eine Person herauszupicken und an diese zu appellieren: »Sie da! Helfen Sie mir!« So wird die Verantwortungsdiffusion aufgebrochen. Ein anderer Weg ist, Bücher und insbesondere Geschichten wie diese zu lesen. Versuchspersonen, die zum Beispiel von Latanés und Darleys Forschungen wussten, halfen in Notfällen fast doppelt so oft wie andere.
Warum immer wieder Unfälle passieren
Etwa 2,4 Millionen Unfälle im Straßenverkehr registrierte die Polizei 2010 in Deutschland, knapp vier Prozent mehr als im Vorjahr. 1997 waren es 2,2 Millionen Unfälle, 1990 gar nur zwei Millionen. Logisch, denken jetzt viele, heute fahren ja auch viel mehr Autos auf den Straßen! Stimmt. Wahr ist aber ebenfalls: Die Autos sind heute viel sicherer als vor einigen Jahren noch, dafür sorgen unter anderem ABS, Airbag und Einparkhilfe. Und das führt wiederum dazu, dass auf Deutschlands Straßen so wenig Menschen ums Leben kommen wie noch nie. Ebenfalls 2010 zählte das Statistische Bundesamt nur etwa 3600 Todesopfer – 13,5 Prozent weniger als im Vorjahr.
Mehr Unfälle zwar, dafür weniger Tote. Wenigstens etwas. Dem technischen Fortschritt sei’s gedankt. Aber ist für die Crash-Zunahme wirklich nur die steigende Verkehrsdichte verantwortlich? Nein, behauptet der US-Ökonom Sam Peltzman. Vielmehr ist er davon überzeugt, dass gerade der technische Fortschritt und die zunehmenden Sicherheitsvorschriften nicht für weniger Unfälle sorgen, sondern für mehr. Klingt völlig absurd, nicht wahr? Auf den ersten Blick ist der sogenannte Peltzman-Effekt das auch. Doch sehen wir uns Peltzmans Argumente einmal genauer an: Seit 1925 fahren Autos auf amerikanischen Straßen. Als die Zahl der Todesfälle im Straßenverkehr 1960 aber schon auf rund 3,5 Prozent angestiegen war, erließ die Regierung um US-Präsident Lyndon B. Johnson den »National Traffic and Motor Vehicle Safety Act«: Ab sofort waren Anschnallgurte Pflicht. Rund 15 Jahre später wertete Peltzman in einer viel beachteten Studie aus, welche Konsequenzen die neuen Sicherheitsvorschriften gehabt hatten. Das überraschende Resultat: Die Zahl der Unfälle war gestiegen.
Peltzman erklärte den Effekt folgendermaßen: Zwar kamen die Fahrer und Beifahrer durch die neuen Sicherheitsvorschriften bei einem Unfall nun wesentlich glimpflicher davon – was sich in der sinkenden Zahl der Verkehrstoten äußerte. Gleichzeitig aber führten die Vorschriften zu einem riskanteren Fahrstil. Die Fahrer fühlten sich sicherer, was durch die Versprechungen der Industrie verstärkt wurde. Derart eingelullt nahmen Umsicht und Aufmerksamkeit bei den Fahrern kontinuierlich ab. Dieselbe Haltung lässt sich auch heute in zahlreichen Gesprächen mit Autofahrern heraushören: Sie schwärmen von den technischen Raffinessen ihrer Fahrzeuge, von Nachtsichtbildschirmen, von Abstandsradar und aktiven Bremssystemen. Alles nicht schlecht, gewiss. Aber im Straßenverkehr ist man eben nie allein. Was nutzt einem die hochgerüstetste Karosse, wenn der schnarchige Vordermann abrupt und scheinbar völlig grundlos abbremst oder das Steuer verreißt? Nicht umsonst ist Drängeln und dichtes Auffahren heute ein teures Verkehrsdelikt, das mit bis zu vier Punkten, Fahrverbot und 400 Euro Bußgeld belegt wird (siehe Kasten S. 27). Nur weil sich die Leute in ihren dicken und gedämpften Blechschiffen so sicher fühlen, fahren sie selbst bei 180 Sachen noch so dicht auf den Vordermann auf, dass sie nicht einmal mehr das Kennzeichen lesen können.
DAS KOSTET DRÄNGELN
Bei Geschwindigkeiten über 80 km/h, mit weniger als
50 Prozent des Mindestabstands: 75 Euro, 1 Punkt
40 Prozent des Mindestabstands: 100 Euro, 2 Punkte
Bei Geschwindigkeiten über 100 km/h, mit weniger als
30 Prozent des Mindestabstands: 160 Euro, 3 Punkte, 1 Monat Fahrverbot
20 Prozent des Mindestabstands: 240 Euro, 4 Punkte, 2 Monate Fahrverbot
10 Prozent des Mindestabstands: 320 Euro, 4 Punkte, 3 Monate Fahrverbot
Bei Geschwindigkeiten über 130 km/h, mit weniger als
50 Prozent des Mindestabstands: 100 Euro, 2 Punkte
40 Prozent des Mindestabstands: 180 Euro, 3 Punkte
30 Prozent des Mindestabstands: 240 Euro, 4 Punkte, 1 Monat Fahrverbot
20 Prozent des Mindestabstands: 320 Euro, 4 Punkte, 2 Monate Fahrverbot
10 Prozent des Mindestabstands: 400 Euro, 4 Punkte, 3 Monate Fahrverbot
Quelle: Bußgeldkatalog, Stand: Januar 2010
Schon vor über 30 Jahren war es für den Wirtschaftswissenschaftler Peltzman deshalb das trügerische Sicherheitsgefühl, das zahlreiche Unfälle verursachte – trotz immer neuer Sicherheitserlasse. Der Blick auf die Daten des Statistischen Bundesamts scheint seine These zu stützen: Zwischen 1990 und 2008 nahm zwar die Zahl der Unfälle mit Personenschaden von 340 000 auf 320 000 ab. Ohne Frage ein Verdienst der Sicherheitstechnik. Im gleichen Zeitraum aber stieg die Zahl der Unfälle mit Blechschaden von etwa 1,7 Millionen auf fast zwei Millionen. Und das ist ein starkes Argument für den Peltzman-Effekt. Fahren Sie also bitte vorsichtig und umsichtig!
Warum Pendeln krank macht
Wenn einem das Leben nicht gefällt, hat das meist Gründe. Stau ist einer davon. Und der ereilt zahlreiche Menschen nahezu täglich – beim Pendeln ins Büro. Etwa 16 Millionen Berufspendler gibt es in Deutschland. Die Mehrheit bevorzugt trotz diverser Appelle ans Umweltbewusstsein weiterhin das Auto. 2008 fuhren damit knapp 60 Prozent aller Pendler zur Arbeitsstätte, nur 13 Prozent nahmen Busse oder Bahnen. Rund 44 Prozent der Arbeitnehmer würden für ihren Traumjob gar eine tägliche Fahrtzeit von über einer Stunde in Kauf nehmen, zwölf Prozent führen auch mehr als zwei Stunden, kam 2009 bei einer Umfrage der Online-Stellenbörse Stepstone heraus.
Doch statt dieses selbstgewählte Schicksal geduldig auf sich zu nehmen, verlagert die kollektive Fahrgemeinschaft jeden Morgen die Mundwinkel auf Asphaltniveau. Nach aufreibenden Manövern durch zäh fließenden Verkehr, überquellende Zubringer und schier endlos scheinende Stop-and-Gos sind sie nur noch genervt vom Pendeln, das sie im Schnitt ganze 44 Minuten tägliche Lebenszeit kostet. Was, nebenbei bemerkt, ein Quickie ist: Amerikaner brauchen für den Weg zur Arbeit im Schnitt 51 Minuten, in Japan sind es 90. Getoppt werden sie alle aber von den Einwohnern Bangkoks: Die zuckeln allein schon für eine Strecke satte zwei Stunden durch überfüllte Straßen.
Sagen wir es, wie es ist: Pendeln macht krank. Aber nicht wegen der Abgase. Der britische Stressforscher David Lewis von der Universität von Sussex zeichnete fünf Jahre lang den Blutdruck und die Herzfrequenz von 800 Autofahrern auf. Danach verglich er deren Werte mit denen von Polizisten und Jetpiloten. Dabei bemerkte Lewis, dass das Stressniveau der Pendler mit dem von Kampfpiloten vergleichbar war. Außerdem konnten sich viele Versuchspersonen aufgrund der Anspannung an weite Teile der täglichen Strecke gar nicht mehr erinnern. Lewis nannte dieses Phänomen die Pendler-Amnesie. Wer jeden Tag anderthalb Stunden pendelt, verliert pro Woche einen ganzen Arbeitstag aus dem Bewusstsein. Erschreckend, oder?-
Studien des Psychologen Dwight Hennessy vom Buffalo State College zeigten: Vor allem Männer lassen ihre im Berufsverkehr angestauten Aggressionen später an Kollegen aus. Die einen beschimpften Kollegen, andere bemoserten oder behinderten deren Arbeit. Offenbar hatten die Männer während der Berufspendelei bereits ihre gesamte Frustrationstoleranz aufgebraucht. Kam es im Büro später zu Konflikten, fehlte ihnen schlicht die Kraft, neuen Ärger und ihre aufkochenden Emotionen im Zaum zu halten.
Dabei ist es nicht einmal so sehr das Pendeln an sich, das uns unglücklich macht. Vielmehr ist es der Umstand, dass wir dadurch auf vieles verzichten: auf körperliche Betätigung etwa oder das Pflegen sozialer Kontakte. Robert Putnam von der Harvard-Universität beschäftigte sich 2001 in seinem Buch ›Bowling Alone‹ mit der Erosion der amerikanischen Gesellschaft. Er ist fest davon überzeugt, dass das Pendeln maßgeblich seinen Beitrag dazu geleistet hat – als einer der größten Verursacher sozialer Isolation: »Zehn Minuten Pendeln resultiert in zehn Prozent weniger sozialen Verbindungen«, rechnet Putnam vor. Schließlich habe kaum jemand morgens im Zug Lust, Leute kennenzulernen. Nur wenige teilten sich den Weg zur Arbeit mit guten Freunden – und wirklich entspannt ist die Stimmung in Bussen und Bahnen weder morgens noch abends. Wer Auto fährt, ist ohnehin meist mit sich und dem Radio allein.
Vielen schlägt das offenbar kräftig aufs Gemüt. Als das Münchner Dienstleistungsunternehmen Regus 2009 rund 11 000 Arbeitnehmer in 13 Ländern nach ihren größten Frustverursachern befragte, gab jeder Fünfte zu Protokoll, dass er schon einmal darüber nachgedacht habe, wegen der ständigen Pendelei den Job aufzugeben. »Der ganze Stress lohnt sich nicht«, befindet daher auch der Schweizer Ökonom Bruno Frey. Sogar buchstäblich. Als er und sein Kollege Alois Stutzer sich vor einigen Jahren des Themas Berufspendeln annahmen, gelangten sie zur Überzeugung: Wer allein für eine Strecke eine Stunde lang auf der Piste ist, müsste im Vergleich zu einem Nichtpendler 40 Prozent mehr verdienen, um genauso glücklich zu sein. Frey und Stutzer vergleichen Pendeln daher mit Rauchen: Beides ist unvernünftig, ungesund und teuer – trotzdem könne das Heer der Gehinderten und Gebremsten nicht davon lassen. Dabei würde schon ein kleiner Umzug dafür sorgen, dass einem das Leben jeden Tag ein bisschen besser gefällt.
Warum am Wochenende der Schnupfen kommt
Wer kommt schon auf die Idee, dass die Beobachtung von sich trimmenden Senioren helfen kann, erholter aus dem Wochenende zurückzukehren? Wir versuchen es trotzdem. Richten Sie Ihr geistiges Augenmerk dazu bitte auf das typische Gummiband, an dem die Gymnastikeleven regelmäßig die Leiber recken und strecken. Egal, wie sehr die Aktivsportgruppe daran zerrt, es wird sich jedes Mal wieder in seine ursprüngliche Form zurückziehen. Nur wer es überdehnt, riskiert, dass das Gummi reißt und ihm eine oder gar beide Hälften des Bandes um die Ohren peitschen.
Die meisten Menschen erleben nach einer anstrengenden und stressigen Woche genau dasselbe wie ein Gummiband: Sie fahren rapide herunter und hoffen auf eine Blitzerholung. Oder aber sie überdehnen ihre körperliche Schaffenskraft, obwohl Symptome wie Schlafstörungen, Konzentrationsausfälle oder Kopfschmerzen sie längst vor einem baldigen Bandriss warnen. Beides ist töricht. Im zweiten Fall ist die Sache noch relativ klar, aber auch im ersten redet man vom Gummiband-Effekt. Denn in der schlagartigen Ruhe nach vorheriger Überdehnung lauert die Krankheit. Unser Immunsystem mag so etwas gar nicht und kracht dadurch regelrecht zusammen. Das liegt vor allem am Hormon Cortisol. Solange wir Stress haben, ein Projekt abschließen, eine Präsentation halten oder eine Prüfung bestehen müssen, schüttet es unser Körper unentwegt aus. Das stärkt die Abwehrkräfte und wir halten wacker durch. Warum der menschliche Organismus das über einen längeren Zeitraum verträgt, ist medizinisch zwar nicht geklärt. Sicher weiß man aber: Der Hormoncocktail laugt uns aus, schwächt auf Dauer das Immunsystem und lässt es beim ersten Anzeichen einer Entspannungsphase kollabieren. Bei den einen geschieht dies pünktlich mit dem ersten freien Tag, bei anderen zieht es sich noch eine Weile – etwa über das gesamte Wochenende. Was die typischen Montagskrankschreibungen erklären kann. Aber freilich nicht alle!
Eine Lösung, dem Gummiband-Effekt zu entgehen, sind regelmäßige kurze Pausen unter der Woche – und bitte nicht erst dann, wenn Sie draußen rosa Elefanten durch die Luft fliegen sehen und Ihnen drinnen die brennende Giraffe einen Kaffee anbietet. Kleine Kurzpausen sorgen dafür, dass sich die Cortisol-Kaskade gar nicht erst so weit aufschaukelt. Kurze Pausen wiederum deshalb, weil der Erholungseffekt nicht linear steigt. Oder anders ausgedrückt: Sie erholen sich vor allem im ersten Drittel einer Pause, danach aber kaum noch. Statt einer 45-minütigen Unterbrechung ist es wesentlich erfrischender, über den Tag verteilt drei Mal 15 Minuten abzuschalten.
Die zweite Lösung ist, seinen Rhythmus nicht gleich am ersten freien Tag rigoros zu ändern. Schlafen Sie nicht bis in die Puppen – das bestraft der Körper in der Regel mit Kopfschmerzen. Schalten Sie lieber allmählich zurück. Frühstücken Sie gesund, mit viel Obst, und sorgen Sie anfangs für leichte Belastung, durch etwas Sport, beispielsweise eine halbe Stunde Jogging vor dem Frühstück. So schalten Sie nicht von hundert auf null in zehn Sekunden und ersparen sich so obendrein die Entspannungs-Peitsche.
Weshalb zu lange Auszeiten doof machen
Wohl auf nichts freuen sich Schüler mehr als auf die Ferien. Manch Erwachsenem geht das mit seinem Jahresurlaub genauso: Endlich raus aus dem muffigen Büro, raus aus dem Alltagstrott, abschalten, verreisen, ab auf die Insel und rein in die Sonne!
Vielleicht lesen Sie dieses Buch ja im Schatten einer Kokospalme, die sich trotzig gegen den Horizont lehnt, akustisch umrahmt von sanften Wogen, die an den flachen Sandstrand branden, und einer leichten Brise, die über die schon erbleichten Härchen auf der Haut flimmert und zart an den Buchseiten zerrt. Bravo! Sie machen alles richtig. Nicht, weil Sie an einem Ort verweilen, an dem auch wir jetzt gerne wären – mit der wertvollen Lektüre tun Sie etwas Entscheidendes gegen die drohende Urlaubsverblödung, bei Insidern bekannt als Ferien-Effekt.
Drei von vier Deutschen verreisen jedes Jahr mindestens fünf Tage oder länger – macht insgesamt 64 Millionen Urlaubsreisen. Davon 49,4 Millionen zur Hauptsaison im Sommer, der Rest sind Zweit oder gar Dritturlaube. Wo es die Deutschen dabei hinzieht, ermittelt regelmäßig die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR).Demnach waren die Top 5 Reiseziele der Deutschen:
Deutschland |
30,1 % |
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Spanien |
14,1 % |
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Italien |
8,0 % |
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Türkei |
6,3 % |
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Österreich |
4,5 % |
Tatsächlich ist es so, dass Ferien und langer Urlaub latent dumm machen. Lehrer kennen das: Immer wieder berichten sie von einem erheblichen Lernverlust ihrer Schüler nach den Sommerferien. Eine Metastudie, bei der Harris Cooper von der Universität von Missouri in Columbia 1996 insgesamt 39 wissenschaftliche Untersuchungen über die Wirkung von Sommerferien auf Schüler auswertete, zeigte: Gerade die mathematischen Fähigkeiten litten unter der Auszeit. Noch schlimmer war es allerdings um die Rechtschreibkompetenzen bestellt. Schon nach vier Wochen Ferien waren die Schüler wieder auf dem geistigen Niveau des Frühjahrs. Das eigentlich Erschreckende an Coopers Untersuchungen aber war: Der negative Effekt schien sich von Klassenstufe zu Klassenstufe zu verstärken, woraus man ableiten könnte: Kurz vor dem Abitur sollten Schüler nun wirklich keine Ferien mehr machen.
DREI FAKTEN, DIE SIE ÜBER DEN URLAUB WISSEN SOLLTEN:
Entspannen braucht Zeit. Peter Totterdell von der Universität von Sheffield fand 1995 heraus, dass der Grad der Erholung proportional zur Länge der Ferien steigt – zumindest bei den 61 untersuchten Krankenschwestern.
Zu viel Kultur schadet. Wer ein fremdes Land bereist, sollte sich vor zu vielen kulturellen Eindrücken hüten, rät die italienische Ärztin Graziella Magherini. Als Leiterin der psychologischen Abteilung eines Krankenhauses in Florenz fielen ihr 1979 Krankheitsfälle ausländischer Touristen auf, die von der Fülle der dortigen Kunstwerke überreizt waren. Das Phänomen taufte sie »Stendhal Syndrom« – in Anlehnung an die Reiseberichte des französischen Schriftstellers.
Erholungseffekt hält maximal acht Wochen. Wissenschaftler um Jeroen Nawijn von der Erasmus Universität in Rotterdam werteten für eine Untersuchung die Fragebögen von 1530 Niederländern aus. Dabei zeigte sich: Der Erholungseffekt verpuffte schon kurz nach der Rückkehr. Nur wer eine besonders entspannende Reise hinter sich hatte, konnte das Glücksgefühl noch etwa zwei Wochen erhalten. Spätestens nach acht Wochen waren die Urlauber auf dem Stand wie vor den Ferien.
Die Sache ist allerdings nicht unumstritten. 2004 untersuchten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung den Ferien-Effekt ebenfalls. Auch sie wollten wissen, ob es in Deutschland und speziell im Grundschulbereich so etwas wie ein kognitives Sommerloch gibt, das die Kinder nach den Ferien wieder bei null anfangen lässt. Die Max-Planck-Forscher kamen damals zu dem Fazit: Nein, der Effekt lasse sich so nicht feststellen. Vielleicht hatten sie aber kurz zuvor Urlaub gemacht. Denn nur wenig später konnte ein Forschungsprojekt der Universität Siegen (»Schichtspezifisches Lernen außerhalb vom Unterricht«) zumindest sozialmilieuspezifische Unterschiede ausmachen.
Auch der Erlanger Gedächtnisforscher Siegfried Lehrl konnte vor einiger Zeit nachweisen, dass der Intelligenzquotient eines Erwachsenen nach nur drei Wochen Nichtstun um 20 Punkte sinkt – ein größerer Verlust als der Abstand zwischen dem durchschnittlichen Studenten-IQ und dem Durchschnitts-IQ der Bevölkerung. Doch bevor Sie jetzt gleich Dr. Kawashima anrufen, um mit ihm eine Runde durch das Gehirn zu joggen – nach zwei, drei Tagen gewohnter geistiger Beschäftigung wird das alte Level schon wieder erreicht. Das heißt aber auch: Wer nach zwei Wochen Faulenzen am Strand in sein Großraumbüro zurückkehrt, muss sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig akklimatisieren. Die Faustregel dazu: So lange es gedauert hat, die Hektik des Alltags abzustreifen, so lange dauert es auch, um intellektuell wieder auf Touren zu kommen. Es sei denn, Sie lesen jetzt schnell weiter.
Warum wir auch bei größtem Lärm anderen zuhören können
Es lässt sich leider nicht mehr ermitteln, ob der britische Kognitionsforscher Edward Colin Cherry ein besonders wilder Partylöwe war oder eine Vorliebe speziell für Cocktailpartys hatte. Cherry ist seit über 30 Jahren tot. Trotzdem ist er uns gut im Gedächtnis geblieben, denn er hat uns eine besonders alltagstaugliche Erkenntnis hinterlassen: den Cocktailparty-Effekt.
Wir beide waren in unserem Leben – nicht nur berufsbedingt – schon unzählige Male auf einer Party eingeladen. Als Kölner leben wir zudem in einer Region, die dafür bekannt ist, dass deren Eingeborene keinen konkreten Anlass benötigen, um ihre Geselligkeit auszuleben. Für Kölner ist Feiern kein Zeitvertreib, sondern ein Lebensgefühl. Und nicht selten geht es dabei hoch her und laut zu – jede Menge gute Musik, lustige Geschichten und Anekdoten, die darum wetteifern, erzählt zu werden, Gelächter überall, Stimmung bis spät in die Nacht. Nicht nur an Karneval! Das Faszinierende daran ist: Egal, wie viele Geräusche unser Gehör dabei aufnimmt – wir können uns trotzdem problemlos auf unseren Gesprächspartner und seine Stimme konzentrieren.
Cherry hatte dieses Phänomen 1953 als Erster nachgewiesen. Auf die Idee dazu brachten ihn zwei Experimente. Beim ersten lauschten die Versuchsteilnehmer über Kopfhörer gleichzeitig zwei verschiedenen Botschaften desselben Sprechers. Eine der beiden Botschaften sollten sie herausfiltern und später niederschreiben. Um die Aufgabe zu meistern, schlossen fast alle Probanden ihre Augen, strengten sich enorm an, konzentrierten sich intensiv auf einen der beiden Texte – dann schafften sie es gerade so mit Müh und Not.
Den eigentlichen Aha-Moment erlebte Cherry jedoch beim zweiten Versuch: Wieder spielte der Psychologe zwei Botschaften gleichzeitig ab, doch diesmal für beide Ohren getrennt. Also links den einen Text, rechts den anderen. Kompliziert? Mitnichten! Die Teilnehmer fühlten sich regelrecht unterfordert. Zu ihrer eigenen Überraschung konnten sie die beiden Botschaften ohne Probleme auseinanderhalten – ohne die Augen zu schließen oder die Stirn zu runzeln. Exakt dasselbe Phänomen erleben wir auf Partys: Unser rechtes Ohr hört andere Dinge als unser linkes, doch beide Geräusche kann unser Gehirn problemlos voneinander trennen. Wir müssen dem anderen eben nur eines unserer beiden Ohren hinhalten.
Zugegeben, der Effekt hat Grenzen. Wenn es zu laut wird, etwa in einem Nachtclub, hilft nur noch Schreien. Dann heben wir automatisch unsere Stimme – je lauter die Umgebung, desto höher der Ton. Auch dieses Phänomen trägt einen Namen: Lombard-Effekt, nach seinem Entdecker, dem französischen Wissenschaftler Étienne Lombard. Und selbst damit ist es irgendwann vorbei. Dann spürt man nur noch das Wummern der Bässe auf der Brust, den Luftzug des schreienden Gegenübers im Ohr und am nächsten Tag den Tinnitus.
Falls Sie ein regelmäßiger Partygänger sind, möchten wir Ihnen an dieser Stelle noch einen Tipp mit auf den Weg geben: Falls Sie Ihr Gegenüber um etwas bitten möchten – Feuer, einen Drink, die Telefonnummer –, sprechen Sie unbedingt ins rechte Ohr! Diese eigentümliche Empfehlung geht auf Luca Tommasi und Daniele Marzoli von der Universität in Chieti zurück. Die wollten wissen, in welches Ohr Menschen in erster Linie reden, wenn sie sich in Nachtclubs begegnen. Dabei fiel ihnen auf, dass sich 72 Prozent der knapp 300 Discobesucher hauptsächlich über das rechte Ohr ansprachen. Das erregte ihre Neugier. Und schon bald stellten sie fest: Auch im Alltag quatschen sich die Menschen mehrheitlich von rechts an, wenn sie etwas von dem anderen wollen. Also machten Tommasi und Marzoli das, was Wissenschaftler an dieser Stelle üblicherweise tun: Experimente. Die beiden besuchten gleichfalls Nachtclubs und brabbelten zunächst unverständliche Worte beliebigen Besuchern ins Gesicht. Die mussten sich schon sehr anstrengen, um überhaupt etwas zu verstehen. Hier waren es vor allem die Frauen, die den Forschern vorwiegend ihr rechtes Ohr schenkten. Im zweiten Versuch sprach das Hörtest-Duo die Besucher wahllos mal von rechts und von links an, um eine Zigarette zu schnorren. Resultat: Wer die Gäste von rechts anbaggerte, hatte hernach deutlich mehr zu rauchen. Ihre Erklärung dazu: Das rechte Ohr hat den direkteren Draht zur linken Gehirnhälfte und die verarbeitet Aufforderungen besser. Bei Tieren ist das übrigens genauso.
Warum der Reflex so ansteckend ist
Der dreißigjährige Mann, der im Sommer 1978 in Olivier Walusinskis Praxis im französischen Kleinstädtchen Brou kommt, ist nicht müde. Aber er gähnt. Nicht einmal. Nicht zweimal. Er gähnt unentwegt. Jede Minute mindestens einmal. Walusinski erkennt sofort die verzweifelte Lage, in der der Mann steckt. Er ist verstört, kann kaum sprechen, essen oder arbeiten. Er wagt sich kaum noch unter Menschen wegen seines Leidens. Er hat nackte Angst. Also hört sich der Arzt um, fragt Kollegen, forscht in der Literatur, was es dort über das Gähnen gibt. Doch dort findet er: nichts. Es gibt ein paar wissenschaftliche Aufsätze, wenige empirische Arbeiten, etwas Theorie. Mehr nicht. Unglaublich! Obwohl der Mensch rund eine Viertelmillion Mal in seinem Leben gähnt, ist der Reflex in der Wissenschaft so gut wie unerforscht.
Bis heute ist das wenig besser geworden. Immerhin: Walusinski gilt mittlerweile als der weltweit führende Experte auf dem Gebiet der Gähnforschung. Er hat, rund 30 Jahre nach der Begegnung mit seinem Patienten, über 1000 Artikel dazu verfasst, Anfang 2010 einen Sammelband herausgegeben (›The Mystery of Yawning‹) und Ende Juni 2010 in Paris die erste internationale Gähnkonferenz organisiert. Man weiß nun, dass ein Mensch im Schnitt etwa acht Mal am Tag für eine Dauer von jeweils fünf bis zehn Sekunden gähnt. Männer und Frauen in etwa gleich oft. Auch kann man als gesichert betrachten, dass wir besonders häufig morgens gähnen. Ebenso bei monotonen Arbeiten oder bei der Lektüre langweiliger Texte (gähnen Sie etwa gerade?). Manche Menschen gähnen auch, um Stress abzubauen: Olympioniken tun dies zum Beispiel, kurz bevor die Pistole knallt. Ebenso gilt als unstrittig, dass nicht nur die Krone der Schöpfung gähnt, sondern zahlreiche Lebewesen gleich mit. Unser nächster Verwandter, der Affe, gähnt etwa genauso oft wie wir. Doch auch Pferde, Hunde, Katzen, Ratten, Vögel, Krokodile, Schlangen und sogar Fische gähnen. Der Juwelen-Riffbarsch zum Beispiel verteidigt sein Revier, indem er Eindringlinge mehrfach angähnt. Es ist nicht bekannt, ob Barsche Mundgeruch haben. Aber abschreckend hässlich sieht das auf jeden Fall aus. »Alle gähnen«, sagt der Schweizer Neurologe Adrian Guggisberg. Nur wisse bis heute keiner, warum.
Als widerlegt gilt zumindest schon mal die Theorie, dass die spontane Gähnattacke das Gehirn mit Sauerstoff versorge. »Unfug!«, monierte der US-Psychologe Robert Provine bereits 1987. Ein einzelner tiefer Atemzug rettet das ermattete Denkorgan sicher nicht vor dem Vernunftausfall. Da hätte der Urheber dieser Theorie besser etwas häufiger gähnen sollen. Andere vermuten, der Reflex könnte mit dem Zuckergehalt im Blut zusammenhängen: Wenig Zucker gleich mehr Gähnen. Genau wissen die Wissenschaftler das aber nicht.
Deshalb konzentrieren wir uns lieber auf eine andere, nicht weniger spannende Frage: Warum wirkt Gähnen so ansteckend?
Es gibt nur wenige Erklärungsversuche. Neuropsychologen halten das menschliche Reflexgähnen für eine Art soziale Reaktion und bedienen sich dazu zahlreicher Analogien aus dem Tierreich: Löwen zum Beispiel gähnen sich gegenseitig an, bevor sie zur gemeinsamen Jagd aufbrechen. Bei den Affen wiederum ist es vor allem das dominante Männchen, das seine Horde gut sichtbar angähnt, um ihr zu signalisieren: Zeit, schlafen zu gehen! Bei Makaken beobachtete der Verhaltensforscher Bertrand Deputte von der Universität Rennes, dass das Alpha-Tier am meisten gähnte. Und das, obwohl der Faulpelz am wenigsten zu tun hatte. Interessant ist in dem Zusammenhang auch, dass sich zwar Hunde untereinander kaum vom Gähnen anstecken lassen – wohl aber von ihrem Herrchen oder Frauchen. Gähnt ihr Besitzer, machen sie das in 70 Prozent aller Fälle nach. Die Forscher vermuten daher, dass auch wir uns aus einer Art Unterordnung oder Herdentrieb anstecken lassen. Ein weiteres Indiz: Schon der Gedanke daran kann einen Gähnimpuls auslösen.
Als der Psychologe Andrew Gallup von der Universität Albany wiederum untersuchte, ob und wie man sich vor der Ansteckungsgefahr effektiv schützen könne, stellte er fest: Wer ausschließlich durch die Nase atmet oder sich einen kühlen Wickel von vier Grad Celsius an die Stirn klatscht, wird nahezu immun dagegen. Gallup folgerte daraus, dass das Gähnen vor allem der Kühlung der grauen Zellen diene. Diese Theorie wurde in Paris zwar stark bezweifelt – dennoch finden wir sie sehr sympathisch. Denn falls Sie gerade gähnen, hieße das eben nicht, dass dieser Text langweilig ist, sondern Sie vielmehr so sehr angeregt hat, dass Ihr Oberstübchen gerade heiß läuft, woraufhin Ihr Körper die biologische Klimaanlage anwirft. Schmeichelhaft – und eine gute Überleitung zum nächsten Effekt …